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Lungenkarzinom und Komorbiditäten

<p class="article-intro">Aufgrund von häufigem Nikotinkonsum leiden zahlreiche Lungenkarzinompatienten an Komorbiditäten, wie z.B. COPD oder kardiovaskulären Erkrankungen. Im Rahmen der TYROL-Studie werden Komorbiditäten von Lungenkrebspatienten seit einigen Jahren in einem klinischen Register erfasst. Die Ergebnisse der Studie und Daten aus anderen klinischen Studien, vor allem solchen bei älteren Patienten, sind im Folgenden dargestellt.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Hintergrund</h2> <p>Rauchen ist der Faktor mit dem gr&ouml;&szlig;ten Risiko f&uuml;r die Entwicklung eines Lungenkarzinoms. &Uuml;ber 90 % aller Lungenkarzinompatienten haben eine positive Raucheranamnese. Insgesamt geht man davon aus, dass bei starken Rauchern das Lebenszeitrisiko f&uuml;r die Entwicklung eines Lungenkarzinoms bei 30 % liegt. Im Vergleich dazu liegt das Risiko bei Nichtrauchern unter 1 % .<sup>1</sup> Neben Lungentumoren gibt es zahlreiche weitere Tumorerkrankungen, wie z.B. Kopf-Hals-Tumoren, Urothelkarzinome, Mammakarzinome, Zervixkarzinome, Nierenzellkarzinome, Pankreaskarzinome, Ovarialkarzinome, Magenkarzinome oder Urothelkarzinome, die bei Rauchern geh&auml;uft auftreten. Ein weiterer Erkrankungscluster, der eine klare Assoziation mit Zigarettenkonsum aufweist, sind kardiovaskul&auml;re Erkrankungen. Es wird gesch&auml;tzt, dass ca. 10 % aller kardiovaskul&auml;r bedingten Todesf&auml;lle weltweit durch Rauchen hervorgerufen werden. In den USA geht man davon aus, dass dieser Anteil bis zu 33 % betr&auml;gt.<sup>2</sup> Andere Erkrankungen, die signifikant h&auml;ufiger bei Rauchern auftreten, sind u.a. COPD, Diabetes, Osteoporose, Magenulzera und Infektionen.<sup>3&ndash;6</sup></p> <h2>TYROL-Studie</h2> <p>An der Medizinischen Universit&auml;t Innsbruck wird bereits seit mehreren Jahren im Rahmen der Studie TYROL (&bdquo;Twenty Years Retrospective of Lung Cancer&ldquo;) ein klinisches Lungenkarzinomregister gef&uuml;hrt. Darin werden neben den Parametern zum Krankheitsverlauf Komorbidit&auml;ten der Lungenkarzinompatienten miterfasst. Insgesamt sind in diesem Register klinische Daten von etwa 3000 Lungenkarzinompatienten enthalten.<br /> Eine detaillierte &Uuml;bersicht &uuml;ber die Pr&auml;valenz der Komorbidit&auml;ten findet sich in Tabelle 1.<sup>7, 8</sup> Der Anteil an Patienten mit COPD betrug bei Patienten mit NSCLC bzw. SCLC 62,0 % bzw. 51,9 % . Kardiovaskul&auml;re Erkrankungen wurden bei 62,1 % bzw. 56,9 % der Patienten dokumentiert. Erw&auml;hnenswert ist, dass circa ein F&uuml;nftel der Patienten entweder bereits eine Tumorerkrankung durchgemacht hatte oder zum Diagnosezeitpunkt an einem Zweitmalignom erkrankt war. Gem&auml;&szlig; der Subgruppenanalyse, in die die prim&auml;r palliativ therapierten NSCLC-Patienten eingeschlossen worden waren, war keine der erhobenen Komorbidit&auml;ten mit einem signifikant k&uuml;rzeren &Uuml;berleben assoziiert. Auch bestand kein signifikanter Unterschied im Gesamt&uuml;berleben (OS) nach Anzahl der Komorbidit&auml;ten (Abb. 1). Im Gegensatz dazu erwies sich der Performance- Status zum Diagnosezeitpunkt als prognostischer Faktor: mit einem medianen OS von 15,8, 9,4 und 4,8 Monaten von Patienten mit ECOG 0&ndash;1, ECOG 2 und ECOG 3. Eine klare Assoziation zwischen Performance-Status und Anzahl der Komorbidit&auml;ten l&auml;sst sich in unserer Kohorte nicht belegen.<br /> Zu vergleichbaren Ergebnissen ist man in prospektiven Studienkollektiven gekommen.