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Gicht und Hyperurikämie: Wie behandle ich wen?

<p class="article-intro">Interessante Hintergrundinformationen zur Harnsäure und ein Überblick über derzeitige und kommende Therapieoptionen bei Gicht wurden am Wachauer Rheumatag präsentiert. </p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Gicht hat ein schlechtes Image: als Krankheit der Wohlhabenden, die zum Gro&szlig;teil von den Betroffenen selbst verschuldet ist. Ganz so ist es nicht: Dr. Raimund Lunzer vom Krankenhaus der Barmherzigen Br&uuml;der Graz-Eggenberg berichtet &uuml;ber eine Zwillingsstudie, die den genetischen Einfluss auf die Entwicklung einer Hyperurik&auml;mie belegt.<sup>1</sup> Die Studie, die Zwillingsp&auml;rchen &uuml;ber 34 Jahre beobachtete, zeigte aber auch: Ob aus der Hyperurik&auml;mie eine Gicht entsteht, entscheidet doch der Lebensstil.</p> <h2>Harns&auml;ure: antioxidativ und neuroprotektiv?</h2> <p>Harns&auml;ure im Blut ist prinzipiell nichts Schlechtes: &bdquo;Immerhin stellt sie 50 % der antioxidativen Kapazit&auml;t des Plasmas&ldquo;, erkl&auml;rt Lunzer. Intrazellul&auml;r d&uuml;rfte sie jedoch &ndash; durch Aktivierung der Xanthinoxidase &ndash; eher prooxidativ wirken. Auff&auml;llig ist, dass Affen und Menschen im Vergleich zu anderen S&auml;ugetieren relativ hohe Harns&auml;urespiegel aufweisen. Dies l&auml;sst vermuten, dass der Verlust der harns&auml;urespaltenden Urikase vor etwa 15 Millionen Jahren irgendeinen evolution&auml;ren Vorteil brachte. Eine Fallkontrollstudie mit &uuml;ber 55 000 Gichtpatienten hat nun au&szlig;erdem gezeigt, dass diese ein geringeres Risiko f&uuml;r die Entwicklung einer Alzheimer-Erkrankung aufweisen als Kontrollpersonen.<sup>2</sup> Bei Alzheimer-, Parkinson- und MS-Patienten werden dagegen oft sehr niedrige Harns&auml;urespiegel gefunden. Ein neuroprotektiver Effekt der Harns&auml;ure wird daher vermutet. Allerdings haben sich umgekehrt noch keine negativen Effekte auf das Nervensystem durch eine harns&auml;uresenkende Therapie gezeigt.</p> <h2>Wie behandle ich wen?</h2> <p>F&uuml;r den akuten Gichtanfall werden Glukokortikoide, hoch dosierte NSAR, Colchicin oder die Interleukin-1-Hemmer Anakinra und Canakinumab empfohlen, wobei Anakinra f&uuml;r Gicht nicht zugelassen ist. Lunzer hat mit beiden IL-1-Hemmern sehr gute Erfahrungen bei schweren Gichtanf&auml;llen gemacht: &bdquo;Wichtig ist zu wissen, dass diese Medikamente keinen Einfluss auf den Harns&auml;urespiegel haben, es sind reine Entz&uuml;ndungshemmer.&ldquo;<br /> Zur Prophylaxe neuer Anf&auml;lle dienen ebenfalls Glukokortikoide, NSAR oder Colchicin. Letzteres ist wegen Nebenwirkungen (gastrointestinale, Knochenmarks&shy;aplasie u.a.) und Interaktionen mit anderen Medikamenten in der Langzeitanwendung umstritten. So kann es bei gleichzeitiger Anwendung mit Statinen zu Myopathien kommen. Clacid und Colchicin k&ouml;nnen, gemeinsam verabreicht, Intoxikationen verursachen. Besondere Gefahr besteht bei niereninsuffizienten Patienten. &bdquo;Nephrologen berichten immer wieder von Todesf&auml;llen durch Colchicin&ldquo;, so Lunzer. Andere bei diesem Vortrag anwesende Experten haben jedoch bisher gute Erfahrungen mit niedrig dosiertem Colchicin gemacht. Unter den NSAR ist laut Lunzer Etoricoxib besonders zur Prophylaxe von Gichtanf&auml;llen geeignet.