<p class="article-intro">Die Österreichische Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation hielt den „Wiener Rheumatag“ heuer im Universitätscampus des Alten AKH ab. Unter anderem wurde über generalisierte Schmerzsyndrome und Fingerpolyarthrosen sowie über neue Therapieoptionen für Spondyloarthritiden und Psoriasis referiert. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Über ein wichtiges Thema in der rheumatologischen Praxis, nämlich Fingerpolyarthrosen, referierte Prof. Dr. Klaus Bobacz, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Wien. Die Fingerpolyarthrose stellt die häufigste Form der Arthrose und aufgrund der großen Verbreitung auch ein sozioökonomisches Problem dar. Risikofaktoren sind neben dem Alter weibliches Geschlecht, Familienanamnese, erhöhtes Körpergewicht und schwere oder repetitive unphysiologische manuelle Tätigkeiten.<br />„Die Erkrankung betrifft nicht nur den Knorpel, wie man lange angenommen hat, sondern alle gelenksbildenden Strukturen“, so Bobacz. Der Verlust der Knorpelmatrix ist aber charakteristisch und kann im Röntgen anhand der Gelenksspaltverschmälerung abgeschätzt werden. Weitere radiologische Veränderungen im Rahmen der Fingerpolyarthrose umfassen: subchondrale Sklerosierung, im weiteren Verlauf auch subchondrale Zysten, ggf. Erosionen und Abweichungen von der physiologischen Gelenkachse. Als „Vorsorgeuntersuchung“ ist das Röntgen aber nicht sinnvoll, denn eine Fingerpolyarthrose muss nicht symptomatisch werden, selbst wenn sie radiologisch gesichert ist. „Nur etwa jeder Vierte der Betroffenen entwickelt Schmerzen oder Gelenkssteifigkeit“, sagt Bobacz. Eine frühe Diagnose ist dennoch wünschenswert, vor allem in Hinblick auf den Ausschluss anderer ähnlicher Erkrankungen: Differenzialdiagnostisch muss an chronische Polyarthritis, Psoriasisarthritis, Hämochromatose, Gicht und Pseudogicht gedacht werden.<br />Eine etablierte Prophylaxe gibt es laut Bobacz nicht und auch keine krankheitsmodulierende Therapie: „Die Fingerpolyarthrose ist nicht reversibel, der zerstörte Gelenkknorpel kann nicht ersetzt werden.“ Die vielfältigen Therapieoptionen zielen auf Schmerzlinderung und Funktionsverbesserungen ab. Ergo- und Physiotherapie inklusive Schulungen (Gelenksschutzinstruktion) und Hilfsmittelversorgung sollten jedem Patienten angeboten werden. Übergewichtigen Patienten ist dringend zur Gewichtsreduktion zu raten, denn Adipositas fördert Arthrose nicht nur in körpergewichtsbelasteten Gelenken, sondern auch in den Fingern. <br />Als pharmakologische Therapie kommen die topische Behandlung mit Capsaicin oder NSAR und die systemische mit Paracetamol, NSAR und Tramadol infrage. Die Wirksamkeit von Glucosamin, Chondroitinsulfat, Diacerein, i.a. Steroiden und Hyaluronsäure bei der Fingerpolyarthrose ist umstritten. Jedoch sind auch Optionen mit schwacher Evidenz, z.B. Yoga, Dextrose-Proliferationstherapie, Vitamin B12, Duloxetin u.a., laut Bobacz einen Therapieversuch wert, wenn andere Maßnahmen versagen: „Die therapeutischen Optionen für die Fingerpolyarthrose sind zwar vielfältig, aber oft nicht ausreichend wirksam. Trotzdem lässt sich für viele Patienten letztlich ein effektiver individueller Therapieplan erstellen.“</p>
<p class="article-intro">Die Österreichische Gesellschaft für Rheumatologie und Rehabilitation hielt den „Wiener Rheumatag“ heuer im Universitätscampus des Alten AKH ab. Unter anderem wurde über generalisierte Schmerzsyndrome und Fingerpolyarthrosen sowie über neue Therapieoptionen für Spondyloarthritiden und Psoriasis referiert. </p>
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<p class="article-content"><p>Über ein wichtiges Thema in der rheumatologischen Praxis, nämlich Fingerpolyarthrosen, referierte Prof. Dr. Klaus Bobacz, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Wien. Die Fingerpolyarthrose stellt die häufigste Form der Arthrose und aufgrund der großen Verbreitung auch ein sozioökonomisches Problem dar. Risikofaktoren sind neben dem Alter weibliches Geschlecht, Familienanamnese, erhöhtes Körpergewicht und schwere oder repetitive unphysiologische manuelle Tätigkeiten.