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Nekrotisierende Enterokolitis beim Neugeborenen

Diagnostische und therapeutische Strategien

<p class="article-intro">Die nekrotisierende Enterokolitis (NEC) ist der häufigste gastrointestinale Notfall an neonatologischen Intensivstationen. Trotz zahlreicher beeindruckender Fortschritte in der intensivmedizinischen Versorgung auch von extrem frühgeborenen Kindern mit weniger als 1000 Gramm Geburtsgewicht ist die Mortalität der NEC in den letzten drei Dekaden nahezu unverändert geblieben und beträgt weiterhin 10–30 % .<sup>1</sup></p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die nekrotisierende Enterokolitis beim Neugeborenen ist eine fatale Erkrankung mit hoher Mortalit&auml;t und Morbidit&auml;t und schwerwiegenden Langzeitfolgen.</li> <li>Zentrum der Forschung sind die unreifen Regulationsmechanismen des Neonaten und das Verst&auml;ndnis der Pathogenese mit dem Ziel, das diagnostische Spektrum stetig zu erweitern.</li> <li>IL-8 ist als klinisch relevanter Biomarker der NEC etabliert, der mit dem Erkrankungsausma&szlig; und der 60-Tages-Mortalit&auml;t korreliert.</li> <li>Lysosomale Enzyme gelten als vielversprechende Marker zur Diagnose der intestinalen Isch&auml;mie.</li> </ul> </div> <p>Im Falle einer panintestinalen NEC &ndash; hier ist nahezu der gesamte Intestinaltrakt betroffen &ndash; erreicht die Sterblichkeit sogar 100 % . Die Erkrankung betrifft nahezu ausschlie&szlig;lich fr&uuml;hgeborene Kinder, mit einem H&auml;ufigkeitsgipfel bei Geburt in der 29. bis 32. Schwangerschaftswoche. Die Inzidenz der NEC betr&auml;gt in etwa 4 % und korreliert negativ mit dem Gestationsalter und dem Geburtsgewicht. Kinder, die diese Erkrankung &uuml;berleben, leiden h&auml;ufig unter schwerwiegenden Langzeitfolgen, wie neurologischen Entwicklungsst&ouml;rungen, Wachstumsverz&ouml;gerung, Kurzdarmsyndrom und Abh&auml;ngigkeit von parenteraler Ern&auml;hrung.<sup>2, 3</sup></p> <h2>Schwierige Diagnose und Therapie</h2> <p>Die Diagnostik und Therapie der NEC stellen eine gro&szlig;e Herausforderung an alle beteiligten Fachdisziplinen, Neonatologie wie Kinderchirurgie, dar. Die initialen Symptome sind &auml;u&szlig;erst variabel und &auml;hneln gerade am Beginn einer benignen gastrointestinalen Erkrankung. Erst im fortgeschrittenen Stadium treten die typischen klinischen Zeichen der NEC in Erscheinung. Zu diesen z&auml;hlen ein zunehmend distendiertes, druckdolentes Abdomen, Nahrungsintoleranz, gallige Magenreste als Zeichen des mechanischen Ileus, blutige Stuhlbeimengungen als Zeichen der akuten Inflammation des Intestinums und daraus folgend eine progrediente zirkulatorische und respiratorische Insuffizienz. Als Goldstandard in der Diagnose der NEC gilt der nativradiologische Nachweis von Lufteinschl&uuml;ssen in der Darmwand, der sogenannten Pneumatosis intestinalis.<br /> Es ist von Bedeutung, zu erw&auml;hnen, dass bereits bei Verdacht auf eine NEC eine empirische Therapie aus Nahrungskarenz, enteraler Entlastung via Magensonde, parenteraler Ern&auml;hrung, intraven&ouml;ser Verabreichung von Antibiotika und intensivmedizinischen Supportivma&szlig;nahmen eingeleitet wird. Bei etwa der H&auml;lfte der betroffenen Kinder ist eine chirurgische Therapie erforderlich. Die Indikation zur chirurgischen Intervention ist das Vorliegen einer intestinalen Perforation mit Nachweis von freier intraperitonealer Luft. Dieser Nachweis gelingt jedoch mit den derzeitigen diagnostischen Verfahren nur in etwa 60 % der F&auml;lle.