<sup>9</sup> Gronberg und Kollegen evaluierten die prognostische Signifikanz von Komorbidit&auml;ten in einem Patientenkollektiv (n=402), das im Rahmen einer Phase-IIIStudie in First Line entweder mit Carboplatin/ Gemcitabin oder Carboplatin/Pemetrexed behandelt worden war. Schwere Komorbidit&auml;ten waren in dieser Studie nicht mit einem k&uuml;rzeren &Uuml;berleben assoziiert. Allerdings traten in der Gruppe der Patienten mit schweren Komorbidit&auml;ten signifikant mehr Toxizit&auml;ten wie Thrombopenien oder febrile Neutropenien auf.<br /> In Anbetracht des Risikofaktors &bdquo;Nikotinkonsum&ldquo; f&uuml;r die Entstehung von Lungenkarzinomen als auch einer gro&szlig;en Anzahl weiterer Erkrankungen ist es wenig &uuml;berraschend, dass Lungenkarzinompatienten zahlreiche Komorbidit&auml;ten aufweisen. Erstaunlich aber ist, dass Komorbidit&auml;ten im palliativen Setting keinen Einfluss auf das &Uuml;berleben der Patienten zu haben scheinen. Der wahrscheinlichste Grund hierf&uuml;r ist, dass das Lungenkarzinom an sich der lebenslimitierende Faktor bei diesen Patienten ist.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Pneumo_1704_Weblinks_pneumo_1704_s26_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="817" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Pneumo_1704_Weblinks_pneumo_1704_s27_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="832" /></p> <h2>NSCLC bei Patienten in fortgeschrittenem Alter und/oder mit Performance-Status 2 (ohne Treibermutation)</h2> <p>&Auml;ltere NSCLC-Patienten bzw. Patienten mit schlechtem Performance-Status (PS) stellen die behandelnden &Auml;rzte h&auml;ufig vor besondere Herausforderungen. Gerade in diesen Patientenkollektiven wird oftmals, gemeinsam mit den Patienten, ein schmaler Grat zwischen &Uuml;ber- und Unterbehandlung beschritten. Es h&auml;lt sich die Bef&uuml;rchtung, dass man diese Patienten einer erh&ouml;hten Toxizit&auml;t, einer erh&ouml;hten Gefahr, im Zusammenhang mit der Behandlung zu sterben, und einer Reduktion der Lebensqualit&auml;t aussetzt, ohne einen signifikanten &Uuml;berlebensbenefit zu erzielen.<br /> Es gilt zu bedenken, dass die gro&szlig;en Zulassungsstudien der letzten Jahre Patienten &ge;70 Jahre und solche mit einem PS von 2 nur in sehr geringer Anzahl eingeschlossen haben (Tab. 2). Aus der TYROL- Studie wissen wir aber, dass 30,7 % der NSCLC-Patienten zum Diagnosezeitpunkt &auml;lter als 70 Jahre sind und 29,9 % der Patienten einen ECOG PS &ge;2 aufweisen. Somit ist davon auszugehen, dass die Studienkollektive der gro&szlig;en Zulassungsstudien sicherlich nicht die Patienten aus der klinischen Praxis repr&auml;sentieren.<br /> Nichtsdestotrotz liegen randomisierte Studien vor, die einen Vorteil von Chemotherapie bei &auml;lteren Patienten belegen. Bereits 1999 konnte der italienische ELVIS- Trial<sup>10</sup> die &Uuml;berlegenheit von Vinorelbin mono im Vergleich zu Best Supportive Care (BSC) bei &uuml;ber 70-j&auml;hrigen Patienten belegen. Zudem konnte eine japanische Studie in einem Kollektiv mit &auml;lteren Patienten sowohl verbesserte Ansprechraten als auch ein l&auml;ngeres progressionsfreies &Uuml;berleben (PFS) im Docetaxel- Arm im Vergleich zu Vinorelbin detektieren.<sup>11</sup><br /> Eine der wichtigsten Studien stellt die franz&ouml;sische IFCT-0501-Studie dar.<sup>12</sup> F&uuml;r diese Studie wurden &uuml;ber 70-j&auml;hrige Patienten entweder in einen Kombinationsarm mit Carboplatin/Paclitaxel oder Gemcitabin mono bzw. Vinorelbin randomisiert. Der Anteil an Patienten mit einem PS 2 im Gesamtkollektiv betrug 30 % . In dieser Studie zeigte sich ein klarer &Uuml;berlebensvorteil im Kombinationschemotherapiearm im Vergleich zu den Monotherapiearmen (medianes OS: 10,3 vs. 6,2 Monate). Allerdings wurde im Kombinationsarm eine erh&ouml;hte Rate an Neutropenien detektiert.