Inverse Schulterprothesen

<p class="article-intro">Die wohl erfolgreichste Behandlung einer massiven Rotatorenmanschettenruptur beim älteren Patienten ist die Versorgung mit einer inversen Schultertotalprothese. Damit können die Schmerzen beseitigt und die Funktion der Schulter in den meisten Fällen wiederhergestellt werden. Massgebend für ein gutes Ergebnis sind eine gute Operationstechnik und eine gute Prothese. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die inverse Schulterarthroplastik hat aufgrund der guten Ergebnisse in den letzten Jahren weltweit stark zugenommen. Neben der &laquo;Cuff tear&raquo;-Arthropathie mit Pseudoparalyse der Schulter werden heutzutage viele andere Pathologien mit inversen Schulterprothesen behandelt. Zahlreiche biomechanische und klinische Studien haben das Verst&auml;ndnis der Chirurgen hinsichtlich der Funktionsweise dieser Implantate verbessert und zu &Auml;nderungen der Operationstechnik und Verbesserungen der Prothesendesigns gef&uuml;hrt. Die nachfolgenden Abschnitte sollen einen &Uuml;berblick &uuml;ber die von den Autoren bevorzugte Operationstechnik und Prothese vermitteln.</p> <h2>Zugang</h2> <p>Inverse Schultertotalprothesen werden &uuml;ber einen deltopektoralen oder einen superolateralen Zugang eingebaut. Der deltopektorale Zugang wird von den meisten Operateuren bevorzugt, weil er den f&uuml;r die Funktion einer inversen Prothese unentbehrlichen M. deltoideus und den zugeh&ouml;rigen N. axillaris nicht gef&auml;hrdet und weil er f&uuml;r Revisionseingriffe problemlos nach distal erweitert werden kann. Daf&uuml;r muss bei diesem Zugang die Subscapularissehne, sofern noch vorhanden, abgel&ouml;st werden. Viele franz&ouml;sische Kollegen verwenden einen superolateralen Zugang. Er erlaubt dem Chirurgen einen direkten Blick aufs Glenoid und erleichtert ihm die Pr&auml;paration des Knochens und den Einbau der Glenoidkomponente. Weitere Vorteile sind die einfachere Reposition und Fixation des Tuberculum majus und minus bei Humeruskopffrakturen sowie die M&ouml;glichkeit, ein kleines Os acromiale auszusch&auml;len oder bei gr&ouml;sseren Fragmenten direkt durch die Pseudarthrose zu gehen. Bei diesem Zugang wird der Deltoideus in der anterolateralen Raphe l&auml;ngs gespaltet und vom ventralen Anteil des Akromions abgel&ouml;st. Dies kann mit einer kleinen Knochenschuppe erfolgen. Ein Abl&ouml;sen des Muskels von der Klavikula ist nicht notwendig. Wie bei jedem Deltoideus-Split ist der N. axillaris zu schonen. Die Sub&shy;scapularis- oder Infraspinatussehne k&ouml;nnen bei Bedarf kranial leicht eingekerbt werden. Ein vollst&auml;ndiges Abl&ouml;sen dieser Sehnen ist zum Einbau der Prothese allerdings nicht notwendig und sollte vermieden werden. Der Deltoideus wird am Schluss transoss&auml;r am Akromion reinseriert. Seit einigen Jahren n&uuml;tzen wir die Vorteile beider Zug&auml;nge aus und entscheiden uns jeweils pr&auml;operativ nach den in Tabelle 1 aufgelisteten Kriterien f&uuml;r den einen oder anderen Weg.</p> <h2>Positionierung der Prothesenkomponenten</h2> <p>&Uuml;ber die Positionierung der Glenoidkomponente ist man sich einig. Zahlreiche biomechanische und experimentelle Arbeiten haben gezeigt, dass die Glenosph&auml;re m&ouml;glichst tief und mit einem inferioren &Uuml;berhang eingesetzt werden muss.