<sup>4</sup><br /> Eine der zentralen Fragen in der Behandlung sind die Absch&auml;tzung des intestinalen Befalls der NEC und die zu erwartende Prognose. In der unmittelbaren Vergangenheit konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass weder klinische Symptome noch herk&ouml;mmliche Laborparameter in der Lage sind, den Schweregrad der Erkrankung vorherzusagen. Der bislang wichtigste Faktor in dem komplexen Entscheidungsprozess bei fr&uuml;hgeborenen Kindern mit NEC war die subjektive Einsch&auml;tzung des Teams. Eine objektivierbare Hilfestellung w&auml;re in diesem Zusammenhang von gro&szlig;er Bedeutung, optimalerweise zu Beginn der Erkrankung, nicht erst beim Auftreten von Komplikationen.</p> <h2>Biomarker zur Diagnose und Risikoabsch&auml;tzung</h2> <p>Die exakte Pathogenese der NEC ist bis dato nicht gekl&auml;rt. Eine zentrale Hypothese beinhaltet die unkontrollierte proinflammatorische Antwort des unreifen Darmepithels des Neonaten auf intraluminale bakterielle Pathogene nach Initiierung der enteralen Ern&auml;hrung.<sup>5, 6</sup> Auf Basis dieser Hypothese sind unterschiedliche Biomarker f&uuml;r die Diagnostik und den Verlauf der nekrotisierenden Enterokolitis untersucht worden. Entsprechend der &uuml;berschie&szlig;enden inflammatorischen Aktivierung des unreifen Darmepithels konnte zun&auml;chst eine ausgepr&auml;gte Elevation proinflammatorischer Zytokine bei Neonaten mit NEC demonstriert werden.<sup>7</sup><br /> Die Abteilung f&uuml;r Kinderchirurgie der Medizinischen Universit&auml;t Wien befasst sich seit geraumer Zeit intensiv mit der Identifikation und Etablierung neuer Biomarker bei Kindern mit NEC. Als eine der ersten Forschungsgruppen waren wir in der Lage, jene Zytokine zu identifizieren, die durch das Auftreten der NEC signifikant beeinflusst werden. Im Rahmen einer prospektiven Beobachtungsstudie, die sich der simultanen Evaluation von 11 unterschiedlichen pro- und antiinflammatorischen Zytokinen bei Kindern mit chirurgisch behandelter NEC widmete, konnten die Zytokine Interleukin(IL)-6, IL-8 und IL-10 als klinisch relevante Marker identifiziert werden.<sup>7</sup> Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigten alle drei Zytokine einen hochsignifikanten Anstieg der gemessenen Konzentrationen (IL-6: 56-fache Erh&ouml;hung; IL-8: 32-fache Erh&ouml;hung; IL-10: 38-fache Erh&ouml;hung) im Plasma der Patienten mit operierter NEC.<br /> Inwieweit diese Ergebnisse nun in den klinischen Alltag &uuml;bersetzbar sind, zeigen zwei gro&szlig;e retrospektive Analysen.<sup>8, 9</sup> Die erste Arbeit befasst sich mit der Frage, ob IL-8-Level geeignete Marker zur pr&auml;operativen Risikoeinsch&auml;tzung sind und inwieweit pr&auml;operativ erhobene IL- 8-Level in der Lage sind, das intraoperative Erkrankungsausma&szlig; der NEC vorherzusagen. <sup>8</sup> Zur Definition des intraoperativen Erkrankungsausma&szlig;es wurden die Kinder mit chirurgischer NEC in 3 Gruppen eingeteilt. Die Gruppe fokale NEC beinhaltet jene Kinder mit lokalisiertem Befall, multifokale NEC bezeichnet jenes Befallsmuster, wo zumindest 2 intestinale Segmente betroffen sind, und die Gruppe der panintestinalen NEC beschreibt die Maximalausdehnung der Sch&auml;digung von D&uuml;nn- und Dickdarm. Es wurden insgesamt 40 Kinder mit chirurgisch behandelter NEC eingeschlossen (fokal: n=11; multifokal: n=16; panintestinal: n=13). Die Evaluation der pr&auml;operativen Laborparameter zeigte, dass lediglich IL-8 in der Lage ist, die 3 Gruppen vorherzusagen (IL-8 median fokale NEC: 171,6pg/ml; multifokal: 855,5pg/ml; panintestinal: 2750,0pg/ml; OR 1,74; p&lt;0,001). Weder Leukozytenzahl noch Thrombozytenzahl und CRP-Auslenkung korrelierten mit dem intraoperativen Erkrankungsausma&szlig;.<sup>8</sup><br /> Die unserer Meinung nach entscheidende Frage des prognostischen Werts von IL-8 zum Zeitpunkt des Erkrankungsbeginns behandelt die zweite Studie. Das Ziel dieser Arbeit war die Etablierung von IL-8 als geeigneter Marker zur Diskrimination von chirurgisch zu behandelnder NEC und medikament&ouml;s therapierbarer NEC sowie die Rolle von IL-8 zur Absch&auml;tzung der 60-Tages-Mortalit&auml;t am Beginn der NEC.