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Grenzen und Möglichkeiten der Betreuung am Lebensende

Abschied nehmen – Hoffnung geben

<p class="article-intro">Die terminale Lebensphase verpflichtet zur aktiven, flexiblen und kontinuierlich individuellen Behandlung bzw. Betreuung und ist eine interdisziplinäre und multiprofessionelle Aufgabe. Es gibt kein fertiges Rezept, aber es gibt Leitfäden für die Kommunikation sowie therapeutische Richtlinien und Vernetzungsmöglichkeiten, die allen Beteiligten helfen können.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Das Thema Betreuung am Lebensende (&bdquo;end of life care&ldquo;) hat heute mehrere Aspekte: Gesellschaftspolitische/kulturelle Bedingungen (rechtliche Bestimmungen), ressourcenethische und organisationsethische Bedingungen bilden den vorgegebenen Rahmen, in dem die Medizin t&auml;tig ist. Dar&uuml;ber hinaus spielt unser &auml;rztliches Ethos eine wichtige Rolle: falsche Hoffnungen n&auml;hren durch kostenpflichtige alternative Ma&szlig;nahmen oder Beistand leisten und reale Hoffnungen aufzeigen. Wir k&ouml;nnen in den therapeutischen Entscheidungsfindungsprozessen der &bdquo;end of life care&ldquo; sorgf&auml;ltig und ethisch vorgehen und letztendlich auch durch Ethik in der Kommunikation am Lebensende Gutes bewirken. <br /> Vielf&auml;ltig belegte Fakten spielen in der Komplexit&auml;t der Betreuung am Lebensende eine Rolle: Die Zunahme von chronischen Erkrankungen, die Vielfalt der palliativen, konservativen und interventionellen therapeutischen M&ouml;glichkeiten, welche die Grenze zwischen Leben und Tod variabel gemacht haben, f&uuml;hren dazu, dass wir eine l&auml;ngere Lebenserwartung mit l&auml;ngerer Pflegebed&uuml;rftigkeit haben. Wir leben l&auml;nger, aber sterben auch l&auml;nger. Au&szlig;erdem wird das Sterben meist als ungl&uuml;cklicher Verlauf und nicht als nat&uuml;rlicher Prozess erlebt. Und dies von Betroffenen wie von Helfern gleicherma&szlig;en.<br /> Statistisch sind die Verl&auml;ufe fortschreitender unheilbarer Erkrankungen schematisch darstellbar (Abb. 1). In den westlichen, sogenannten entwickelten L&auml;ndern ist das langsame prozessuale Sterben in fast 90 % der Fall. In einer Stellungnahme der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hei&szlig;t es: &bdquo;Das Lebensende ist ein Prozess, der mit dem Tod endet, per se aber in zeitlichem, biologischem und abstraktem Sinn dehnbar ist. Das Lebensende unterliegt keiner eindeutigen Begriffsdefinition im Sinne einer Diagnose.&ldquo;<sup>1 </sup><br /> Die sorgf&auml;ltige und evaluierte Erkennung der Anzeichen f&uuml;r die Lebensendphase ist jedoch entscheidend und unabdingbar f&uuml;r ad&auml;quate Therapieziel&auml;nderungen. Nur so ist Abschiednehmen zu erm&ouml;glichen sowie Hilfe bei der Anpassung der Erwartungen an die Realit&auml;t zu leisten und reale Hoffnung auf sogenanntes &bdquo;Fertigleben&ldquo; &ndash; stilvolles, w&uuml;rdevolles Sterben &ndash; zu unterst&uuml;tzen.<br /> Eine zeitlich genaue individuelle Prognose ist sehr schwer einzusch&auml;tzen, aber mit signifikanter Richtigkeit beantworten erfahrene behandelnde &Auml;rzte folgende Frage: &bdquo;W&auml;re ich &uuml;berrascht, wenn mein Patient in den n&auml;chsten 6&ndash;12 Monaten sterben w&uuml;rde?