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Telemonitoring bei Herzinsuffizienz: 9. Konsensusmeeting Herzinsuffizienz, 26. 11. 2016, Innsbruck

Deutschland: Versorgungsprogramme bei Herzinsuffizienz

<p class="article-intro">In der vorigen Ausgabe der JATROS Kardiologie und Gefäßmedizin wurde das Disease-Management- Programm (DMP) HerzMobil in Tirol vorgestellt. Im vorliegenden Artikel möchte ich erläutern, wie sich die Situation in Deutschland darstellt. Mit HeartNetCare-HF™ zeichnet sich die Möglichkeit der Nutzung eines wirkungsvollen und evaluierten DMP ab.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In Deutschland wird das DMP KHK-Herzinsuffizienz angeboten und im Wesentlichen vom Allgemeinarzt durchgef&uuml;hrt, adressiert aber nur einen kleinen Teil der Herzinsuffizienzpatienten.</li> <li>Die Situation stellt sich als &bdquo;mangelnde strukturierte Kooperation der Versorger &uuml;ber die Versorgungssektoren hinweg, gepaart mit einer nicht zielf&uuml;hrenden Verg&uuml;tung&ldquo; dar.</li> <li>Am Deutschen Zentrum Herzinsuffizienz W&uuml;rzburg wurde daher das Betreuungsprogramm Herzinsuffizienz (HeartNetCare-HF&trade;) entwickelt und im Rahmen einer randomisierten Multicenterstudie gepr&uuml;ft, extern validiert und auf Kurz- und Langzeiteffekte untersucht.</li> <li>Durch HeartNetCare-HF&trade; ergibt sich ein enormes gesundheits&ouml;konomisches Potenzial f&uuml;r die Regelversorgung mit gleichzeitig signifikant reduziertem Mortalit&auml;tsrisiko, g&uuml;nstigen Effekten im Hinblick auf die NYHA-Klasse und verbesserter Lebensqualit&auml;t f&uuml;r die Patienten.</li> </ul> </div> <h2>Status quo</h2> <p>Wir verstehen Herzinsuffizienz heute als komplexes internistisches Syndrom von epidemischem Ausma&szlig;, das multikausal bedingt und deshalb nur multidisziplin&auml;r zu behandeln ist. In Deutschland betrifft Herzinsuffizienz bereits 4 % aller Erwachsenen (20 % der &uuml;ber 65-J&auml;hrigen). Herzinsuffizienz ist &ndash; nach der Diagnose &bdquo;Entbindung&ldquo; &ndash; die h&auml;ufigste Diagnose bei Krankenhausentlassung. Mehr als zwei Drittel dieser Hospitalisierungen betreffen Menschen, die mindestens 75 Jahre alt sind. Die Liegedauer bei Aufnahme wegen akuter Dekompensation hat seit dem Jahr 2000 um 4 Tage auf heute im Mittel 10 Tage abgenommen, bei gleichzeitig steigender Zahl an Herzinsuffizienz-bedingten Krankenhausaufenthaltstagen.<br /> Trotz therapeutischer Fortschritte ist die Diagnose einer Herzinsuffizienz mit einer nach wie vor hohen Mortalit&auml;tsrate assoziiert (ca. 10&ndash;20 % im ersten Jahr, ca. 50 % nach 4 Jahren) &ndash; maligner als die Prognose der meisten soliden Tumoren. Dies ist wesentlich mitbedingt durch die f&uuml;r herzinsuffiziente Patienten typischen multiplen Komorbidit&auml;ten, die nicht nur die Behandlung komplizieren, sondern auch wichtige Treiber von Rehospitalisierungen sind (die wiederum etwa zur H&auml;lfte vermeidbar w&auml;ren).<br /> Deutschland hat ein Hausarzt-zentriertes Gesundheitssystem. Die Neudiagnose einer Herzinsuffizienz wird in ca. 60 % aller F&auml;lle im niedergelassenen Bereich gestellt und dort zu 94 % in allgemeinmedizinischen Praxen (also in der Regel ohne Echokardiografie). Auch im weiteren Behandlungskontext ist in Deutschland der Hausarzt f&uuml;hrend in die Betreuung eingebunden: Ca. 84 % der Patienten mit Herzinsuffizienz werden in den beiden Folgejahren nach Erstdiagnose vorwiegend vom Hausarzt betreut. Diese Phase ist entscheidend, um die Therapie angepasst an die individuelle Situation des Patienten und den Schweregrad der Erkrankung zu optimieren. Umgekehrt wird gezeigt, dass ein initial instabiler (z.B. wegen Herzinsuffizienz hospitalisierter) Patient, der in der Folge optimiert versorgt wird, sich im Langzeitverlauf h&auml;ufig stabilisiert und dann &bdquo;ressourcenschonend&ldquo; weiterbetreut werden kann.