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Mogeln mit Ärztezahlen

<p class="article-intro">Die Verknappung der Kassenstellen für Allgemeinmediziner konnte bisher mittels Zahlenspielereien kaschiert werden. In anderen Bereichen hingegen wird ein Ärztemangel nur herbeigeredet.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1708_Weblinks_dam_1707_seite_6_beitragsbild.jpg" alt="" width="2520" height="1680" /></p> <p>Im Hochsommer l&ouml;ste eine Presseinformation der &Ouml;sterreichischen &Auml;rztekammer (&Ouml;&Auml;K) betreffend die &ouml;sterreichweite Vakanz von mehr als 60 Kassenplanstellen f&uuml;r Allgemeinmedizin ein breit gef&auml;chertes Medienecho aus. Selbst Qualit&auml;tszeitungen widmeten dem Thema Schlagzeilen. Dabei reichte die Palette von &bdquo;R&uuml;sten gegen drohenden &Auml;rztemangel&ldquo; in den &bdquo;Salzburger Nachrichten&ldquo; bis zu &bdquo;Der Hausarzt stirbt aus&ldquo; auf der Titelseite der &bdquo;Wiener Zeitung&ldquo;. Geht es um &Auml;rztezahlen, ist Verwirrung angesagt. Was da in den vergangenen Jahren an divergierenden Informationen ver&ouml;ffentlicht wurde, k&ouml;nnte Stoff f&uuml;r ein Kabarettprogramm liefern. Es gibt viele Gr&uuml;nde, an besagten Zahlen herumzubasteln. Sozialversicherungen (SV) zum Beispiel wollen mit ihren Angaben beweisen, genug Mediziner unter Vertrag zu haben. Zu diesem Zweck z&auml;hlen sie nicht selten zu Haus- und Fach&auml;rzten die Zahnbehandler dazu. Der Begriff &bdquo;&Auml;rzte unter Vertrag&ldquo; erm&ouml;glicht den SV-Statistikern auch Kollegen einzubauen, welche nur mittels Vorsorgeuntersuchungen an den &ouml;ffentlichen Sektor gebunden sind. Vertrag ist Vertrag. Standesvertreter hingegen tendieren zum Gegenteil. Sie wittern an allen Ecken und Enden eine Unterversorgung. Da ist oft Tricksen angesagt. Zu diesem Zweck werden zum Beispiel bei Gruppen- oder &Uuml;bergabepraxen nur die Ordinationen und nicht die einzelnen K&ouml;pfe gez&auml;hlt. Auch bei Zahlenangaben &uuml;ber Wahl&auml;rzte gibt es M&ouml;glichkeiten zum Mogeln. Geht es um gezieltes Herbeirechnen eines &Auml;rztemangels, dann bedient sich die Kammer immer wieder des bekannten &Ouml;konomen Prof. Leo Chini.</p> <h2>H&ouml;chste &Auml;rztedichte nach Griechenland</h2> <p>Die folgenden Ausf&uuml;hrungen sind ein Versuch, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und gleichzeitig auf grobe Verzerrungen zu verzichten. Es ist und bleibt unseri&ouml;s, von einem &Auml;rztemangel in &Ouml;sterreich zu sprechen. Mit derzeit 45 000 Medizinern haben wir im Europavergleich einen &Auml;rzte&uuml;berschuss. Die Schweiz, mit fast gleicher Einwohnerzahl und einem hervorragenden Gesundheitswesen, kommt zum Beispiel mit 35 000 &Auml;rzten aus. Unter den 34 OECD-Staaten wird &Ouml;sterreich punkto &Auml;rztedichte gleich hinter Griechenland auf Platz zwei gereiht. Den knapp 11 Mio. Griechen stehen angeblich &uuml;ber 69 000 &Auml;rzte zur Verf&uuml;gung. Da die Bereitstellung exakter Zahlen nicht zu den St&auml;rken griechischer Beh&ouml;rden