©
Nantwich Chuntawites
iStockphoto
Diabetesforschung in Österreich: Kooperation ist der Schlüssel
Jatros
30
Min. Lesezeit
09.11.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Medizinische Forschung setzt heute große Patientengruppen voraus. In einem kleinen Land wie Österreich heißt das Zauberwort für valide Wissenschaft daher Vernetzung. Das ist das Credo von Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Harald Sourij, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Univ.-Klinik für Innere Medizin, Medizinische Universität Graz. Er gab Einblicke in die Diabetesforschung in Österreich.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><strong>Herr Professor Sourij, neben Ihrer klinischen Tätigkeit als Diabetologe sind Sie intensiv wissenschaftlich tätig und kennen die österreichische Forschungslandschaft auf dem Gebiet der Diabetologie sehr gut. Wo steht die österreichische Diabetesforschung im europäischen und im internationalen Kontext?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Die diabetologische Forschung in Österreich muss in qualitativer Hinsicht keinen Vergleich scheuen. Publikationen aus Österreich sind aufgrund der hohen Datenqualität international sehr angesehen. In puncto Output stellt sich die Situation leider etwas anders dar, da können wir mit international führenden Zentren derzeit nicht mithalten. Ein anderer Punkt, der auffällt, ist, dass bei der ÖDG-Jahrestagung jährlich nur zwischen 58 und 70 Arbeiten eingereicht werden. Das spiegelt sicherlich nicht die gesamte diabetologische Forschungstätigkeit in unserem Land wider. Es ist bedauerlich, dass nicht alle Forscher die Ergebnisse ihrer Arbeiten bei unserem nationalen Meeting präsentieren, was der Vernetzung der Forschung in Österreich zugutekommen würde.<br /><br /><strong> Wer sind die Forscher und wo sind die Zentren?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Diabetologisch ausgerichtete Forschungsgruppen finden sich an den großen Universitäten in Innsbruck, Wien, Graz oder Salzburg, und auch im außeruniversitären Bereich sind einige Zentren sehr aktiv, ohne hier einzelne Namen hervorzuheben. Erfreulich ist, dass die Zusammenarbeit verschiedener Zentren im Rahmen von Projekten sehr gut funktioniert. Solche Kooperationen sollten wir intensivieren. Denn sie sind die Zukunft für unsere Forschungslandschaft.<br /><br /><strong> Welche Fragestellungen werden in Österreich aktuell beforscht? Wer bestimmt die Ausrichtung der Forschung? Steht die Grundlagenforschung oder die klinische Forschung im Vordergrund?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Das Spektrum der österreichischen Diabetesforschung ist sehr breit und deckt sowohl die Grundlagen als auch den klinischen Bereich ab. Die Themen reichen von Ernährung und Bewegung über Schwangerschaftsdiabetes, Genderaspekte, neue Medikamente, auch neue Insuline, bis hin zu Biomarkern und dem Einfluss des Diabetes auf Herz- und Nierenerkrankungen, um nur einige zu nennen. Die Themen werden weitgehend von den Forschungsgruppen selbst bestimmt. Um die Finanzierung von Forschungsprojekten kann man sowohl bei öffentlichen Fördergebern (z.B. EU, FWF, FFG) ansuchen als auch bei der Industrie. Prinzipiell ist auch die Teilnahme an großen, von der Pharmaindustrie gesponserten und durchgeführten Studien möglich.<br /><br /><strong> Wie einfach oder wie schwierig ist die Teilnahme an großen internationalen Studien für Forscher eines kleinen Landes wie Österreich?