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Diabetesforschung in Österreich: Kooperation ist der Schlüssel

<p class="article-intro">Medizinische Forschung setzt heute große Patientengruppen voraus. In einem kleinen Land wie Österreich heißt das Zauberwort für valide Wissenschaft daher Vernetzung. Das ist das Credo von Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Harald Sourij, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Univ.-Klinik für Innere Medizin, Medizinische Universität Graz. Er gab Einblicke in die Diabetesforschung in Österreich.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Herr Professor Sourij, neben Ihrer klinischen T&auml;tigkeit als Diabetologe sind Sie intensiv wissenschaftlich t&auml;tig und kennen die &ouml;sterreichische Forschungslandschaft auf dem Gebiet der Diabetologie sehr gut. Wo steht die &ouml;sterreichische Diabetesforschung im europ&auml;ischen und im internationalen Kontext?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Die diabetologische Forschung in &Ouml;sterreich muss in qualitativer Hinsicht keinen Vergleich scheuen. Publikationen aus &Ouml;sterreich sind aufgrund der hohen Datenqualit&auml;t international sehr angesehen. In puncto Output stellt sich die Situation leider etwas anders dar, da k&ouml;nnen wir mit international f&uuml;hrenden Zentren derzeit nicht mithalten. Ein anderer Punkt, der auff&auml;llt, ist, dass bei der &Ouml;DG-Jahrestagung j&auml;hrlich nur zwischen 58 und 70 Arbeiten eingereicht werden. Das spiegelt sicherlich nicht die gesamte diabetologische Forschungst&auml;tigkeit in unserem Land wider. Es ist bedauerlich, dass nicht alle Forscher die Ergebnisse ihrer Arbeiten bei unserem nationalen Meeting pr&auml;sentieren, was der Vernetzung der Forschung in &Ouml;sterreich zugutekommen w&uuml;rde.<br /><br /><strong> Wer sind die Forscher und wo sind die Zentren?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Diabetologisch ausgerichtete Forschungsgruppen finden sich an den gro&szlig;en Universit&auml;ten in Innsbruck, Wien, Graz oder Salzburg, und auch im au&szlig;eruniversit&auml;ren Bereich sind einige Zentren sehr aktiv, ohne hier einzelne Namen hervorzuheben. Erfreulich ist, dass die Zusammenarbeit verschiedener Zentren im Rahmen von Projekten sehr gut funktioniert. Solche Kooperationen sollten wir intensivieren. Denn sie sind die Zukunft f&uuml;r unsere Forschungslandschaft.<br /><br /><strong> Welche Fragestellungen werden in &Ouml;sterreich aktuell beforscht? Wer bestimmt die Ausrichtung der Forschung? Steht die Grundlagenforschung oder die klinische Forschung im Vordergrund?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Das Spektrum der &ouml;sterreichischen Diabetesforschung ist sehr breit und deckt sowohl die Grundlagen als auch den klinischen Bereich ab. Die Themen reichen von Ern&auml;hrung und Bewegung &uuml;ber Schwangerschaftsdiabetes, Genderaspekte, neue Medikamente, auch neue Insuline, bis hin zu Biomarkern und dem Einfluss des Diabetes auf Herz- und Nierenerkrankungen, um nur einige zu nennen. Die Themen werden weitgehend von den Forschungsgruppen selbst bestimmt. Um die Finanzierung von Forschungsprojekten kann man sowohl bei &ouml;ffentlichen F&ouml;rdergebern (z.B. EU, FWF, FFG) ansuchen als auch bei der Industrie. Prinzipiell ist auch die Teilnahme an gro&szlig;en, von der Pharmaindustrie gesponserten und durchgef&uuml;hrten Studien m&ouml;glich.<br /><br /><strong> Wie einfach oder wie schwierig ist die Teilnahme an gro&szlig;en internationalen Studien f&uuml;r Forscher eines kleinen Landes wie &Ouml;sterreich?