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Schmerztherapie

Aus Visionen wurden Konzepte

<p class="article-intro">Im Zusammenwirken der einzelnen Fachdisziplinen sieht Prof. Michael Bach den wichtigsten Fortschritt in der Schmerztherapie. Von der Zukunft wünscht er sich den Ausbau von Versorgungsmodellen und dass ein Konsensuspapier aus dem Jahr 2008 aus der Schublade geholt wird. </p> <hr /> <p class="article-content"><p><em><strong>Wenn Sie an die Situation vor 25 Jahren zur&uuml;ckdenken: Was hat sich im Bereich der Schmerztherapie wesentlich ver&auml;ndert?<br /> M. Bach:</strong></em> Vor etwa 25 bis 30 Jahren wurde das Konzept der multimodalen Schmerztherapie entwickelt. Das bedeutet, dass man bei der Behandlung chronischer Schmerzen mehrere S&auml;ulen der Therapie aufstellt. Es wurden zu Beginn der 1990er-Jahre die ersten Studien und Metaanalysen ver&ouml;ffentlicht, die gezeigt haben, dass die multimodale Schmerztherapie gegen&uuml;ber den eindimensionalen Verfahren signifikant &uuml;berlegen ist.</p> <p><em><strong>Inwieweit wurde dieses Konzept bis heute verwirklicht?<br /> M. Bach:</strong></em> Es entstanden damals weltweit interdisziplin&auml;re Schmerzambulanzen, Schmerztageskliniken und Schmerzkliniken, teilweise auch Schmerzpraxen. In &Ouml;sterreich hinken wir da noch ein bisschen nach.</p> <p><strong><em> Welche Erwartungen haben sich seither im Bereich der Schmerztherapie erf&uuml;llt bzw. nicht erf&uuml;llt?<br /> M. Bach:</em></strong> Einhergehend mit der Entwicklung der multimodalen Therapie haben die psychologischen und psychosomatischen Konzepte der Schmerztherapie endlich den Rang bekommen, den sie verdienen. Das war Anfang der 1990er-Jahre noch ein Novum und ist nat&uuml;rlich in der somatischen Medizin ein bisschen auf Widerstand gesto&szlig;en. Aber mittlerweile sind sie Standard. Diesbez&uuml;glich haben sich meine Erwartungen erf&uuml;llt. Was sich nicht erf&uuml;llt hat, ist die Gew&auml;hrleistung der Versorgung in &Ouml;sterreich und anderen mitteleurop&auml;ischen L&auml;ndern. Da haben wir leider noch viele Vers&auml;umnisse. Theoretisch k&ouml;nnten wir noch viel besser arbeiten. Die Konzepte gibt es ja, aber die Finanzierungsmodelle nicht.</p> <p><strong><em>Was halten Sie als Schmerzspezialist f&uuml;r den gr&ouml;&szlig;ten Fortschritt der letzten 25 Jahre auf diesem Gebiet?<br /> M. Bach:</em></strong> Das Zusammenwirken der Einzeldisziplinen. In jeder Disziplin wurden nat&uuml;rlich neue Dinge entwickelt. Es sind neue Medikamente auf den Markt gekommen, es wurden neue Psychotherapietechniken f&uuml;r Schmerzpatienten entwickelt, es gibt neue Operationstechniken. Aber der wirklich &bdquo;gro&szlig;e Kn&uuml;ller&ldquo; ist eben das Zusammenwirken der einzelnen Methoden zu einer integrativen Behandlung.</p> <p><em><strong> Gibt es &bdquo;Dauerbrenner&ldquo;, also Medikamente oder Behandlungsmethoden, die schon seit 25 Jahren erfolgreich sind?<br /> M. Bach:</strong></em> Mitte der 1980er-Jahre hat die WHO das sogenannte Stufenschema der medikament&ouml;sen Schmerztherapie entwickelt. Das gilt mit kleinen Abwandlungen immer noch, das hat sich sehr bew&auml;hrt. Ende der 1970er-Jahre wurde von der Internationalen Schmerzgesellschaft definiert, was Schmerz &uuml;berhaupt ist. Auch diese Definition hat bis heute G&uuml;ltigkeit. Der dritte Dauerbrenner ist die sogenannte &bdquo;Gate control&ldquo;-Theorie, die 1965 aufgestellt wurde. Das ist die neurobiologische Grundlagentheorie, wie die Schmerzverarbeitung im Nervensystem funktioniert. Das war die erste wirklich f&auml;cher&uuml;bergreifende psychosomatische Schmerztheorie. Auf ihr beruhen auch heute noch alle Interventionen der modernen Schmerzmedizin &ndash; ob Medikamente, Psychotherapie oder invasive Verfahren. Melzack und Wall haben diese Theorie damals als Vision entwickelt. Mittlerweile ist sie hundertfach durch Neurobiologie, Bildgebung etc. best&auml;tigt worden.