geh&ouml;rt, ist der erste Platz gar nicht so sicher. B&ouml;se Zungen behaupten, selbst l&auml;ngst verstorbene &Auml;rzte verbleiben dort in der Aufstellung. Gut m&ouml;glich, dass wir in Wirklichkeit in Sachen &Auml;rztedichte die Top- Position einnehmen. Wir sind prim&auml;r mit einer Verknappung der Kassenplanstellen f&uuml;r Allgemeinmediziner konfrontiert. &Uuml;ber Jahrzehnte hindurch haben die Sozialversicherer den Vertragspartnern untersagt, im Team zu arbeiten. Die Anstellung von &Auml;rzten bei &Auml;rzten ist auch heute noch verboten. Jetzt pl&ouml;tzlich erwarten die Verantwortlichen von den Vertrags&auml;rzten genau das Gegenteil: Teamf&auml;higkeit in s&auml;mtlichen Spielformen. Bisher freuten sich Kassenfunktion&auml;re &uuml;ber jede nicht zus&auml;tzlich geschaffene Planstelle. Noch immer sehen es Kassenleute am liebsten, wenn Haus&auml;rzte eher wenige Sonderleistungen in ihrer Praxis erbringen und schnell zum &Uuml;berweisungsschein greifen, um die Sozialversicherten ins Krankenhaus zu lotsen. Diese Einstellung wird sich erst dann &auml;ndern, wenn die Finanzierung aller Gesundheitsleistungen aus einer Hand Realit&auml;t ist.</p> <h2>Hoher Anteil an Vertrags&auml;rzten in Bayern</h2> <p>Gab es in &Ouml;sterreich 1960 pro 100 000 Einwohner nur 160 Mediziner, stehen jetzt f&uuml;r diese Gr&ouml;&szlig;eneinheit bereits 517 &Auml;rzte zur Verf&uuml;gung. Eine dieser Entwicklung entsprechende Aufstockung der Zahl der Kassen&auml;rzte wurde nicht vollzogen. Von unseren 45 000 &Auml;rzten (Zahnbehandler ausgenommen) haben nur 7200 Vertr&auml;ge mit den Sozialversicherungen. 100 000 &Ouml;sterreicher m&uuml;ssen daher mit 83 Vertrags&auml;rzten auskommen. Zum Vergleich ein Blick nach Bayern. Dort gehen die Verantwortlichen mit den Krankenversicherten nicht so knausrig um, denn ein Drittel der Mediziner ist in die kassen&auml;rztliche Vereinigung eingebunden. Pro 100 000 Bayern gibt es 195 (!) Vertrags&auml;rzte. So viel zur Behauptung heimischer Sozialversicherer, den Patienten st&uuml;nden ausreichend viele Vertrags&auml;rzte zur Verf&uuml;gung. Sicher kommt bei dieser Argumentation der Einwand, dass unser Wahl&auml;rztesystem in Deutschland unbekannt ist. Das ist richtig. Hier in &Ouml;sterreich wird versucht, den Mangel an Vertrags&auml;rzten mit &uuml;ber 10 000 Wahl&auml;rzten zu kompensieren. Zweiklassenmedizin in Reinkultur.</p> <h2>Von 45 000 &Auml;rzten sind 3820 Kassen-Allgemeinmediziner</h2> <p>Durch irref&uuml;hrende Gleichstellung von &bdquo;Hausarzt&ldquo; und &bdquo;Allgemeinmediziner&ldquo; ist es den Verantwortlichen &uuml;ber viele Jahre gelungen, das permanente Absinken der schon bisher extrem niedrigen Hausarztquote zu verschleiern. Auch &bdquo;Die Presse&ldquo; spielte bei diesem Verwirrspiel mit. Noch im November des Vorjahres wurde &uuml;ber eine zahlenm&auml;&szlig;ige Steigerung der Allgemeinmediziner auf 14 275 berichtet. Originalzitat: &bdquo;Ein &Auml;rztemangel ist aus diesen Zahlen nicht abzulesen.