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Tendopathien in der täglichen Praxis: Ursachen, Therapiegrundsätze, Begleittherapie

<p class="article-intro">Überlastungsbedingte Sehnenbeschwerden betreffen ganz unterschiedliche Patientengruppen. Das Spektrum reicht von der jungen Fußballerin mit Patellaspitzensyndrom über den 45-jährigen Läufer auf dem Weg zu seinem ersten Marathon, den seine Achillessehne plagt, bis zum Büroangestellten mit „Tennis-“ oder besser gesagt „Mausarm“ und der älteren Dame mit „Fersenspornbeschwerden“. Allen gemeinsam ist: Die Probleme sind langwierig, zeitraubend und frustrierend.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Viele Patienten warten sehr lange, bis sie sich in &auml;rztliche Behandlung begeben. Dabei fallen die Probleme nicht vom Himmel und entwickeln sich langsam, zun&auml;chst erst wenige Stunden nach Belastung sp&uuml;rbar, ohne Einfluss auf Leistungsf&auml;higkeit, Beruf und Alltag. Erst sp&auml;ter sind die Beschwerden so intensiv, dass sie Alltags-, Arbeits- oder Sportaktivit&auml;t erheblich einschr&auml;nken.<br />Fr&uuml;he Symptome werden zun&auml;chst ignoriert oder bagatellisiert, in sp&auml;teren Stadien meist ineffektiv selbst behandelt. Nicht selten berichtet der Patient &uuml;ber eine Beschwerdedauer von 6&ndash;9 Monaten, teilweise auch l&auml;nger. Vielleicht liegt die sehr sp&auml;te Vorstellung in unseren Praxen daran, dass wir &Auml;rzte aus Sicht des Patienten die geringste Probleml&ouml;sungskompetenz bei Sehnenbeschwerden besitzen, wohingegen Physiotherapeuten, Osteopathen und Heilpraktiker bevorzugt aufgesucht werden. Zum Teil mag dies auch in der Angst begr&uuml;ndet liegen, dass der Arzt &bdquo;sowieso nur Spritzen gibt, Einlagen verordnet und einem den Sport verbietet ...&ldquo;. Dabei ben&ouml;tigt es nur wenig, Patienten mit Sehnenbeschwerden sicher zu diagnostizieren, zu beraten und zu behandeln.</p> <h2>1. Schritt: Staging &ndash; wo befindet sich Ihr Patient?</h2> <p>Cook und Purdham unterscheiden in ihrem Modell drei unterschiedliche Formen der Tendopathie, die Ihnen helfen, f&uuml;r den jeweiligen Patienten die ad&auml;quate Therapie zu finden.<sup>1</sup></p> <p><strong>Akute Tendopathie</strong> <br />Typisch f&uuml;r die akute Tendopathie sind:<br />&bull; junger Patient (15&ndash;25 Jahre)<br />&bull; Reaktion der Sehne auf eine pl&ouml;tzliche Belastungssteigerung oder einmaliger direkter Schlag/Tritt auf die Sehne<br />&bull; diffus geschwollene Sehne<br />&bull; ausgesprochen belastungsempfindliche Sehne<br />&bull; starke Schmerzen bei (sportlicher) Belastung (Laufen, H&uuml;pfen, Springen, Sprinten, schnelle Richtungswechsel) bis VAS 7&ndash;8/10<br />&bull; Schmerzen auch bei normaler Alltagsbelastung<br />Bei der akuten Tendopathie reagieren Sehnenzellen (Tenozyten) auf eine akute &Uuml;berlastung mit vermehrter Bildung von Proteinen (Proteoglykanen), die eigentlich im Knorpel vorkommen. Diese Proteine speichern deutlich mehr Wasser, sodass es zu einem diffusen Anschwellen der gesamten Sehne kommt. Diese Querschnittsvergr&ouml;&szlig;erung dient einer schnellen Anpassung der Sehnenbelastbarkeit. Die Sehnenzellen sind in dieser Phase hochempfindlich und belastungssensibel. Geringe Belastungssteigerungen f&uuml;hren sofort zu einer Schmerzverst&auml;rkung.</p> <p><strong>Chronische Tendopathie</strong> <br />Typisch f&uuml;r die chronische Tendopathie sind:<br />&bull; Patient &auml;lter (&gt;30 Jahre)<br />&bull; Reaktion der Sehne auf eine minimale, aber dauerhafte &Uuml;berlastung<br />&bull; umschriebene spindel- oder knotenf&ouml;rmige Verdickung der Sehne<br />&bull; l&auml;nger bestehende Beschwerden<br />&bull; langsame Beschwerdezunahme<br />&bull; anfangs keine/kaum Einschr&auml;nkungen bei Sport- und Alltagsbelastung<br />In der ver&auml;nderten Sehne finden sich wesentlich mehr Sehnenzellen. Die ver&auml;nderte Zusammensetzung von Proteogly&shy;kanen verursacht eine weniger parallele Ausrichtung der Kollagenfasern. In der Sehne ist zunehmend mehr Narbengewebe (weniger belastbares Kollagen Typ III) vorhanden. Mehr und mehr Mikrogef&auml;&szlig;e sprie&szlig;en in die Sehne ein, parallel dazu auch neue Nervenfasern. Es finden sich keine Entz&uuml;ndungszellen oder Entz&uuml;ndungsbotenstoffe, die sich mit klassischen entz&uuml;ndungshemmenden Medikamenten beeinflussen lassen!