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Empfehlungen zum Vorgehen in der Praxis

Kontrazeption bei Risikopatientinnen

<p class="article-intro">Frauen mit Vorerkrankungen ein sicheres Antikonzeptivum zu verordnen, kann zu einer Herausforderung werden, gilt es doch, alle Risikofaktoren zu berücksichtigen. Prof. Dr. med. Petra Stute, Leitende Ärztin an der Frauenklinik des Inselspitals in Bern, erläuterte beim Update Refresher Gynäkologie, welche Kriterien beachtet werden müssen, und zeigte an Fallbeispielen, wie sie im Einzelfall vorgeht.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Fettstoffwechselst&ouml;rungen, Migr&auml;ne, Hypertonie, das Alter, Adipositas, Rauchen, Thromboseneigung und Antikoagulation sowie eine Medikamenteneinnahme sind Risikofaktoren, die bei der Auswahl eines Kontrazeptivums beachtet werden m&uuml;ssen.</li> <li>Die Einordnung einzelner Antikonzeptiva f&uuml;r Frauen mit Risikofaktoren ist schwierig, wenn die Methoden nur an einer ausgew&auml;hlten gesunden Population untersucht wurden.</li> <li>Hilfe bei der Wahl der passenden Verh&uuml;tungsmethode liefert die WHO-Klassifikation f&uuml;r Antikonzeptiva von 2015.</li> </ul> </div> <p>Eigen- und Familienanamnese liefern bei der Auswahl eines Antikonzeptivums bereits sehr wertvolle Hinweise auf Risikofaktoren. Zu ber&uuml;cksichtigen sind Fettstoffwechselst&ouml;rungen, Migr&auml;ne, Hypertonie, das Alter der Frau, Adipositas, Nikotin, Thromboseneigung und Antikoagulation sowie eine Medikamenteneinnahme. &laquo;Bei einer 40-j&auml;hrigen Raucherin ist die Pille bereits kontraindiziert&raquo;, warnte Prof. Petra Stute. Sie zieht f&uuml;r ihre &Uuml;berlegungen zwar auch Fachb&uuml;cher<sup>1, 2</sup> und die Expertenbriefe der SGGG heran.<sup>3</sup> Es sind aber vor allem internationale Leitlinien, mit deren Hilfe sich f&uuml;r (fast) jede &laquo;Lebenslage&raquo; entscheiden lasse, welche kontrazeptive Massnahme m&ouml;glich sei.<sup>3</sup> &laquo;Voraussichtlich im Oktober 2017 wird eine neue S3-Leitlinie der AWMF erscheinen, in die 24 internationale Leitlinien einfliessen werden&raquo;, k&uuml;ndigte die Expertin an. Schwierigkeiten bereitet der Expertenkommission die Einordnung einzelner Antikonzeptiva f&uuml;r Frauen mit Risikofaktoren, wenn Methoden nur an einer ausgew&auml;hlten gesunden Population untersucht wurden.<br /> Hilfreich sei es vor allem, sich an die WHO-Klassifikation von 2015 f&uuml;r Antikonzeptiva zu halten, die f&uuml;r jede Situation vier Gruppen kennt. WHO 1: keine Einschr&auml;nkung, WHO 2: Vorteil &uuml;berwiegt, WHO 3: Nachteil &uuml;berwiegt meist, WHO 4: absolut kontraindiziert.<sup>4, 5</sup> &laquo;Immer dann, wenn eine Frau mehr als einen Risikofaktor hat, heisst es aufpassen&raquo;, sagte die Expertin. Gibt es mehrere Risikofaktoren, so summiert sich das Risiko (WHO 2 plus WHO 2 ergibt WHO 3). Gesunde Frauen vor dem 35. Lebensjahr k&ouml;nnen nach diesem Schema in der Regel fast alle hormonellen Antikonzeptiva erhalten. Die kritische Altersgrenze der WHO wurde bei 35 Jahren gesetzt, weil ab hier eine Zunahme der Nikotin- assoziierten Mortalit&auml;t zu beobachten ist. Eine Raucherin unter 35 mit einem erh&ouml;hten BMI f&auml;llt demnach bereits in Gruppe 3 und sollte besser mit Gestagen-Mono, IUD oder nicht hormonell verh&uuml;ten.</p> <h2>Fallbeispiele</h2> <p>Eine 29-j&auml;hrige Patientin mit einer Adipositas Grad I (BMI 33) w&uuml;nscht ein Antikonzeptivum. Die Familienanamnese der Nichtraucherin ist unauff&auml;llig, daher k&ouml;nne bei nur einem Risikofaktor ein Kombinationspr&auml;parat eingesetzt werden, erkl&auml;rte Prof. Stute. W&auml;re die Frau hingegen 40 Jahre und Raucherin, so w&auml;re das eine Kontraindikation.