Wenn auch die Seele krank wird

<p class="article-intro">Psychoonkologie hilft Krebspatienten, die einschneidende Diagnose und die Therapiefolgen zu verarbeiten. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Sein Leben ist nicht mehr da, von einer Sekunde auf die andere. &laquo;Warum ausgerechnet ich?&raquo;, fragt sich Sergio, als ihm der Arzt erkl&auml;rt, in seinen Knochen w&uuml;rden b&ouml;sartige Blutzellen wachsen. &laquo;Ich war am Boden zerst&ouml;rt&raquo;, erinnert sich der heute 57-J&auml;hrige. Seine Ehe lag damals in Tr&uuml;mmern, er musste sich um seine zwei kleinen Kinder k&uuml;mmern &ndash; und dann auch noch Krebs. Er hatte das Gef&uuml;hl, ihm entgleite die Kontrolle &uuml;ber sein Leben.<br /> Menschen wie Sergio kann Psychoonkologie helfen, eine Betreuung durch Psychiater oder Psychologen. &laquo;Wir k&ouml;nnen damit zwar nicht den Krebs aufhalten, aber die Lebensqualit&auml;t erh&ouml;hen&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Gregor Hasler, Chefarzt an den Universit&auml;ren Psychiatrischen Diensten der Universit&auml;t Bern. Bis zu 4 von 10 Tumorpatienten entwickeln eine psychische St&ouml;rung, die einer Behandlung bedarf.<sup>1&ndash;4</sup> &laquo;Eine Krebsdiagnose kommt unerwartet&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Josef Jenewein, stellvertretender Direktor der Klinik f&uuml;r Psychiatrie und Psychotherapie am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich. &laquo;Das wirft viele Betroffene in eine Krise, und es erfordert enorme psychische F&auml;higkeiten, um mit dieser Belastung klarzukommen.&raquo; Bei manchen Menschen f&uuml;hrt das zu st&auml;rkeren Problemen oder einer ernsthaften psychischen Erkrankung.</p> <h2>H&auml;ufig Angstst&ouml;rungen und Depressionen</h2> <p>Dank enormen Fortschritten in der Onkologie durch verbesserte Fr&uuml;herkennung, Diagnostik und Therapie &uuml;berleben heute mehr Patienten als fr&uuml;her nach einer Krebserkrankung. &laquo;Andererseits m&uuml;ssen sie oft kr&auml;ftezehrende und belastende Therapien bew&auml;ltigen, die zum Teil dauerhafte k&ouml;rperliche und psychische Folgen nach sich ziehen k&ouml;nnen&raquo;, sagt Prof. Jenewein. Zu den h&auml;ufigsten psychischen Belastungen nach einer Krebskrankheit geh&ouml;ren Anpassungsst&ouml;rungen, Angstst&ouml;rungen, depressive St&ouml;rungen, Schlafst&ouml;rungen, Cancer-related Fatigue und das Delir.<br /> Manche Krebspatienten sind nicht nur vor&uuml;bergehend depressiv, sondern entwickeln eine manifeste Depression &ndash; je nach Studie zwischen 4 und 16,5 % der Patienten.<sup>2&ndash;9</sup> Tumorpatienten mit Depressionen haben ein doppelt so hohes Risiko wie die Allgemeinbev&ouml;lkerung f&uuml;r einen Suizid, wobei das Suizidrisiko in den ersten sechs Monaten nach Diagnosestellung und bei Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung und schlechter Prognose besonders hoch ist.<sup>10</sup> &laquo;Suizidgedanken oder -fantasien bei onkologischen Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung kann man zum einen als M&ouml;glichkeit verstehen, die Kontrolle zu behalten, also als eine L&ouml;sung zur Beendigung des Leidens, oder als Hilferuf &lsaquo;Ich bin der Realit&auml;t nicht mehr gewachsen&rsaquo;&raquo;, sagt Prof. Jenewein. Suizidalit&auml;t sei eine ernst zu nehmende Komplikation und man solle sie schrittweise thematisieren: zun&auml;chst Suizidabsichten, -ideen, -gedanken und -pl&auml;ne thematisieren, dann nach Risiko- und protektiven Faktoren suchen und sich m&ouml;gliche Interventionen &uuml;berlegen. &laquo;Der Sterbewunsch nimmt in den meisten F&auml;llen ab, wenn die Patienten von ihrer Not erz&auml;hlen k&ouml;nnen, man ihnen zuh&ouml;rt und Verst&auml;ndnis entgegenbringt&raquo;, sagt Prof. Jenewein.