</p> <p><strong>Akute bei vorbestehender chronischer Tendopathie</strong> <strong><br /></strong>Patienten zeigen bei vorbestehender chronischer Tendopathie im Rahmen einer akuten Belastungssteigerung einen deutlichen Beschwerdeanstieg bis auf VAS 7&ndash;8/10. Bei der chronischen Tendopathie sind nicht alle Sehnenbereiche von den oben beschriebenen Ver&auml;nderungen betroffen. Nur in Teilen der Sehne finden sich typische Ver&auml;nderungen einer chronischen Tendopathie. Andere Abschnitte zeigen eine v&ouml;llig normale Sehnenstruktur. In diesen Bereichen zeigen sich nach einer akuten &Uuml;berlastung Ver&auml;nderungen im Sinne einer akuten Tendopathie. Kl&auml;ren Sie Ihre Patienten dar&uuml;ber auf, dass in keiner der Phasen einer &uuml;berlastungsbedingten Sehnenproblematik eine prostaglandinvermittelte Entz&uuml;ndungsreaktion vorliegt! Deshalb: Tendopathie, nicht Tendinitis!</p> <h2>2. Schritt: Diagnose sichern durch klinische Untersuchung</h2> <p>Um eine sichere Diagnose zu stellen, reichen eine Anamnese, eine klinische Untersuchung und Funktionstests in den allermeisten F&auml;llen aus. Bildgebende Verfahren, wie R&ouml;ntgen, Ultraschall oder MRT, sind nur in seltenen F&auml;llen notwendig. Neue Untersuchungsverfahren, wie Sonoelastografie, UTC (&bdquo;ultrasound tissue characterization&ldquo;) oder biochemisches 7-Tesla-MRT sind aktuell Zentren der klinischen Forschung vorbehalten.</p> <h2>3. Schritt: Ursachen kl&auml;ren</h2> <p>Tendopathien entwickeln sich aus einem Missverh&auml;ltnis aus Belastung und Belastbarkeit.</p> <p><strong>Belastung<strong><br /></strong></strong>Jegliche &Auml;nderung oder Steigerung von Belastung kommt als Ausl&ouml;ser infrage, z.B. Trainingskilometer, Tempo, H&auml;ufigkeit, Arbeitsplatzwechsel, Doppelbelas&shy;tung (z.B. Arbeit und Hausbau). Fragen Sie nach: Was ist neu bzw. anders gewesen, bevor die Beschwerden begannen?<br />Zus&auml;tzlich wichtig sind Umgebungsbedingungen: Lauf-/Trainingsuntergrund, Bodenbeschaffenheit am Arbeitsplatz, Ergonomie, Umgebungstemperaturen. Daneben spielen Ausr&uuml;stungsgegenst&auml;nde, wie Schuhe (Lauf-/Sport-/Arbeits- und Freizeitschuhe beachten), Griffst&auml;rke und Bespannungsh&auml;rte des Tennisschl&auml;gers oder Werkzeugbeschaffenheit eine Rolle. Die Qualit&auml;t der Bewegungsausf&uuml;hrung (Technik) wird h&auml;ufig in vielen Sportarten als Faktor f&uuml;r &Uuml;berbelastung vergessen, genauso wie fehlende Kraft, Kraftausdauer und Beweglichkeit.</p> <p><strong>Belastbarkeit/Sehnenqualit&auml;t</strong> <br />Mit zunehmendem Alter nehmen die metabolischen Faktoren zu, die sich negativ auf die Sehnenqualit&auml;t auswirken. Dazu z&auml;hlen Adipositas, Diabetes mellitus, Hypercholesterin&auml;mie, Hyperurik&auml;mie, Hypothyreose sowie verminderter &Ouml;strogenspiegel. Medikamente wie Kortison, Antibiotika aus der Gruppe der Chinolone, CSE-Hemmer, Leflunomid, DPP4-Hemmer und Isotretinoin k&ouml;nnen ebenfalls die Sehnenstruktur negativ ver&auml;ndern.</p> <p><strong>Individuelle Risikofaktoren schnell erfassen</strong> <br />Um mir schnell ein umfassendes Bild &uuml;ber m&ouml;gliche Ursachen zu verschaffen, arbeite ich mit einem Fragebogen, den der Patient vor dem Termin in meiner Praxis ausf&uuml;llen und an mich zur&uuml;ckschicken muss. Den Fragebogen finden Sie zum Download unter <a href="http://www.drfrankweinert.de/service">www.drfrankweinert.de/service</a>.