<br /> Es l&auml;sst sich festhalten, dass auch &auml;ltere Patienten bzw. Patienten mit PS 2 von einer Chemotherapie profitieren k&ouml;nnen. Die aktuellen ESMO-Guidelines empfehlen bei Patienten &ge;70 Jahre und/oder mit PS 2 bzw. unter 70 Jahren und mit PS 2 eine Carboplatin-basierte Kombinationstherapie (Evidenz-Level IIB) oder den Einsatz einer Monochemotherapie mit Gemcitabin, Vinorelbin oder Docetaxel (Evidenz- Level IA).<sup>13</sup><br /> Jedoch stellt sich die Frage, ob eine Therapieentscheidung, die abh&auml;ngig von Alter und Performance-Status getroffen wird, eine ausreichend genaue Zuteilung zu den jeweiligen Therapieregimen zul&auml;sst.<br /> Dieser Frage hat sich eine interessante Studie mit dem Kurztitel &bdquo;Elderly Selection on Geriatric Index Assessment&ldquo;, die ESOGIA-Studie, angenommen.<sup>14</sup> In diese Phase-III-Studie wurden insgesamt 494 NSCLC-Patienten &ndash; ohne Treibermutation, &ge;70 Jahre und mit einem PS zwischen 0 und 2 &ndash; eingeschlossen. Die Patienten wurden entweder in einen Standardarm, in dem die Therapie je nach Alter oder PS ausgew&auml;hlt wurde, oder in einen Studienarm, in dem die Therapie anhand eines &bdquo;comprehensive geriatric assessment&ldquo; festgelegt wurde, randomisiert. Im Standardarm erhielten Patienten &ge;75 Jahre und mit PS 0&ndash;1 eine Carboplatin- basierte Kombinationstherapie und Patienten &gt;75 Jahre und/oder mit PS 2 eine Monotherapie mit Docetaxel. Im Studienarm wurden die Patienten anhand mehrerer klinischer Scores und Frageb&ouml;gen in die Gruppen &bdquo;fit&ldquo; (Carboplatin &bdquo;doublet&ldquo;), &bdquo;vulnerable&ldquo; (Docetaxel mono) oder &bdquo;frail&ldquo; (Best Supportive Care) eingeteilt. Aufgrund der Zuteilung zur Behandlung erhielt ein signifikant h&ouml;herer Anteil an Patienten im Studienarm eine Carboplatin-basierte Kombinationstherapie (45,7 vs. 35,1 % ). Insgesamt erhielten 23,0 % der Patienten im CGA-Arm keine Chemotherapie und wurden im Sinne einer BSC weiterbetreut. Interessanterweise zeigte sich weder im &bdquo;treatment failure-free survival&ldquo; (TFFS) noch im OS ein signifikanter Unterschied zwischen beiden Armen. Allerdings traten im CGA-Arm weniger Toxizit&auml;ten auf und es gab weniger Therapieabbr&uuml;che. Die Autoren dieser Studie sind zum Schluss gekommen, dass aktuell eine Therapiezuteilung auf Basis eines geriatrischen Assessments beim Lungenkarzinom nicht empfohlen werden kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Pneumo_1704_Weblinks_pneumo_1704_s27_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="738" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Lungenkarzinompatienten weisen aufgrund von h&auml;ufigem Nikotinkonsum eine hohe Pr&auml;valenz von Komorbidit&auml;ten auf. Es scheint, als h&auml;tten im palliativen Setting viele Komorbidit&auml;ten keine prognostische Relevanz, da bei diesen Patienten die Krebserkrankung der lebenslimitierende Faktor ist. Es liegen randomisierte Daten vor, die auch bei &auml;lteren Patienten und Patienten mit PS 2 den Vorteil einer Chemotherapie belegen. Allerdings sind diese Patienten in den gro&szlig;en Zulassungsstudien entgegen der Demografie des Lungenkarzinoms unterrepr&auml;sentiert. Die ESOGIA-Studie hat uns gezeigt, dass eine Therapiezuteilung beim &auml;lteren Patienten anhand eines geriatrischen Assessments keinen &Uuml;berlebensvorteil bringt.