</p> <h2>Multimodales Therapiekonzept</h2> <p>Bis zu neun von zehn Patienten leiden unter Krebsm&uuml;digkeit. Sie f&uuml;hlen sich dauernd ersch&ouml;pft und antriebslos, haben Schmerzen und k&ouml;nnen sich nicht konzentrieren. &laquo;Es gibt kein Standard-Therapieprogramm, weil jeder psychisch anders reagiert&raquo;, sagt Prof. Hasler.<br /> Zur Verf&uuml;gung stehen zum einen Medikamente, etwa selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRIs), besonders Citalopram oder Sertralin, zur Antriebssteigerung und Stimmungsaufhellung bei Depressionen oder tetrazyklische Antidepressiva wie Mirtazapin zur Stimmungsstabilisierung, Schlafregulierung und/oder Optimierung des Appetits. Zur Anxiolyse oder Behandlung von Panikattacken in der Klinik kann eine Kurzzeitbehandlung mit Benzodiazepinen wie Lorazepam versucht werden. Beim Delir kommen typische oder atypische Neuroleptika zum Einsatz. &laquo;Man muss aber immer den individuellen Nutzen mit potenziellen Nebenwirkungen und Interaktionen mit der Tumortherapie abw&auml;gen&raquo;, so Prof. Jenewein. Die kognitiv-behaviorale Therapie gilt als effektive Therapiemethode bei &Auml;ngsten oder Depressionen. Neue Behandlungen fokussieren darauf, wieder Sinn im Leben zu finden, die eigene W&uuml;rde und Selbstbestimmung zu f&ouml;rdern. Einige Patienten profitieren von der Acceptance-and-Commitment-Therapie, von Mindfulness-Therapien, von Akupunktur, Atemtherapie, Shiatsu oder Qigong, Musik- oder Kunsttherapie.<sup>11&ndash;16</sup> Hypnose kann helfen, &Uuml;belkeit durch die Chemotherapie zu reduzieren.<sup>17</sup><br /> Als Psychoonkologe kann man dem Patienten zudem helfen, privat und beruflich wieder Fuss zu fassen. &laquo;Oft reichen schon wenige Sitzungen, damit es einem deutlich besser geht&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Peter Henningsen, Chef-Psychosomatiker an der Technischen Universit&auml;t M&uuml;nchen. Seine 31-j&auml;hrige Patientin mit Leuk&auml;mie war st&auml;ndig ersch&ouml;pft und konnte weder arbeiten noch sich um den Haushalt k&uuml;mmern &ndash; dabei war die Leuk&auml;mie mit Chemotherapie erfolgreich zur&uuml;ckgedr&auml;ngt worden. Die M&uuml;digkeit war also durch die Chemo nicht erkl&auml;rbar.<br /> Im Gespr&auml;ch fand Henningsen heraus, dass die Frau enorme Angst vor der Zukunft hatte. &laquo;Das hat sie so gel&auml;hmt, dass sie den ganzen Tag zu Hause geblieben ist&raquo;, erz&auml;hlt Prof. Henningsen. In der Therapie lernte sie, mit ihren &Auml;ngsten umzugehen und sich t&auml;glich schrittweise mehr zu bewegen. &laquo;Krebspatienten haben oft das Gef&uuml;hl, sie m&uuml;ssten sich schonen. Aber je mehr man sich schont, desto schlapper wird man.&raquo;<br /> In einem anderen Fall ging es um einen jungen Mann mit Hodentumor. Der 28-J&auml;hrige hatte im Spital gereizt und aggressiv reagiert und sich schliesslich geweigert, sich operieren zu lassen. Nach einem Gespr&auml;ch erfuhr Peter Henningsen: &laquo;Er hatte schlichtweg Angst, er k&ouml;nnte impotent werden, und er sch&auml;mte sich f&uuml;r seine Angst.