<sup>9</sup> In diese Studie wurden 113 Neonaten mit NEC eingeschlossen, davon wurden 50 Kinder operiert (chirurgische NEC) und 63 Kinder konservativ behandelt (medikament&ouml;se NEC). Die 60-Tages- Mortalit&auml;t im Gesamtkollektiv betrug 19 % (22/113), in der Gruppe der medikament&ouml;sen NEC 10 % (6/63), in der chirurgischen NEC 32 % (16/50). Die erhobene IL-8-Konzentration zu Erkrankungsbeginn korrelierte signifikant mit der 60-Tages- Mortalit&auml;t (mediane IL-8-Konzentration chirurgische NEC: verstorben 3763pg/ml vs. &uuml;berlebend 2382pg/ml; medikament&ouml;se NEC: verstorben 658pg/ ml vs. &uuml;berlebend 155pg/ml; p=0,001). Des Weiteren konnte diese Studie einen hochsignifikanten Unterschied der IL- 8-Level bei Neonaten mit chirurgischer und medikament&ouml;ser NEC demonstrieren (IL-8 median chirurgische NEC: 2625pg/ ml; medikament&ouml;se NEC: 156pg/ml; p&lt;0,001).<sup>9</sup></p> <h2>Interleukin 8 als Biomarker f&uuml;r NEC best&auml;tigt</h2> <p>Die Identifikation neuer Biomarker in der Diagnose der NEC beinhaltet auch die Suche nach darmspezifischen Biomarkern. Im Unterschied zu den vorgenannten Zytokinen werden darmspezifische Biomarker vorwiegend oder ausschlie&szlig;lich im Darmepithel gebildet und im Rahmen des Zellunterganges der NEC in vermehrtem Ausma&szlig; im Serum nachweisbar. Die prominentesten Vertreter der darmspezifischen Marker sind &bdquo;fatty acid binding proteins&ldquo; (FABP), zytoplasmatische Tr&auml;gerproteine, die den Transfer von Fetts&auml;uren &uuml;ber die Zellmembran erm&ouml;glichen. F&uuml;r die epitheliale Sch&auml;digung bei NEC scheinen das Intestinal-FABP (IFABP) und Liver-FABP (L-FABP) von Bedeutung zu sein. Wir konnten an der Medizinischen Universit&auml;t Wien als erste Forschungsgruppe den diagnostischen Wert beider epithelialer Marker mit dem proinflammatorischen Zytokin IL-8 in einem Patientenkollektiv vergleichen.<sup>10</sup> In diese prospektive Studie wurden 15 Kinder mit chirurgischer und medikament&ouml;ser NEC eingeschlossen und mit einer gesunden Kontrollgruppe (n=14) verglichen. Die diagnostische Aussagekraft der Plasmakonzentrationen von IL- 8 (AUC=0,99) scheint jener von I-FABP (AUC=0,81) &uuml;berlegen und mit der von L-FABP (AUC=0,95) vergleichbar zu sein. Die Bedeutung von IL-8 als spezifischem Marker bei NEC konnte somit weiter untermauert werden. Zusammenfassend kann IL-8 als wertvoller, klinisch relevanter Biomarker pr&auml;sentiert werden, der eine wichtige objektivierbare Hilfestellung in dem komplexen Entscheidungsprozess zur chirurgischen Therapie bei fr&uuml;hgeborenen Kindern mit NEC leistet. Im Gegensatz zu allen anderen neuen Biomarkern ist IL-8 ein in vitro zertifizierter Laborparameter, der an vielen p&auml;diatrischen Zentren bestimmbar ist. Dies er&ouml;ffnet einzigartige M&ouml;glichkeiten f&uuml;r zuk&uuml;nftige Forschungsprojekte.</p> <h2>Fr&uuml;herkennung und fr&uuml;he Intervention</h2> <p>Die Detektion der intestinalen Isch&auml;mie als Vorstufe einer Nekrose w&uuml;rde bedeuten, einen potenziell reversiblen Status der NEC zu erkennen und gleichzeitig die M&ouml;glichkeit einer fr&uuml;hen Intervention zu er&ouml;ffnen. Inwieweit die intestinale Isch&auml;mie prim&auml;re Ursache der NEC oder sekund&auml;res Ph&auml;nomen der unkontrollierten intestinalen Inflammation des Neonaten ist, ist Gegenstand der Forschung der letzten drei Dekaden. Ungeachtet dessen ist es bis dato nicht m&ouml;glich, mit herk&ouml;mmlichen Diagnoseverfahren &ndash; weder bildgebend noch laborchemisch &ndash; eine intestinale Isch&auml;mie zu erkennen. Die Hypothese, lysosomale Enzyme als Marker f&uuml;r eine intestinale Isch&auml;mie zu verwenden, basiert auf einer experimentellen NEC-Studie aus dem Jahr 2003, in welcher gezeigt werden konnte, dass die Plasmaaktivit&auml;t der &beta;-Glucosidase mit der Dauer der intestinalen Isch&auml;mie korreliert, wobei der Anstieg der &beta;-Glucosidase- Aktivit&auml;t bereits vor makroskopischen Zeichen der Nekrose detektiert wurde.