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Atopische Dermatitis

Erstes gezielt wirkendes Medikament kurz vor der Zulassung

<p class="article-intro">Auf das erste gezielt wirkende Medikament gegen atopische Dermatitis (AD) haben Ärzte und Patienten lange gewartet. Jetzt haben Forscher endlich den Schlüsselmechanismus verstanden und hoffen, den neu entdeckten Antikörper Dupilumab auch gezielt gegen andere chronische Krankheiten einsetzen zu können.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Normalerweise ist Skepsis angebracht, wenn Kollegen sagen: &bdquo;Das wird die Therapie der atopischen Dermatitis ma&szlig;geblich ver&auml;ndern.&ldquo; Oft genug stellt sich n&auml;mlich in der klinischen Anwendung heraus, dass das hoch gepriesene, angeblich so tolle Medikament doch nicht besser ist als die herk&ouml;mmlichen. Diesmal ist alles anders, ist der Wiener Allergologe PD Dr. Stefan W&ouml;hrl &uuml;berzeugt: &bdquo;Es ist richtig, bei neuen Pr&auml;paraten skeptisch zu sein. Aber diesmal k&ouml;nnte es wirklich der Durchbruch sein, auf den wir zwanzig Jahre gewartet haben.&ldquo; Der neue Wirkstoff hei&szlig;t Dupilumab und ist ein Biologikum, das gezielt in gest&ouml;rte Stoffwechselwege eingreift. Im M&auml;rz 2017 wurde Dupilumab in den Vereinigten Staaten zugelassen, noch in diesem Jahr soll das auch in Europa geschehen.<br /> In den drei Zulassungsstudien SOLO 1 und 2 sowie CHRONOS<sup>1, 2</sup> wurde insgesamt 2119 Patienten entweder der neue Antik&ouml;rper Dupilumab oder Placebo injiziert. Bei rund 40 % der Patienten unter Dupilumab verschwanden die Hautl&auml;sionen vollst&auml;ndig oder fast vollst&auml;ndig, in der Placebogruppe nur bei rund 10 % . In der mit einem Jahr am l&auml;ngsten dauernden CHRONOS-Studie gingen bei 64 % der Patienten unter Dupilumab und 22 % derjenigen unter Placebo die L&auml;sionen um 75 % oder mehr zur&uuml;ck, gemessen anhand des EASI-Scores. Auch Juckreiz, Lebensqualit&auml;t, Depressionen und &Auml;ngste besserte der Antik&ouml;rper deutlich effektiver als Placebo. &bdquo;Als wir von diesen Ergebnissen Kenntnis bekommen haben, hat das die gesamte Stimmung ver&auml;ndert&ldquo;, so Prof. Dr. Tilo Biedermann, Direktor der Klinik und Poliklinik f&uuml;r Dermatologie und Allergologie der Technischen Universit&auml;t M&uuml;nchen. &bdquo;Es er&ouml;ffnen sich ungeahnte M&ouml;glichkeiten, auch endlich andere Krankheiten behandeln zu k&ouml;nnen.&ldquo; <br /> Milde Formen der atopischen Dermatitis haben die Patienten meist mit Salben, die den Juckreiz stillen und die Entz&uuml;ndung hemmen, ganz gut im Griff. In schweren F&auml;llen verschreibt man Immunsuppressiva, aber diese d&uuml;rfen wegen der Nebenwirkungen nicht dauerhaft eingenommen werden. &bdquo;Die Lebensqualit&auml;t ist dadurch massiv eingeschr&auml;nkt&ldquo;, sagt Prof. Dr. Peter Schmid-Grendelmeier, leitender Allergologe am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich. &bdquo;Diese Patienten k&ouml;nnen wir eigentlich nur begleiten und beraten. Das ist auch f&uuml;r uns &Auml;rzte frustrierend.