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69th AAN Annual Meeting

Die Auswirkungen medikamentöser MS-Therapien auf Schwangerschaft und Geburt

<p class="article-intro">Beim 69. Kongress der American Academy of Neurology (AAN) in Boston wurden rezente Ergebnisse zum Thema „MS-Therapien vor und während der Schwangerschaft“ präsentiert. Berichtet wurde unter anderem über die Effekte der verschiedenen Therapien auf Säuglinge und die Auswirkungen einer Therapiepause auf die Rückfallraten.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Schwangerschaft nach Behandlung mit Interferonen oder Glatirameracetat</h2> <p>Ein israelisches Team f&uuml;hrte mithilfe der Methode der AAN zur Bestimmung der Kausalit&auml;t eine systematische Analyse von Schwangerschaften bei Frauen mit Multipler Sklerose (MS) durch. Verglichen wurden Frauen, die w&auml;hrend der Schwangerschaft einer Behandlung mit Interferonen oder Glatirameracetat (GA) ausgesetzt waren, mit schwangeren MS-Patientinnen, die sich keiner medikament&ouml;sen Behandlung unterzogen hatten. Ausgangspunkt f&uuml;r die Analyse war eine Literatursuche in den Datenbanken PubMed, Cochrane und Embase. Die Kriterien f&uuml;r den Einschluss einer Studie in die anschlie&szlig;ende Analyse waren: mindestens 100 Probandinnen und Vorliegen von Ergebnissen einer Vergleichsgruppe mit unbehandelten Schwangeren mit MS. Sie wurden von acht Studien erf&uuml;llt.<br />In der Kohorte mit GA-Exposition fand man keinen Unterschied in Geburtsgewicht und Geburtsgr&ouml;&szlig;e zwischen den Gruppen. In der Kohorte mit Interferon-Exposition hingegen unterschieden sich diese Datenpunkte f&uuml;r die exponierte Gruppe in vier von f&uuml;nf anwendbaren Studien signifikant von der Kontrollgruppe &ndash; die Konfidenzintervalle waren allerdings im Allgemeinen gro&szlig;. F&uuml;r die jeweils sechs Studien, die &uuml;ber Geburtsanomalien berichteten, war die Exposition mit GA oder Interferon in allen au&szlig;er einer Studie mit einer Risikominderung von 10 bis 75 % verbunden. Die Konfidenz&shy;intervalle waren hier ebenfalls gro&szlig;. Die Autoren empfehlen daher, weitere Studien mit einer gr&ouml;&szlig;eren Anzahl an Teilnehmerinnen durchzuf&uuml;hren, um die Aussagekraft der Ergebnisse zu verbessern (P1.360).</p> <h2>Auswirkung von Natalizumab-Exposition w&auml;hrend der Schwangerschaft</h2> <p>Die Verschreibungsinformation zu Natalizumab indiziert dessen Verwendung w&auml;hrend der Schwangerschaft nur, wenn der potenzielle Nutzen das m&ouml;gliche Risiko f&uuml;r den F&ouml;tus rechtfertigt. Bisherige Analysen von Daten zu Schwangerschaftsverlauf und Geburt aus dem Tysabri&reg; Pregnancy Exposure Registry basierten daher auf einer sehr kleinen Anzahl an Patientinnen, die Natalizumab &uuml;ber das erste Trimester hinaus erhalten hatten. Eine beim AAN-Kongress vorgestellte Studie untersuchte nun Daten aus Schwangerschaften von Frauen mit RMS oder Morbus Crohn, die durchg&auml;ngig mit Natalizumab behandelt worden waren.<br />Im Zeitraum vom 24. November 2004 bis 7. August 2016 wurden aus der Natalizumab Global Safety Database 24 prospektiv gemeldete Schwangerschaften (21 Patientinnen mit RMS, 3 Patientinnen mit Morbus Crohn) gefiltert, bei denen die Frauen die Natalizumab-Therapie ohne Unterbrechung weiterf&uuml;hrten. Alle diese Schwangerschaften resultierten in Lebendgeburten und es wurden keine Geburtsdefekte aufgezeichnet. Das mittlere Gestationsalter lag bei 38,4 Wochen (31&ndash;40,5 Wochen; Daten von 14 Schwangerschaften), das mittlere Geburtsgewicht bei 3040g (1787&ndash;4400g; Daten von 11 Schwangerschaften). Es wurden zwei F&auml;lle von niedrigem Geburtsgewicht gemeldet (eine Fr&uuml;hgeburt und eine Zwillingsgeburt); h&auml;matologische Anomalien wurden bei f&uuml;nf S&auml;uglingen beobachtet (leichte Panzytopenie, isolierte Thrombozytopenie, Neutropenie und An&auml;mie), aber in allen F&auml;llen gel&ouml;st (P1.362).