<br />„Die Erkrankung betrifft nicht nur den Knorpel, wie man lange angenommen hat, sondern alle gelenksbildenden Strukturen“, so Bobacz. Der Verlust der Knorpelmatrix ist aber charakteristisch und kann im Röntgen anhand der Gelenksspaltverschmälerung abgeschätzt werden. Weitere radiologische Veränderungen im Rahmen der Fingerpolyarthrose umfassen: subchondrale Sklerosierung, im weiteren Verlauf auch subchondrale Zysten, ggf. Erosionen und Abweichungen von der physiologischen Gelenkachse. Als „Vorsorgeuntersuchung“ ist das Röntgen aber nicht sinnvoll, denn eine Fingerpolyarthrose muss nicht symptomatisch werden, selbst wenn sie radiologisch gesichert ist. „Nur etwa jeder Vierte der Betroffenen entwickelt Schmerzen oder Gelenkssteifigkeit“, sagt Bobacz. Eine frühe Diagnose ist dennoch wünschenswert, vor allem in Hinblick auf den Ausschluss anderer ähnlicher Erkrankungen: Differenzialdiagnostisch muss an chronische Polyarthritis, Psoriasisarthritis, Hämochromatose, Gicht und Pseudogicht gedacht werden.<br />Eine etablierte Prophylaxe gibt es laut Bobacz nicht und auch keine krankheitsmodulierende Therapie: „Die Fingerpolyarthrose ist nicht reversibel, der zerstörte Gelenkknorpel kann nicht ersetzt werden.“ Die vielfältigen Therapieoptionen zielen auf Schmerzlinderung und Funktionsverbesserungen ab. Ergo- und Physiotherapie inklusive Schulungen (Gelenksschutzinstruktion) und Hilfsmittelversorgung sollten jedem Patienten angeboten werden. Übergewichtigen Patienten ist dringend zur Gewichtsreduktion zu raten, denn Adipositas fördert Arthrose nicht nur in körpergewichtsbelasteten Gelenken, sondern auch in den Fingern. <br />Als pharmakologische Therapie kommen die topische Behandlung mit Capsaicin oder NSAR und die systemische mit Paracetamol, NSAR und Tramadol infrage. Die Wirksamkeit von Glucosamin, Chondroitinsulfat, Diacerein, i.a. Steroiden und Hyaluronsäure bei der Fingerpolyarthrose ist umstritten. Jedoch sind auch Optionen mit schwacher Evidenz, z.B. Yoga, Dextrose-Proliferationstherapie, Vitamin B12, Duloxetin u.a., laut Bobacz einen Therapieversuch wert, wenn andere Maßnahmen versagen: „Die therapeutischen Optionen für die Fingerpolyarthrose sind zwar vielfältig, aber oft nicht ausreichend wirksam. Trotzdem lässt sich für viele Patienten letztlich ein effektiver individueller Therapieplan erstellen.“</p> <h2>Schmerzen sind immer real</h2> <p>Prof. Dr. Klaus Machold, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Wien, sprach über chronische generalisierte Schmerz- bzw. zentrale Sensitivitätssyndrome. Unter diesem Sammelbegriff wird derzeit etwa ein Dutzend klinische Bilder zusammengefasst (Tab. 1). Zugrunde liegt eine gestörte Schmerzverarbeitung. Kennzeichnend ist das generalisiert diffuse oder multilokuläre Auftreten der Schmerzen, was sie grundsätzlich von nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen unterscheidet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s64.jpg" alt="" width="35 % " /><br />Meist kommen die Patienten schon vorbehandelt in die Sprechstunde. „Die Therapieresistenz, insbesondere gegenüber Steroiden, hilft bei der Differenzialdiagnose gegenüber entzündlich-rheumatischen Erkrankungen“, so Machold. Charakteristisch sind weiters konstitutionelle Begleitsymptome. Es sollte deshalb immer nach Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Parästhesien, Verdauungs- oder Menstruationsbeschwerden, Angst, vorbestehenden Depressionen etc. gefragt werden. Die umfassende Erfassung von Schmerz, Funktion und psychosozialem Kontext wird auch von der EULAR empfohlen.<br />Die Diagnose einer Fibromyalgie gelingt am besten und schnellsten mit der Palpation der spezifischen „tender points“, auf die Fibromyalgiepatienten hochempfindlich reagieren. Eventuelle Grunderkrankungen wie Kollagenosen etc. müssen dennoch abgeklärt werden, denn chronische Schmerzerkrankungen, die nicht oder ungenügend behandelt werden, können eine sekundäre Fibromyalgie auslösen. Für die Abklärung eines myofaszialen Schmerzsyndroms gibt es „trigger points“, deren Stimulation ausstrahlende Schmerzen auslöst. Die systemischen Manifestationen des myofaszialen Schmerzsyndroms, nämlich Müdigkeit, Schlafunregelmäßigkeiten und Depression, ähneln denen der Fibromyalgie. <br />Die EULAR-Empfehlungen zum Management von Fibromyalgie aus dem Jahr 2008 haben vor Kurzem ein Update erfahren (Ann Rheum Dis 2017; 76: 