&ldquo; Manche Patienten m&uuml;ssten sich eine Woche lang in der Klinik messerdick mit Salben eincremen, bis der Ausschlag zur&uuml;ckgehe, erz&auml;hlt W&ouml;hrl. &bdquo;Aber zu Hause kommt er rasch wieder &ndash; die Betroffenen leiden f&uuml;rchterlich.&ldquo;</p> <p>&nbsp;<img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1703_Weblinks_s16.jpg" alt="" width="723" height="1074" /></p> <h2>Ansatz an den Interleukinen</h2> <p>Andere Krankheiten werden schon seit Jahren erfolgreich mit gezielten Medikamenten behandelt, zum Beispiel diverse Krebsarten. &bdquo;Bei malignen Tumoren ist es viel einfacher, gezielte Therapeutika zu entwickeln&ldquo;, erkl&auml;rt Biedermann. In vielen Tumoren ist nur ein Molek&uuml;l in oder auf der Zelle durch Mutation ver&auml;ndert und sendet gest&ouml;rte Signale aus, und dieses Molek&uuml;l kann man gezielt blockieren &ndash; wie mit Trastuzumab beim HER2-positiven Mammakarzinom. &bdquo;Bei atopischer Dermatitis sind aber Dutzende von Stoffen und Signalwegen ver&auml;ndert&ldquo;, sagt Biedermann. &bdquo;Wir wussten jahrelang nicht, ob es &uuml;berhaupt eine Schl&uuml;sselstelle gibt, an der man ansetzen k&ouml;nnte.&ldquo;<br /> Schon l&auml;nger war bekannt, dass atopische Dermatitis zu einem Teil vererbt wird. Genetische Ver&auml;nderungen st&ouml;ren die Immunabwehr in der Haut, und es lassen sich viel mehr TH2-Immunzellen als bei Gesunden nachweisen. Die TH2-Zellen sch&uuml;tten Botenstoffe aus, vor allem Interleukin (IL) 4, 13 und 5, was einen Entz&uuml;ndungsprozess in Gang setzt. Ende der 2000er-Jahre fanden Forscher bei vielen Patienten Mutationen im Filaggrin-Gen. &bdquo;Heute wissen wir, dass atopische Dermatitis sowohl aufgrund von gr&ouml;&szlig;erer Durchl&auml;ssigkeit der Haut als auch aufgrund eines gest&ouml;rten Immunsystems entsteht&ldquo;, betont Prof. Dr. Cezmi Akdis, Direktor des Christine-K&uuml;hne-Zentrums f&uuml;r Allergieforschung in Davos. &bdquo;Auch dadurch ist die Forschung nach gezielten Medikamenten verlangsamt worden: weil wir erst einmal die Grundlagen verstehen mussten.&ldquo; Die TH2-Zellen reagieren anlagebedingt mit einer gest&ouml;rten Immunreaktion &ndash; also mit den falschen Botenstoffen zur falschen Zeit &ndash; auf Substanzen von au&szlig;en, wie Bakterien, Hausstaubmilben, Pollen oder Schadstoffe im Zigarettenrauch. Sie sch&uuml;tten IL-4 und IL-13 aus, was eine Entz&uuml;ndung in Gang setzt, die letztendlich chronisch wird. Bei Leuten mit Filaggrin-Mutation dringen diese Stoffe leichter in die Haut ein. <br /> Hemmstoffe gegen IL-4 sollten die gest&ouml;rten Signalwege unterbrechen. &bdquo;Die Kollegen hatten schon die richtige Richtung eingeschlagen, kamen davon aber wieder ab&ldquo;, so Biedermann. Es stellte sich n&auml;mlich heraus, dass die TH2-Zellen nur am Anfang der AD so aktiv sind, deshalb schien es keinen Sinn zu ergeben, weiter nach IL-4-Blockern zu suchen. Studien zeigten denn auch keinen durchschlagenden Effekt mit Antik&ouml;rpern gegen IL-4 alleine und auch nicht gegen das involvierte IL-5 oder andere Botenstoffe. Heute wei&szlig; man aber, dass die TH2-Zellen ma&szlig;geblich daf&uuml;r verantwortlich sind, dass die Krankheit chronisch verl&auml;uft. &bdquo;Der Ansatz mit IL-4-Blockern war also genau richtig &ndash; er reichte nur nicht aus&ldquo;, sagt Stefan W&ouml;hrl. &bdquo;Das ist so, als wolle man den Verkehr auf einer sechsspurigen Autobahn stoppen, indem man nur eine Spur sperrt.