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Adulte ADHS und Suchterkrankungen

<p class="article-intro">Es besteht nach wie vor ein Mangel an Anerkennung und Verständnis hinsichtlich der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), besonders im Erwachsenenalter, weshalb oftmals keine korrekte Diagnosestellung und Behandlung erfolgen. Die Prävalenz der ADHS beträgt bis zu 25 % bei Personen mit substanzgebundenen sowie -ungebundenen Süchten (z.B. Glücksspielsucht). Compliance sowie Erfolg bei der Behandlung von Suchterkrankungen sind wesentlich abhängig von einer frühzeitigen, umfassenden Diagnostik und einer adäquaten Behandlung vorliegender Komorbiditäten wie der ADHS.</p> <p class="article-content"><div id="s53KP.html" xml:lang="de-DE"> <div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das gleichzeitige Auftreten von Suchterkrankungen und (unbehandelter) ADHS verschlechtert die Prognose der Betroffenen.</li> <li>Compliance sowie Erfolg bei der Behandlung von Suchterkrankungen sind wesentlich abh&auml;ngig von einer fr&uuml;hzeitigen, umfassenden Diagnostik und einer ad&auml;quaten Behandlung der ADHS.</li> <li>Optimale Behandlungsprogramme k&ouml;nnen nur dann durchgef&uuml;hrt werden, wenn alle Komorbidit&auml;ten ad&auml;quat diagnostiziert werden.</li> <li>Eine ad&auml;quate Behandlung der ADHS und anderer Komorbidit&auml;ten ist zudem eine unumg&auml;ngliche (Grund-)Bedingung, um die Lebensqualit&auml;t der Patienten zu verbessern und letztlich die hohen sozialen Kosten, mit denen ADHS und Abh&auml;ngigkeitserkrankungen verbunden sind, zu reduzieren.</li> </ul> </div> </div> <h2>Adulte ADHS</h2> <p>Beschreibungen der adulten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivit&auml;tsst&ouml;rung (ADHS) finden sich in der psychiatrischen Literatur seit 1976. Aktuell wird angenommen, dass die ADHS mit einer Pr&auml;valenz von 3&ndash;7 % bei Kindern und 2&ndash;5 % bei Erwachsenen eine der h&auml;ufigsten psychiatrischen St&ouml;rungen des Kindesalters ist, die bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben (Kooij et al. 2010). Die ADHS beschr&auml;nkt sich dabei nicht auf bestimmte soziale Schichten oder Begabungsniveaus. Es besteht nach wie vor ein Mangel an Anerkennung und Verst&auml;ndnis betreffend ADHS, besonders im Erwachsenenalter, weshalb oftmals keine korrekte Diagnosestellung und Behandlung erfolgen, obwohl effektive Behandlungsoptionen verf&uuml;gbar sind (Adler 2008).<br />Kernsymptome der ADHS sind in allen Lebensphasen Impulsivit&auml;t, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivit&auml;t. Bei Erwachsenen besonders deutlich sind ein geringes Selbstbewusstsein, emotionale Labilit&auml;t, Desorganisation im Lebensalltag, ein hohes Aktivit&auml;tsniveau bei gleichzeitig auftretenden Motivationsproblemen, Stress&uuml;berempfindlichkeit, Schwierigkeiten bei der Temperamentskontrolle sowie eine Tendenz zum &bdquo;sensation seeking&ldquo;. In der aktuellen Fassung des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) wurden die 18 im DSM-IV beschriebenen Kernsymptome teilweise um Kriterien f&uuml;r die Lebensbereiche Erwachsener erg&auml;nzt. Zudem wurde die Altersgrenze f&uuml;r das erste Auftreten von Symptomen von vormals 7 Jahren auf 12 Jahre erh&ouml;ht sowie die Zahl der f&uuml;r die Diagnose erforderlichen Symptome f&uuml;r Patienten ab 17 Jahren von 6 auf 5 Symptome reduziert. Diese &Auml;nderungen erlauben die Ber&uuml;cksichtigung von ADHS-Symptomen, die erst mit Beginn der Adoleszenz eindeutig identifiziert werden k&ouml;nnen.