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Endometriumkarzinom

Das Stiefkind in der Gynäkologie

<p class="article-intro">Als «Stiefkinder der Forschung» könnte man maligne Tumoren des Uterus bezeichnen. Es werde zu wenig darüber geforscht, sagt Prof. Dr. med. Andreas Günthert, Chefarzt der Frauenklinik am Kantonsspital Luzern, und neue Studienergebnisse fänden zu langsam Einzug in die Klinik. Kürzlich fand in Luzern das 4. Symposium für Gynäkologische Onkologie statt, das Prof. Günthert initiierte.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Anhand von Histologie, Tumorverhalten, Alter der Frau, Risikofaktoren und Markern unterscheidet man beim Endometriumkarzinom den endometrioiden Typ 1 vom nicht endometrioiden Typ 2. Mit circa 90 % stellt das Typ-1-Karzinom die h&auml;ufigere Variante dar. Vermutlich f&uuml;hrt ein &Uuml;berschuss an endogenen beziehungsweise exogenen &Ouml;strogenen, der nicht oder nur unzureichend durch Gestagene antagonisiert wird, zun&auml;chst zu einer Endometriumhyperplasie und dann zur malignen Entartung. Etwa 10&ndash;15 % der Endometriumkarzinome geh&ouml;ren zum Typ 2, die als gering differenziert klassifiziert werden. Die Patientinnen sind in der Regel &auml;lter, h&auml;ufig schlank und weisen nicht die typischen Risikofaktoren der &Ouml;strogendominanz auf. Die Karzinome entstehen typischerweise aus atrophischem Endometrium &uuml;ber die Vorstufe eines endometrialen intraepithelialen Karzinoms und exprimieren keine Hormonrezeptoren. Die Einteilung sei jedoch ziemlich grob, sagte Prof. Dr. med. Christian Marth, Direktor der Frauenklinik an der Universit&auml;t Innsbruck. So verhalten sich manche Typ-1-Karzinome maligner als vermutet und machen eine aggressivere Therapie notwendig. Andererseits sollte man eine Frau auch nicht &uuml;bertherapieren, wenn ihr Tumor sich gar nicht so aggressiv verh&auml;lt. Es braucht daher also genauere Klassifikationssysteme. Prof. Marth stellte die molekulare Subtypisierung vor. Anhand von Genanalysen lassen sich vier Gruppen unterscheiden: die sogenannte POLE-Gruppe mit sehr vielen Mutationen in mehreren Genen (&laquo;ultramutated&raquo;), die MSI-Gruppe mit Mikrosatelliteninstabilit&auml;t (&laquo;hypermutated &raquo;), die Tumoren mit wenigen Mutationen (&laquo;copy-number low&raquo;) und diejenigen mit vielen Mutationen in einem Gen (&laquo;copy- number high&raquo;). &laquo;Bei den POLE-Tumoren mit vielen Mutationen w&uuml;rde man eigentlich eine hohe Aggressivit&auml;t erwarten&raquo;, sagte Prof. Marth. &laquo;Aber vermutlich produzieren diese Tumoren viele Antigene, die vom Immunsystem erkannt und bek&auml;mpft werden.&raquo; Die Tumoren mit vielen Mutationen in einem Gen sind h&auml;ufig die klassischen ser&ouml;sen Endometriumkarzinome mit aggressivem Verlauf. So leben Patientinnen der POLE-Gruppe am l&auml;ngsten progressionsfrei, diejenigen mit MSI am zweitl&auml;ngsten, etwas k&uuml;rzer diejenigen mit wenigen Mutationen, und das k&uuml;rzeste progressionsfreie &Uuml;berleben haben diejenigen Patientinnen mit vielen Mutationen in einem Gen (Abb. 1). Typ-1-Tumoren geh&ouml;ren eher zu den ersten drei Gruppen mit niedrigem oder intermedi&auml;rem Risiko, Typ-2-Tumoren zur &laquo;High copy-number&raquo;-Gruppe mit schlechterer Prognose.</p> <h2>L1CAM als neuer prognostischer Marker</h2> <p>Auch das Vorliegen eines &laquo;Mismatch repair&raquo;(MMR)-Defekts kann auf die Prognose hinweisen. Etwa 26 % der Patientinnen haben einen epigenetischen MMRDefekt. Bei Patientinnen mit G3-Tumor, mit Lymphinvasion und fortgeschrittenem Stadium lassen sich h&auml;ufiger MMR-Defekte nachweisen. &laquo;&Uuml;berraschenderweise ist dies aber nicht mit einer schlechten Prognose assoziiert&raquo;, sagte Prof. Marth. Die Outcomes der Frauen mit MMR-Defekten entsprachen denen der Frauen mit normalem MMR. &laquo;Vermutlich kann das Immunsystem diese Tumoren besser attackieren, was die eigentlich schlechte Prognose mit G3-Grading und Lymphinvasion ausgleicht.