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Highlights vom AAN-Kongress 2017

Die therapeutischen Lücken werden kleiner

<p class="article-intro">Die Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN) in Boston war 2017 wieder ein gut besuchter Fortbildungskongress. Neben einigen wissenschaftlichen Highlights wurde deutlich, dass die Forschungspipeline in vielen grossen Indikationen gut gefüllt ist, sich aber der Fortschritt in eher kleinen Schritten vollzieht. Eine Ausnahme ist hier (wieder) die Multiple Sklerose, bei der die therapeutischen Lücken immer kleiner werden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Epidemiologische Studien zeigen zwar eine deutliche Assoziation zwischen erniedrigten Blutspiegeln von Vitamin D und dem Risiko der Entwicklung einer MS sowie ihrem klinischen Verlauf. Allerdings gibt es bislang noch keine belastbaren Studiendaten, dass durch eine Vitamin-D-Supplementierung der Verlauf der MS ge&auml;ndert werden kann.</p> <h2>Vitamin D &ndash; eine unendliche Geschichte</h2> <p>In der CHOLINE-Studie erhielten die Teilnehmer alle zwei Wochen 100 000IU Vitamin D3 oder Placebo &uuml;ber 96 Wochen. Die ITT-Analyse zeigte jedoch nur einen nicht signifikanten Trend f&uuml;r die Supplementierung zugunsten einer niedrigen j&auml;hrlichen Schubrate. Hoffnung sch&ouml;pfen die Autoren aus der Tatsache, dass die Completer-Analyse einen signifikanten Vorteil bei der Schubrate und der Reduktion der MRT-L&auml;sionen zugunsten von Vitamin D3 ergab.<sup>1</sup> Auch in der SOLAR-Studie zeigte sich kein Vorteil der hochdosierten Gabe von Vigantol&ouml;l (14 000 IE/d) bei der Schubrate oder dem Erreichen der NEDA-Kriterien, sondern nur bei der Reduktion der kumulativen L&auml;sionslast im MRT um 32 % (p=0,0045).<sup>2</sup><br /> Eindeutige Ergebnisse erhofft man sich laut Prof. Kassandra Munger, Boston, von den f&uuml;nf weiteren klinischen Studien, in denen zurzeit der Nutzen einer Vitamin-D-Supplementierung untersucht wird. Pessimisten gehen allerdings davon aus, dass sich der Nutzen von Vitamin D allenfalls &uuml;ber sehr lange Zeitr&auml;ume von f&uuml;nf bis zehn Jahren nachweisen l&auml;sst. Und dann d&uuml;rften wahrscheinlich auch kleine Dosierungen wie 500&ndash;1000IU/d bereits wirksam sein.</p> <h2>Fortschritte bei der SPMS</h2> <p>Bei der PPMS wird nach der FDA-Zulassung von Ocrelizumab kurz vor Beginn des AAN auch die EU-Zulassung in den kommenden Monaten erwartet. Zur Therapie der sekund&auml;r progressiven MS (SPMS) wurden in Vancouver jetzt auch positive Daten f&uuml;r Siponimod vorgestellt. Der S1P-Modulator erreichte in einer Phase-III-Studie den prim&auml;ren Endpunkt, das Risiko des Fortschreitens der Behinderungsprogression, best&auml;tigt nach 3 Monaten. Hier verringerte Siponimod gegen&uuml;ber Placebo das Risiko einer Behinderungsprogression um 21 % (Hazard Ratio [HR]: 0,79; 95 % CI: 0,65&ndash;0,95; p=0,013). Das Ergebnis bei dem noch anspruchsvolleren sekund&auml;ren Endpunkt der Risikoreduktion des Fortschreitens der Behinderungsprogression, best&auml;tigt nach 6 Monaten, fiel mit einer HR von 0,74 (95 % CI: 0,60&ndash;0,92; p=0,006; Risikoreduktion: 26 % ) vergleichbar hoch aus. <br /> Das Sicherheitsprofil von Siponimod &auml;hnelte demjenigen von anderen S1P-Modulatoren wie Fingolimod. Dies betraf