&raquo; Der Urologe nahm sich ausf&uuml;hrlicher Zeit f&uuml;r das Aufkl&auml;rungsgespr&auml;ch, und die Operation wurde verschoben. &laquo;Oft entstehen &Auml;ngste, weil die Patienten nicht gen&uuml;gend wissen&raquo;, sagt Henningsen. &laquo;Als &Auml;rzte m&uuml;ssen wir uns viel Zeit f&uuml;r Erkl&auml;rungen nehmen &ndash; das geht nicht zwischen T&uuml;r und Angel.&raquo;</p> <h2>Soziales Netz hilft</h2> <p>Bei der 50-j&auml;hrigen Patientin mit dem sehr b&ouml;sartigen, aber erfolgreich operierten Hirntumor merkte Henningsen, dass da mehr war als die verst&auml;ndliche Niedergeschlagenheit. Die Frau redete kaum, wirkte wie gel&auml;hmt und in sich gekehrt und sah in jeder Aussage etwas Negatives. Die Diagnose: eine schwere Depression, zum einen verursacht durch die Operation, zum anderen auch durch die beginnenden Wechseljahre. Henningsen verschrieb Antidepressiva und erarbeitete mit der Frau Techniken, wie sie ihre eigenen Ressourcen besser nutzen konnte. &laquo;Ihr wurde bewusst, dass ihre Familie sie sehr unterst&uuml;tzte und sie zusammen noch viele sch&ouml;ne Dinge erleben konnten.&raquo; Eine Paartherapie und der Einbezug von Angeh&ouml;rigen kann die Lebensqualit&auml;t von Patient und Partner verbessern, den Stress reduzieren und die Zufriedenheit erh&ouml;hen.<sup>18</sup><br /> Manche Menschen seien in Form von Familie oder Freunden von einer Art privaten Psychoonkologen umsorgt, sagt Prof. Hasler. Andere sind von Natur aus widerstandsf&auml;higer und sozusagen ihr eigener Psychoonkologe. Wie man sich gegen psychische Krisen wappnet, hat er in seinem k&uuml;rzlich ver&ouml;ffentlichten Buch &laquo;Resilienz: Der Wir-Faktor. Gemeinsam Stress und &Auml;ngste &uuml;berwinden&raquo; beschrieben. &laquo;Man sollte sich bewusst werden, welche Dinge man in seinem Leben beeinflussen kann und welche nicht, und dann Kraft und Freude in den Dingen finden, auf die man Einfluss hat&raquo;, lautet sein Tipp.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Singer S et al.: Ann Oncol 2010; 21: 925-30 <strong>2</strong> Mitchell A et al.: Lancet Oncol 2011; 12: 160-74 <strong>3</strong> Linden W et al.: J Affect Disord 2012; 141: 343-51 <strong>4</strong> Kuhnt S et al.: Psychother Psychosom 2016; 85: 289-96 <strong>5</strong> Mehnert A et al.: J Clin Oncol 2014; 32(31): 3540-6 <strong>6</strong> Walker J et al.: Lancet Psychiatry 2014; 1(5): 343-50 <strong>7</strong> Hernandez Blazquez M et al.: J Psychosom Res 2016; 87: 14 <strong>8</strong> Brintzenhofe-Szoc KM et al.: Psychosomatics 2009; 50(4): 383-91 <strong>9</strong> Rasic DT et al.: Psychooncology 2008; 17(7): 660-7 <strong>10</strong> Oberaigner W et al.: Gen Hosp Psychiatry 2014; 36(5): 483-7 <strong>11</strong> Hayes SC et al.: Behav Res Ther 2006; 44(1): 1-25 <strong>12</strong> Kangas M et al.: Support Care Cancer 2015; 23(10): 2855-9 <strong>13</strong> Feros DL et al.: Psychooncology 2013; 22(2): 459-64 <strong>14</strong> Zhang MF et al.: Medicine (Baltimore) 2015; 94(45): e0897-0 <strong>15</strong> Tao WW et al.: J Pain Symptom Manage 2016; 51(4): 728-47 <strong>16</strong> Arruda MA et al.: J Palliat Med 2016; 19(9): 943-8 <strong>17</strong> Jacknows DS et al.: J Dev Behav Pediatr 1994; 15(4): 258-64 <strong>18</strong> Li Q, Loke AY: Psychooncology 2014; 23: 731-9</p> </div> </p>
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