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Der chronische Unterbauchschmerz der Frau aus gynäkologischpsychosomatischer Sicht

<p class="article-intro">Der chronische Unterbauchschmerz der Frau stellt in der gynäkologischen Praxis oft ein schwieriges diagnostisches und therapeutisches Problem dar, das im Umgang mit den betroffenen Frauen eine stetige Herausforderung bedeutet. Der Schmerz hat Einfluss auf Familie, Sexualität, Beruf, soziale Beziehungen und Aktivitäten des täglichen Lebens.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die pathophysiologischen Mechanismen des chronischen Unterbauchschmerzes sind weiterhin wenig verstanden.</li> <li>Wiederholte Operationen erh&ouml;hen das Risiko f&uuml;r eine Chronifizierung und somatische Fixierung.</li> <li>In der Diagnostik sind Schmerzanamnese, gyn&auml;kologische Untersuchung und die Durchf&uuml;hrung einer Laparoskopie wichtige Schritte.</li> <li>Multidisziplin&auml;re Therapieans&auml;tze sind, obwohl die Datenlage hierzu limitiert ist, als am ehesten Erfolg versprechend anzusehen.</li> </ul> </div> <p>Im heutigen Verst&auml;ndnis handelt es sich beim chronischen Unterbauchschmerz der Frau um ein Krankheitsbild an der Schnittstelle zwischen Gyn&auml;kologie, Psychosomatik und Psychiatrie. Man geht davon aus, dass auf 60&ndash;80 % der Patientinnen mit chronischem Unterbauchschmerz die Diagnosekriterien der somatoformen Schmerzst&ouml;rung zutreffen.<br /><br /> M&ouml;gliche begleitende gyn&auml;kologische Ursachen und Befunde sind Endometriose, Adh&auml;sionen/PID, pelvine Varikosis und &laquo;ovarian retention syndrome&raquo;/&laquo;ovarian remnant syndrome&raquo;. Andere somatische Ursachen sind Reizdarmsyndrom, &laquo;bladder pain syndrome&raquo; sowie Erkrankungen des Muskel- Skelett-Systems und des Bindegewebes.<br /><br /> Gesicherte psychosoziale Ursachen sind eine hohe Komorbidit&auml;t mit psychologischen Faktoren wie Angstst&ouml;rungen, Substanzabh&auml;ngigkeit oder depressiven St&ouml;rungen, wobei eine eindeutige Zuordnung zu sozialen Faktoren nicht nachgewiesen ist. Auch ein Zusammenhang mit k&ouml;rperlichem und sexuellem Missbrauch kann nicht abschliessend bewertet werden.<br /><br /> In der Diagnostik sind Schmerzanamnese, gyn&auml;kologische Untersuchung und die m&ouml;glichst einmalige Durchf&uuml;hrung einer Laparoskopie als wichtige Schritte zu nennen. Multidisziplin&auml;re Therapieans&auml;tze sind als Erfolg versprechend anzusehen. Die psychosomatische Grundversorgung soll von Beginn an Teil des Behandlungskonzepts sein. Auch die Psychotherapie soll fr&uuml;hzeitig in das Behandlungskonzept integriert werden.</p> <h2>Definition</h2> <p>Eine einheitliche internationale Definition des chronischen Unterbauchschmerzes (engl. &laquo;chronic pelvic pain&raquo;, CPP) liegt derzeit nicht vor. Dies ist auf die Komplexit&auml;t dieses Krankheitsbildes mit variierender Symptomatik je nach zugrunde liegender Ursache zur&uuml;ckzuf&uuml;hren. Zugleich ergibt sich die grunds&auml;tzliche Schwierigkeit, vom Symptom &laquo;anhaltender Schmerz im Unterbauch&raquo; zu einer eindeutigen Diagnose zu kommen. F&uuml;r diesen Beitrag wird folgende Definition zugrunde gelegt, f&uuml;r die es jedoch keine ICD-10- oder DSM-IV-Klassifizierung gibt:<br /><br /> Der chronische Unterbauchschmerz ist ein andauernder, schwerer und qu&auml;lender Schmerz der Frau. Er kann zyklisch, intermittierend- situativ oder nicht zyklisch chronisch ausgepr&auml;gt sein. Dieser Schmerz f&uuml;hrt zu einer deutlichen Einschr&auml;nkung der Lebensqualit&auml;t. Bei einem Teil der Patientinnen k&ouml;nnen k&ouml;rperliche Ver&auml;nderungen/ St&ouml;rungen als &uuml;berwiegend urs&auml;chlich anzusehen sein. Bei anderen Patientinnen k&ouml;nnen emotionale Konflikte oder psychosoziale Belastungen als entscheidende urs&auml;chliche Faktoren gelten.</p> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Gem&auml;ss demografischen Studien scheint kein Zusammenhang mit Alter, ethnischer Zugeh&ouml;rigkeit, Familienstand und Erwerbst&auml;tigkeit zu bestehen. K&ouml;rperliche und sexuelle Gewalterfahrung sowie h&auml;usliche Gewalt stellen ohne Zweifel Risikofaktoren dar, sind aber nicht zwingend mit chronischem Unterbauchschmerz assoziiert (Coker et al. 2000; Mark et al. 2008).