auch das Auftreten von Bradykardien in den ersten 6 Stunden nach erstmaliger Einnahme mit einem R&uuml;ckgang der mittleren Herzfrequenz um maximal ca. 5 Schl&auml;ge (Siponimod: 4,4 % ; Placebo: 2,6 % ) sowie &Uuml;berleitungsst&ouml;rungen (Siponimod: 3,0 % ; Placebo: 0,4 % ). Therapiebed&uuml;rftige &Uuml;berleitungsst&ouml;rungen wie ein AV-Block 2. Grades Typ Mobitz II traten nicht auf. Mit einer Dosistitration in den ersten sechs Tagen sollen Inzidenz und Ausmass kardialer Effekte unter Siponimod gesenkt werden. Die Inzidenz von Infektionen mit Ausnahme eines Herpes zoster (Siponimod: 2,3 % ; Placebo: 0,7 % ) sowie das Auftreten von Malignomen (Siponimod: 1,8 % ; Placebo: 2,6 % ) war nicht erh&ouml;ht. F&auml;lle von opportunistischen Infektionen einschliesslich PML traten nicht auf.<sup>3</sup><br /> Am AAN 2016 wurden f&uuml;r Natalizumab 300mg die Ergebnisse der ASCEND-Studie zur SPMS gezeigt. Darin verfehlte Natalizumab den prim&auml;ren Endpunkt einer signifikanten EDSS-Verbesserung nach zwei Jahren. In diesem Jahr wurde eine Post-hoc-Analyse vorgestellt, in der Natalizumab gegen&uuml;ber Placebo signifikant besser bei einem Multikomponenten-Endpunkt (Verbesserung im EDSS, P-Hole-Peg Test [9HPT] und im 25-Foot-Walk [T25FW]) abschnitt (adjustierte Odds Ratio [OR]: 1,67; p=0,001). Dieses Ergebnis d&uuml;rfte vor allem durch die signifikante Verbesserung im T25FW (p=0,018) getrieben worden sein, denn im 9HPT (p=0,089) und im EDSS (p=0,498) erreichte Natalizumab keine statistisch signifikante &Uuml;berlegenheit.<sup>4</sup></p> <h2>Alzheimer &ndash; raus aus der Frustration</h2> <p>Seit 2003, der Zulassung von Memantin, sind mehr als 99 % der klinischen Studien zur Therapie der Alzheimerdemenz fehlgeschlagen.<sup>5</sup> Trotzdem gibt es in dieser Indikation weiterhin spannende Therapieans&auml;tze. Der humanisierte Anti-Tau-Antik&ouml;rper ABBV-8E12 wird derzeit in mehreren Phase-II-Studien, darunter einer Dosisfindungsstudie (NCT02880956) bei Patienten mit progressiver supranukle&auml;rer Blickparese (PSP) und fr&uuml;her Alzheimerdemenz (geplant: n=400), untersucht. <br /> Am AAN wurden zu dem Antik&ouml;rper die Daten einer doppelblinden, placebokontrollierten Phase-I-Studie mit 30 PSP-Patienten (50&ndash;80 Jahre, PSPRS-Score 20&ndash;50) vorgestellt. Dort erwies sich die einmalige intraven&ouml;se Gabe unterschiedlicher Dosierungen (2,5, 7,5, 15, 25 oder 50mg/kg) insgesamt als sicher. Drei Patienten (15, 25 und 50mg) erlitten schwere unerw&uuml;nschte Nebenwirkungen (subdurales H&auml;matom, starke Angst-/Depressionssymptome, Hypertonus), die in einem Fall zu einem Studienabbruch f&uuml;hrten (25mg). Die Pharmakokinetik war dosisabh&auml;ngig, die Bildung von Antik&ouml;rpern wurde nicht beobachtet.<sup>6</sup></p> <h2>Neue Ans&auml;tze in der Parkinsontherapie</h2> <p>Nicht nur der Kontakt mit Schwermetallen, sondern auch der mit Pestiziden beg&uuml;nstigt die Entwicklung eines M. Parkinson. In der Studie einer kanadischen Arbeitsgruppe zeigten Bauern bzw. andere Personen mit einem h&auml;ufigen direkten Kontakt mit Pestiziden eine fr&uuml;here Parkinsonmanifestation als eine Vergleichsgruppe (&oslash; 50,63 vs. 59,16 Jahre).<sup>7</sup> Auch in Europa arbeiten verschiedene Arbeitsgruppen an dieser Frage unter dem Blickwinkel, dadurch neue Erkenntnisse zur Pathogenese des M. Parkinson zu erhalten.