<br /> Die aktuellen Leitlinien (ESC-HFA 2016) geben detaillierte Behandlungsempfehlungen. Dies erfordert eine in der Regel zeitintensive, vertiefte differenzialdiagnostische und therapeutische Auseinandersetzung mit dem einzelnen Patienten, wiederholte Therapieanpassungen und klinische, technische und laborchemische Kontrollen. Diese insbesondere initial sehr umfangreiche Versorgung sprengt die Zeitkontingente, die &uuml;blicherweise in der haus&auml;rztlichen Regelversorgung bereitgestellt werden k&ouml;nnen. Zudem wird die Ressource &bdquo;Zeit&ldquo; nicht ad&auml;quat verg&uuml;tet.<br /> Das segmentierte Versorgungssystem (Abb. 1) erschwert die Kooperation. Deutschlandweit existieren im Bereich der Herzinsuffizienzversorgung einige (wenige) Selektivvertr&auml;ge oder Disease-Management- Programme (DMP), die mehr oder weniger detailliert Betreuungsans&auml;tze zwar vorschlagen bzw. anwenden, diese aber nie randomisiert getestet haben. Das DMP KHK-Herzinsuffizienz wird seit einigen Jahren im Wesentlichen vom Allgemeinarzt angeboten und durchgef&uuml;hrt, adressiert aber nur eine kleine Fraktion des gro&szlig;en Herzinsuffizienzkollektivs. Belastbare Evaluationen liegen auch hier nicht vor.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1703_Weblinks_kardio_1703_s7_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="851" /></p> <h2>Forderungen an ein verbessertes Versorgungssystem</h2> <p>Die oben beschriebe Situation k&ouml;nnte summarisch als &bdquo;mangelnde strukturierte Kooperation der Versorger &uuml;ber die Versorgungssektoren hinweg, gepaart mit einer nicht zielf&uuml;hrenden Verg&uuml;tung&ldquo; beschrieben werden.<br /> Wichtige Elemente des Defizits:</p> <ol> <li>Zu sp&auml;te Diagnose einer Herzinsuffizienz</li> <li>Ungen&uuml;gende bzw. zu wenig individuell angepasste Beratung herzinsuffizienter Patienten, insbesondere nach Erstdiagnose oder Krankenhausentlassung</li> <li>Mangelhafte Kommunikation bzw. Informationsaustausch zwischen entlassendem Krankenhaus und Patient bzw. nachversorgenden Instanzen (Entlassungsmanagement)</li> <li>L&uuml;ckenhaftes Monitoring von Symptomen und klinischen Zeichen einer sich verschlechternden Herzinsuffizienz bzw. der komorbiden Faktoren und nachfolgend erh&ouml;htes Rehospitalisierungsrisiko</li> <li>Risiken f&uuml;r Patientensicherheit aufgrund des Fehlens eines automatischen Abgleichs des Medikamentenplans unter allen Versorgern</li> <li>Fehlende elektronische Weiter&uuml;bermittlung von entweder bereits elektronisch erhobenen oder auch Papier-basierten Informationen</li> <li>Fehlen eines abgestuften Versorgungsplanes, je nach Schwere und Komplexit&auml;t des Krankheitsbildes</li> <li>Inad&auml;quate Verg&uuml;tung der Ressource &bdquo;Zeit f&uuml;r den Patienten&ldquo;</li> </ol> <h2>Beispiel HeartNetCare-HF&trade;</h2> <p>Am Deutschen Zentrum Herzinsuffizienz W&uuml;rzburg (DZHI, www.dzhi.de) wurde ein Betreuungsprogramm Herzinsuffizienz (HeartNetCare-HF&trade;) aufbauend auf einer Patientenbed&uuml;rfnisanalyse interdisziplin&auml;r entwickelt, im