318). Die Therapie soll demnach auf die Verbesserung der Lebensqualität abzielen und die Patientenpräferenzen berücksichtigen (Cave: sekundärer Krankheitsgewinn: Pensionsbegehren etc.). Die Modalitäten sind auf Schmerzintensität, Funktion und Begleitstörungen abzustimmen. Nutzen und Nachteile der einzelnen Therapiemaßnahmen müssen gegeneinander abgewogen werden. Generell wird ein abgestuftes und multimodales Vorgehen empfohlen, wobei das initiale Management auf nicht pharmakologische Maßnahmen fokussieren sollte. Konzentrierte Bewegungstherapie (Yoga, Tai-Chi etc.), Stressbewältigungsmaßnahmen, kognitive Verhaltenstherapie und physikalische Behandlungen (insbesondere Wärmetherapie) haben sich laut Machold als hilfreich erwiesen. NSAR, Coxibe und Steroide zeigen bei Fibromyalgie keinen nachhaltigen Effekt, da kein entzündliches Geschehen vorliegt. Analgetika wie Paracetamol und Tramadol wirken gering schmerzstillend, sie verstärken aber den therapeutischen Effekt von Psychopharmaka. Trizyklika, SSRI und Antikonvulsiva zeigen bei etwa 30 % der Patienten moderate Wirkung. Cannabinoide wirken mehr schmerzdistanzierend als -stillend. Wichtig ist es, so Machold, den Patienten zu vermitteln, dass ihre Schmerzen nicht „eingebildet“ sind, sondern dass sie an einer realen Erkrankung leiden.</p> <h2>Update SpA</h2> <p>Die Krankheitsgruppe der Spondyloarthritiden umfasst verschiedene Krankheitsbilder, deren Ausprägungen auch wiederum sehr unterschiedlich sein können. Die mittlere Dauer bis zur Diagnose ist dank höherer Awareness heute zwar kürzer als noch vor einigen Jahren, aber mit 4–5 Jahren immer noch „zu lange“, sagt Prof. Dr. Kurt Redlich, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Wien. <br />NSAR helfen etwa 50 % der Patienten. Einige Studien hätten sogar eine krankheitsmodifizierende Wirkung von NSAR bei Morbus Bechterew gezeigt. Aber eine prospektive randomisierte Studie, welche die Anwendung von Diclofenac in mindestens der halben Höchstdosis versus Diclo­fenac bei Bedarf verglich, konnte nach 2 Jahren leider keinen signifikanten Unterschied in der radiografischen Progression feststellen (Sieper J et al.: Ann Rheum Dis 2016; 75). „Man kann daher eigentlich nicht davon ausgehen, dass kontinuierliche NSAR-Gabe die Krankheitsprogression hemmt“, so Redlich. <br />Wenn NSAR nicht wirken oder nicht (mehr) gegeben werden können, können TNF-Blocker bei 50 % der SpA-Patienten ein ASAS40-Ansprechen erreichen. „Für den Rest steht seit Kurzem die IL-17-Blockade mit z.B. Secukinumab als neues Wirkprinzip zur Verfügung“, so Redlich. JAK-Inhibitoren befinden sich für die Indikation SpA noch in Phase-II-Studien.</p> <h2>Psoriasis und Gicht</h2> <p>Für die Behandlung der Psoriasis ist mit der Substanzklasse der IL-17-Inhibitoren „eine neue Ära“ angebrochen, wie Prof. Dr. Elisabeth Riedl von der Wiener Universitätsklinik für Dermatologie ausführte. Mit diesen Medikamenten können erstmals PASI-Scores von 90 bis 100 erreicht werden. Alle drei (Secukinumab, Ixekizumab und Brodalumab) können laut Riedl eine rasch einsetzende und lang andauernde Wirkung vorweisen. <br />Was die moderne Behandlung der Gicht betrifft, erinnerte Dr. Judith Sautner vom Landesklinikum Korneuburg-Stockerau daran, „den Patienten mit all seinen Komorbiditäten zu sehen und ihn interdisziplinär zu führen“. Denn Gicht ist eine Systemerkrankung; die Assoziation mit diversen anderen internistischen Erkrankungen gilt als gesichert. Harnsäuresenkung, Gewichtskontrolle und Ernährungsumstellung gehören unabdingbar zur Gichtbehandlung, sie beeinflussen aber auch die Komorbiditäten positiv.</p> <h2>Auf Magen und Darm achten</h2> <p>Prof. Dr. Ludwig Kramer vom Krankenhaus Hietzing, Wien, wies in seinem Vortrag darauf hin, bei der Verabreichung von NSAR daran zu denken, dass diese nicht nur Magenulcera, sondern auch Darmerkrankungen verursachen können, wie z.B. eine mikroskopische Kolitis. Bei Auftreten von gastrointestinalen Symptomen gelten Blutungen, Gewichtsverlust, Anämie und starke Schmerzen als Alarmzeichen, bei denen der Patient an einen Gastroenterologen überwiesen werden sollte.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 17. Wiener Rheumatag, 19. September 2017, Wien
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