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Morbus Parkinson

Große Erfolge und gewaltige Irrtümer

<p class="article-intro">Über die Entstehung des Morbus Parkinson weiß man im Grunde nur wenig mehr als vor 25 Jahren, meint Prof. Dr. Kurt Jellinger. Doch die Behandlung hat sich wesentlich verbessert. Zukünftiges Potenzial liegt unter anderem in individualisierten Kombinationstherapien.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Ein schlankes Blatt von 16 Seiten war das allererste <span class="Copy-italic">JATROS Neurologie, Psychiatrie &amp; Psychotherapie</span>, wie die Zeitschrift damals noch hie&szlig;. Das Highlight jener Ausgabe war ein Interview mit Prof. Dr. Kurt Jellinger, der uns 1993 Auskunft &uuml;ber &bdquo;Morbus Parkinson: Neue Erkenntnisse aus der Forschung&ldquo; gab. Von oxidativem Stress war da die Rede, von dreiwertigem Eisen, das in erh&ouml;hten Mengen nachgewiesen wurde, und von ersten Studien zu einem MAO-B-Hemmer. Nun, 24 Jahre sp&auml;ter, baten wir Prof. Jellinger um eine Stellungnahme.</p> <p><em><strong>Was geht in Ihnen vor, wenn Sie dieses Interview aus dem Jahr 1993 &uuml;ber den damals aktuellen Stand der Parkinsonforschung lesen? Wie hat sich das Verst&auml;ndnis der Erkrankung seither ver&auml;ndert?</strong> </em><br /><strong><em>K. Jellinger:</em></strong> Wir waren fr&uuml;her der Ansicht, dass Morbus Parkinson eine neurodegenerative Erkrankung des dopaminergen Systems ist. Das ist er mit Sicherheit nicht: Er ist eine Multiorgan- bzw. Multisystemerkrankung, hervorgerufen durch die Ablagerung des pathologischen Proteins Alphasynuclein nicht nur im Gehirn, sondern in zahlreichen Organen wie den Nebennieren, in peripheren Nerven, in der Haut, im Darm und im optischen System. Dort ist es schon in fr&uuml;hen Stadien nachweisbar. Wir haben heute bessere Vorstellungen &uuml;ber die komplexen molekularen Mechanismen, wie die Ablagerung des ver&auml;nderten Alphasynucleins an Nervenendigungen zum Morbus Parkinson f&uuml;hrt, etwa Sch&auml;digungen von Mitochondrien, Energiemangel und prionen&auml;hnliche Ausbreitung (Abb. 1), doch sind die endg&uuml;ltigen Vorg&auml;nge noch nicht restlos aufgekl&auml;rt. Jetzt hat eine Forschergruppe experimentell nachgewiesen: Wenn Synuclein in den Darm von Tieren appliziert wird, steigt es offenbar &uuml;ber den Nervus vagus ins Gehirn. Denn wenn der Nervus vagus bei den Tieren durchtrennt wurde, gab es in dieser Gehirnh&auml;lfte keine parkinson&auml;hnlichen Ver&auml;nderungen. Vorstellbar ist auch, dass die Ausbreitung &ndash; &auml;hnlich wie bei Virusinfektionen &ndash; &uuml;ber den Nervus opticus verl&auml;uft. Es sind wahrscheinlich zahlreiche Neurotransmittersysteme betroffen. Das erkl&auml;rt die nicht motorischen Symptome der Parkinsonerkrankung, die als Prodrome schon 10 bis 20 Jahre vor den motorischen Symptomen auftreten, z.B. chronische Obstipation, St&ouml;rungen der harnableitenden Wege, des Blutdrucks, erektile Dysfunktionen, Depression, Angstzust&auml;nde &ndash; das sind alles Vorl&auml;ufer im Sinne des pr&auml;klinischen Morbus Parkinson. Ich erinnere mich, dass Gerstenbrand seinerzeit von einer pr&auml;morbiden Pers&ouml;nlichkeit des Parkinsonpatienten gesprochen hat, mit bestimmten, vor allem psychischen Besonderheiten, etwa Zwanghaftigkeit.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1703_Weblinks_s20.jpg" alt="" width="1417" height="927" /></p> <p><em><strong>Wie hat sich die Behandlung des Morbus Parkinson ver&auml;ndert?