&raquo; Es gibt Hinweise darauf, dass diese Tumoren auf Checkpoint-Inhibitoren ansprechen.<br /> Ein weiterer prognostischer Marker k&ouml;nnte das Adh&auml;sionsmolek&uuml;l L1CAM sein. &laquo;L1CAM ist offenbar ein Marker f&uuml;r die F&auml;higkeit des Tumors, infiltrierend zu wachsen und Metastasen zu bilden&raquo;, erkl&auml;rte Prof. Marth. L1CAM ist auch mit der epithelialen mesenchymalen Transition assoziiert. Das Adh&auml;sionsprotein wird in vielen Karzinomen exprimiert und ist mit einer schlechten Prognose assoziiert. So ist beim Endometriumkarzinom eine Hochregulierung von L1CAM mit einem Verlust von Hormonrezeptoren und E-Cadherin bei aggressiven Subtypen verbunden. Von 1021 Patientinnen im Stadium I in einer von Prof. Marths Studien waren 17,7 % L1CAMpositiv. 66 % aller Lokalrezidive, 86 % aller Fernrezidive und 72,7 % der Todesf&auml;lle traten bei den L1CAM-positiven Patientinnen auf. L1CAM-positive Patientinnen hatten ein k&uuml;rzeres krankheitsfreies &Uuml;berleben. L1CAM-negative Frauen lebten deutlich l&auml;nger ohne Rezidiv, egal ob ihr Tumor im Stadium GI, GII oder GIII war. &laquo;L1CAM scheint ein guter Pr&auml;diktor f&uuml;r das Rezidivrisiko und das Gesamt&uuml;berleben zu sein &raquo;, so Prof. Marth.<br /> Wie man die neuen Marker anwenden kann, stellte Prof. Marth anhand des Pro- MisE-Algorithmus der kanadischen Arbeitsgruppe vor. Das Akronym steht f&uuml;r &laquo;Proactive Molecular Risk Classifier for Endometrial Cancer&raquo;. Zun&auml;chst wird dabei bestimmt, ob MMR defizient oder intakt ist. Falls defizient, k&ouml;nnte eine genetische Testung infrage kommen, man sollte L1CAM testen und eine Immuntherapie &uuml;berlegen. Ist MMR intakt und POLE ultramutiert, k&ouml;nnte eine weniger aggressive Therapie infrage kommen. Ist POLE nicht ultramutiert, aber <em>p53</em> mutiert, sind eine adjuvante Chemo- und Strahlentherapie und eine Immunph&auml;notypisierung indiziert. Liegt der <em>p53</em>-Wildtyp vor, wird L1CAM bestimmt. Neben einer Immuntherapie k&ouml;nnte L1CAM ein Ziel f&uuml;r eine Antik&ouml;rpertherapie sein. In Mausversuchen zum L1CAM-Antik&ouml;rper nahmen Tumormasse und Tumoraszites ab und die Tiere lebten l&auml;nger. Ein weiterer Ansatz ist eine CAR-T-Zell-Therapie. Auch hiermit ging bei M&auml;usen die Tumormasse zur&uuml;ck und sie lebten l&auml;nger. In der Praxis geht Prof. Marth so vor, dass er Patientinnen mit L1CAM-Mutation eine adjuvante Chemotherapie vorschl&auml;gt. &laquo;Unsere diagnostischen Kriterien f&uuml;r High-Risk-Tumoren sind nicht mehr up to date&raquo;, so das Fazit des Gyn&auml;kologen. &laquo;Eine Frau kann einen G3-Tumor haben, aber wenn ihr POLE ultramutiert ist, hat sie vermutlich eine bessere Prognose, als wir bisher gedacht haben.&raquo;</p> <h2>Sonografie ist ideal &ndash; wenn man sie beherrscht</h2> <p>Wie man die Sonografie am besten einsetzt, erkl&auml;rte Dr. med. Elisabeth Epstein vom Karolinska-Institut in Stockholm. &laquo;Mit Ultraschall kann man die Frauen identifizieren, die ein High-Risk-Karzinom haben und eine ausgedehntere Operation ben&ouml;tigen &raquo;, sagte sie. Mithilfe anschaulicher Filme erkl&auml;rte die &Auml;rztin, wie sie beim Sonografieren vorgeht. Beurteilt wird, ob das Myometrium zu mehr oder weniger als 50 % infiltriert ist, ob eine zervikale Stromainvasion vorliegt, ob sich der Tumor auf die Serosa oder in die Parametrien ausdehnt und ob Lymphknotenmetastasen oder solche in den Adnexen vorliegen. &laquo;Vergessen Sie nicht, das gesamte Becken zu untersuchen&raquo;, sagte Dr. Epstein. So wird manchmal ein Endometriumkarzinom durch einen hormonproduzierenden Tumor im Ovar verursacht oder man kann erkennen, ob sich das Karzinom in Vagina, Peritoneum, Lymphknoten oder in die Ovarien ausgebreitet hat. &laquo;Die Vaginalsonografie ist anderen bildgebenden Verfahren in der Gyn&auml;kologie im Becken &uuml;berlegen &ndash; vorausgesetzt, der Untersucher beherrscht die Technik exzellent&raquo;, kommentierte Prof. G&uuml;nthert.