<br />Die adulte ADHS ist assoziiert mit Arbeitslosigkeit, niedrigerer Produktivit&auml;t bei Berufst&auml;tigkeit, Irritabilit&auml;t und niedriger Frustrationstoleranz, einem h&ouml;heren Risiko f&uuml;r Unf&auml;lle, h&ouml;heren Substanzkonsum- und -abh&auml;ngigkeitsraten und einem vermehrten Risiko f&uuml;r andere psychiatrische Komorbidit&auml;ten &ndash; insbesondere wenn sie unbehandelt bleibt (Kooij et al. 2010). Es wird gesch&auml;tzt, dass zwei Drittel aller Kinder und bis zu 90 % der adulten klinischen Population mit ADHS eine oder mehrere komorbide St&ouml;rungen aufweisen (Yoshimasu et al. 2017). Die h&auml;ufigsten Komorbidit&auml;ten bei Erwachsenen sind in Abbildung 1 dargestellt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1704_Weblinks_s53.jpg" alt="" width="1417" height="1009" /></p> <h2>ADHS und substanzbezogene St&ouml;rungen</h2> <p>ADHS ist mit einem fr&uuml;her beginnenden Substanzkonsum, einer schwereren Abh&auml;ngigkeit, mehr psychiatrischen Diagnosen, einer h&ouml;heren Wahrscheinlichkeit f&uuml;r einen Suizidversuch und mehr Hospitalisierungen assoziiert (Arias et al. 2008; P&eacute;rez de los Cobos et al. 2011). Dar&uuml;ber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass substanzabh&auml;ngige Personen mit einer komorbiden ADHS eine h&ouml;here R&uuml;ckfallrate nach einer erfolgreichen Entw&ouml;hnung haben (Carroll, Rounsaville 1993). Als Ursachen f&uuml;r den vermehrten Substanzkonsum bei Personen mit einer ADHS werden die erh&ouml;hte Impulsivit&auml;t, der Anschluss an problematische Peergroups, soziale Probleme infolge von Schulabbr&uuml;chen, Arbeitsplatzverlust und famili&auml;ren Problemen sowie der Versuch einer Selbstbehandlung diskutiert. <br />Die gesch&auml;tzten Pr&auml;valenzraten der ADHS in Stichproben von Patienten mit einer Substanzkonsumst&ouml;rung schwanken zwischen 2 % (Hannesd&oacute;ttir et al. 2001) und 83 % (Matsumoto et al. 2005). Eine Metaanalyse basierend auf den Ergebnissen aller Studien, die bis 2010 publiziert wurden und bestimmte Qualit&auml;tskriterien erf&uuml;llten, kam zu dem Ergebnis, dass rund 23 % aller Personen mit einer Substanzkonsumst&ouml;rung eine komorbide ADHS aufweisen (van Emmerik-van Oortmerssen et al. 2012). Es zeigte sich dabei kein Effekt des Geschlechts auf die ADHS-Pr&auml;valenz, obwohl auf Basis von Ergebnissen aus der Allgemeinbev&ouml;lkerung zu erwarten w&auml;re, dass M&auml;nner etwa doppelt so h&auml;ufig wie Frauen von einer adulten ADHS betroffen sind (Fayyad et al. 2007). Dieses Ergebnis wurde dahingehend interpretiert, dass der ADHS und Substanzkon&shy;sumst&ouml;rungen &auml;hnliche Risikofaktoren (wie genetische Vulnerabilit&auml;t) zugrunde liegen, und zwar gleicherma&szlig;en bei Frauen und M&auml;nnern.