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Diagnose des systemischen Lupus erythematodes

«Dran denken und den Überblick behalten»

<p class="article-intro">Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist selten, und er kann sich auf so vielfältige Weise äussern, dass die Diagnose oft schwierig ist. Wir haben den SLE-Experten Prof. Dr. med. Martin Aringer aus Dresden gefragt, wann man an einen SLE denken muss, welche Untersuchungen in welcher Reihenfolge man durchführt, was von den neuen Klassifikationskriterien zu halten ist und wie man gefährliche Infektionen nicht übersieht.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong><em>Der SLE hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer akut lebensbedrohlichen zu einer chronischen Er-krankung gewandelt. Inwiefern hat sich das auf die Betreuung der Patienten ausgewirkt?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Die akute Behandlung ist immer noch fast gleich. Nach der Akutphase stehen wir aber heute vor der Herausforderung, Organmanifestationen rechtzeitig zu erkennen und so zu behandeln, dass &uuml;ber Jahrzehnte weder durch die Erkrankung noch durch die Therapie Sch&auml;den entstehen und wir dem Patienten eine m&ouml;glichst gute Lebensqualit&auml;t erm&ouml;glichen.</p> <p><strong><em>SLE tritt mit einer Pr&auml;valenz von weit weniger als 50 auf 100 000 auf. Wann sollte man </em><em>daran denken? </em></strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Als Differenzialdiagnose sollte man einen SLE immer in Betracht ziehen, wenn man die typischen Hautver&auml;nderungen sieht &ndash; also etwa ein Schmetterlingserythem oder die girlandenf&ouml;rmigen Ver&auml;nderungen beim subakut kutanen Lupus &ndash; oder wenn der Patient eine symmetrische Polyarthritis oder eine Immunkomplexnephritis hat. Auch Arthralgien oder Myalgien und Zytopenien wie Leukopenie, Lymphopenie, Thrombopenie oder An&auml;mie k&ouml;nnen auf einen Lupus weisen. Bei fr&uuml;hen akuten Formen finden wir h&auml;ufig Fieber ohne eine Erh&ouml;hung des C-reaktiven Proteins oder eine Pleuritis. Abgesehen davon ist jede Multisystemerkrankung, gerade bei jungen Frauen, verd&auml;chtig in Bezug auf einen Lupus.</p> <p><strong><em>Schliessen negative antinukle&auml;re Antik&ouml;rper (ANA) einen SLE aus?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Negative ANA, also weniger als 1:80 in der Immunfluoreszenz auf HEp2-Zellen, schliessen einen SLE mit hoher Sicherheit aus. Daher sind die ANA ein sehr guter Suchtest, aber ihre Spezifit&auml;t ist gering. Weniger als 2 % aller Patienten mit SLE sind ANA-negativ, und in Phasen der Aktivit&auml;t, die zur Neudiagnose f&uuml;hren, sind es vermutlich noch weniger. Hat man nur einen kleinen Verdacht, der Patient k&ouml;nne einen SLE haben, reichen negative ANA zum Ausschluss. H&auml;lt man einen SLE aber f&uuml;r sehr wahrscheinlich, sollte man zus&auml;tzlich Antik&ouml;rper gegen Ro oder extrahierbare nukle&auml;re Antigene (ENA) und doppelstr&auml;ngige DNA (dsDNA) bestimmen.</p> <p><strong><em>Wie geht es weiter in der Diagnostik?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Sind die ANA positiv, muss man weitere Differenzialdiagnosen in Betracht ziehen. ANA sind nicht spezifisch f&uuml;r den SLE und auch nicht f&uuml;r andere Kollagenosen. Positive ANA kommen bei bis zu 10 % aller Menschen und geh&auml;uft bei Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto-Thyreoiditis vor. Deshalb muss man positive ANA weiter differenzieren. Wichtig ist es, Antik&ouml;rper gegen doppelstr&auml;ngige DNA zu bestimmen und gegen RNA-bindende Proteine (Sm, Ro, La, U1RNP). Eine Verminderung der Komplement-Komponenten C3 und/oder C4 spricht f&uuml;r ein Immunkomplexgeschehen. Entscheidend sind aber nat&uuml;rlich auch eine ausf&uuml;hrliche Anamnese, klinische Untersuchung, Blutbild und Urinteststreifen.</p> <p><strong><em>2012 wurden die lange erwarteten neuen Klassifikationskriterien der &laquo;Systemic Lupus International Collaborating Clinics (SLICC)&raquo;-Gruppe ver&ouml;ffentlicht. Helfen die zur Diagnose?