</strong></em><br /><strong><em>K. Jellinger:</em></strong> Die Behandlung hat sich wesentlich verbessert. Dopamin ist nat&uuml;rlich nach wie vor der Goldstandard, verursacht aber mit fortschreitender Erkrankung zahlreiche Nebenwirkungen. Heute haben wir Dopaminagonisten zur Verf&uuml;gung und vor allem die tiefe Hirnstimulation, die nicht nur den Tremor, sondern auch Rigor, Akinese und Dyskinesien vermindert. Ich hatte fr&uuml;her Patienten mit entsetzlichen Dyskinesien, die heute weitgehend beherrschbar sind. Nach der tiefen Hirnstimulation k&ouml;nnen meist die Medikamente reduziert werden, und damit auch deren Nebenwirkungen. Manche Patienten sind nach der Hirnstimulation langfristig nahezu medikamentenfrei.</p> <p><strong><em>Welches sind f&uuml;r Sie die gr&ouml;&szlig;ten Errungenschaftender letzten 25 Jahre im Bereich Morbus Parkinson?</em></strong><br /><strong><em>K. Jellinger:</em></strong> Moderne Therapien haben eine bedeutende Verbesserung der Lebensqualit&auml;t der Patienten gebracht und die Mortalit&auml;t vermindert, sodass wir heute sagen k&ouml;nnen, dass ein gut behandelter Parkinsonpatient die gleiche Lebenserwartung hat wie die Durchschnittsbev&ouml;lkerung. Eine gro&szlig;e Errungenschaft sind auch die Erkenntnisse aus der Molekulargenetik: Fr&uuml;her waren wir der Ansicht, dass Morbus Parkinson eine sporadische Erkrankung ist. Heute wissen wir, dass sehr viele genetische Faktoren f&uuml;r die Entstehung bedeutsam sind. Wir haben momentan 9 verschiedene Gene und 13 Genloci bei famili&auml;rem Parkinson und sehr viele Kandidaten-Gene, sodass wir sagen k&ouml;nnen, dass die Ursache eine Kombination von genetischen und Umwelteinfl&uuml;ssen ist. Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass Toxine, organische L&ouml;sungsmittel, Insektizide usw. das Risiko erh&ouml;hen. Das gilt f&uuml;r alle neurodegenerativen Erkrankungen: Sie haben sicherlich nicht nur eine einzige Ursache, sondern sind multifaktoriell bedingt. Aber die eigentlichen Ursachen kennen wir nicht, daher k&ouml;nnen wir meist keine kausalen Therapien anbieten. Dazu muss man sagen, dass die Mehrzahl der in der Forschung verwendeten Tiermodelle nicht der menschlichen Parkinson- bzw. Alzheimer-Erkrankung entspricht. Denn das sind relativ junge Tiere, und neurodegenerative Erkrankungen treten eher in h&ouml;herem Lebensalter auf. Der Altersfaktor wird im Tiermodell nicht reproduziert, ebenso viele weitere heterogene Faktoren, die f&uuml;r die Erkrankung beim Menschen sicher eine Rolle spielen und die wir teilweise noch nicht kennen.</p> <p><em><strong>Was sind f&uuml;r Sie die gr&ouml;&szlig;ten Erfolge auf dem Gebiet der Neurologie allgemein?</strong></em><br /><strong><em>K. Jellinger:</em></strong> Durch die Molekularbiologie ist man den Grundlagen vieler Erkrankungen n&auml;her gekommen. Die modernen Neuroimaging-Methoden und die Molekulardiagnostik mit ihren Biomarkern sind gro&szlig;e Errungenschaften, die in vielen F&auml;llen bereits eine Fr&uuml;hdiagnose erm&ouml;glichen. In der Therapie stellt die tiefe Hirnstimulation, die man auch bei psychischen Erkrankungen anwenden kann, einen gewaltigen Fortschritt dar, ebenso die robotergest&uuml;tzte Neurochirurgie. Auch die Behandlung von Hirntumoren hat sich durch kombinierte Strahlen- und Chemotherapie bedeutend verbessert.</p> <p><em><strong>Welche Ans&auml;tze haben sich als Irrtum herausgestellt?