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Zwei gleichartige pharmakokinetische Booster

Ritonavir und Cobicistat – worin liegen die Unterschiede?

<p class="article-intro">Ritonavir und Cobicistat sind zwei potente CYP3A4-Inhibitoren. Ihre Aufgabe ist es, die Plasmakonzentrationen anderer CYP3A4-Substrate, mit denen sie gleichzeitig eingenommen werden, zu boostern bzw. die Halbwertszeit, z.B. von Atazanavir, Darunavir, Lopinavir oder Elvitegravir, zu verlängern. Das folgende Beispiel veranschaulicht, wie sich die Auswahl des Boosters auf den Erfolg der Begleitmedikation auswirkt.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Fallbeispiel</h2> <p>Bei einem 35-j&auml;hrigen HIV-infizierten Mann, der unter einer paranoiden Schizophrenie leidet, wird eine behandlungsresistente Psychose diagnostiziert. Trotz erh&ouml;hter Olanzapin-Dosis von 40mg/Tag zeigte sich sechs Wochen nach Therapiestart keine Verbesserung der psychotischen Symptome. Die antiretrovirale Therapie besteht aus Atazanavir/Ritonavir.<br /> Bei einer erneuten Episode von Wahnvorstellungen und Halluzinationen wurde die Ursache f&uuml;r das Therapieversagen entdeckt. Ein &bdquo;therapeutic drug monitoring&ldquo; (TDM) zeigte eine niedrige Olanzapin- Konzentration von 26&micro;g/l (Referenzwert 20&ndash;75&micro;g/l) im Blut. Nach einer weiteren Dosiserh&ouml;hung auf 80mg/Tag verschwanden die psychotischen Symptome. Die Olanzapin-Spiegel stiegen auf 77&micro;g/l, extrapyramidale Symptome oder ein metabolisches Syndrom traten nicht auf.<br /><br /> Hinter dieser vermeintlichen behandlungsresistenten Psychose steckte eine Interaktion zwischen Olanzapin und Ritonavir. Olanzapin wird &uuml;ber das Isoenzym Cytochrom P450 1A2 (CYP1A2) und die UDP-Glucuronyltransferase (UGT) metabolisiert. Ritonavir induziert die beiden Enzyme. Dies spiegelt sich in einer Pharmakokinetik(PK)-Studie mit 14 Gesunden wider. Unter Ritonavir 300&ndash; 500mg BID wurden eine Abnahme der maximalen Olanzapin-Spiegel bei einer Dosis von 10mg um 40 % und eine Verl&auml;ngerung der Halbwertszeit (HWZ) um 50 % festgestellt.<br /> Die Interaktion wurde durch Dosiserh&ouml;hung von Olanzapin &uuml;berwunden. Alternativ stehen andere Neuroleptika wie Aripiprazol und Quetiapin zur Verf&uuml;gung, die nicht &uuml;ber CYP1A2 abgebaut werden. Als CYP3A4-Substrat wird ihre Dosis in Gegenwart von starken CYP3A4-Inhibitoren auf ein Viertel bzw. bei Quetiapin auf ein Achtel reduziert.<br /> Weiters besteht die M&ouml;glichkeit, Cobicistat als Booster zu w&auml;hlen und damit die induzierenden Eigenschaften von Ritonavir zu umgehen.</p> <h2>Eigenschaften der Booster</h2> <p><strong>Ritonavir</strong> hemmt neben CYP3A4 die Isoenzyme CYP2D6, CYP2C19, CYP2C8, CYP2C9 und die Transportermolek&uuml;le PGlykoprotein (P-gp), &bdquo;breast cancer resistance protein&ldquo; (BCRP), organische anionische Transporter-Polypeptide (OATP) und &bdquo;multi drug and toxin extrusion protein&ldquo; (MATE1). Zudem ist Ritonavir f&uuml;r seine induzierenden Effekte auf die Isoenzyme CYP1A2, CYP2B6, CYP2C9, CYP2C19 und die UGT-Familie bekannt. Durch diese Eigenschaften kann es zum Wirkungsverlust der Begleitmedikation kommen.