</p> <h2>R&uuml;ckfallraten w&auml;hrend der Schwangerschaft und post partum</h2> <h2>Retrospektive Analyse der US Claims Database</h2> <p>US-Daten &uuml;ber MS-R&uuml;ckfallraten vor, w&auml;hrend und nach der Schwangerschaft sind begrenzt. Ziel dieser retrospektiven Studie war die Bewertung der Rezidivraten vor, w&auml;hrend und nach der Schwangerschaft bei Frauen mit MS. Hierzu wurden Daten aus der US-Datenbank IMS Health Real World Data Adjudicated Claims herangezogen.<br />Einschlusskriterien waren eine Lebendgeburt und eine mindestens einj&auml;hrige kontinuierliche Registrierung vor/nach der Schwangerschaft in IMS Health Real World Data Adjudicated Claims. Als R&uuml;ckf&auml;lle wurden MS-bezogene Krankenhausaufenthalte, MS-bezogene Besuche in der Notfallambulanz oder MS-bezogener ambulanter Besuch mit Kortikosteroidrezept gewertet. Die Zeitr&auml;ume f&uuml;r einen R&uuml;ckfall wurden wie folgt unterteilt: in das Jahr vor der Schwangerschaft (in 3-Monats-Intervallen), in die drei Trimester der Schwangerschaft, in das Puerperium (6 Wochen nach der Schwangerschaft) und in das 1. Jahr nach der Schwangerschaft (6&ndash;12 Wochen sowie 3&ndash;6, 6&ndash;9 und 9&ndash;12 Monate post Schwangerschaft). Die R&uuml;ckfallraten wurden dann in monatliche Raten umgerechnet, um Vergleiche im Verlauf der Zeit zu erm&ouml;glichen.<br />Von 190 475 Frauen mit MS erf&uuml;llten 2158 die Einschlusskriterien. Das mittlere Alter betrug 30,26 (SD 4,68) Jahre. Vor der Schwangerschaft lag die monatliche Rate eines MS-R&uuml;ckfalls zwischen 1,36 und 1,67 % . W&auml;hrend der Schwangerschaft sank die monatliche R&uuml;ckfallrate auf 0,87&ndash;1,00 % und erh&ouml;hte sich w&auml;hrend des Wochenbettes auf 2,56 % . Danach sank die R&uuml;ckfallrate wieder auf 1,95 % 6&ndash;12 Wochen post partum und auf 2,04 % 3&ndash;6 Monate post partum, bevor sie im Zeitraum 6&ndash;9 Monate (1,73 % ) und 9&ndash;12 Monate post partum (1,76 % ) noch weiter abfiel. Dieses Muster der R&uuml;ckfallraten war &auml;hnlich, wenn die Patientinnen basierend auf der H&auml;ufigkeit der R&uuml;ckf&auml;lle vor der Schwangerschaft stratifiziert wurden (P1.361).</p> <h2>Analyse des nationalen Kuwait MS-Registers</h2> <p>Obwohl die Rezidivraten bei MS w&auml;hrend der Schwangerschaft im Allgemeinen sinken, ist das Thema der Reaktivierung der Krankheit nach Absetzen der krankheitsmodifizierenden Therapie (DMT) vor oder zum Zeitpunkt der Schwangerschaftsbest&auml;tigung f&uuml;r Arzt und Patientinnen von gro&szlig;er Bedeutung. Um das Risiko eines MS-R&uuml;ckfalls w&auml;hrend der Schwangerschaft und post partum zu beurteilen, wurde eine retrospektive Querschnittsstudie durchgef&uuml;hrt. Mithilfe des nationalen Kuwait MS-Registers wurden zwischen 1. Oktober 2011 und 30. September 2016 schwangere Frauen identifiziert und Daten zu Demografie, klinischen Merkmalen einschlie&szlig;lich R&uuml;ckf&auml;llen, vorheriger Anwendung von DMT und Daten zu Schwangerschaftsverlauf und Geburt erhoben. Prim&auml;res Ziel war die Ermittlung der R&uuml;ckfallrate w&auml;hrend der Schwangerschaft und post partum, dar&uuml;ber hinaus wurde auch der Zusammenhang zwischen verschiedenen DMT, deren Auswaschperioden und der R&uuml;ckfallh&auml;ufigkeit untersucht.