&ldquo;<sup>2</sup><br /> Sp&auml;testens dann, wenn diese Frage mit &bdquo;Nein&ldquo; beantwortet wird, m&uuml;ssten die &Uuml;berlegungen und Gespr&auml;che bez&uuml;glich der W&uuml;nsche der Patienten beginnen, damit sogenanntes &bdquo;advanced care planning&ldquo;, z.B. in Form von Vorsorgedialog, Beratung bei schriftlicher Patientenverf&uuml;gung oder bei Erteilung der Vorsorgevollmacht, stattfinden kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1705_Weblinks_s42.jpg" alt="" width="1428" height="1466" /></p> <h2>Lebensqualit&auml;t hat oberste Priorit&auml;t</h2> <p>Ethisch gesehen ist es eine Besonderheit, dass in der Lebensendphase der Erhalt oder die Wiederherstellung der Lebensqualit&auml;t Priorit&auml;t vor dem m&ouml;glichen Zugewinn an Lebenszeit hat. Somit w&auml;ren wir bei einer n&auml;chsten Komplexit&auml;t angelangt &ndash; der individuellen Lebensqualit&auml;t. Diese kann sich zeitlich und intrapers&ouml;nlich &auml;ndern. Sie zu erfassen, zu verstehen, zu erhalten und wiederherzustellen verlangt von den Helfern ein hohes Ma&szlig; an Empathie, Kommunikationsf&auml;higkeit, fachlicher Kompetenz, Flexibilit&auml;t und Kreativit&auml;t (Abb. 2).<br /> Lebensqualit&auml;t ist im &uuml;berindividuellen Definitionszusammenhang als erlebte Handlungsf&auml;higkeit zu verstehen. Es hei&szlig;t, je handlungsf&auml;higer sich Patienten und Angeh&ouml;rige erleben, desto besser f&uuml;hlen sie sich. Je handlungsunf&auml;higer sie sich erleben, desto schlechter f&uuml;hlen sie sich. <br /> Das Problem ist: Dasselbe scheint auch auf uns &Auml;rzte zuzutreffen.<sup>3</sup> Es f&auml;llt uns leichter, Diagnostik und Therapie fortzuf&uuml;hren oder einzuleiten als auf Diagnostik zu verzichten und manche medizinischen Ma&szlig;nahmen abzubrechen. In diesem Kontext sind z.B. Krankenhauseinweisungen, intensivmedizinische Ma&szlig;nahmen, chirurgische Interventionen, Blutderivatgabe, Dialyse, medizinische Ern&auml;hrung, Antibiotikagabe oder parenterale Fl&uuml;ssigkeitsgabe zu sehen. Manche dieser Ma&szlig;nahmen k&ouml;nnen durchaus in individuellen Situationen geboten und sinnvoll sein, aber f&uuml;r jede dieser Ma&szlig;nahmen sollte (auch in der Lebensendphase mit priorit&auml;rer Ber&uuml;cksichtigung der Lebensqualit&auml;t) die klassische Definition der medizinischen Indikation zutreffen. Solche medizinischen Entscheidungen sind verst&auml;ndlicherweise nicht leicht zu treffen und sollten auch nicht leichtfertig getroffen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1705_Weblinks_s42_2.jpg" alt="" width="1420" height="1182" /></p> <h2>Erschwernisfaktoren f&uuml;r Helfer</h2> <p>In der Praxis beobachtete h&auml;ufige Erschwernisfaktoren f&uuml;r die Helfer sind: <br /> &bull; fehlende Rahmenbedingungen (r&auml;umlich, zeitlich, personell)<br /> &bull; zeitliche Bedr&auml;ngnis durch schnelles Fortschreiten der Erkrankung<br /> &bull; pers&ouml;nliche Bedr&auml;ngnis durch hohe, nicht (mehr) realistische Erwartungen der Betroffenen<br /> &bull; keine Teamkultur oder Struktur f&uuml;r gegenseitige