<sup>1</sup> Dies verbessert die Rotationsamplitude bei angelegtem Arm, verbessert die glenohumerale Abduktion und vermindert das Risiko eines Notchings. Der Einbau eines inferioren Tilts ist biomechanisch nicht notwendig oder sogar kontraproduktiv. Vermehrtes inferiores Fr&auml;sen reduziert den f&uuml;r die Verankerung der Glenoidbasisplatte wichtigen Knochenquerschnitt und bewirkt zudem eine Ann&auml;herung der Humeruskomponente an den lateralen Pfeiler. Ein superiorer Tilt des Glenoids muss korrigiert werden, weil sonst im Interface grosse, nach oben gerichtete Scherkr&auml;fte auftreten, die einen Ausriss der Glenoidbasisplatte zur Folge haben k&ouml;nnen. Die Glenoidversion spielt bei der inversen Schulterprothese eine untergeordnete Rolle. Eine Abweichung von der nat&uuml;rlichen Version hat nur einen kleinen Einfluss auf das Rotationszentrum und muss nicht zwingend korrigiert werden. Viel wichtiger ist, dass allenfalls vorhandene Osteophyten, welche die Glenosph&auml;re &uuml;berragen, entfernt werden.<br /> Kontroversen gibt es bez&uuml;glich der optimalen Version der Humeruskomponente. Die nat&uuml;rliche Retroversion variiert zwischen 0&deg; und 60&deg;. Inverse Prothesen haben bei kleinen Abduktionswinkeln eine schlechtere Rotationsamplitude als nat&uuml;rliche Gelenke. Die Wahl der Retroversion der Humeruskomponente ist deshalb entscheidend f&uuml;r das Ausmass der Innen- und Aussenrotation bei angelegtem Arm. Dies trifft insbesondere f&uuml;r Prothesen mit einem Schaft-Hals-Winkel von 155&deg;, einer tiefen Pfanne und einem Rotationszentrum in der Glenoidebene zu. Viele Chirurgen w&auml;hlen einen Wert zwischen 0&deg; und 20&deg;. Mehr Retroversion verbessert die Aussenrotation auf Kosten der Innenrotation, und weniger Retroversion verbessert die Innenrotation auf Kosten der Aussenrotation. Neuere Prothesen mit einem Schaft-Hals-Winkel von 145&deg;, einer flacheren Pfanne und einem leicht lateralisierten Rotationszentrum haben eine wesentlich bessere Rotationsamplitude. Entsprechend spielt die Version der Humeruskomponente bei diesen Implantaten eine weniger wichtige Rolle. Ein Wert zwischen 10&deg; und 30&deg; Retroversion scheint f&uuml;r eine gute Innen- und Aussenrotation ad&auml;quat zu sein.</p> <h2>Prothesenmodelle</h2> <p>Die von Grammont und den Ingenieuren der Firma Medinov entwickelte Delta-III-Prothese war die erste und w&auml;hrend etwa zehn Jahren die einzige gut funktionierende inverse Prothese. Sie war gekennzeichnet durch einen Schaft-Hals-Winkel von 155&deg;, ein in die Metaphyse versenktes konisches Zwischenst&uuml;ck zur Aufnahme der Polyethylenpfanne (Inlay-Prothese) und ein Rotationszentrum in der Glenoidebene. Die besondere Geometrie dieser Prothese wurde von anderen Firmen &uuml;bernommen und sp&auml;ter f&uuml;r Probleme, wie z.B. das Notching, die eingeschr&auml;nkte Rotationsamplitude bei adduziertem Arm und die Besch&auml;digung des Tuberculum minus durch den konischen Teil der Humeruskomponente, verantwortlich gemacht. Zur Verringerung dieser Komplikationen wurde der Schaft-Hals-Winkel bei den meisten neuen Prothesenmodellen auf 145&deg; reduziert, der konische Anteil der Humeruskomponente durch eine flache Epiphysenplatte ersetzt (Onlay-Prothese) und das Drehzentrum um einige Millimeter aus der Glenoidebene heraus nach lateral verschoben. Diese &Auml;nderungen wurden bei der von uns verwendeten Duocentric-Prothese (Aston Medical) (Abb. 1) vorgenommen und haben sich bis jetzt bew&auml;hrt. Die Rotationsamplitude ist mit dieser Prothese nicht nur im Experiment,<sup>2</sup> sondern auch in vivo deutlich besser als bei einer Delta-III-Prothese (Abb. 2). Das Onlay-Design der Humeruskomponente schont das Tuberculum minus und die Insertion der Subscapularissehne, und es verbessert im Falle einer Fraktur die Stabilit&auml;t der refixierten