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Es gelingt &ouml;sterreichischen Zentren immer wieder, an internationalen Studien teilzunehmen. Diese werden meist von der Pharmaindustrie finanziert. Aber der Zugang zu diesen Studien ist trotz der hohen Datenqualit&auml;t, die &ouml;sterreichische Zentren liefern, nicht ganz einfach. Denn ein wesentliches Kriterium ist eine rasche Rekrutierung. Ausreichend viele Patientinnen und Patienten in einem kurzen Zeitraum einzuschlie&szlig;en gelingt oft nur in sehr gro&szlig;en Zentren. F&uuml;r akademische multizentrische Studien gilt das bereits Gesagte: Kooperation ist ein wichtiger Schl&uuml;ssel. Zus&auml;tzlich w&auml;re eine Vereinfachung der Pr&uuml;fung durch die Ethikkommissionen sehr hilfreich. Es gibt zwar das Konzept der Leitethikkommission, jedoch mussten wir bei eigenen multizentrischen Projekten feststellen, dass de facto ein Projekt von mehreren &ouml;sterreichischen Zentren mehrfach bearbeitet wird. Ein weiterer Bereich, der optimiert werden k&ouml;nnte, w&auml;re die Vertragserstellung zwischen &ouml;sterreichischen Zentren, die sich oftmals als schwierig erweist.<br /><br /><strong> Wie wichtig ist eine Teilnahme an gro&szlig;en Studien?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Die Teilnahme an gro&szlig;en Studien ist aus mehreren Gr&uuml;nden &auml;u&szlig;erst wichtig. Einerseits gewinnen dadurch &ouml;sterreichische Mediziner fr&uuml;hzeitig Erfahrungen mit neuen Substanzen und Technologien. Andererseits sinkt bei fehlender Beteiligung an solchen Studien das nationale Forschungsbudget von Pharmafirmen, was angesichts der ohnehin kargen budget&auml;ren Ausstattung der Forschung in &Ouml;sterreich besonders bedauerlich ist. Derzeit werden nur etwa 10 % der eingereichten Forschungsantr&auml;ge bewilligt. Forscherteams sollten sich auch unter diesem Aspekt unbedingt immer wieder nachdr&uuml;cklich um die Teilnahme an internationalen Studien bewerben und bereits bei der Bewerbung andere Zentren miteinbringen.<br /><br /><strong> Woran forschen Sie und Ihr Team aktuell?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Derzeit arbeiten wir in Graz gemeinsam mit sechs weiteren &ouml;sterreichischen Zentren &ndash; Klagenfurt, zwei Zentren in Linz, zwei Zentren in Wien und Feldkirch &ndash; an einer Studie zur Anwendung eines SGLT2-Hemmers nach Herzinfarkt. Die Fragestellung ist die Pr&auml;vention der Herzinsuffizienz. In die Untersuchung sollen 400 Patienten eingeschlossen werden, was durch die Zusammenarbeit der vielen Zentren m&ouml;glich ist. Ein weiteres Forschungsgebiet meiner Arbeitsgruppe ist beispielsweise der Einfluss von Hypoglyk&auml;mien auf das Gerinnungssystem und speziell auf die Thrombozyten. Ein anderer Teil des Teams besch&auml;ftigt sich mit der Identifizierung von Biomarkern f&uuml;r die Pr&auml;diktion von Diabeteskomplikationen. Uns interessieren auch Aspekte etwas abseits des Diabetes, wie die Rolle des Blutzuckers bzw. der Hyperglyk&auml;mie bei h&auml;matologischen Erkrankungen, bei Malignomen oder auch bei neurodegenerativen Erkrankungen.<br /><br /><strong> Woher kommen die Ideen f&uuml;r Forschungsprojekte?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Die Ideen kommen einerseits aus unserem Team und andererseits aus dem Austausch in Netzwerken mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fachrichtungen. F&uuml;r diese steht der Blutzucker nicht im Fokus, aber so k&ouml;nnen wieder interessante Zusammenh&auml;nge aufgedeckt werden. So konnten wir in einer Pilotstudie k&uuml;rzlich zeigen, dass ein erh&ouml;hter Blutzucker bei Patienten mit Leuk&auml;mie mit einer erh&ouml;hten Mortalit&auml;t assoziiert ist. Nun wird der Effekt einer Blutzuckersenkung auf die Sterblichkeit untersucht. Wir wollen herausfinden, ob die Hyperglyk&auml;mie ein Risikofaktor oder nur ein Risikomarker ist.<br /><br /><strong> Wie sieht es mit der n&auml;chsten Forschergeneration aus? Wie gro&szlig; ist das Interesse junger Diabetologen an Forschung?