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Es gelingt österreichischen Zentren immer wieder, an internationalen Studien teilzunehmen. Diese werden meist von der Pharmaindustrie finanziert. Aber der Zugang zu diesen Studien ist trotz der hohen Datenqualität, die österreichische Zentren liefern, nicht ganz einfach. Denn ein wesentliches Kriterium ist eine rasche Rekrutierung. Ausreichend viele Patientinnen und Patienten in einem kurzen Zeitraum einzuschließen gelingt oft nur in sehr großen Zentren. Für akademische multizentrische Studien gilt das bereits Gesagte: Kooperation ist ein wichtiger Schlüssel. Zusätzlich wäre eine Vereinfachung der Prüfung durch die Ethikkommissionen sehr hilfreich. Es gibt zwar das Konzept der Leitethikkommission, jedoch mussten wir bei eigenen multizentrischen Projekten feststellen, dass de facto ein Projekt von mehreren österreichischen Zentren mehrfach bearbeitet wird. Ein weiterer Bereich, der optimiert werden könnte, wäre die Vertragserstellung zwischen österreichischen Zentren, die sich oftmals als schwierig erweist.<br /><br /><strong> Wie wichtig ist eine Teilnahme an großen Studien?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Die Teilnahme an großen Studien ist aus mehreren Gründen äußerst wichtig. Einerseits gewinnen dadurch österreichische Mediziner frühzeitig Erfahrungen mit neuen Substanzen und Technologien. Andererseits sinkt bei fehlender Beteiligung an solchen Studien das nationale Forschungsbudget von Pharmafirmen, was angesichts der ohnehin kargen budgetären Ausstattung der Forschung in Österreich besonders bedauerlich ist. Derzeit werden nur etwa 10 % der eingereichten Forschungsanträge bewilligt. Forscherteams sollten sich auch unter diesem Aspekt unbedingt immer wieder nachdrücklich um die Teilnahme an internationalen Studien bewerben und bereits bei der Bewerbung andere Zentren miteinbringen.<br /><br /><strong> Woran forschen Sie und Ihr Team aktuell?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Derzeit arbeiten wir in Graz gemeinsam mit sechs weiteren österreichischen Zentren – Klagenfurt, zwei Zentren in Linz, zwei Zentren in Wien und Feldkirch – an einer Studie zur Anwendung eines SGLT2-Hemmers nach Herzinfarkt. Die Fragestellung ist die Prävention der Herzinsuffizienz. In die Untersuchung sollen 400 Patienten eingeschlossen werden, was durch die Zusammenarbeit der vielen Zentren möglich ist. Ein weiteres Forschungsgebiet meiner Arbeitsgruppe ist beispielsweise der Einfluss von Hypoglykämien auf das Gerinnungssystem und speziell auf die Thrombozyten. Ein anderer Teil des Teams beschäftigt sich mit der Identifizierung von Biomarkern für die Prädiktion von Diabeteskomplikationen. Uns interessieren auch Aspekte etwas abseits des Diabetes, wie die Rolle des Blutzuckers bzw. der Hyperglykämie bei hämatologischen Erkrankungen, bei Malignomen oder auch bei neurodegenerativen Erkrankungen.<br /><br /><strong> Woher kommen die Ideen für Forschungsprojekte?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Die Ideen kommen einerseits aus unserem Team und andererseits aus dem Austausch in Netzwerken mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fachrichtungen. Für diese steht der Blutzucker nicht im Fokus, aber so können wieder interessante Zusammenhänge aufgedeckt werden. So konnten wir in einer Pilotstudie kürzlich zeigen, dass ein erhöhter Blutzucker bei Patienten mit Leukämie mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist. Nun wird der Effekt einer Blutzuckersenkung auf die Sterblichkeit untersucht. Wir wollen herausfinden, ob die Hyperglykämie ein Risikofaktor oder nur ein Risikomarker ist.<br /><br /><strong> Wie sieht es mit der nächsten Forschergeneration aus? Wie groß ist das Interesse junger Diabetologen an Forschung?