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Samet JM et al.: Cigarette smoking and lung cancer in New Mexico. Am Rev Respir Dis 1988; 137: 1110-3 <strong>2</strong> Ezzati M et al.: Role of smoking in global and regional cardiovascular mortality. Circulation 2005; 112: 489-97 <strong>3</strong> Kanis JA et al.: Smoking and fracture risk: a meta-analysis. Osteoporos Int 2005; 16: 155-62 <strong>4</strong> Parasher G, Eastwood GL: Smoking and peptic ulcer in the Helicobacter pylori era. Eur J Gastroenterol Hepatol 2000; 12: 843-53 <strong>5</strong> Arcavi L, Benowitz NL: Cigarette smoking and infection. Arch Intern Med 2004; 164: 2206-16 <strong>6</strong> Willi C et al.: Active smoking and the risk of type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2007; 298: 2654-64 <strong>7</strong> Kocher F et al.: Longitudinal analysis of 2293 NSCLC patients: a comprehensive study from the TYROL registry. Lung Cancer 2015; 87: 193-200 <strong>8</strong> Fiegl M et al.: Small steps of improvement in small-cell lung cancer (SCLC) within two decades: a comprehensive analysis of 484 patients. Lung Cancer 2014; 84: 168-74 <strong>9</strong> Gronberg BH et al.: Influence of comorbidity on survival, toxicity and health-related quality of life in patients with advanced non-small-cell lung cancer receiving platinum-doublet chemotherapy. Eur J Cancer 2010; 46: 2225-34 <strong>10</strong> Rossi A et al.: Single agent vinorelbine as first-line chemotherapy in elderly patients with advanced breast cancer. Anticancer Res 2003; 23: 1657- 64 <strong>11</strong> Kudoh S et al.: Phase I II s tudy of docetaxel compared with vinorelbine in elderly patients with advanced non-small-cell lung cancer: results of the West Japan Thoracic Oncology Group Trial (WJTOG 9904). J Clin Oncol 2006; 24: 3657-63 <strong>12</strong> Quoix E et al.: Carboplatin and weekly paclitaxel doublet chemotherapy compared with monotherapy in elderly patients with advanced nonsmall- cell lung cancer: IFCT-0501 randomised, phase 3 trial. Lancet 2011; 378: 1079-88 <strong>13</strong> Novello S et al.: Metastatic non-small-cell lung cancer: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2016; 27: v1-v27 <strong>14</strong> Corre R et al.: Use of a comprehensive geriatric assessment for the management of elderly patients with advanced non-small-cell lung cancer: the phase III randomized ESOGIA-GFPC-GECP 08-02 study. J Clin Oncol 2016; 34: 1476-83 <strong>15</strong> Brahmer J et al.: Nivolumab versus docetaxel in advanced squamous-cell non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2015; 373: 123- 35 <strong>16</strong> Borghaei H et al.: Nivolumab versus docetaxel in advanced nonsquamous non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2015; 373: 1627-39 <strong>17</strong> Herbst RS et al.: Pembrolizumab versus docetaxel for previously treated, PD-L1-positive, advanced non-small-cell lung cancer (KEYNOTE-010): a randomised controlled trial. Lancet 2016; 387: 1540-50 <strong>18</strong> Reck M et al.: Pembrolizumab versus chemotherapy for PD-L1-positive non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2016; 375: 1823-33 <strong>19</strong> Scagliotti GV et al.: Phase III study comparing cisplatin plus gemcitabine with cisplatin plus pemetrexed in chemotherapy-naive patients with advanced-stage non-small-cell lung cancer. J Clin Oncol 2008; 26: 3543-51 <strong>20</strong> Sequist LV et al.: Phase III study of afatinib or cisplatin plus pemetrexed in patients with metastatic lung adenocarcinoma with EGFR mutations. J Clin Oncol 2013; 31: 3327-34 <strong>21</strong> Thatcher N et al.: Necitumumab plus gemcitabine and cisplatin versus gemcitabine and cisplatin alone as first-line therapy in patients with stage IV squamous non-small-cell lung cancer (SQUIRE): an open-label, randomised, controlled phase 3 trial. Lancet Oncol 2015; 16: 763-74</p> </div> </p>
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