</p> <h2>ADHS und Gl&uuml;cksspielst&ouml;rung</h2> <p>Gleichzeitigem Auftreten von ADHS und nicht substanzbezogenen Suchterkrankungen wird aktuell vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei ist die Gl&uuml;cksspielst&ouml;rung die am h&auml;ufigsten untersuchte Erkrankung. Zudem ist sie die einzige nicht substanzbezogene Suchterkrankung, die als Diagnose in DSM (seit 1980; Code: 312.31) und ICD (seit 1991; Code: F63.0) erfasst ist. In der rezenten Fassung des DSM wurde die Gl&uuml;cksspielst&ouml;rung (vormals bezeichnet als pathologisches Gl&uuml;cksspiel) vom Abschnitt &bdquo;Impulskontrollst&ouml;rungen&ldquo; in das Kapitel &bdquo;Sucht und zugeh&ouml;rige St&ouml;rungen&ldquo; verschoben. Dies basiert auf der Beobachtung, dass die Gl&uuml;cksspielst&ouml;rung den substanzbezogenen St&ouml;rungen in Bezug auf die klinische Pr&auml;sentation, Ver&auml;nderungen im Gehirn, Komorbidit&auml;t, Physiologie und (erfolgreiche) Behandlungsmethoden &auml;hnelt.<br />Die vormalige Einordnung als Impulskontrollst&ouml;rung in DSM-IV sowie aktuell noch in ICD-10 suggeriert, dass die ADHS und die Gl&uuml;cksspielst&ouml;rung in Bezug auf verschiedene Aspekte des essenziellen Charakteristikums &bdquo;Impulsivit&auml;t&ldquo; &uuml;berlappen. Dies indiziert eine &auml;hnliche &Auml;tiologie sowie eine geh&auml;ufte Komorbidit&auml;t. Darauf weisen auch die vorliegenden Studien hin, die den Zusammenhang der beiden St&ouml;rungen untersucht haben und eine ADHS-Pr&auml;valenz von rund 25 % bei Personen mit einer Gl&uuml;cksspielst&ouml;rung aufzeigen (Grall-Bronnec et al. 2011). Die Datenlage bez&uuml;glich der Komorbidit&auml;t der Gl&uuml;cksspielst&ouml;rung und der ADHS (speziell adulter ADHS) ist allerdings nach wie vor mangelhaft.<br />Mit dem Ziel, die Ergebnisse bisheriger Studien zu replizieren, untersuchten Brandt et al. (2017) 80 Patienten (20 % Frauen) mit einem problematischen Gl&uuml;cksspielverhalten, die sich zum Zeitpunkt der Studie in Behandlung befanden, anhand eines standardisierten und strukturierten Interviews. Im Einklang mit vorhergehenden Studien hatten anamnestisch 43 % der Teilnehmenden eine ADHS im Kindesalter und bei 11 % blieb diese bis ins Erwachsenenalter bestehen. Dabei zeigten Personen mit einer adulten ADHS schwerwiegendere Gl&uuml;cksspielprobleme als Patienten ohne eine ADHS-Vorgeschichte. Zudem waren sie schwerer psychiatrisch belastet (durchschnittliche Anzahl psychiatrischer Komorbidit&auml;ten: 3,8), verglichen mit Patienten mit einer ADHS-Vorgeschichte in der Kindheit (ohne adulte ADHS) und Patienten ohne ADHS-Vorgeschichte.<br />Die psychiatrische Belastung in der Stichprobe war insgesamt hoch. &Uuml;ber 70 % der untersuchten Personen hatten mindestens eine komorbide St&ouml;rung und 35 % wiesen sogar drei oder mehr Komorbidit&auml;ten auf. Substanzabh&auml;ngigkeit war ein signifikanter Pr&auml;diktor f&uuml;r das Vorliegen einer ADHS-Vorgeschichte: Bei Patienten mit einer Substanzabh&auml;ngigkeit war die Wahrscheinlichkeit, an einer komorbiden ADHS zu leiden, viermal so hoch. Von allen Personen, die eine ADHS-Krankheitsgeschichte hatten (n=34), hatten nur knapp 9 % jemals eine Medikation erhalten und keiner der Patienten erhielt zum Zeitpunkt der Untersuchung eine pharmakologische ADHS-Behandlung.