Unterst&uuml;tzung unter den Helfern<br /> &bull; unzureichende diesbez&uuml;gliche Ausbildung, Training, Supervision<br /> &bull; stark ausgepr&auml;gte Emotionalit&auml;t und deswegen Meiden solcher Situationen<br /> &bull; schwache bzw. fehlende Selbstrefle&shy;xionsf&auml;higkeit in Bezug auf eigene &Auml;ngste, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Trauer<br /> Was dabei wirklich hilft, ist, die palliativen therapeutischen Zielsetzungen gleich ernst zu nehmen wie die pr&auml;ventiven oder kurativen. Es hilft auch, die Problemsituationen zu analysieren.<br /> Es ist hilfreich (und auch nicht zu zeitaufwendig!), folgende Fragen zu stellen: Wie ist diese Krankheitsphase beschaffen? Ist das wirklich die Lebensendphase? Stehen wir vor einer medizinisch schwierigen Situation oder &bdquo;nur&ldquo; vor einem Kommunikationsproblem? Und schlie&szlig;lich: Ist dies ein medizinethisches Problem? Bei Letzterem ist ein ethischer Entscheidungsfindungsprozess unabdingbar, z.B. in Form eines runden Tisches oder einer Helferkonferenz unter Ber&uuml;cksichtigung des Patientenwillens (des aktuellen oder bei Bewusstseinsverlust des vorbekundeten, delegierten, mutma&szlig;lichen oder schriftlich festgelegten).</p> <h2>Medizinische Ziele in der Lebensendphase</h2> <p>Der Ausschuss f&uuml;r die Ethik des Europarates hat im Mai 2014 einen Leitfaden zum Prozess der Entscheidungsfindung zur medizinischen Behandlung am Lebensende herausgegeben, der sich in der Praxis als sehr hilfreich erwiesen hat.<sup>3</sup><br /> In &Ouml;sterreich sind &ndash; im Gegensatz zu einigen L&auml;ndern (auch in der EU) &ndash; T&ouml;tung auf Verlangen, Beihilfe zum Suizid und assistierter Suizid gesetzlich verboten. Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hat 2011 eine neue Terminologie f&uuml;r den fr&uuml;heren Begriff der passiven Sterbehilfe herausgegeben. Die gesetzlich erlaubten und in der Lebensendphase gebotenen medizinischen Ziele sind dort folgenderma&szlig;en definiert: <br /> Therapie am Lebensende beinhaltet alle medizinischen Ma&szlig;nahmen, die die Lebensqualit&auml;t verbessern, das Leben verl&auml;ngern oder Leiden mildern. <br /> Die zweite M&ouml;glichkeit ist Sterben zulassen, d.h., lebensverl&auml;ngernde medizinische Ma&szlig;nahmen zu unterlassen, wenn diese nicht mehr sinnvoll sind und/oder den Sterbeprozess verl&auml;ngern. <br /> Der dritte Terminus lautet Sterbebegleitung. Dieser beinhaltet Ma&szlig;nahmen zur Pflege, Betreuung und Behandlung von Symptomen von Sterbenden. In der Sterbebegleitung ist in &auml;rztlicher Verantwortung auf Rahmenbedingungen wie die Unterbringung, Pflege und Zuwendung zu achten.<br /> Au&szlig;erdem ist das k&ouml;rperliche Wohlbefinden zu sichern, z.B. durch Abstellung der unangemessenen Interventionen und in einer Sterbephase nicht mehr indizierter Medikation sowie durch ausreichende Linderung der bestehenden k&ouml;rperlichen oder auch antizipierten Symptome (z.B. Atemnot, Schmerz, &Uuml;belkeit, Unruhe, Verwirrtheit, Fieber, Blutung, Rasselatmung etc.). Dabei ist auf die Verabreichungsformen der symptomlindernden Medikamente zu achten. In der Sterbephase ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Schluckunf&auml;higkeit zu rechnen, deswegen sind f&uuml;r die notwendigen Medikamente sublinguale/mukosale, rektale, subkutane Verabreichungsformen zu w&auml;hlen. Ein &bdquo;Notfallplan&ldquo; sollte festgelegt und dokumentiert werden.