<br /> Einen pr&auml;gnanten &Uuml;berblick &uuml;ber die systemische Therapie beim Endometriumkarzinom gab Prof. Dr. med. G&uuml;nter Emons, Direktor der Klinik f&uuml;r Gyn&auml;kologie und Geburtshilfe an der Georg-August-Universit&auml;t G&ouml;ttingen. &laquo;Patientinnen, die am Endometriumkarzinom sterben, sterben an Fernmetastasen&raquo;, sagte Prof. Emons. &laquo;Wenn wir das &Uuml;berleben verl&auml;ngern wollen, brauchen wir eine systemische Therapie. &raquo; Mit einer adjuvanten Strahlentherapie allein kann man zwar den Tumor lokal kontrollieren, sie verl&auml;ngert aber nicht das &Uuml;berleben. &laquo;Es bringt wenig, das kleine Becken zu bestrahlen, wenn die Tumorzellen schon in andere K&ouml;rperregionen unterwegs sind&raquo;, erkl&auml;rte Prof. Emons. &laquo;Die k&ouml;nnen wir nur mit einer systemischen Therapie ausschalten.&raquo;<br /> Bislang konnte kein gesicherter Nutzen einer adjuvanten endokrinen Therapie mit hoch dosierten Gestagenen nachgewiesen werden. Bei Patientinnen mit pT1- oder pT2-Tumor ohne Lymphknotenmetastasen ist der Nutzen einer adjuvanten Chemotherapie ungewiss. Bei fortgeschrittenen oder rezidivierten Endometriumkarzinomen, die im Stadium G1 oder G2 und/oder &ouml;strogenoder progesteronrezeptorpositiv sind und bei denen das Tumorwachstum nicht schnell fortschreitet, werden Progestogene empfohlen, bei anderen Patientinnen Carboplatin oder Paclitaxel in Kombination mit Strahlentherapie. &laquo;Wir brauchen dringend mehr gute Studien zur Frage, ob diese Strategie auch sinnvoll ist&raquo;, sagte Prof. Emons.</p> <h2>Sentinellymphknotenbiopsie nutzt den Patientinnen und spart Geld</h2> <p>Dass eine Sentinellymphknotenbiopsie beim Endometriumkarzinom eine Winwin- Situation sein kann, erkl&auml;rte Prof. Dr. med. Jan Persson vom Sk&aring;ne-Universit&auml;ts- Krankenhaus Lund in Schweden: Man verbessert damit die Diagnose, hat weniger peri- und postoperative Komplikationen und spart auch noch Geld. Unerl&auml;sslich f&uuml;r die Sentinellymphknotenbiopsie ist, dass man die Anatomie des Beckens bestens kennt und &uuml;ber gen&uuml;gend Expertise verf&uuml;gt. Im Becken gibt es zwei separate Hauptlymphabflusswege: einmal entlang der Uterusarterie zur Aorta (&laquo;upper paracervical pathway&raquo;), einmal entlang dem intraperitonealen Ligament (&laquo;lower paracervical pathway&raquo;). &laquo;Es gibt keine Verbindung zwischen dem oberen und dem unteren Weg. Theoretisch sollte mindestens ein Sentinellymphknoten pro Weg identifiziert werden.&raquo;<br /> Bisher gibt es keinen standardisierten Algorithmus, wie man vorgehen sollte, deshalb kommt es h&auml;ufig dazu, dass Sentinellymphknoten als falsch negativ identifiziert werden. Prof. Persson stellte einen definierten chirurgischen Algorithmus vor. Im ersten Schritt wird in den unteren parazervikalen Weg injiziert. Im zweiten Schritt wird der paravesikale Raum er&ouml;ffnet, dann der pararektale. &laquo;Folgt man diesen Schritten nicht, ist die Gefahr gross, dass man das Gewebe zerst&ouml;rt&raquo;, sagte Parsson. Im dritten Schritt wird dann in den oberen parazervikalen Lymphweg injiziert. Ein zentraler Punkt des Algorithmus ist, dass erneut Kontrastmittel injiziert wird, wenn man zun&auml;chst kein Uptake erkannt hat. Durch diese Reinjektionen erh&ouml;ht man die Detektionsrate von 86 auf 96 % . Nach dem Prinzip &laquo;stretch &ndash; look &ndash; dissect&raquo; arbeitet man sich laparoskopisch vor. &laquo;Hat man den Sentinellymphknoten gefunden, ist es wichtig, ihn nur vorsichtig zu greifen&raquo;, sagte Persson. &laquo;Denn wenn man ihn zu sehr packt und zerquetscht, kann man leicht Metastasen setzen.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1704_Weblinks_lo_onko_1704_s32_abb1.jpg" alt="" width="1457" height="830" /></p> <p>Lesen sie auch: <a href="8295">&laquo;Die Forschung geht schleppend voran&raquo;</a></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 4. Luzerner Symposium für Gynäkologische Onkologie: Aktuelle Herausforderungen bei malignen Erkrankungen des Uterus, 11. Mai 2017, Luzern </p>
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