&ldquo; <br /> Dupilumab &bdquo;sperrt&ldquo; zwei &bdquo;Spuren&ldquo;, indem es den Rezeptor f&uuml;r IL-4 und IL-13 blockiert, wodurch die Entz&uuml;ndungskaskade unterdr&uuml;ckt wird und der Ausschlag zur&uuml;ckgeht. Abgesehen davon werden auch andere IL-4- und IL-13-vermittelte Wirkungen unterdr&uuml;ckt: So machen die Interleukine die Haut durchl&auml;ssiger, ohne dass eine Filaggrin-Mutation vorliegen muss, sie bringen die nat&uuml;rliche Keimflora auf der Haut durcheinander und sorgen daf&uuml;r, dass auch nat&uuml;rliche Hautbakterien mit einer Entz&uuml;ndungsreaktion bek&auml;mpft werden. &bdquo;Wir waren sehr erstaunt, was die Interleukine au&szlig;er einer Entz&uuml;ndung noch alles bewirken &ldquo;, so Biedermann.</p> <h2>37 000 Dollar Jahreskosten</h2> <p>Laut Hersteller soll die Behandlung mit Dupilumab 37 000 US Dollar pro Jahr kosten,<sup>3</sup> also deutlich &uuml;ber 30 000 Euro. &bdquo;Selbst wenn der Antik&ouml;rper in Europa preiswerter sein sollte &ndash; das sind enorme Kosten&ldquo;, meint W&ouml;hrl. &bdquo;Wir m&uuml;ssen die schwierige Entscheidung treffen, welcher Patient Dupilumab bekommen darf, denn die Gesundheitssysteme k&ouml;nnen es sich nicht leisten, alle Patienten damit zu behandeln.&ldquo; Die Kosten seien in der Tat sehr hoch, so Schmid-Grendelmeier. Eine schwere atopische Dermatitis koste aber schon heutzutage durch Behandlung, Krankenhausaufenthalte und Arbeitsausf&auml;lle viel Geld. Halte der Antik&ouml;rper, was er verspreche, w&uuml;rden den Kassen am Ende vermutlich nur m&auml;&szlig;ige Zusatzkosten entstehen. &bdquo;Diese sind gerechtfertigt. Die Lebensqualit&auml;t der Patienten bessert sich enorm, und nicht zu vergessen auch die ihrer Angeh&ouml;rigen. Denn denen geht es auch oft schlecht, wenn der Betroffene sich st&auml;ndig kratzen muss und keine Therapie hilft.&ldquo;<br /> Pharmafirmen testen indes noch andere Antik&ouml;rper, etwa gegen IL-31. &bdquo;Ein interessantes Ziel&ldquo;, meint Dr. Claudio Rhyner, Molekularbiologe am Schweizerischen Institut f&uuml;r Allergieforschung in Davos. &bdquo;IL-31 ist vermutlich hauptverantwortlich f&uuml;r den qu&auml;lenden Juckreiz.&ldquo; So linderte der IL-31-Antik&ouml;rper Nemolizumab in einer Studie mit 216 Patienten den Juckreiz mehr als doppelt so gut wie Placebo.<sup>4</sup> &bdquo;Der Wirkstoff scheint aber nur gut gegen Juckreiz zu wirken&ldquo;, gibt Prof. Biedermann zu bedenken. &bdquo;Die anderen durcheinandergeratenen Immunprozesse unterdr&uuml;ckt Nemolizumab nicht.