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Nur sehr bedingt. Klassifikationskriterien sind grunds&auml;tzlich nicht f&uuml;r die Diagnose gedacht, sondern f&uuml;r wissenschaftliche Fragen. Sie k&ouml;nnen nie alle klinischen Details umfassen, sonst w&auml;ren die Listen viel zu lange. Dennoch zeigen sie, was bei einer Erkrankung typisch ist. Die SLICC-Kriterien weisen darauf hin, wie wichtig die immunologischen Befunde sind und dass man die Diagnose Lupusnephritis nur stellen sollte, wenn diese histologisch gesichert ist. Ziemlich kompliziert finde ich hingegen die Listen f&uuml;r Manifestationen an Haut und Nervensystem. Die SLICC-Kriterien haben eine h&ouml;here Sensitivit&auml;t als die ACR-Kriterien, aber leider eine zu geringe Spezifit&auml;t. Das heisst, dass zu viele Patienten ohne echten SLE in SLE-Studien eingeschlossen werden, wenn die SLICC-Kriterien verwendet werden. Seit einigen Jahren arbeiten wir daher in einem von EULAR und ACR gemeinsam gef&ouml;rderten internationalen Projekt daran, noch bessere Kriterien mit einer etwas anderen Struktur zu erarbeiten. Ich hoffe, dass wir noch dieses Jahr die neuen Kriterien in der Hand haben &ndash; erste Ergebnisse wurden schon in Abstract-Form ver&ouml;ffentlicht. Dabei werden positive ANA als Eingangskriterium verwendet, die anderen Kriterien werden dann st&auml;rker gewichtet. Aber auch die neuen Kriterien werden Klassifikations- und keine Diagnosekriterien sein.</p> <p><strong><em>Wie stellen Sie dann die Diagnose?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Zun&auml;chst sollte es ein Symptom geben, das einen an den SLE denken l&auml;sst, zum Beispiel Arthralgien oder eine Polyarthritis. Dann sollten die ANA positiv sein &ndash; oder zumindest die Anti-Ro-Antik&ouml;rper, weil diese in den ANA manchmal nicht auffallen. Und letztlich ist f&uuml;r den SLE charakteristisch, dass er mehrere, nicht zusammenpassende Antik&ouml;rperprobleme verursacht. Zum Beispiel ist der diskoide Lupus oft eine reine Hauterkrankung, ein Anti-Phospholipid-Syndrom tritt bei der H&auml;lfte der Patienten als isolierte Erkrankung auf. Aber die Kombination aus beiden spricht ziemlich sicher f&uuml;r einen SLE. Ebenso w&auml;re es mit der Kombination Polyarthritis und Antik&ouml;rper gegen doppelstr&auml;ngige DNA, die direkt miteinander ja keinen Zusammenhang haben. Bei der Evaluation der Patienten ist es dann entscheidend, einen kompletten Rundumblick auf alle relevanten Organsysteme zu bewahren.</p> <p><strong><em>Was meinen Sie mit Rundumblick?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Das &laquo;Gemeine&raquo; am SLE ist, dass er in allen Organen Probleme machen kann. Und nicht immer erz&auml;hlen die Patienten die dazugeh&ouml;rigen Symptome. Daher verwenden wir grunds&auml;tzlich bestimmte Aktivit&auml;tsscores, um die Beschwerden zu erfassen, sie heissen ECLAM (European Consensus Lupus Activity Measure), SLEDAI (Systemic Lupus Erythematosus Disease Activity Index) und SIS (SLE Index Score). Wir fragen diese kurzen Listen aktiv durch, und danach auch bei jeder Visite. Das entspricht den EULAR-Empfehlungen. Dazu kommt jedes Mal die Blutdruckmessung. Und nat&uuml;rlich ben&ouml;tigen wir Laboruntersuchungen, insbesondere Blutbild und Differenzialblutbild und die Urindiagnostik, weil Blutbildver&auml;nderungen und Nierenbeteiligung anfangs meist keine Symptome verursachen.</p> <p><strong><em>Wie gehen Sie vor, wenn Sie Hinweise f&uuml;r eine Organbeteiligung sehen?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Weiter abkl&auml;ren und m&ouml;glichst objektivieren und messen. Das bedeutet zum Beispiel, bei allen Patienten mit Gelenkschmerzen die Gelenke komplett zu untersuchen. Oder die Lunge bei atemabh&auml;ngigen Thoraxschmerzen sorgf&auml;ltig zu perkutieren und abzuh&ouml;ren. Haut- und Schleimhautl&auml;sionen muss man sich genau anschauen, oft konsultiere ich hierzu einen Dermatologen. Zeigt der Urinteststreifen Eiweiss oder Blut im Urin, muss man das Urinsediment auf Zellen und Zylinder abkl&auml;ren und Eiweiss im 24-Stunden-Urin messen oder den Protein-Kreatinin-Quotienten im Spontanurin bestimmen. Die Eiweissmessung im Urin ist &uuml;brigens auch der wichtigste Verlaufsparameter f&uuml;r die Lupusnephritis &ndash; und wichtig f&uuml;r die Indikationsstellung zur Nierenbiopsie, die f&uuml;r die weitere Therapie oft entscheidend ist.