<sup>11</sup> Au&szlig;erdem konnte gezeigt werden, dass 80 % der detektierten &beta;-Glucosidase- Aktivit&auml;t aus dem Intestinum stammen. Unsere Forschungsgruppe konnte in einer fallkontrollierten prospektiven Studie die Plasmaaktivit&auml;t von sechs verschiedenen lysosomalen Enzymen (Acid-Sphingomyelinase, &alpha;-Glucosidase, Galactocerebrosidase, &alpha;-Galactosidase, &alpha;-L-Iduronidase, &beta;-Glucosidase) bei 15 NEC-Kindern und 18 Kontrollpatienten untersuchen und dabei nachweisen, dass insbesondere die Plasmaaktivit&auml;t der &beta;-Glucosidase (ABG), der &alpha;-Glucosidase (GAA) und der Galactocerebrosidase (GALC) in der NEC-Gruppe signifikant erh&ouml;ht war (ABG p=0,009; GAA p&lt;0,001; GALC p&lt;0,001).<sup>12</sup> In &Uuml;bereinstimmung mit den experimentellen Daten scheinen lysosomale Enzyme zuk&uuml;nftig auch im klinischen Bereich als Marker f&uuml;r die Integrit&auml;t der intestinalen Barriere denkbar. F&uuml;r fr&uuml;hgeborene Kinder mit gastrointestinaler Symptomatik w&uuml;rde die Identifikation einer intestinalen Isch&auml;mie eine fr&uuml;hzeitige Differenzierung von benignen gastrointestinalen Erkrankungen bei kritisch kranken Kindern bedeuten und eine rasche Identifikation jener mit hohem Risiko, eine NEC zu entwickeln.</p> <p><span class="link-color"><a class="article-link" href="../fachthemen/8049" data-locked="0">zur&uuml;ck zum Themenschwerpunkt zur OEGGG Jahrestagung</a></span></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Lin PW, Stoll BJ: Necrotising enterocolitis. Lancet 2006; 368: 1271-83 <strong>2</strong> Wadhawan R et al: Neurodevelopmental outcomes of extremely low birth weight infants with spontaneous intestinal perforation or surgical necrotizing enterocolitis. J Perinatol 2014; 34(1): 64-70 <strong>3</strong> Hintz SR et al: Neurodevelopmental and growth outcomes of extremely low birth weight infants after necrotizing enterocolitis. Pediatrics 2005; 115: 696-703 <strong>4</strong> Epelman M et al: Necrotizing enterocolitis: review of state-of-the-art imaging findings with pathologic correlation. Radiographics 2007; 27: 285-305 <strong>5</strong> Neu J, Walker WA: Necrotizing enterocolitis. N Engl J Med 2011; 364: 255-64 <strong>6</strong> Ford HR et al: Inflammatory cytokines, nitric oxide, and necrotizing enterocolitis. Semin Pediatr Surg 1996; 5: 155-9 <strong>7</strong> Markel TA et al: Cytokines in necrotizing enterocolitis. Shock 2006; 25: 329-37 <strong>8</strong> Benkoe T et al: Comprehensive evaluation of 11 cytokines in premature infants with surgical necrotizing enterocolitis. PLoS One 2013; 8: e58720 <strong>9</strong> Benkoe T et al: Interleukin 8 correlates with intestinal involvement in surgically treated infants with necrotizing enterocolitis. J Pediatr Surg 2012; 47: 1548-54 <strong>10</strong> Benkoe TM et al: Serum levels of interleukin-8 and gut-associated biomarkers in diagnosing necrotizing enterocolitis in preterm infants. J Pediatr Surg 2014; 49: 1446-51 <strong>11</strong> Dimmitt RA et al: Serum cytosolic beta-glucosidase activity in a rat model of necrotizing enterocolitis. J Pediatr Res 2003; 54: 462-5 <strong>12</strong> Benkoe TM et al: The plasma activities of lysosomal enzymes in infants with necrotizing enterocolitis: new promising class of biomarkers? Clin Chim Acta 2015; 438: 279-83</p> </div> </p>
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