<br />Insgesamt wurden medizinische Aufzeichnungen von 73 Schwangerschaften (68 Patientinnen) &uuml;berpr&uuml;ft. Das mittlere Alter betrug 28,2&plusmn;4,2 Jahre und die mittlere Erkrankungsdauer zum Zeitpunkt der Schwangerschaftsbest&auml;tigung 4,11&plusmn;3,9 Jahre. Die meisten Patientinnen (88,2 % , n=60) waren im Jahr vor der Schwangerschaft mit DMT behandelt worden: Am h&auml;ufigsten vertreten waren Betainterferone (42,6 % ), Natalizumab (25 % ) und Fingolimod (19,1 % ). Bei 16,2 % der Patientinnen traten w&auml;hrend der Schwangerschaft R&uuml;ckf&auml;lle auf, 7 davon im ersten und 5 davon im dritten Trimester. Die R&uuml;ckf&auml;lle im ersten Trimester waren h&auml;ufig mit einer Natalizumab- oder Fingolimod-Therapie assoziiert. Weitere 10 R&uuml;ckf&auml;lle ereigneten sich post partum in einem Zeitraum von 6,2&plusmn;5,6 Wochen nach der Geburt.<br />Diese R&uuml;ckfallraten w&auml;hrend der Schwangerschaft waren h&ouml;her als von den Studienautoren erwartet. Dass die meisten R&uuml;ckf&auml;lle sich im ersten Trimester h&auml;uften, deutet f&uuml;r sie darauf hin, dass die Reaktivierung der Krankheit mit dem Entzug von hochwirksamen DMT einhergeht und eng mit der Auswaschperiode vor der Schwangerschaft zusammenh&auml;ngt (P1.366).</p> <h2>Alemtuzumab-Fallserie aus dem deutschen MS- und Kinderwunschregister</h2> <p>Mehr als 25 % der Frauen mit hochaktiver MS erleiden R&uuml;ckf&auml;lle w&auml;hrend der Schwangerschaft. Daten &uuml;ber die R&uuml;ckfallraten w&auml;hrend der Schwangerschaft von Frauen, die mit ALZ behandelt wurden, liegen jedoch kaum vor. Eine deutsche Studie widmete sich nun genau dieser Patientinnenpopulation: 15 Frauen, die sich vor ihrer Schwangerschaft einer ALZ-Therapie unterzogen hatten, wurden prospektiv in das Deutsche Multiple-Sklerose- und Kinderwunschregister aufgenommen. Detaillierte Informationen &uuml;ber den Verlauf der Erkrankung (R&uuml;ckf&auml;lle vor und w&auml;hrend der Therapie mit Alemtuzumab w&auml;hrend der Schwangerschaft und post partum) und geburtshilfliche Informationen wurden dabei mit einem standardisierten Fragebogen erfasst.<br />7 Schwangerschaften waren ALZ ausgesetzt (letzte ALZ-Aufnahme im Median 42 Tage [1&ndash;108 Tage] vor der letzten Menstruation), 8 weitere Schwangerschaften waren dieser Therapie nicht ausgesetzt. Die Frauen wurden nach einem Median von 168 Tagen (129&ndash;1074 Tage) schwanger und das mittlere Alter bei der Konzeption betrug 30,0&plusmn;4,1 Jahre. Zum Zeitpunkt der Pr&auml;sentation der Daten waren 12 S&auml;uglinge bereits geboren worden. Ein Neugeborener (die Mutter erhielt die letzte ALZ-Therapie 2 Monate vor der letzten Menstruation) kam mit nur einer Niere und Hydronephrose zur Welt und bei einem weiteren Neugeborenen (die Mutter erhielt die letzte ALZ-Therapie einen Tag vor der letzten Menstruation) wurde Hypospadie diagnostiziert. Fr&uuml;hgeburten wurden nicht verzeichnet. Obwohl die mediane Anzahl von R&uuml;ckf&auml;llen im Jahr vor der ALZ-Therapie bei 2 lag (1&ndash;5 R&uuml;ckf&auml;lle), blieben alle Frauen w&auml;hrend der Schwangerschaft frei von R&uuml;ckf&auml;llen und nur eine Frau erlitt einen postpartalen R&uuml;ckfall.<br />Laut den Autoren der Studie k&ouml;nnten Antik&ouml;rper wie ALZ eine interessante Option f&uuml;r Frauen mit hochaktiver MS und Kinderwunsch sein, da das Medikament selbst kurz nach der Verabreichung wieder aus dem Organismus entfernt wird, der biologische Effekt aber bestehen bleibt (P1.367).</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 69. Kongress der American Academy of Neurology (AAN), 22.–28. April 2017, Boston </p>
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