&ldquo; Allgemeinmediziner sind unter anderem in Spit&auml;lern, Kuranstalten oder Praxen f&uuml;r Alternativmedizin t&auml;tig. F&uuml;r die Hilfesuchenden ist der Kassen-Allgemeinmediziner von zentraler Bedeutung. Er ist der Hausarzt im engeren Sinn. &Ouml;sterreich weist die weltweit niedrigste Hausarztquote auf! Nur mehr 8,5 % der heimischen &Auml;rzte sind Kassen-Allgemeinmediziner. Wirksame Prim&auml;rversorgung gelingt nur in L&auml;ndern mit Hausarztquoten von 20&ndash;30 % . Wenn jetzt der Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer eines Salzburger Krankenhauses schwadroniert, er k&ouml;nne sich zuk&uuml;nftig in Ortschaften mit vakanter Hausarztstelle Zentren mit acht bis zehn angestellten Allgemeinmedizinern vorstellen, fragt sich selbst der Laie: &bdquo;Woher sollen diese Jung&auml;rzte kommen?&ldquo; Gibt es irgendwo ein unterirdisches Depot, wo Hundertscharen von Allgemeinmedizinern auf ihre Befreiung warten? Viel ehrlicher w&auml;re es, der Bev&ouml;lkerung reinen Wein einzuschenken. Die Anzahl von 45 000 Medizinern ist nicht zu halten. Je nach Berechnung werden wir in den kommenden Jahren eine Reduktion um 8000 bis 10 000 &Auml;rzte zu verkraften haben.</p> <h2>Redimensionierung der Spitalswelt unabdingbar</h2> <p>Unser Land leidet unter einem &bdquo;Spit&auml;lerwahnsinn&ldquo;: Vom Kant&ouml;nligeist beherrscht, haben Landespolitiker &bdquo;ihre&ldquo; Spit&auml;ler k&uuml;nstlich aufgebl&auml;ht, um auch in strukturschwachen Regionen einen &bdquo;Wirtschaftsmotor&ldquo; vorzeigen zu k&ouml;nnen. Statt Leistungen auszulagern, wurden sie sukzessive in die ausgeweiteten Spitalsambulanzen eingelagert. Folge: Die Zahl der Spitals&auml;rzte explodiert. In einigen Bundesl&auml;ndern wird die &bdquo;&Uuml;berschussware Spitalsarzt&ldquo; bereits knapp: Nieder&ouml;sterreich sucht f&uuml;r seine 27 Landeskliniken rund 100 Jung&auml;rzte, in Ober&ouml;sterreich wird auf die Aufnahme von 200 &Auml;rzten gewartet. In vielen H&auml;usern ist eine Versechsfachung der Zahl der angestellten &Auml;rzte zu beobachten. Das N&Ouml;. Landesklinikum Mistelbach zum Beispiel gl&auml;nzt sogar mit einer Verachtfachung der &Auml;rztezahl. Zu Beginn meiner Praxist&auml;tigkeit 1981 im nieder&ouml;sterreichischen Bezirk Mistelbach (75 000 Einwohner) waren die Anzahl der Spitals&auml;rzte und die der Kassen-Allgemeinmediziner im Bezirksgebiet gleich hoch: je 43. Drei Jahrzehnte sp&auml;ter bietet das aufgebl&auml;hte Spital in der Mitte des Bezirkes genau 300 &Auml;rzten eine Anstellung. Die Anzahl der Kassen-Praktiker blieb mit 42 nahezu gleich. Die besagte Landesklinik ist mit ihren 1500 Arbeitspl&auml;tzen der gr&ouml;&szlig;te Arbeitgeber n&ouml;rdlich von Wien. Die &bdquo;Spitalsbetonierer&ldquo; haben mit ihren Ausbaumilliarden unsere Krankenversorgung in Schieflage gebracht. An der notwendigen Redimensionierung der Spitalswelt kommt keine zuk&uuml;nftige Regierung vorbei. Nur so kann &Ouml;sterreich in den n&auml;chsten Jahren auch mit weniger &Auml;rzten auskommen.</p></p>
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