</p> <h2>Fr&uuml;hes Erkennen und ad&auml;quate Behandlung der adulten ADHS</h2> <p>Das gleichzeitige Vorliegen einer adulten ADHS und einer Suchterkrankung ist mit Faktoren assoziiert, die sich negativ auf die Prognose der Betroffenen auswirken. Die vorliegenden Studienergebnisse weisen auf den hohen Stellenwert der Mitber&uuml;cksichtigung einer ADHS-Vorgeschichte sowie der adulten ADHS bei der Behandlung von Patienten mit einer Suchterkrankung hin. F&uuml;r ein fr&uuml;hzeitiges Erkennen der ADHS empfiehlt sich als erster Schritt der Einsatz von Screening-Instrumenten, wie der Selbstbeurteilungsskala der Erwachsenen-ADHS (ASRS v1.1; frei zum Download verf&uuml;gbar unter <a href="http://www.zentrales-adhs-netz.de/fileadmin/ADHS/Fuer_Therapeuten/Materialien/Diagnostik_Erw/Screening-Test_mit_Selbstbeurteilungsskala.pdf">http://www.zentrales-adhs-netz.de/fileadmin/ADHS/Fuer_Therapeuten/Materialien/Diagnostik_Erw/Screening-Test_mit_Selbstbeurteilungsskala.pdf</a>). Diese sind &auml;u&szlig;erst &ouml;konomisch und liefern wichtige Hinweise, um bei Bedarf einen umfassenden Diagnoseprozess einleiten zu k&ouml;nnen.<br />F&uuml;r die pharmakologische Behandlung der ADHS werden Stimulanzien als First-Line-Therapie empfohlen; ca. 70 % der Betroffenen sprechen positiv darauf an (National Institute of Health and Care Excellence, NICE, 2008; Wilens et al. 2008; Heal et al. 2009). Die am h&auml;ufigsten verschriebenen Pharmazeutika umfassen die Stimulanzien Methylphenidat-Hydrochlorid, Dexamphetaminsulfat und eine Amphetamin/Dexamphetamin-Kombination (Kaye, Darke 2012). Es wird teilweise argumentiert, dass die Behandlung mit Stimulanzien nicht empfehlenswert ist, wenn Substanzmissbrauch bzw. eine Abh&auml;ngigkeit vorliegt, und zwar wegen des Risikos des Missbrauchs oder der Weitergabe der Medikation (Marsh et al. 2000; Williams et al. 2004). Es liegen allerdings keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege hierf&uuml;r vor (Kaye, Darke 2012). Vielmehr zeigen sich in der Praxis bei ad&auml;quater, indizierter pharmakologischer ADHS-Behandlung eine erh&ouml;hte Behandlungscompliance sowie eine Stabilisierung der Substanzkonsumst&ouml;rung. Fraglos ist ein Monitoring der Patienten bez&uuml;glich des Missbrauchs der Medikamente von zentraler klinischer Bedeutung; allerdings darf dies nicht dazu f&uuml;hren, dass betroffenen Personen die Medikation vorenthalten wird. Ein fr&uuml;her Beginn der (medikament&ouml;sen) ADHS-Behandlung ist zudem gesundheits&ouml;konomisch und -politisch h&ouml;chst relevant, aufgrund der sozialen Beeintr&auml;chtigungen durch die Erkrankung, des hohen Risikos, andere psychische Erkrankungen zu entwickeln, sowie der hohen gesellschaftlichen Kosten (Bundesministerium f&uuml;r Gesundheit 2013).<br />Eine standardisierte Diagnostik durch Experten wie klinische Psychologen oder Psychiater und eine ad&auml;quate Behandlung der ADHS sowie anderer psychiatrischer Komorbidit&auml;ten sind Grundvoraussetzungen, um eine Stabilisation der Suchterkrankung zu erreichen, die Lebensqualit&auml;t der betroffenen Personen zu erh&ouml;hen und letztendlich auch die hohen Kosten, die durch Suchterkrankungen und ADHS f&uuml;r die Gesellschaft entstehen, zu senken.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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