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1706_Weblinks_s54.jpg" alt="" width="1453" height="1279" /></p> <h2>1. Therapieschritt: Belastung reduzieren und Sehnenqualit&auml;t verbessern</h2> <p>Kl&auml;ren Sie Ihren Patienten auf, dass es sich um eine Fehlheilung handelt und nicht um eine Entz&uuml;ndung. Legen Sie eine realistische Behandlungszeit fest (Wochen bis Monate) und fordern Sie den Patienten zu aktiver Mitarbeit auf.<br />Im Sport (relativ) einfach zu bewerkstelligen, ist eine Belastungsreduktion im Berufsleben nicht immer ganz so einfach. Selbst wenn notwendig, akzeptieren viele Patienten eine Arbeitsunf&auml;higkeitsbescheinigung von 1&ndash;2 Wochen nicht oder haben keine M&ouml;glichkeit, betriebsintern versetzt zu werden.<br />Zur Verbesserung der Sehnenqualit&auml;t geh&ouml;rt z.B.: Medikamente absetzen, Stoffwechsel einstellen, moderate Gewichtsreduktion als mittel- bis langfristiges Ziel, Kortison und bestimmte Medikamente von vornherein vermeiden.</p> <h2>2. Therapieschritt: Sehne dosiert belasten</h2> <p>Eine komplette Sportpause ist f&uuml;r kurze Zeit nur bei der akuten Tendopathie notwendig. Sehnen ben&ouml;tigen dosierte Belastung und keine Pause, um zu heilen und zu wachsen. Dazu kann, je nach Phase der Tendopathie, isometrisch, exzentrisch oder mit hohen Gewichten an Ger&auml;ten trainiert werden.</p> <h2>3. Therapieschritt: Sehnenheilung durch Ern&auml;hrung f&ouml;rdern</h2> <p>Unsere Nahrung liefert die notwendige Energie und Baustoffe f&uuml;r den Aufbau und die Anpassung unserer Sehnen. In bestimmten Situationen k&ouml;nnen auch beim Gesunden Mangelsituationen entstehen: bei Sportlern mit hohen Trainingsumf&auml;ngen bzw. im Trainingslager, bei Di&auml;ten oder unterkalorischer Ern&auml;hrung zur Gewichtsabnahme (ob bei &Uuml;bergewicht oder bei Sportarten, die ein niedriges K&ouml;rpergewicht fordern), durch vegetarische/vegane Kost (Achtung: Ein Mangel an Eisen, Zink, Vitamin B12, Vitamin D und Kalzium ist leicht m&ouml;glich), bei Patienten/Sportlern mit Nahrungsmittelunvertr&auml;glichkeiten oder bei Essst&ouml;rungen. Zus&auml;tzlich zeigen Ergebnisse molekularbiologischer Forschung, dass N&auml;hrstoffe wie Medikamente auf unterschiedliche K&ouml;rperzellen wirken k&ouml;nnen. <br />Im Bereich der Sehnenzellen regen Mikron&auml;hrstoffe die Bildung spezieller Proteine an. Dazu geh&ouml;ren nicht nur wichtige Bausteine der Sehnenstruktur, sondern auch Enzyme, zum schnelleren Um- und Abbau von Ger&uuml;ststrukturen der Sehne, sowie spezielle Botenstoffe, welche wichtige Signale zum Wiederaufbau und Abheilen von Verletzungen senden.</p> <h2>4. Therapieschritt: erg&auml;nzende Therapiemassnahmen</h2> <p>Zus&auml;tzliche Therapiema&szlig;nahmen (NSAR, Nitrospray, Kinesio-Tape, radiale Druckwellenbehandlung, fokussierte Sto&szlig;wellen, ACS, PRP oder Sklerosierungstherapie) k&ouml;nnen im Einzelfall sinnvoll und wirksam sein.<br />Nachdruck aus Weinert F: Tendopathien in der t&auml;glichen Praxis &ndash; Ursachen, Therapiegrunds&auml;tze, Begleittherapie. arthritis <br />+ rheuma 2017; 37: 59-61. Mit freundlicher Genehmigung des Schattauer Verlags</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Cook JL, Purdahm CR: Br J Sports Med 2009; 43(6): 409-16<br /><strong>Weiterf&uuml;hrende Literatur:</strong><br />&bull; Ackermann PW, Hart DA (Hgsg.): Metabolic Influences on risk for tendon disorders. Advances in Experimental Medicine and Biology. Springer, 2016 &bull; Abate M et al.: Arthritis Res Ther 2009; 11: 235 &bull; Cook JL, Docking SI: Br J Sports Med 2015; 49: 1484-5 &bull; Cook JL et al.: Br J Sports Med 2016; 50: 1187-91 &bull; Rees JD, Stride M, Scott A: Br J Sports Med 2014; 48: 1553-7 &bull; Weinert F, Weisskopf L: Sehnenmanagement in Klinik und Praxis am Beispiel der Achillessehnentendopathie. In: Jerosch J, Linke C (Hrsg.): Patientenzentrierte Medizin in Orthop&auml;die und Unfallchirurgie: L&ouml;sungen f&uuml;r Patientenorientierung und Wirtschaftlichkeit. Springer, 2016</p> </div> </p>
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