</strong></em><br /><strong><em>K. Jellinger:</em></strong> Zwei gro&szlig;e R&uuml;ckschl&auml;ge hat die moderne Hirnforschung erlitten: Der erste war die Transplantation von Nebennierengewebe bei Parkinsonpatienten. Daf&uuml;r wurden Milliarden Dollar ausgegeben &ndash; ohne Erfolg. Wir hatten bereits 1976 gemeinsam mit Peter Riederer nachgewiesen, dass in der Nebenniere von Parkinsonpatienten 76 % der Tyrosinhydroxylase, des Dopamin-bildenden Enzyms, fehlten. Die Transplantation von fetalen dopaminh&auml;ltigen Zellen war zwar kurzfristig erfolgreich, aber mit der Zeit sind Fluktuationen und Dyskinesien aufgetreten, weil der Dopamingehalt in den noch gesunden Zellen angestiegen ist. Es gibt Autopsiebefunde, die ein &Uuml;berleben dieser Zellen in den Basalganglien bis zu 16 Jahre lang nachweisen konnten. Aber gleichzeitig wurden pathologische Synucleinablagerungen (Lewy-K&ouml;rperchen) in diesen &uuml;berlebenden Zellen gefunden, was auf ein Fortschreiten der Erkrankung hinweist.<br />Der zweite gro&szlig;e R&uuml;ckschlag betrifft Morbus Alzheimer und Amyloid. Wie oft ist die Amyloidhypothese modifiziert worden! Amyloidablagerungen sind aber wahrscheinlich nur eine Komponente der Erkrankung. Die wesentliche Komponente ist das Tau-Protein, das in den Nervenzellen abgelagert wird und deren Funktion blockiert. Behandlungen (Impfungen), die Amyloidablagerungen im Hirngewebe reduzierten, haben nichts gebracht: Die klinische Wirkung war gleich null. Das Amyloid wurde dann in den Gef&auml;&szlig;en und Kapillaren abgelagert und hat zu Durchblutungsst&ouml;rungen gef&uuml;hrt. Impfungen gegen das Tau-Protein sind derzeit in klinischer Pr&uuml;fung. Als Flop hat sich auch die intrathekale Injektion von neurotrophen Substanzen erwiesen: Sie hat entsetzliche Nebenwirkungen verursacht und eigentlich keine effektive Neuroprotektion bewirkt.</p> <p><em><strong>Welche Entwicklungen sind im Bereich Morbus Parkinson in Sicht? Wo sehen Sie den gr&ouml;&szlig;ten Handlungsbedarf und wo erhoffen Sie sich ganz besonders Ver&auml;nderungen?</strong></em><br /><strong><em>K. Jellinger:</em></strong> Erstens erwarte ich, dass die in Erprobung befindliche Impfung erfolgreich ist. Anders als bei Morbus Alzheimer d&uuml;rfte bei Parkinson die aktive Immunisierung in Zukunft eine Rolle spielen und scheint auch gut vertr&auml;glich zu sein. Die klinischen Pr&uuml;fungen der Phasen I und II sind bereits abgeschlossen.<br />Zweitens erhoffe ich mir eine Optimierung der medikament&ouml;sen Therapie: Nach dem Vorbild der Onkologie sollte auch in der Neurologie die personifizierte Therapie verfolgt werden. Man kann nicht alle Parkinsonpatienten nach dem gleichen Schema behandeln. Jeder einzelne Fall unterscheidet sich von den anderen. Jeder reagiert individuell auf die Behandlung. Die einen brauchen keine Erh&ouml;hung der Dopamindosis, die anderen bekommen sehr fr&uuml;hzeitig Nebenwirkungen &ndash; man muss die Therapie quasi mit der Briefwaage austarieren. Bei j&uuml;ngeren Patienten scheut man zum Beispiel davor zur&uuml;ck, mit Dopamin zu beginnen &ndash; wegen der sp&auml;ter vermehrt auftretenden Dyskinesien, Fluktuationen usw. Da beginnen wir nach M&ouml;glichkeit mit einem Dopaminagonisten, obwohl er nicht sofort wirkt. Wenn das nicht ausreicht oder Nebenwirkungen verursacht, empfiehlt sich eine Kombinationstherapie. Darin sehe ich viel Potenzial f&uuml;r die Zukunft, mehr als f&uuml;r Einzelsubstanzen. <br />Weiter verfolgt werden sollten auch die Gen- und die Zelltherapie sowie die Aufkl&auml;rung der molekularen Vorg&auml;nge: was auf molekularbiologischer Ebene zur Krankheitsentstehung und Progression von Parkinson f&uuml;hrt. Die prionenf&ouml;rmige Ausbreitung der Erkrankung, das sogenannte &bdquo;seeding&ldquo;, ist experimentell nachgewiesen und f&uuml;r die