<br /> Ritonavir selbst wird intensiv &uuml;ber CYP3A4 und zu einem geringeren Anteil &uuml;ber CYP2D6 abgebaut. Sein Hauptmetabolit Isopropylthiazol zeigt antivirale Aktivit&auml;t. Es wird gr&ouml;&szlig;tenteils &uuml;ber die Faeces ausgeschieden. Die HWZ betr&auml;gt 3&ndash;5 Stunden. Es wird keine Dosisanpassung bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder einer milden (&bdquo;Child-Pugh class A&ldquo;) bis moderaten Leberinsuffizienz (&bdquo;Child-Pugh class B&ldquo;) notwendig.<br /><br /> <strong>Cobicistat</strong> ist strukturell fast identisch mit Ritonavir, zeigt aber keine antivirale Aktivit&auml;t. Cobicistat 150mg QD entspricht dem pharmakokinetischen Boostereffekt von Ritonavir 100mg QD. Daf&uuml;r sorgt der starke bzw. schwache inhibitorische Effekt auf CYP3A bzw. CYP2D6. Im Vergleich zu Ritonavir besitzt Cobicistat keine enzyminduzierenden Effekte auf das Cytochrom P450 (CYP450), UGT und P-gp, was einen Vorteil beim Einsatz einiger Begleitmedikamente ergibt.<br /> Bei den Transportermolek&uuml;len ist der Effekt ident mit Ritonavir. P-gp, BCRP, OATP1B1, OATP1B3 und MATE1 werden gehemmt. MATE1 ist in die renale Tubulussekretion von Kreatinin involviert. Studien mit Cobicistat und Ritonavir zeigten einen 10&ndash;15 % igen Anstieg der Kreatinin- Serum-Konzentration, unbeeinflusst von der aktuellen renalen Funktion.<br /><br /> Der Anstieg des Serum-Kreatinins unter Cobicistat war noch st&auml;rker ausgepr&auml;gt als unter Ritonavir, was &uuml;ber den aktiven Transport von Cobicistat durch die organischen Kationentransporter OCT2 in die tubul&auml;re Zelle erkl&auml;rt wird. Das f&uuml;hrt zu einer Akkumulation von Cobicistat in der Zelle und damit zu einem st&auml;rkeren inhibitorischen Effekt auf MATE1.<br /> In einer randomisierten Vergleichsstudie mit Atazanavir und den beiden Boostern Cobicistat und Ritonavir wurde ein h&ouml;herer Anstieg des Serum-Kreatinins im Cobicistat-Arm verglichen mit dem im Ritonavir-Arm gemessen. Cobicistat wird zu 99 % unver&auml;ndert ausgeschieden (90 % Faeces, 10 % Urin).</p> <h2>Auswahl der passenden Begleitmedikation</h2> <p>Da PK-Studien zum Interaktionspotenzial von Cobicistat mit der Begleitmedikation noch unzureichend sind, werden Interaktionen aus theoretischen &Uuml;berlegungen und Patientenf&auml;llen abgeleitet. Was ist beim Einsatz der Begleitmedikation mit den beiden Boostern zu beachten?</p> <h2>S&auml;ureblocker</h2> <p>Im Gegensatz zu Darunavir und Elvitegravir ist Atazanavir eine Substanz, die abh&auml;ngig vom ph-Wert im Magen gel&ouml;st wird und nur so vom K&ouml;rper resorbiert werden kann. F&uuml;r therapienaive und vorbehandelte Patienten, die Atazanavir mit Cobicistat oder Ritonavir ohne Tenofovir einnehmen, ist die Empfehlung einfach. Geboostertes Atazanavir sollte 10 Stunden nach der Gabe eines H2-Blockers eingenommen werden.<br /> Die Empfehlung f&uuml;r vorbehandelte Patienten, die Tenofovir mit Atazanavir/Cobicistat einnehmen, ist die Atazanavir- Dosis mit Ritonavir 100mg auf 400mg zu erh&ouml;hen.<br /> Anders als bei Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) scheint Tenofoviralafenamid (TAF) diese Interaktion nicht hervorzurufen, sodass TAF oder auch Abacavir/Lamivudin (ABC/3TC) eine gute Alternative darstellt.</p> <h2>CYP3A4-Substrate</h2> <p><strong>Cobicistat und Ritonavir zeigen einander &auml;hnliche Profile der Interaktion mit CYP3A4-Substraten.