<br /> In der Sterbebegleitung ist des Weiteren die psychische Betreuung auch &auml;rztliche Aufgabe.<sup>5</sup> Bei existenzieller Bedrohung sind Coping-Strategien wie Verleugnung, Verdr&auml;ngung, Projektion etc. keine Seltenheit. Dem Um-jeden-Preis-Leben-Wollen, der Todesangst oder dem &Auml;u&szlig;ern von Todessehnsucht ist empathisch und unerschrocken vonseiten der Helfer zu begegnen, es ist Beistand zu leisten und da zu sein. <br /> Auf die Erf&uuml;llung der religi&ouml;sen und spirituellen Bed&uuml;rfnisse ist hinzuweisen, ebenso ist auf die Kommunikation &uuml;ber das nahende Lebensende mit allen Beteiligten, d.h. mit dem Patienten, mit der Familie und den Angeh&ouml;rigen, mit den anderen Prim&auml;rbetreuern im eigenen Team, zu achten. <br /> Die Kommunikation bekommt angesichts des Todes den urspr&uuml;nglichen Sinn des Wortes &bdquo;communicare&ldquo; &ndash; sich mitteilen, etwas miteinander teilen. Statt Aufkl&auml;rung werden Kl&auml;rungsgespr&auml;che auf Augenh&ouml;he mit dem Patienten empfohlen.<sup>4</sup> In Form eines partnerschaftlichen Kommunikationsmodells wird ein Konsens f&uuml;r die Therapieziele gesucht und festgelegt, dabei ist es hilfreich, sich zu &bdquo;entschleunigen&ldquo;, das Tempo des Patienten und des Prozesses anzunehmen und nicht Achterbahn in der Kommunikation zu fahren.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Man kann sagen, wir &Auml;rzte k&ouml;nnen ma&szlig;geblich dazu beitragen, dass eine gute Sterbekultur entsteht, mit einer fr&uuml;hzeitigen Kommunikation &uuml;ber den Willen und die W&uuml;nsche unserer Patienten und durch Sicherung der Symptomlinderung in der Sterbephase. Die Betreuung der Angeh&ouml;rigen, die in emotionaler Not sind, ist gleicherma&szlig;en eine wichtige, wenn auch manchmal zeitlich aufwendige, sehr oft dankbare Aufgabe. <br /> &bdquo;End of life care&ldquo; ist eine fachliche, kommunikative und medizinethische Herausforderung, vereint wie keine andere &auml;rztliche T&auml;tigkeit die naturwissenschaftlichen und humanwissenschaftlichen Aspekte der Medizin und ist eine sehr sinnvolle Aufgabe, da das Leben (trotz allem und noch immer) eine hundertprozentige Mortalit&auml;tsrate hat.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt: Empfehlungen zur Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende, Bundeskanzleramt &Ouml;sterreich 2011. http://archiv.bundeskanzleramt.at/DocView. axd?CobId=44491, last accessed 30. Mai 2017 <strong>2</strong> Lynn J: JAMA 2001; 285(7): 925-32 <strong>3</strong> Ausschuss f&uuml;r Bioethik des Europarates: Leitfaden zum Prozess der Entscheidungsfindung zur medizinischen Behandlung am Lebensende. https://www.ethix.at; last accessed 30. Mai 2017 <strong>4</strong> Tessmer G et al: Pneumologie 2011; 65(08): 503-9 <strong>5</strong> Jack BA et al: Int J Palliat Nurs 2003; 9(9): 375-81</p> </div> </p>
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