Ausbreitung der pathologischen Proteine von Zelle zu Zelle eine wichtige Erkl&auml;rung des Fortschreitens der Erkrankung, aber die Frage ist: Wie werden diese Proteine weitertransportiert? Ungekl&auml;rt ist auch immer noch, wie der Zelltod bei neurodegenerativen Erkrankungen entsteht. Ist die Ablagerung von Synuclein-Oligomeren eine toxische St&ouml;rung? Oder ist es umgekehrt &ndash; und zu dieser Therorie neige ich &ndash;, dass diese Ablagerungen eigentlich als Schutzmechanismus vor sch&auml;dlichen Einwirkungen pathologischer Proteine auf die Nervenzelle zu begreifen sind, indem sie diese in unl&ouml;slicher Form ablagern? Allerdings m&uuml;ssen wir annehmen, dass die Ablagerungen nach Jahren und Jahrzehnten schlie&szlig;lich den Stoffwechsel der Nervenzelle sch&auml;digen und es zur Dysfunktion und sp&auml;ter zum Absterben kommt. <br />Weiters erhoffe ich mir, dass in Zukunft eine Fr&uuml;hdiagnose durch biologische Marker m&ouml;glich ist. Die fr&uuml;he Diagnose ist wichtig, weil die Unterscheidung zwischen Alzheimer, Parkinson und auch Depression in Fr&uuml;hstadien schwierig sein kann. Vergesslichkeit kann auch Symptom einer Depression sein. In diesem Sinne sind genaue Untersuchungen w&uuml;nschenswert. Heute gen&uuml;gen oft Neuroimaging-Methoden (wie Kernspintomografie oder Magnetresonanztomografie), oder man kann biologische Marker aus Blut und Liquor verwenden, die in Kombination mit klinischer Untersuchung sehr weitreichend hilfreich sind f&uuml;r die Erstellung einer Diagnose.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1703_Weblinks_s20_2.jpg" alt="" width="684" height="1190" /></p> <p><em><strong>Wenn Sie heute ein junger Arzt w&auml;ren und sich f&uuml;r einen Fachbereich entscheiden m&uuml;ssten, w&uuml;rden Sie wieder Neurologe werden?</strong></em><br /><em><strong>K. Jellinger: </strong></em>Als Schulbub hatte ich zwei Berufsw&uuml;nsche: Mediziner oder &Auml;gyptologe. Da ich aus einer armen Familie kam &ndash; mein Vater war Jurist, aber in der Kriegsgefangenschaft verstorben &ndash;, konnte ich mich nicht f&uuml;r die &Auml;gyptologie entscheiden, denn daf&uuml;r gab es keine Berufsaussicht. Es war aber auch f&uuml;r die Medizin nicht leicht. Nach der Promotion 1956 &ndash; der ersten &bdquo;sub auspiciis praesidentis&ldquo; nach dem Krieg &ndash; musste ich ein Jahr warten. Ich habe ohne Gehalt im Spital gearbeitet und davon gelebt, f&uuml;r die anderen Kollegen Nachtdienste zu machen. Durch Zufall habe ich die Assistenzstelle im Obersteiner-Institut bekommen. Das Institut war durch Bombenangriffe schwer besch&auml;digt und meine erste Aufgabe war es, die Sammlungen histologischer Pr&auml;parate zu katalogisieren. So bin ich zur Neuropathologie gekommen. Ich hatte ja keine komplette pathologische Ausbildung, ich habe nur ein Jahr in der Pathologie gearbeitet, nachdem mich der damalige Chef, Prof. Chiari, des Sektionssaales verwiesen hat, weil ich das Gehirn des ersten Jakob-Creutzfeldt-Falles aus einem K&uuml;bel mit S&auml;gesp&auml;nen entnommen habe. Wir haben dann sp&auml;ter bei verstorbenen Jakob-Creutzfeldt-Patienten durch die Orbita mit einer Nadel Gehirn entnommen und untersucht. Da sind uns eigenartige spiralenf&ouml;rmige Membranver&auml;nderungen aufgefallen. Wir dachten damals an ein postmortales Artefakt. Einige Monate sp&auml;ter wurden sie als intravitale Ver&auml;nderungen durch Prionen beschrieben. Aber um auf Ihre Frage zur&uuml;ckzukommen: Ich w&uuml;rde keinen anderen Beruf w&auml;hlen wollen.</p></p>
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