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Mogeln mit Ärztezahlen
DAM
Autor:
Dr. Wolfgang Geppert
E-Mail: geppert@aon.at
30
Min. Lesezeit
19.10.2017
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<p class="article-intro">Die Verknappung der Kassenstellen für Allgemeinmediziner konnte bisher mittels Zahlenspielereien kaschiert werden. In anderen Bereichen hingegen wird ein Ärztemangel nur herbeigeredet.</p>
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<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1708_Weblinks_dam_1707_seite_6_beitragsbild.jpg" alt="" width="2520" height="1680" /></p> <p>Im Hochsommer löste eine Presseinformation der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) betreffend die österreichweite Vakanz von mehr als 60 Kassenplanstellen für Allgemeinmedizin ein breit gefächertes Medienecho aus. Selbst Qualitätszeitungen widmeten dem Thema Schlagzeilen. Dabei reichte die Palette von „Rüsten gegen drohenden Ärztemangel“ in den „Salzburger Nachrichten“ bis zu „Der Hausarzt stirbt aus“ auf der Titelseite der „Wiener Zeitung“. Geht es um Ärztezahlen, ist Verwirrung angesagt. Was da in den vergangenen Jahren an divergierenden Informationen veröffentlicht wurde, könnte Stoff für ein Kabarettprogramm liefern. Es gibt viele Gründe, an besagten Zahlen herumzubasteln. Sozialversicherungen (SV) zum Beispiel wollen mit ihren Angaben beweisen, genug Mediziner unter Vertrag zu haben. Zu diesem Zweck zählen sie nicht selten zu Haus- und Fachärzten die Zahnbehandler dazu. Der Begriff „Ärzte unter Vertrag“ ermöglicht den SV-Statistikern auch Kollegen einzubauen, welche nur mittels Vorsorgeuntersuchungen an den öffentlichen Sektor gebunden sind. Vertrag ist Vertrag. Standesvertreter hingegen tendieren zum Gegenteil. Sie wittern an allen Ecken und Enden eine Unterversorgung. Da ist oft Tricksen angesagt. Zu diesem Zweck werden zum Beispiel bei Gruppen- oder Übergabepraxen nur die Ordinationen und nicht die einzelnen Köpfe gezählt. Auch bei Zahlenangaben über Wahlärzte gibt es Möglichkeiten zum Mogeln. Geht es um gezieltes Herbeirechnen eines Ärztemangels, dann bedient sich die Kammer immer wieder des bekannten Ökonomen Prof. Leo Chini.</p> <h2>Höchste Ärztedichte nach Griechenland</h2> <p>Die folgenden Ausführungen sind ein Versuch, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und gleichzeitig auf grobe Verzerrungen zu verzichten. Es ist und bleibt unseriös, von einem Ärztemangel in Österreich zu sprechen. Mit derzeit 45 000 Medizinern haben wir im Europavergleich einen Ärzteüberschuss. Die Schweiz, mit fast gleicher Einwohnerzahl und einem hervorragenden Gesundheitswesen, kommt zum Beispiel mit 35 000 Ärzten aus. Unter den 34 OECD-Staaten wird Österreich punkto Ärztedichte gleich hinter Griechenland auf Platz zwei gereiht. Den knapp 11 Mio. Griechen stehen angeblich über 69 000 Ärzte zur Verfügung. Da die Bereitstellung exakter Zahlen nicht zu den Stärken griechischer Behörden gehört, ist der erste Platz gar nicht so sicher. Böse Zungen behaupten, selbst längst verstorbene Ärzte verbleiben dort in der Aufstellung. Gut möglich, dass wir in Wirklichkeit in Sachen Ärztedichte die Top- Position einnehmen. Wir sind primär mit einer Verknappung der Kassenplanstellen für Allgemeinmediziner konfrontiert. Über Jahrzehnte hindurch haben die Sozialversicherer den Vertragspartnern untersagt, im Team zu arbeiten. Die Anstellung von Ärzten bei Ärzten ist auch heute noch verboten. Jetzt plötzlich erwarten die Verantwortlichen von den Vertragsärzten genau das Gegenteil: Teamfähigkeit in sämtlichen Spielformen. Bisher freuten sich Kassenfunktionäre über jede nicht zusätzlich geschaffene Planstelle. Noch immer sehen es Kassenleute am liebsten, wenn Hausärzte eher wenige Sonderleistungen in ihrer Praxis erbringen und schnell zum Überweisungsschein greifen, um die Sozialversicherten ins Krankenhaus zu lotsen. Diese Einstellung wird sich erst dann ändern, wenn die Finanzierung aller Gesundheitsleistungen aus einer Hand Realität ist.