<br /> In der Arzneimittelentwicklung besch&auml;ftigt man sich zunehmend mit der Frage, wie man durch geeignete Applikationsformen die Pharmakokinetik von Levodopa unter Umgehung der gest&ouml;rten enteralen Bioverf&uuml;gbarkeit gl&auml;tten und damit motorische Symptome reduzieren kann. Apomorphin ist der erste und st&auml;rkste Dopaminagonist und geh&ouml;rt zu den etablierten Parkinsontherapeutika. In der randomisierten, doppelblinden TOLEDO-Studie wurde die subkutane Apomorphin-Pumpentherapie vs. Placeboinfusion bei 53 Patienten (&oslash; 63 Jahre, Erkrankungsbeginn &ge;3 Jahre) verglichen. Nach 12-w&ouml;chiger Therapie ging die Off-Zeit signifikant um rund zwei Stunden pro Tag zur&uuml;ck (p=0,0025), die On-Zeit ohne beeintr&auml;chtigende Dyskinesien stieg ebenfalls signifikant (p&lt;0,05). Das Sicherheitsprofil zeigte keine neuen Signale.<sup>8</sup><br /> Eine weitere Option k&ouml;nnte die kontinuierliche subkutane Applikation von Levodopa/Carbidopa (ND0612) mittels eines Pumpsystems zur Optimierung der Pharmakokinetik von oralem Levodopa/Carbidopa sein.<sup>9</sup> In der Studie ND0612L-003 wurden 0,24ml am Tag bzw. 0,08ml in der Nacht verabreicht. Dies entsprach einer geringen Substanzbelastung von insgesamt nur 4,5ml pro Tag, entsprechend 270mg Levodopa/53mg Carbidopa. Im Ergebnis wurden motorische Komplikationen wie die Off-Zeit signifikant verringert und die Schlafqualit&auml;t verbessert. Damit einher ging eine Verbesserung der Lebensqualit&auml;t und des globalen Eindruckes im Arzturteil. Auftretende Hautkn&ouml;tchen waren reversibel und entz&uuml;ndeten sich nicht, so die Autoren. Angesichts der Studiendauer von 21 Tagen sind Langzeitstudien erforderlich.<br /> Auch mithilfe von IPX 203, einer neuen, lang wirksamen Version von Levodopa/Carbidopa (in den USA als Rytary&reg; zugelassen), sollen schwankende Dopaminspiegel gegl&auml;ttet werden. Mehrere Poster zeigen, dass damit gegen&uuml;ber kurz wirksamem Levodopa/Carbidopa signifikante Verbesserungen auf der UPDRS-III-Skala sowie Verbesserungen der Alltagskompetenz und der Lebensqualit&auml;t erzielt werden.<sup>10, 11</sup> Das k&ouml;nnte idealerweise bedeuten, dass der Patient pro Tag nur noch 1&ndash;2 Levodopa/Carbidopa-Tabletten einnehmen muss.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 69. Jahrestagung der American Academy of Neurology (AAN), 22.–28. April 2017, Boston </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Camu CP et al.: ANN 2017; Abstract S44.004 <strong>2</strong> Hupperts R et al.: ANN 2017; Abstract S44.005 <strong>3</strong> Fox R et al.: ANN 2017; Abstract S33.007 <strong>4</strong> Giovannoni G et al.: ANN 2017; Abstract P5.339 <strong>5</strong> Cummings J et al.: Alzheimer&rsquo;s Research &amp; Therapy 2014; 6(4): 37-44 <strong>6</strong> Florian H et al.: AAN 2017; Emerging Science Session 006 <strong>7</strong> Gamache PL et al.: AAN 2017; Abstract P6.008 <strong>8</strong> Katzenschlager R et al.: AAN 2017; Emerging Science Session 003 <strong>9</strong> Adar L et al.: AAN 2017; Abstract P1.019 <strong>10</strong> Daneault JF et al.: AAN 2017; Abstract P4.002 <strong>11</strong> Ondo W et al.: AAN 2017; Abstract P1.020</p> </div> </p>
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