Knochenh&ouml;cker. Das Rotationszentrum ist gegen&uuml;ber der Glenoidebene um 6mm lateralisiert. Eine Knochenaugmentation im Sinne eines BIO-RSA ist deshalb in den allermeisten F&auml;llen unn&ouml;tig, kann bei stark erodiertem Glenoid aber mit einem langen Verankerungszapfen problemlos durchgef&uuml;hrt werden. F&uuml;r die Befestigung der Glenoidbasisplatte gen&uuml;gen der 6mm d&uuml;nne Zapfen und ein bis drei Schrauben, welche nicht winkelstabil sind (Abb. 3). Diese Fixation ist knochensparend und hat nur in einem von 150 F&auml;llen zu einer Verkippung der Glenoidkomponente gef&uuml;hrt. Als Nachteil des kleineren Schaft-Hals-Winkels muss das erh&ouml;hte Risiko f&uuml;r eine Prothesenluxation erw&auml;hnt werden.</p> <h2>Subscapularis-Management</h2> <p>Bei vielen Patienten, die eine inverse Prothese ben&ouml;tigen, ist die Subscapularissehne noch intakt. Nach einem deltopektoralen Zugang stellt sich in diesen F&auml;llen die Frage, ob diese Sehne am Ende des Eingriffs wieder befestigt werden soll oder nicht. Argumente daf&uuml;r sind die Verbesserung der aktiven Innenrotation und die Verbesserung der Stabilit&auml;t des Gelenks. Als m&ouml;glichen Nachteil betrachten einige Chirurgen, dass der Subscapularis ein Antagonist f&uuml;r die schwachen Aussenrotatoren und f&uuml;r den Deltoideus ist. Friedman et al. konnten in einer k&uuml;rzlich erschienenen Studie aber zeigen, dass Patienten mit einem Subscapularisrepair bessere klinische Scores erreichten und weniger Luxationen hatten als Patienten, bei denen die Sehne nicht refixiert wurde.<sup>3</sup> Dies entspricht auch unserer eigenen Erfahrung. Wir sind deshalb bestrebt, den Subscapularis durch einen superolateralen Zugang zu sch&uuml;tzen oder nach einem deltopektoralen Zugang wieder zu befestigen.</p> <h2>Latissimus-dorsi-Transfer</h2> <p>Inverse Schulterprothesen verbessern den Hebelarm des Deltoideus f&uuml;r die Abduktion, nicht aber f&uuml;r die Aussen- oder Innenrotation.<sup>4</sup> Patienten, welche pr&auml;operativ ein Aussenrotationslag haben, werden es auch nach dem Einbau einer inversen Schulterprothese noch haben. Dies erschwert das Essen mit einem L&ouml;ffel, das K&auml;mmen und F&ouml;hnen der Haare und das Versorgen von Gegenst&auml;nden auf den oberen Tablaren eines Schranks. Die betroffenen Patienten sind in ihrer Lebensqualit&auml;t deutlich eingeschr&auml;nkt, insbesondere wenn es sich um die dominante Seite handelt. Ein relevantes Aussenrotationslag besteht dann, wenn der Teres-minor-Muskel schwach ausgebildet oder verfettet ist (Abb. 4). Dies betrifft etwa 15 % unserer Patienten. In diesen F&auml;llen w&auml;hlen wir einen deltopektoralen Zugang und machen zus&auml;tzlich zur inversen Prothese einen Latissimus-dorsi-/Teres-major-Sehnentransfer nach L&rsquo;Episcopo. 4 bis 6 Monate nach dem Eingriff sind die so behandelten Patienten wieder in der Lage, eine gef&uuml;llte Wasserflasche &uuml;ber die Horizontale anzuheben (Abb. 5). Ein Nachteil dieses Transfers ist die Verschlechterung der aktiven Innenrotation. Kann die Subscapularissehne nicht mehr refixiert werden, k&ouml;nnen diese Patienten ihre Hand oft nur noch bis zum Ges&auml;ss f&uuml;hren und das Hemd nicht mehr hinter dem R&uuml;cken in die Hose stecken. Die Patienten m&uuml;ssen pr&auml;operativ &uuml;ber diesen Nachteil aufgekl&auml;rt werden. Wenn die Subscapularissehne refixiert werden kann, ist die Innenrotation deutlich besser und meistens wieder so gut wie vor dem Eingriff.