<br /> F&uuml;r die Harns&auml;uresenkung werden vornehmlich die Urikostatika Allopurinol und Febuxostat eingesetzt. Der Zielwert liegt bei &lt;6mg/dl, bei toph&ouml;ser Gicht &lt;5mg/dl. Mit Allopurinol wird nach Abklingen des Schubes begonnen, zuerst niedrig dosiert. Die Dosis wird langsam auf 300mg gesteigert, bis der Zielwert erreicht ist. Bei Niereninsuffizienz sind gegebenenfalls Dosisanpassungen erforderlich. M&ouml;gliche Nebenwirkungen sind Fieber, Exantheme, Hepatitis, Leukozytose und Eosinophilie. Juckreiz kann bei bis zu 20 % der behandelten Patienten auftreten.<br /> Bei Intoleranz, Kontraindikationen oder nicht ausreichender Wirksamkeit von Allopurinol ist Febuxostat die Wahl im Erstattungskodex. &bdquo;Febuxostat ist etwa doppelt so wirksam wie Allopurinol und erfordert keine Therapieanpassung bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Nierenfunktionseinschr&auml;nkung. Weil bei Kreatinin-Clearance-Werten unter 40ml/min deutliche Dosisreduktionen von Allopurinol notwendig sind, empfehlen einige Autoren bei eingeschr&auml;nkter Nierenfunktion eine prim&auml;re Therapie mit Febuxostat&ldquo;, berichtet Lunzer. &bdquo;Neuere Studien zeigen, dass es bis zu einer eGFR von 15ml/min effektiv und sicher eingesetzt werden kann.&ldquo; Febuxostat interagiert nicht mit ACE-Hemmern, Cumarinen, Amoxicillin und Ampicillin. Mit Nebenwirkungen wie Schwindel, Diarrh&ouml;, Kopfschmerzen und &Uuml;belkeit muss jedoch auch hier gerechnet werden. Zu beachten ist, dass eine diabetische Stoffwechsellage die harns&auml;uresenkende Wirkung von Febuxostat einschr&auml;nkt.<sup>3</sup> &bdquo;Der Blutzucker sollte deshalb gut eingestellt sein&ldquo;, so Lunzer. <br /> F&uuml;r besonders schwere therapieresistente F&auml;lle und f&uuml;r Patienten mit h&ouml;hergradiger Niereninsuffizienz sind als Ultima Ratio Infusionen mit Pegloticase zugelassen. In der Pipeline ist Lesinurad, ein oraler URAT1-Inhibitor, der direkt in der Niere die Harns&auml;ureausscheidung reguliert und in Kombination mit Allopurinol innerhalb von 4 Wochen bei 80 % der Patienten die Harns&auml;ure in den Zielbereich senken konnte.<sup>4</sup> In der klinischen Entwicklung befindet sich au&szlig;erdem Arhalo&shy;fenat, das ebenfalls urikosurisch wirkt. In Kombination mit Febuxostat konnten damit alle Patienten innerhalb von 2 Wochen in den Zielbereich gelangen und Gichtanf&auml;lle reduziert werden.<sup>5</sup> &bdquo;Voraussetzung f&uuml;r beide neuen Optionen ist allerdings eine funktionierende Niere&ldquo;, betont Lunzer.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1705_Weblinks_s27.jpg" alt="" width="1501" height="543" /></p> <h2>Therapiebeginn: wie lange warten?</h2> <p>Komorbidit&auml;ten sind bei Gicht sehr h&auml;ufig. &bdquo;Ich habe noch nie einen Patienten gesehen, der nur Gicht hatte&ldquo;, so Lunzer. Vor allem ist ein hohes kardiovaskul&auml;res Risiko damit verbunden: Die Evidenz f&uuml;r das mit Gicht und Hyper&shy;urik&auml;mie assoziierte kardiovaskul&auml;re Risiko sei &bdquo;erdr&uuml;ckend&ldquo;. Allerdings liegen bis heute noch keine kontrollierten interventionellen Studien vor, die belegen w&uuml;rden, dass sich das Risiko mit einer harns&auml;uresenkenden Therapie reduzieren lie&szlig;e. &bdquo;Diese