</p> <p><em><strong>Was erhoffen Sie sich von der Zukunft f&uuml;r die Schmerztherapie? Wo sehen Sie den gr&ouml;&szlig;ten Handlungsbedarf?<br /> M. Bach:</strong></em> Im Ausbau von Versorgungsmodellen. Da ist die Gesundheitspolitik gefragt. Die Konzepte sind ja da. Ich habe in den Jahren 2007 bis 2009 in meiner damaligen Funktion als Pr&auml;sident der &Ouml;sterreichischen Schmerzgesellschaft an einem Konsensusbericht zu Strukturqualit&auml;tskriterien f&uuml;r interdisziplin&auml;re Schmerzeinrichtungen mitgearbeitet. Alle relevanten &ouml;sterreichischen Fachgesellschaften &ndash; medizinische und angrenzende &ndash; haben daf&uuml;r zusammengearbeitet. Das Papier liegt seitdem in der Schublade des Ministeriums und wartet auf seine Realisierung. Ich w&uuml;rde mir w&uuml;nschen, dass das einmal umgesetzt wird. Es geht mir nicht darum, dass noch drei neue Medikamente entwickelt werden oder noch eine neue Psychotherapiemethode &ndash; das wird zwar auch passieren, aber das wird nicht der gro&szlig;e Wurf sein. Entscheidend ist, dass wir die Modelle, die wir schon haben, an die Patienten heranbringen.</p> <p><em><strong>Welche sind f&uuml;r Sie die gr&ouml;&szlig;ten Errungenschaften der letzten 25 Jahre auf den Gebieten der Neurologie und Psychiatrie allgemein?<br /> M. Bach:</strong></em> Dazu geh&ouml;ren sicherlich die bildgebenden Verfahren, die unsere Theorien &uuml;ber psychische Prozesse letztlich best&auml;tigt und untermauert haben. Auch die Entwicklungen der Genetik und Epigenetik sind gro&szlig;e Errungenschaften. Die dritte S&auml;ule sind die Neuerungen in den Psychotherapieverfahren, die heute integrativ arbeiten. Fr&uuml;her gab es einen Schulenstreit zwischen Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie etc. In den letzten 10 Jahren wurden haupts&auml;chlich integrative Verfahren entwickelt, die mehrere Konzepte zusammenfassen. Das ist eine echte Weiterentwicklung, dass nicht mehr diese alten Grabenk&auml;mpfe ausgetragen werden. Pharmakologisch dagegen herrscht seit einigen Jahren eine gro&szlig;e Flaute, muss ich ehrlich sagen. Auf dem Gebiet der Psychopharmaka gibt es zurzeit kaum bahnbrechende Entwicklungen.</p> <p><em><strong>Wo gibt es den gr&ouml;&szlig;ten Bedarf an neuen Therapien?<br /> M. Bach:</strong></em> Eigentlich in allen Bereichen. Nehmen wir zum Beispiel die Depression: Wir haben nach wie vor Remissionsraten von 30&ndash;40 % , das hei&szlig;t, 60 % aller Menschen mit Depressionen werden trotz Aussch&ouml;pfung aller Ma&szlig;nahmen nicht gesund. Es geht zwar vielen besser &ndash; die Responseraten liegen bei etwa 70 % &ndash;, aber das hei&szlig;t auch, dass 30 % nicht einmal ein gutes Ansprechen auf die Therapie haben. Ein Drittel spricht an, wird aber trotzdem nicht gesund, hat Restsymptome, und nur ein Drittel wird gesund. Da ist also schon noch Luft nach oben, sowohl was Pharmaka anbelangt als auch Psychotherapie und andere Verfahren. Was man da wahrscheinlich br&auml;uchte, w&auml;ren neue Modelle. Die bestehenden Transmittermodelle sind, glaube ich, ausgereizt.</p> <p><em><strong>Wenn Sie heute als junger Mann vor der Berufswahl st&uuml;nden, w&uuml;rden Sie wieder Facharzt f&uuml;r Psychiatrie und Neurologie werden wollen?<br /> M. Bach:</strong></em> Ich w&uuml;rde jederzeit wieder diese Berufswahl treffen. Ich bereue sie nicht. Es ist nach wie vor sehr spannend.</p></p>
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