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1703_Weblinks_s30_1.jpg" alt="" width="2615" height="1813" /></p> <h2>Nachbehandlung</h2> <p>Die Nachbehandlung nach Einsetzen einer inversen Schulterprothese ist einfacher und k&uuml;rzer als die Nachbehandlung nach einer Rotatorenmanschettenrekonstruktion. Einige Chirurgen geben den Patienten nur eine Armtragschlinge. Levy und Mitarbeiter lassen ihre Patienten auch nach einem superolateralen Zugang sofort aktiv bewegen. Wir sind diesbez&uuml;glich viel konservativer und geben den Patienten ein Abduktionskissen f&uuml;r 4&ndash;6 Wochen und erlauben ihnen in dieser Zeit nur aktiv assistierte Bewegungen. Gr&uuml;nde daf&uuml;r sind die Verwendung von unzementierten Prothesenkomponenten, die Verst&auml;rkung der Rotatorenmanschette oder die Refixation des anterioren Deltoideus beim superolateralen Zugang oder ein Latissimus-dorsi-/Teres-major-Sehnentransfer. Bei inversen Frakturprothesen ist die Nachbehandlung zum Schutz der refixierten Knochenh&ouml;cker noch etwas konservativer. Aufgrund der guten Ergebnisse und der hohen Patientenzufriedenheit haben wir zurzeit keinen Grund, die Nachbehandlung aggressiver zu gestalten.</p> <h2>Implantatassoziierte Probleme und Komplikationen</h2> <p>Inverse Prothesen k&ouml;nnen Probleme und Komplikationen verursachen, die bei anatomischen Prothesen nicht beobachtet werden.<sup>5</sup> Dazu geh&ouml;ren das Notching, die Instabilit&auml;t und die Akromionfraktur. Wir haben mit der Duocentric-Prothese bei 2 % der Behandelten ein Notching Grad 1 nach Nerot beobachtet und bei 2,7 % eine Prothesenluxation verzeichnet. Zus&auml;tzliche 3,3 % der Patienten haben im Verlauf der Nachkontrollen ein oder mehrere Subluxationsereignisse erw&auml;hnt, deswegen aber keine weitere Behandlung ben&ouml;tigt. Drei Patienten erlitten nach einem Sturz eine Akromionfraktur und eine Patientin eine Spina-scapulae-Fraktur. Obwohl die Funktion der Schulter nach diesen Frakturen deutlich schlechter war als davor, hatten diese &auml;lteren Patienten nicht mehr den Mut, sich einer weiteren Operation zu unterziehen.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Inverse Schulterprothesen liefern bei richtiger Indikation und sorgf&auml;ltiger Operation gute funktionelle Ergebnisse und eine hohe Patientenzufriedenheit. Entscheidend sind die korrekte Positionierung der Prothesenkomponenten und die Erhaltung der Aussenrotatoren. Bei schwachem Teres minor k&ouml;nnen mit einem Latissimus-dorsi-Transfer die aktive Elevation und Aussenrotation signifikant verbessert werden. Trotz neuer Prothesenmodelle und verbesserter Operationstechnik bleibt die Komplikationsrate relativ hoch.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Nyffeler RW et al.: Biomechanical relevance of glenoid component positioning in the reverse Delta III total shoulder prosthesis. J Shoulder Elbow Surg 2005; 14(5): 524-8<br /> <strong>2</strong> Nyffeler RW: Design und Biomechanik inverser Schulterprothesen. Obere Extremit&auml;t 2014; 9(1): 51-6 <strong>3</strong> Friedman RJ et al.: Comparison of reverse total shoulder arthroplasty outcomes with and without subscapularis repair. J Shoulder Elbow Surg 2017; 26(4): 662-8 <strong>4</strong> Nyffeler RW: Motion and muscular function after reverse shoulder arthroplasty. In: Frankle M et al. (ed.): Reverse Shoulder Arthroplasty. Springer International Publishing Switzerland, 2016. 73-84 <strong>5</strong> Zumstein MA et al.: Problems, complications, reoperations, and revisions in reverse total shoulder arthroplasty: a systematic review. J Shoulder Elbow Surg 2011; 20(1): 146-57</p> </div> </p>
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