</strong><br /><br /> Dosisfindungsstudien best&auml;tigen, dass Cobicistat-Dosen von 100 oder 200mg die Midazolam-Clearance um 95 % senken. Das ist vergleichbar mit einer Reduktion der Midazolam-Clearance von 96 % mit Ritonavir 100mg QD. Es gibt eine Reihe von Case Reports, die das Interaktionspotenzial der CYP3A4-Inhibition von Cobicistat darstellen. Dieses Interaktionsprofil ist dem von Ritonavir sehr &auml;hnlich: ein Cushing-Syndrom mit Fluticason-Nasentropfen, eine schwere periphere Neuropathie mit Vinblastin, Tacrolimus-Toxizit&auml;ten und zahlreiche erh&ouml;hte Tacrolimus-Konzentrationen im Blut, schwere blaue Flecken und erh&ouml;hte Rivaroxaban-Konzentrationen, akute Isch&auml;mie am Bein nach Einsatz von egotaminhaltigen Pr&auml;paraten. Teilweise werden die Interaktionen in den bestehenden Datenbanken beschrieben, teilweise entspricht das Interaktionsph&auml;nomen dem von Ritonavir.</p> <h2>CYP3A4-Induktoren</h2> <p><strong>Ritonavir hat eventuell ein st&auml;rkeres Potenzial, die induzierenden Eigenschaften einiger Medikamente zu &uuml;berwinden.</strong><br /><br /> Carbamazepin ist ein CYP3A4-Induktor. Aufgrund des Risikos f&uuml;r einen Wirkungsverlust der antiretroviralen Therapie ist Carbamazepin mit Atazanavir/Cobicistat und Darunavir/Cobicistat kontraindiziert. Es wird ein alternatives Antiepileptikum empfohlen.<br /><br /> Diese Empfehlung gilt generell auch f&uuml;r Ritonavir. In Datenbanken zu den Proteasehemmern werden die Interaktionen mit Carbamazepin als ein wenig milder beschrieben. F&uuml;r Atazanavir/Ritonavir wird unter Carbamazepin von erniedrigten Atazanavir-Spiegeln ausgegangen, die monitoriert und dosisangepasst werden. Unter Darunavir/Ritonavir (DRV/r) wird eine Dosisreduktion von Carbamazepin um 25&ndash;50 % empfohlen. Diese Empfehlung wird durch eine Studie gest&uuml;tzt, die die Kombination DRV/r 600/100mg BID mit Carbamazepin 200mg BID untersucht hat. Es ist nur eine leichte Senkung der DRV-Spiegel von 14 % gesehen worden. Diese Empfehlung ist mit gr&ouml;&szlig;ter Vorsicht auf das DRV/r-QD-Regime zu &uuml;bertragen.<br /><br /> Eine In-vitro-Studie hat demonstriert, dass Ritonavir im Gegensatz zu Cobicistat mehr Potenzial besitzt, den induzierenden Effekt einiger Substanzen, wie z.B. den von Rifampicin, zu &uuml;berwinden. Das ist bei Rifabutin bestimmt der Fall. Rifabutin ist mit Cobicistat-Regimen kontraindiziert und mit Ritonavir in einer Dosis von 150mg dreimal die Woche m&ouml;glich. Bei den anderen Medikamenten ist diese These aufgrund des Risikos f&uuml;r einen Wirkungsverlust der ART noch zu hinterfragen.</p> <h2>Ritonavir als Induktor</h2> <p>Der im Fallbeispiel bereits beschriebene induzierende Effekt von Ritonavir auf verschiedene Begleitmedikamente zeigt sich z.B. auch in Kombination mit Sertralin und Paroxetin &uuml;ber das Isoenzym CYP2D6. Die Sertralin-Spiegel fielen unter DRV/r 400/100mg BID und Sertralin 50mg um 49 % ab. Dieser Abfall wird bei Elvitegravir/ Cobicistat/Tenofoviralafenamid/ Emtricitabin nicht gesehen. Das Gleiche gilt f&uuml;r Bupropion. Unter Ritonavir fallen die Bupropion-Spiegel, unter Cobicistat steigen sie an.