</p> <p><strong><em>Wie beurteilt man Beteiligungen anderer Organe, etwa des h&auml;matopoetischen Systems, der Muskeln oder der Leber?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Mit regelm&auml;ssigen Laborkontrollen. Man darf aber bei pathologischen Befunden nicht vergessen, an andere Ursachen zu denken, also zum Beispiel an Virusinfektionen, hepatotoxische oder knochenmarktoxische Nebenwirkungen der SLE-Therapie oder CK-Werte unter Statinen. Die Differenzierung kann schwierig sein, wenn man ausserdem Zeichen f&uuml;r einen aktiven SLE findet.</p> <p><strong><em>Wie behalten Sie Herz und Lunge im Blick?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Bis auf die Serositis sind Organbeteiligungen im Thorax eher ungew&ouml;hnlich. Der SLE kann zwar von der akuten Lupus-Pneumonitis und einer interstitiellen Lungenerkrankung bis zur pulmonalarteriellen Hypertonie die Lunge auf vielf&auml;ltige Weise befallen, aber ein konsequentes Screening wie bei der systemischen Sklerose wird zurzeit nicht empfohlen. Umso wichtiger ist es, Symptomen sofort nachzugehen. Als Differenzialdiagnose muss man vor allem an Infektionen denken. SLE-Patienten erkranken h&auml;ufiger an Pneumonien, deshalb werden auch eine Influenza- und Pneumokokkenimpfung empfohlen. Bei der Herzbeteiligung ist es &auml;hnlich. Die Perikarditis ist einigermassen h&auml;ufig und leicht zu diagnostizieren, Myokarditis und Libman-Sachs-Endokarditis im Rahmen des Anti-Phospholipid-Syndroms sind aber selten. Ein echtes Problem ist daf&uuml;r die deutlich vorzeitige koronare Herzkrankheit, unter der viele SLE-Patienten leiden. Das heisst, auch bei einer jungen SLE-Patientin ohne Risikofaktoren muss man bei entsprechenden Symptomen an einen Herzinfarkt denken.</p> <p><strong><em>Noch einmal zur&uuml;ck zur Infektion: Eine Pneumonie ist doch eigentlich </em><em>einfach zu diagnostizieren?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Nat&uuml;rlich. Aber es geht auch um andere Infektionen, und die sind differenzialdiagnostisch oft ein Problem. Nehmen wir zum Beispiel Fieber. Viele Patienten mit fr&uuml;hem, aktivem SLE haben Fieber oder zumindest erh&ouml;hte Temperaturen. Andererseits sind bakterielle Infektionen die h&auml;ufigste Todesursache bei jungen Patienten mit SLE. Die Erkrankung pr&auml;disponiert daf&uuml;r, und das Risiko wird durch Glukokortikoide und Immunsuppressiva erh&ouml;ht. Denkt der Notfallmediziner nicht daran, kann das innerhalb von Stunden bis Tagen t&ouml;dlich enden. Deshalb muss man im Zweifel Fieber unbedingt als Infektion behandeln, vor allem wenn das CRP relevant erh&ouml;ht ist, also &uuml;ber 70mg/l oder 7mg/dl. Erh&ouml;hte CRP-Werte kommen zwar auch einmal bei SLE-Patienten mit Serositis oder Arthritis vor, das ist aber selten.</p> <p><strong><em>In wenigen S&auml;tzen: Was ist das Wichtigste bei der Therapie?</em> </strong><br /><strong> <em>M. Aringer:</em></strong> Die Grundprinzipien sind einfach. Erstens: Fast alle Patienten brauchen Hydroxychloroquin und gen&uuml;gend Vitamin D, alle UV-empfindlichen Patienten einen wirksamen Sonnenschutz. Zweitens: Nicht vergessen darf man Schutzimpfungen und das Athero&shy;sklerose-Risiko-Screening. Drittens: Die Entz&uuml;ndung muss gestoppt werden. Glukokortikoide sollten aber dann so rasch wie m&ouml;glich auf 5mg Prednisolon-&Auml;quivalent t&auml;glich oder weniger reduziert werden. Viertens: Je nach Organbeteiligung braucht der Patient Azathioprin oder MTX, Belimumab oder Cyclophosphamid, &laquo;off label&raquo; manchmal auch MMF oder Rituximab. Ich hoffe, dass sich in naher Zukunft unser Therapiespektrum noch erweitern wird, vermutlich zumindest um Interferon-Typ-I-Rezeptor-Blocker und vielleicht Januskinasehemmer.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>Aringer M, Voll RE: Lupus erythematodes &ndash; Update 2016; Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 1785-8</p> </div> </p>
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