<br /> Immer gelte es auch ein erh&ouml;htes Thromboserisiko mit ins Kalk&uuml;l zu ziehen. Als Beispiel nannte Prof. Stute die &Uuml;berlegungen, die anzustellen sind, wenn bereits ein thromboembolisches Ereignis stattgefunden habe, wie zum Beispiel eine tiefe Beinvenenthrombose nach einem Langstreckenflug. &laquo;Selbst wenn keine famili&auml;re Belastung und keine Risikofaktoren wie &Uuml;bergewicht und Rauchen vorliegen, eine ven&ouml;se Thromboembolie ist eine Kontraindikation f&uuml;r jede kombinierte Pille.&raquo; Eine positive Thrombophiliediagnostik bei famili&auml;rer Belastung (erstgradig Verwandte) schliesst Kombinationspr&auml;parate aus.<br /> Auch die Frage, bis zu welchem Alter eine Frau &uuml;berhaupt eine Antikonzeption braucht, wurde von Prof. Stute diskutiert. Eine Verh&uuml;tung bis 55 Jahre erlaube normalerweise ein gefahrloses Absetzen gem&auml;ss Literatur. M&ouml;chte eine Frau in der Menopause ohne Antikonzeption leben, so k&ouml;nne sie das Antikonzeptivum gefahrlos absetzen, wenn sie &uuml;ber 50 Jahre alt sei und ihre Amenorrh&ouml; bereits ein Jahr andauere.<br /> Ein sehr problematischer und relativ h&auml;ufiger Risikofaktor aufgrund des erh&ouml;hten Apoplexrisikos ist das Auftreten einer Migr&auml;ne mit Aura (1-Jahres-Pr&auml;valenz 5 % ). &laquo;Spannungskopfschmerzen sind nicht gef&auml;hrlich&raquo;, betonte Prof. Stute. Auren sind bei 99 % der Betroffenen visueller Art (heller Gesichtsfeldausfall auf beiden Augen, helle Skotome [Zickzacklinie]). Seltener finden sich als Aura eine Par&auml;sthesie, Sprech- oder motorische St&ouml;rung. Liegt die letzte Aura f&uuml;nf Jahre zur&uuml;ck, so wird das Risiko niedriger eingesch&auml;tzt und es darf eventuell ein Kombinationspr&auml;parat verordnet werden.<br /> Und zu guter Letzt: Patientinnen mit Diabetes vom Typ 1 d&uuml;rfen die Pille ohne Einschr&auml;nkungen nehmen, wenn sie gut mit Insulin eingestellt sind und keine weiteren Risikofaktoren haben.<sup>6</sup> Die polygene (&laquo;common&raquo;) Hypercholesterin&auml;mie und die famili&auml;re kombinierte Hyperlipid&auml;mie sind mit einem erh&ouml;hten KHK-Risiko verbunden. Die famili&auml;re Hypercholesterin&auml;mie (autosomal dominant; Pr&auml;valenz 1:500) ist mit einem 4-fach erh&ouml;hten vorzeitigen KHKRisiko verbunden. Die WHO-Empfehlung ist f&uuml;r die hormonellen Antikonzeptiva Gruppe 2, f&uuml;r das Kupfer-IUD Gruppe 1.</p> <h2>Neue Antikonzeptiva in der Schweiz</h2> <p>Zugelassen seit M&auml;rz 2017 ist ein neues Gestagen abgebendes Intrauterinsystem (IUS) mit 19,5mg Levonorgestrel (Kyleena<sup>&reg;</sup>), das bis zu f&uuml;nf Jahre belassen werden kann. Als 4-Perioden-Pille wird das hormonale Verh&uuml;tungsmittel Seasonique<sup>&reg;</sup> bezeichnet. Die Filmtabletten werden einmal t&auml;glich kontinuierlich &uuml;ber 91 Tage eingenommen (13 Wochen, etwa 3 Monate). In der letzten Woche der Anwendung enth&auml;lt das Pr&auml;parat nur Ethinylestradiol, sodass nach deren Abschluss und bei Start der n&auml;chsten 3-Monats-Packung eine Entzugsblutung auftritt. Die verl&auml;ngerte Einnahme f&uuml;hrt dazu, dass pro Jahr idealerweise nur vier Blutungen auftreten.<sup>7</sup></p> <p>&nbsp;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Forum für Medizinische Fortbildung (FomF), Gynäkologie Update Refresher, 17. Mai 2017, Zürich </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Guillebaud J, MacGregor A: Contraception: your questions answered. 5th edition 2008. Elsevier, Amsterdam <strong>2</strong> Wolff M, Stute P: Gyn&auml;kologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin: das Praxisbuch. 2013, Schattauer- Verlag, Stuttgart <strong>3</strong> Homepage SGGG: www.sggg.ch <strong>4</strong> WHO-2015-Empfehlung: www.who.int/reproductivehealth/ publications/family_planning <strong>5</strong> UK Eligibility Criteria for contraceptive use (UKMEC) 2009: www.fsrh.org/ standards-and-guidance/documents/ukmec-2016 <strong>6</strong> Gourdy P: Diabetes and oral contraception. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2013; 27: 67-76 <strong>7</strong> Arzneimittel-Kompendium Schweiz: https://compendium.ch</p> </div> </p>
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