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Bedauerlicherweise engagieren sich immer weniger junge Kollegen auf dem wissenschaftlichen Sektor. Daf&uuml;r sind nach meiner Einsch&auml;tzung zwei Gr&uuml;nde ausschlaggebend. Der klinische Alltag ist anspruchsvoller geworden und die Arbeitsintensit&auml;t hat zugenommen. Die Gr&uuml;nde hierf&uuml;r sind hinl&auml;nglich bekannt. Die &Auml;rzteschwemme vergangener Zeiten wurde durch einen &Auml;rztemangel abgel&ouml;st. Versch&auml;rft wird die Situation durch die geforderte strikte Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Die Zeiten der schnellen wissenschaftlichen Arbeit zwischendurch sind ebenfalls vorbei, weil auch die Anspr&uuml;che bei der Planung und Durchf&uuml;hrung von Forschungsprojekten, Dokumentation und Datenmanagement gestiegen sind. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft der jungen Mediziner, sich nach einem anstrengenden Kliniktag in der Freizeit der Forschung zu widmen. Der Work-Life- Balance wird h&ouml;herer Stellenwert einger&auml;umt als fr&uuml;her.<br /><br /><strong> Was k&ouml;nnte verbessert werden, um den Spielraum f&uuml;r Forschung zu vergr&ouml;&szlig;ern?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Es sollten unbedingt Rahmenbedingungen daf&uuml;r geschaffen werden, dass wissenschaftliche T&auml;tigkeit w&auml;hrend der Arbeitszeit stattfinden kann. Daf&uuml;r ist es dringend notwendig, sch&auml;rfer zwischen klinischer Arbeit und wissenschaftlicher T&auml;tigkeit zu trennen &ndash; von der Lehre gar nicht zu sprechen. Derzeit steht selbst auf dem universit&auml;ren Sektor die Patientenbetreuung klar im Vordergrund, was zu Lasten der Forschung geht. Es sind zwar gewisse Zeiten f&uuml;r die Forschung vorgesehen. Aber wenn Hilfe bei der Patientenversorgung n&ouml;tig ist, wie z.B. bei Krankenstandsf&auml;llen, hat dies nat&uuml;rlich oberste Priorit&auml;t und die Forschung wird hintangestellt. Um hier eine Ver&auml;nderung zu bringen, m&uuml;ssten die L&auml;nder mehr Mittel f&uuml;r klinisch t&auml;tige &Auml;rzte zur Verf&uuml;gung stellen. Internationale Modelle wie im UK oder in den USA sehen da eine viel sauberere Trennung vor. Unsere Abteilung in Graz erm&ouml;glicht z.B. die ad&auml;quaten Forschungszeiten f&uuml;r die forschenden Kollegen nur durch die Anstellung von mehreren zus&auml;tzlichen &Auml;rzten &uuml;ber Forschungsdrittmittelgelder.<br /><br /><strong> Wo sehen Sie die Diabetesforschung in &Ouml;sterreich in zehn Jahren?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Es ist gut, dass in &Ouml;sterreich auf dem Gebiet der Diabetologie geforscht wird, und die Forschung ist gut. In Zukunft sollten wir uns bem&uuml;hen, noch enger als bisher zusammenzuarbeiten. Denn kleine Studien werden die Diabetologie national nicht weiterbringen und noch weniger international. Wir sollten uns unbedingt zusammenschlie&szlig;en und gr&ouml;&szlig;ere Projekte auf die Beine stellen. F&uuml;r aussagekr&auml;ftige Ergebnisse ben&ouml;tigen wir ausreichende Fallzahlen. Diese k&ouml;nnen wir nur im Rahmen gemeinsamer Forschungsprojekte generieren. Vernetzung ist der Schl&uuml;ssel.<br /><br /><strong> Was w&uuml;nschen Sie sich vom Gesundheitssystem, was von der Politik und was von der Gesellschaft?<br /><br /> H. Sourij:</strong> Alles, was auf dem Sektor Diabetes in Bezug auf die Patientenversorgung, die Qualit&auml;tssicherung und auch die Forschung n&ouml;tig ist, ist in der Publikation &bdquo;&Ouml;sterreichische Diabetes-Strategie: Gemeinsam Diabetes begegnen&ldquo; zusammengefasst. Wenn diese so umgesetzt wird, ist alles auf Schiene.<br /><br /><strong> Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></p></p>
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