</p> <h2>Diverse andere Interaktionen</h2> <p><strong>Ethinylestradiol</strong> wird intensiv &uuml;ber CYP3A4, CYP2C9 und UGT1A1 abgebaut. Da Atazanavir zus&auml;tzlich zu dem induzierenden Potenzial von Ritonavir auf UGT1A1 dieses Enzym hemmt, wird nur ein 19 % iger Abfall der Ethinylestradiol-Konzentrationen gemessen. Damit ist eine Ethinylestradiol-Dosis von 30&micro;g in Gegenwart von Atazanavir/Ritonavir m&ouml;glich. Das gilt ebenfalls f&uuml;r Elvitegravir/Cobicistat/ Tenofoviralafenamid/Emtricitabin.<br /><br /> <strong>Dabigatranetexilat</strong> (DE) ist ein Prodrug, das &uuml;ber eine Esterase in seine aktive Form &uuml;berf&uuml;hrt wird. DE ist ein Substrat des P-gp. P-gp-Induktoren und -Inhibitoren entscheiden &uuml;ber die Menge, die zur Verf&uuml;gung steht, um das Prodrug umzuwandeln. Unter Cobicistat 150mg QD wurde bei gleichzeitiger Gabe eine erh&ouml;hte Dabigatran-AUC von 127 % und eine verl&auml;ngerte Thrombinzeit (von 46 % auf 51 % ) gemessen. Auch ein zeitlicher Abstand der Einnahme der beiden Medikamente milderte die Interaktion nicht. Dagegen wurden keine erh&ouml;hten Dabigatran-Spiegel unter Ritonavir 100mg QD gefunden. Fallberichte zeigen die gute Kombinierbarkeit von Dabigatran 110mg oder 150mg BID mit Lopinavir/Ritonavir und Atazanavir/ Ritonavir. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit einer schweren Niereninsuffizienz.</p> <h2>Interaktionen innerhalb der ART</h2> <p>Bei den NNRTI ist nur die Kombination von Etravirin mit Darunavir/Ritonavir zu nennen. Unter Cobicistat-Regimen machen sich die induzierenden Effekte von Efavirenz und Etravirin zu stark bemerkbar.<br /> Weiters wird die duale Cobicistat-Boosterung von Elvitegravir plus Proteasehemmer diskutiert. Da die Elvitegravir-Spiegel unter Atazanavir um 80 % ansteigen, wird eine Elvitegravir-Dosis von 85mg ben&ouml;tigt, die gerade nicht zur Verf&uuml;gung steht. Interessanter ist die Kombination von Darunavir 800mg QD plus Elvitegravir/Cobicistat/ Tenofoviralafenamid/Emtricitabin.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Cobicistat besitzt das gleiche Interaktionsprofil wie Ritonavir in Kombination mit CYP3A4-Substraten. Bei einigen Neuroleptika, Antidepressiva oder Theophyllin, die durch den induzierenden Effekt von Ritonavir in ihrer Wirkung reduziert werden, ist Cobicistat zu bevorzugen. Auch hormonelle Kontrazeption mit hochdosiertem Ethinylestradiol ist m&ouml;glich. Die Therapie der Tuberkulose ist durch die Empfehlung zur Dosierung von Rifabutin unter einem RTV- geboosterten PI gegeben. Dabigatran ist g&uuml;nstiger mit Ritonavir kombinierbar. Da es sich um individuelle Arzneimittelkombinationen handelt, steht die Liverpool-Interaktionsdatenbank zur Verf&uuml;gung oder der Interaktionscheck bei &bdquo;Meet the Experts&ldquo;.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Infekt_1703_Weblinks_s13-tab1.jpg" alt="" width="1419" height="530" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; van Oeffelt T et al.: Behandlungsresistente Psychose aufgrund einer Interaktion zwischen Ritonavir (RTV) und Olanzapin. Tijdschr Psychiatr 2016; 58(4): 309-13 &bull; Penzak SR et al.: Influence of ritonavir on olanzapine pharmacokinetics in healthy volunteers. J Clin Psychopharmacol 2002; 22(4): 366-70 &bull; Tseng A et al.: Cobicistat versus ritonavir: similar pharmacokinetic enhancers but some important differences. Ann Pharmacother 2017; [epub ahead of print]</p> </div> </p>
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