<br /><br /> F&uuml;r das Risiko, an einer somatoformen Schmerzst&ouml;rung zu erkranken, konnten Stresserfahrungen in der Kindheit als wesentliche Risikofaktoren herausgearbeitet werden: Besonders emotionale Vernachl&auml;ssigung, psychische Erkrankung beider Eltern (Alkohol, Depression, Psychosen), Armut und Gewalterfahrungen f&uuml;hren zu einem unsicheren oder desorganisierten Bindungstyp mit erh&ouml;htem Risiko f&uuml;r somatoforme Schmerzst&ouml;rungen. F&uuml;r die Entstehung dieser sind die Ergebnisse gut gesichert (Egle, Nickel 1998). Mit hoher Wahrscheinlichkeit l&auml;sst sich dieses Modell der Chronifizierung auch auf den chronischen Unterbauchschmerz &uuml;bertragen. Bindungstheoretische Ans&auml;tze liefern ebenfalls ein Modell zur Entstehung chronischer Schmerzen. Daher wird zunehmend eine multimodale Betrachtungsweise unter Einbeziehung verschiedener Faktoren favorisiert.</p> <h2>Pathophysiologie</h2> <p>Untersuchungen zur Bedeutung der neuronalen Plastizit&auml;t f&uuml;r die Chronifizierung von Schmerzen, wie sie bei Patienten mit chronischem R&uuml;ckenschmerz durchgef&uuml;hrt worden sind, sind bei chronischen Unterbauchschmerzen nicht bekannt. Man geht aber heute davon aus, dass im Rahmen der Entstehung chronischer Schmerzen das Nervensystem mit seinen Rezeptoren unter anderem durch chemische und entz&uuml;ndliche Mediatoren sowie Hormone beeinflusst wird. Die Bedeutung von Zytokinen und Prostaglandinen beim chronischen Unterbauchschmerz der Frau ist unklar. Es existieren wenige, z.T. widerspr&uuml;chliche Studienergebnisse. Es wird vermutet, dass Substanz P und CGRP (&laquo;calcitonin gene-related peptide&raquo;) eine bedeutende Rolle als Entz&uuml;ndungsmediatoren spielen. Infrage kommt auch eine besondere Weise der Verarbeitung sensibler Afferenzen auf R&uuml;ckenmarksebene sowie im Cortex der betroffenen Frauen.<br /><br /> Endokrinologische Ver&auml;nderungen wurden als pathophysiologische Erkl&auml;rungsmodelle ebenfalls herangezogen. Die Ergebnisse zeigten nur teilweise eine Entsprechung. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Schmerzrezeption werden vermutet.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Die Therapie chronischer Unterbauchschmerzen erfordert eine individuell erstellte Behandlungsstrategie. In einem multimodalen Konzept sollten psychosomatische Therapieans&auml;tze eingeschlossen sein. Der prim&auml;re Behandler stellt im Allgemeinen die langfristige, verl&auml;ssliche und Halt gebende Arzt-Patientinnen-Beziehung her, die als Voraussetzung f&uuml;r eine erfolgreiche Behandlung anzusehen ist.<br /><br /> Man geht davon aus, dass eine rein somatische Behandlung die &Uuml;berzeugung der Patientinnen st&uuml;tzt, dass die Symptomatik rein somatische Ursachen habe, was die Implementierung psychosomatischer Behandlungsans&auml;tze erschwert (Greimel 1999). Diagnostik und Therapie sind in die Arzt-Patientinnen-Beziehung eingebettet. Die Einbeziehung des biopsychosozialen Modells bildet hierf&uuml;r die Grundlage der therapeutischen Haltung f&uuml;r das &auml;rztliche Handeln (Gespr&auml;chstherapie, operative Therapie, medikament&ouml;se Behandlung). Dabei wird gekl&auml;rt, in welchem Umfang die Schmerzen durch psychische Faktoren beeinflusst werden oder ob eine psychische Komorbidit&auml;t besteht. Erfolgt durch den prim&auml;ren Behandler die &Uuml;berweisung zu einem spezialisierten Zentrum, ist darauf zu achten, dass er in die weitere Behandlungsplanung und Therapie miteinbezogen wird.<br /><br /> In einem multidisziplin&auml;ren Therapiekonzept unter Einbeziehung psychosomatischer Faktoren bzw. psychischer St&ouml;rungsbilder zeigten sich statistisch signifikant bessere Therapieeffekte (Peters et al. 1991). Frauen mit chronischen Unterbauchschmerzen zeigen Ver&auml;nderungen in ihrem K&ouml;rperbild (Haugstad 2006b). In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurde begleitend zur gyn&auml;kologischen Therapieintervention eine somatokognitive Behandlung nach Mensendieck durchgef&uuml;hrt. Dabei kam es zu einer Verbesserung der motorischen Funktion und zu einer signifikanten Verminderung des Schmerz-Scores (Haugstad 2006a).