Rahmen einer randomisierten Multicenterstudie (n=1022; Kontrollgruppe: Regelversorgung) gepr&uuml;ft, extern validiert und in Hinblick auf Kurz- und Langzeiteffekte untersucht. Geschultes Herzinsuffizienzpflegepersonal nahm die Patienten w&auml;hrend der Hospitalisierung in das Programm auf (initiale Konsultation mit Angeh&ouml;rigen und Arzt) und betreute sie angepasst an den Schweregrad der Erkrankung f&uuml;r 12&ndash;18 Monate nach. Die Telefonate (1&ndash;4 pro Monat) umfassten ein standardisiertes Monitoring von Symptomen sowie kleine Schulungsvignetten (Dauer der Telefonate im Mittel 12min). Bei im Rahmen des DMP betreuten Patienten zeigten sich ein signifikant reduziertes Mortalit&auml;tsrisiko (&ndash;38 % ) bereits nach 6 Monaten sowie g&uuml;nstige Effekte im Hinblick auf NYHA-Klasse, Auftitration der leitliniengerechten Medikation, Lebensqualit&auml;t und Beeinflussung der depressiven Stimmungslage. Langzeitauswertungen dieser Studie zeigen, dass sich nach Interventionsende ein Trend zu einem Mortalit&auml;tsbenefit fortschreibt und sich die Rehospitalisierungsrate nahezu halbiert. Aus diesem Ansatz ergibt sich ein enormes gesundheits&ouml;konomisches Potenzial f&uuml;r die Regelversorgung.</p> <h2>Aus- und Weiterbildung des spezialisierten Personals</h2> <p>Am DZHI W&uuml;rzburg werden in Kooperation mit der Heart Failure Association (HFA) der ESC seit 2009 regelm&auml;&szlig;ig Herzinsuffizienzschwestern/-pfleger ausgebildet (www.chfc.ukw.de/de/karriere/ hi-schwester.html; 3 Wochen Pr&auml;senz, 2 Tage Pr&uuml;fung, im Intervall Betreuung von Herzinsuffizienzpatienten an der Heimatinstitution, Supervision durch Tutor). Seit 2017 wird komplement&auml;r der einw&ouml;chige Kurs f&uuml;r medizinische Fachangestellte von niedergelassenen Kardiologen bzw. Haus&auml;rzten angeboten. Auf diese Weise l&auml;sst sich ein Netz von Kommunikatoren schaffen, die die patienten- und versorgungsrelevanten Informationen &uuml;ber die Versorgungsebenen hinweg transportieren (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1703_Weblinks_kardio_1703_s8_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="1068" /></p> <h2>Risiken und L&ouml;sungen</h2> <p>Dem spezialisierten Personal k&ouml;nnte eine entscheidende Rolle in der Versorgung herzinsuffizienter Patienten zukommen. Allerdings konkurriert aus Sicht des Hausarztes diese Pflegekraft/MFA mit anderen nicht &auml;rztlichen Dienstleistern wie z.B. Wundverband-, Diabetespflegekraft, Pflegedienst u.a. Hier besteht die Gefahr, dass Kompetenzen, Rechte und Pflichten unscharf verteilt werden. Damit der Hausarzt jederzeit optimal informiert ist, muss eine zentrale Kommunikationsplattform (elektronische Akte) allen Versorgern verf&uuml;gbar gemacht werden. Dies schlie&szlig;t die automatische &Uuml;bermittlung von Medikamentenplan&auml;nderungen ebenso ein wie bedarfsadaptiertes, m&ouml;glicherweise zeitlich begrenztes Telemonitoring. Nach Stabilisierung sollte auch eine Eigenbeteiligung des Patienten an der Aufrechterhaltung des Versorgungssystems kein Tabu sein.<br /> Damit der Stellenwert dieser L&ouml;sungsans&auml;tze objektiv beurteilbar wird, m&uuml;ssen sie umsichtig in das jeweilige Gesundheitssystem integriert und l&auml;ngerfristig qualit&auml;tskontrolliert (aber mit vertretbarem Aufwand) begleitet werden. Die Modellregion Tirol hat in dieser Richtung bereits die entscheidenden Weichen gestellt.</p></p>
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