</p> <h2>Hoher Anteil an Vertragsärzten in Bayern</h2> <p>Gab es in Österreich 1960 pro 100 000 Einwohner nur 160 Mediziner, stehen jetzt für diese Größeneinheit bereits 517 Ärzte zur Verfügung. Eine dieser Entwicklung entsprechende Aufstockung der Zahl der Kassenärzte wurde nicht vollzogen. Von unseren 45 000 Ärzten (Zahnbehandler ausgenommen) haben nur 7200 Verträge mit den Sozialversicherungen. 100 000 Österreicher müssen daher mit 83 Vertragsärzten auskommen. Zum Vergleich ein Blick nach Bayern. Dort gehen die Verantwortlichen mit den Krankenversicherten nicht so knausrig um, denn ein Drittel der Mediziner ist in die kassenärztliche Vereinigung eingebunden. Pro 100 000 Bayern gibt es 195 (!) Vertragsärzte. So viel zur Behauptung heimischer Sozialversicherer, den Patienten stünden ausreichend viele Vertragsärzte zur Verfügung. Sicher kommt bei dieser Argumentation der Einwand, dass unser Wahlärztesystem in Deutschland unbekannt ist. Das ist richtig. Hier in Österreich wird versucht, den Mangel an Vertragsärzten mit über 10 000 Wahlärzten zu kompensieren. Zweiklassenmedizin in Reinkultur.</p> <h2>Von 45 000 Ärzten sind 3820 Kassen-Allgemeinmediziner</h2> <p>Durch irreführende Gleichstellung von „Hausarzt“ und „Allgemeinmediziner“ ist es den Verantwortlichen über viele Jahre gelungen, das permanente Absinken der schon bisher extrem niedrigen Hausarztquote zu verschleiern. Auch „Die Presse“ spielte bei diesem Verwirrspiel mit. Noch im November des Vorjahres wurde über eine zahlenmäßige Steigerung der Allgemeinmediziner auf 14 275 berichtet. Originalzitat: „Ein Ärztemangel ist aus diesen Zahlen nicht abzulesen.“ Allgemeinmediziner sind unter anderem in Spitälern, Kuranstalten oder Praxen für Alternativmedizin tätig. Für die Hilfesuchenden ist der Kassen-Allgemeinmediziner von zentraler Bedeutung. Er ist der Hausarzt im engeren Sinn. Österreich weist die weltweit niedrigste Hausarztquote auf! Nur mehr 8,5 % der heimischen Ärzte sind Kassen-Allgemeinmediziner. Wirksame Primärversorgung gelingt nur in Ländern mit Hausarztquoten von 20–30 % . Wenn jetzt der Geschäftsführer eines Salzburger Krankenhauses schwadroniert, er könne sich zukünftig in Ortschaften mit vakanter Hausarztstelle Zentren mit acht bis zehn angestellten Allgemeinmedizinern vorstellen, fragt sich selbst der Laie: „Woher sollen diese Jungärzte kommen?“ Gibt es irgendwo ein unterirdisches Depot, wo Hundertscharen von Allgemeinmedizinern auf ihre Befreiung warten? Viel ehrlicher wäre es, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken. Die Anzahl von 45 000 Medizinern ist nicht zu halten. Je nach Berechnung werden wir in den kommenden Jahren eine Reduktion um 8000 bis 10 000 Ärzte zu verkraften haben.</p> <h2>Redimensionierung der Spitalswelt unabdingbar</h2> <p>Unser Land leidet unter einem „Spitälerwahnsinn“: Vom Kantönligeist beherrscht, haben Landespolitiker „ihre“ Spitäler künstlich aufgebläht, um auch in strukturschwachen Regionen einen „Wirtschaftsmotor“ vorzeigen zu können. Statt Leistungen auszulagern, wurden sie sukzessive in die ausgeweiteten Spitalsambulanzen eingelagert. Folge: Die Zahl der Spitalsärzte explodiert. In einigen Bundesländern wird die „Überschussware Spitalsarzt“ bereits knapp: Niederösterreich sucht für seine 27 Landeskliniken rund 100 Jungärzte, in Oberösterreich wird auf die Aufnahme von 200 Ärzten gewartet. In vielen Häusern ist eine Versechsfachung der Zahl der angestellten Ärzte zu beobachten. Das NÖ. Landesklinikum Mistelbach zum Beispiel glänzt sogar mit einer Verachtfachung der Ärztezahl. Zu Beginn meiner Praxistätigkeit 1981 im niederösterreichischen Bezirk Mistelbach (75 000 Einwohner) waren die Anzahl der Spitalsärzte und die der Kassen-Allgemeinmediziner im Bezirksgebiet gleich hoch: je 43. Drei Jahrzehnte später bietet das aufgeblähte Spital in der Mitte des Bezirkes genau 300 Ärzten eine Anstellung. Die Anzahl der Kassen-Praktiker blieb mit 42 nahezu gleich. Die besagte Landesklinik ist mit ihren 1500 Arbeitsplätzen der größte Arbeitgeber nördlich von Wien. Die „Spitalsbetonierer“ haben mit ihren Ausbaumilliarden unsere Krankenversorgung in Schieflage gebracht. An der notwendigen Redimensionierung der Spitalswelt kommt keine zukünftige Regierung vorbei. Nur so kann Österreich in den nächsten Jahren auch mit weniger Ärzten auskommen.</p></p>
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