</p> <h2>Psychotherapie</h2> <p>In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie kam es bei Patientinnen mit einer pelvinen Varikosis (Farquhar et al. 1989) durch die Behandlung mit Progesteron zu einer signifikanten Schmerzreduktion. Der Schmerz besserte sich durch eine begleitende Psychotherapie nochmals. Auch in der placebokontrollierten Gruppe f&uuml;hrte Psychotherapie zur Schmerzreduktion. Peters verglich eine Patientinnengruppe, die eine gyn&auml;kologische Standardtherapie erhielt, mit einer Gruppe, in der ein multidisziplin&auml;res Therapiekonzept umgesetzt wurde (Peters et al. 1991). In dem multidisziplin&auml;ren Therapiekonzept mit Einbeziehung psychosomatischer Faktoren bzw. psychischer St&ouml;rungsbilder zeigten sich statistisch signifikant bessere Therapieeffekte. Albert et al. konnten nachweisen, dass es unter einer Gruppentherapie zu einer Abnahme der Schmerzen, zur Reduktion von Analgetikaeinnahme und von Arztbesuchen und zu einer Zunahme der Arbeitst&auml;tigkeit kam (Albert 1999).</p> <h2>Operative Therapie</h2> <p>F&uuml;r die operative Therapie wird die minimal invasive Chirurgie/Laparoskopie als therapeutisches Instrument der Wahl zur Behandlung der m&ouml;glichen Ursachen f&uuml;r chronischen Unterbauchschmerz empfohlen, auch wenn die eingeschr&auml;nkte Datenlage bez&uuml;glich definierter Massnahmen zu ber&uuml;cksichtigen ist. Eine besonders kritische Abw&auml;gung ist erforderlich, wenn wiederholt die Indikation zu laparoskopischen Eingriffen gestellt wird.<br /><br /> Trotz kontroverser Bewertung der kompletten oder partiellen Adh&auml;siolyse existieren zahlreiche Studien zur Effizienz einer laparoskopischen Adh&auml;siolyse. Die Literaturangaben bewegen sich, was die Ergebnisse betrifft, zwischen keinem Effekt auf die Schmerzsituation und bis zu 88 % iger postoperativer Schmerzfreiheit.<br /><br /> Die Hysterektomie ist eine radikale therapeutische Option, welche nur bei deutlicher Organver&auml;nderung unter Ber&uuml;cksichtigung aller histologischen, psychologischen und sozialen Faktoren in Erw&auml;gung gezogen werden sollte. Obwohl die Datenlage zur Hysterektomie im Zusammenhang mit chronischem Unterbauchschmerz begrenzt ist, scheint es, dass die Hysterektomie wegen chronischen Unterbauchschmerzes bei Beachtung der o.g. strengen Indikationsstellung in 70&ndash;90 % der F&auml;lle mit einer dauerhaften Schmerzreduktion einhergeht.<br /><br /> Frauen mit einer Adenomyosis uteri oder einem symptomatischen Uterus myomatosus kann eine Hysterektomie empfohlen werden.<br /><br /> Die Effizienz der pr&auml;sakralen Neurektomie mit oder ohne Durchtrennung der Sakrouterinb&auml;nder (LUNA, &laquo;laparoscopic uterosacral/uterine nerve ablation&raquo;) bei chronischem Unterbauchschmerz ist nicht bewiesen. Neben der Neurolyse kann zur Therapie chronischer pelviner Schmerzen die laparoskopische Implantation von sogenannten Neuroprothesen zur Neuromodulation (LION) erfolgen. Diese Techniken sind noch als experimentell zu betrachten.<br /><br /> F&uuml;r die operative Therapie wird die Laparoskopie als therapeutisches Instrument der Wahl empfohlen, auch wenn die eingeschr&auml;nkte Datenlage bez&uuml;glich definierter Massnahmen zu ber&uuml;cksichtigen ist. Eine besonders kritische Abw&auml;gung ist bei wiederholten laparoskopischen Eingriffen erforderlich.<br /><br /> Der Heilungsverlauf ist f&uuml;r alle Beteiligten mit grossen Herausforderungen verbunden, betreffend das Zeitmanagement und auch im Hinblick auf die Bew&auml;ltigung von R&uuml;ckschl&auml;gen und Frustration. Die dabei ausgel&ouml;sten, oft unbewussten emotionalen Empfindungen k&ouml;nnen schwerwiegende Auswirkungen auf die Arzt-Patientinnen-Beziehung haben und in extremen F&auml;llen zu vernachl&auml;ssigender Diagnostik und Therapie bis hin zu nicht gerechtfertigten invasiven Eingriffen f&uuml;hren. Eine Hilfestellung zum Vorgehen in Diagnostik und Therapie kann die DGPFGLeitlinie zum chronischen Unterbauchschmerz der Frau (AWMF 2015) geben.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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