&ldquo; Andere Forscher versuchen, den CRTH2-Rezeptor auf den TH2-Zellen zu blockieren, der die Immunzellen aktiviert, oder das Molek&uuml;l OX40L, das f&uuml;r die Verh&auml;rtungen der Haut bei chronischer atopischer Dermatitis verantwortlich sein soll. Weitere Ans&auml;tze sind, in die Entwicklung der Hautzellen einzugreifen oder Cannabinoidrezeptoren in den Hautzellen zu blockieren, die ebenfalls in Juckreiz und Entz&uuml;ndung involviert sind. Biedermanns Arbeitsgruppe testet eine im wahrsten Sinne &bdquo;biologische&ldquo; Therapie: Die Forscher bringen Staphylokokken oder andere Bakterienst&auml;mme auf die Haut der Patienten, um die gest&ouml;rte Keimflora wieder zu normalisieren. &bdquo;Ob es sich bei all diesen Ans&auml;tzen nur um einen Hype handelt oder um wirksame Therapien, werden wir erst in einigen Jahren wissen&ldquo;, gibt Akdis zu bedenken.</p> <h2>Haut und Psyche</h2> <p>Bei allen pharmakologischen Therapien d&uuml;rfe man nicht die Psyche vergessen, sagt Prof. Dr. Gregor Hasler, Chefarzt der Universit&auml;ren Psychiatrischen Diensten, UPD, in Bern. &bdquo;Psychischer Stress kann die Konzentration entz&uuml;ndlicher Botenstoffe wie IL-4, IL-5 oder IL-13 ver&auml;ndern und die Hautbarriere sowie die Lipidsynthese auf der Haut beeintr&auml;chtigen&ldquo;, erkl&auml;rt er. &bdquo;Das wirkt sich ung&uuml;nstig auf den Verlauf der Dermatitis aus.&ldquo; Anders herum erh&ouml;he die Hautkrankheit das Risiko f&uuml;r psychische Probleme wie Stress, Schlafst&ouml;rungen und &Auml;ngste. &bdquo;Vielen hilft es schon, wenn sie wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen Psyche und atopischer Dermatitis gibt und dass man mit psychologischen Techniken gewisse Beschwerden lindern kann.&ldquo; Eine spezifische Verhaltenstherapie unterst&uuml;tzt zum Beispiel die Patienten, den Teufelskreis aus Jucken und Kratzen zu durchbrechen.<sup>5</sup> Bei Kindern mit AD seien Psychoedukation und psychotherapeutische Unterst&uuml;tzung der Betroffenen und ihrer Eltern besonders wirksam, sagt Hasler. &bdquo;Das kann die Hautkrankheit, den Schlaf und die Lebensqualit&auml;t der Kinder verbessern.&ldquo;<sup>5, 6</sup></p> <h2>Ausblick</h2> <p>&Auml;rzte hoffen, mit Dupilumab auch andere TH2-vermittelte Krankheiten behandeln zu k&ouml;nnen, etwa allergisches Asthma, Nahrungsmittelallergien, eosinophile &Ouml;sophagitis, Colitis ulcerosa oder seltene Krankheiten wie Sklerodermie. Aber auch mit dem besten Antik&ouml;rper w&uuml;rden AD-Patienten um eines nicht herumkommen, so Schmid-Grendelmeier: &bdquo;Die Haut jeden Tag zu reinigen und mit r&uuml;ckfettenden Lotionen, Cremes oder Salben zu versorgen &ndash; so l&auml;stig das ist.&ldquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Zitate: <br> Persönliche Gespräche von Dr. Witte im Zuge des EAACI, DGPPN, per Telefon- und E-Mail-Interviews </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Blauvelt A et al.: Lancet 2017; 389: 2287-303 <strong>2</strong> Simpson EL et al.: NEJM 2016; 375: 2335-348 <strong>3</strong> Sanofi, Regeneron Presseinformation vom 3.4.2017: <a href="http://www.sanofi.de/l/de/de/layout.jsp?cnt=88993319-2523-40CF-9A65-2693477B1CE7">http://www.sanofi.de/l/de/de/layout.jsp?cnt=88993319-2523-40CF-9A65-2693477B1CE7</a> <strong>4</strong> Ruzicka T et al.: N Engl J Med 2017; 376: 826-35 <strong>5</strong> Evers AW et al.: Acta Derm Venereol 2009; 89: 57-63 6 Ersser SJ et al.: Cochrane Database Syst Rev 2014; 7(1):CD004054</p> </div> </p>
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