Daten werden aber kommen&ldquo;, meint Lunzer. F&uuml;r 2018 werden die Ergebnisse der FREED-Studie erwartet, die das Auftreten von zerebralen und kardiovaskul&auml;ren Ereignissen unter Febuxostat untersucht. Obwohl es bereits Hinweise auf eine kardioprotektive Wirkung gibt, wird eine medikament&ouml;se Therapie bei asymptomatischen Hyperurik&auml;miepatienten derzeit noch nicht empfohlen. Ern&auml;hrungsumstellung, Lebensstilberatung und Vitamin C k&ouml;nnen in diesen F&auml;llen helfen, den Harns&auml;urespiegel zu senken. <br /> Unbedingt indiziert ist eine medikament&ouml;se Therapie innerhalb von 12 Monaten nach einem Gichtanfall bei radiologischen Zeichen, Tophi und Uratnephropathie. Lunzer ist jedoch der Meinung, dass sich in naher Zukunft die Empfehlungen in Richtung einer fr&uuml;heren pharmakologischen Intervention bei Hyperurik&auml;mie &auml;ndern werden.</p> <h2>Neuerungen in den aktuellen Empfehlungen</h2> <p>Einige Punkte in den aktuellen Empfehlungen der EULAR und des ACR zur Gicht unterscheiden sich gegen&uuml;ber den Vorg&auml;ngerversionen und wurden deswegen von Lunzer besonders erw&auml;hnt:</p> <ul> <li>Beim Gichtanfall sollte eine sofortige Selbstmedikation durch den Patienten erfolgen.</li> <li>Orales Prednison, Colchicin und NSAR sind als Erstlinientherapie des Gichtanfalls gleichwertig.</li> <li>IL-1-Blocker sind &bdquo;Reservemedikamente&ldquo; f&uuml;r komplizierte F&auml;lle.</li> <li>Die Indikation zur Harns&auml;uresenkung erfordert weiterhin die Diagnose einer Gicht (nicht bei asymptomatischer Hyperurik&auml;mie), aber insbesondere bei j&uuml;ngeren Patienten und Komorbidit&auml;ten sollten nicht erst mehrere Sch&uuml;be abgewartet werden.</li> <li>Zur Harns&auml;uresenkung ist Allopurinol Erstlinientherapie; in zweiter Linie werden Febuxostat oder Urikosurika &ndash; Letztere auch in Kombination &ndash; empfohlen. Lediglich die DGRh betrachtet Allopurinol und Febuxostat als gleichrangig in der Erstlinientherapie.</li> <li>Pegloticase wird nur f&uuml;r besonders schwere F&auml;lle empfohlen.</li> <li>Erstmals wird mit 3mg/dl auch ein unterer Zielwert f&uuml;r die Harns&auml;uresenkung genannt.</li> </ul></p> <p class="article-quelle">Quelle: 15. Wachauer Rheumatag, 22. April 2017, Spitz a. d. Donau </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Krishnan E et al: Nature versus nurture in gout: a twin study. Am J Med 2012; 125: 499-504 <strong>2</strong> Lu N et al: Gout and the risk of Alzheimer&rsquo;s disease: a populationbased, BMI-matched cohort study. Ann Rheum Dis 2016; 75: 547-51 <strong>3</strong> Bando Y et al: Chronic hyperglycemia may attenuate the serum-uric-acid lowering effect of febuxostat in Japanese patients with type 2 diabetes mellitus. Diabetol Int 2016; 7: 308-13 <strong>4</strong> Perez-Ruiz F et al: Lesinurad in combination with allopurinol: results of a phase 2, randomised, double-blind study in patients with gout with an inadequate response to allopurinol. Ann Rheum Dis 2016; 75(6): 1074-80 <strong>5</strong> Steinberg A et al: The pharmacodynamics, pharmacokinetics, and safety of arhalofenate in combination with febuxostat when treating hyperuricemia associated with gout. J Rheumatol 2016; 44(3): 374-9</p> </div> </p>
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