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Bedauerlicherweise engagieren sich immer weniger junge Kollegen auf dem wissenschaftlichen Sektor. Dafür sind nach meiner Einschätzung zwei Gründe ausschlaggebend. Der klinische Alltag ist anspruchsvoller geworden und die Arbeitsintensität hat zugenommen. Die Gründe hierfür sind hinlänglich bekannt. Die Ärzteschwemme vergangener Zeiten wurde durch einen Ärztemangel abgelöst. Verschärft wird die Situation durch die geforderte strikte Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Die Zeiten der schnellen wissenschaftlichen Arbeit zwischendurch sind ebenfalls vorbei, weil auch die Ansprüche bei der Planung und Durchführung von Forschungsprojekten, Dokumentation und Datenmanagement gestiegen sind. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft der jungen Mediziner, sich nach einem anstrengenden Kliniktag in der Freizeit der Forschung zu widmen. Der Work-Life- Balance wird höherer Stellenwert eingeräumt als früher.<br /><br /><strong> Was könnte verbessert werden, um den Spielraum für Forschung zu vergrößern?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Es sollten unbedingt Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass wissenschaftliche Tätigkeit während der Arbeitszeit stattfinden kann. Dafür ist es dringend notwendig, schärfer zwischen klinischer Arbeit und wissenschaftlicher Tätigkeit zu trennen – von der Lehre gar nicht zu sprechen. Derzeit steht selbst auf dem universitären Sektor die Patientenbetreuung klar im Vordergrund, was zu Lasten der Forschung geht. Es sind zwar gewisse Zeiten für die Forschung vorgesehen. Aber wenn Hilfe bei der Patientenversorgung nötig ist, wie z.B. bei Krankenstandsfällen, hat dies natürlich oberste Priorität und die Forschung wird hintangestellt. Um hier eine Veränderung zu bringen, müssten die Länder mehr Mittel für klinisch tätige Ärzte zur Verfügung stellen. Internationale Modelle wie im UK oder in den USA sehen da eine viel sauberere Trennung vor. Unsere Abteilung in Graz ermöglicht z.B. die adäquaten Forschungszeiten für die forschenden Kollegen nur durch die Anstellung von mehreren zusätzlichen Ärzten über Forschungsdrittmittelgelder.<br /><br /><strong> Wo sehen Sie die Diabetesforschung in Österreich in zehn Jahren?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Es ist gut, dass in Österreich auf dem Gebiet der Diabetologie geforscht wird, und die Forschung ist gut. In Zukunft sollten wir uns bemühen, noch enger als bisher zusammenzuarbeiten. Denn kleine Studien werden die Diabetologie national nicht weiterbringen und noch weniger international. Wir sollten uns unbedingt zusammenschließen und größere Projekte auf die Beine stellen. Für aussagekräftige Ergebnisse benötigen wir ausreichende Fallzahlen. Diese können wir nur im Rahmen gemeinsamer Forschungsprojekte generieren. Vernetzung ist der Schlüssel.<br /><br /><strong> Was wünschen Sie sich vom Gesundheitssystem, was von der Politik und was von der Gesellschaft?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Alles, was auf dem Sektor Diabetes in Bezug auf die Patientenversorgung, die Qualitätssicherung und auch die Forschung nötig ist, ist in der Publikation „Österreichische Diabetes-Strategie: Gemeinsam Diabetes begegnen“ zusammengefasst. Wenn diese so umgesetzt wird, ist alles auf Schiene.<br /><br /><strong> Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
Das könnte Sie auch interessieren:
ADC Sequencing in Breast Cancer: Treatment Sequence & Attrition Rates
Jose Sandoval, MD, PhD, MPH, Geneva University Hospitals and Curie Institute, presents what he considers to be the most important data from SABCS 2023 on antibody-drug conjugates in ...
Digitale Transformation als «höchste Priorität»
Bei der «Nationalen Konferenz Gesundheit 2030» sprachen Expert:innen über Must-Haves bei der Digitalisierung für ein funktionierendes Gesundheitswesen. Dabei gab es aber auch kritische ...
Gesundheitsberufe – eine Singlebörse
Eine aktuelle Umfrage erklärt, warum Angehörige von Gesundheitsberufen oftmals Menschen aus demselben Berufsfeld heiraten.