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Vom EMG zum Myofeedback

Möglichkeiten der physikalischen Medizin in der Rehabilitation peripherer Nervenschäden

<p class="article-intro">In der orthopädischen Rehabilitation ist man immer wieder mit funktionellen Defiziten und Bewegungsstörungen aufgrund peripherer neurologischer Krankheitsbilder konfrontiert. Wichtig ist hierbei ein strukturiertes Vorgehen, um die Ursache zu identifizieren und die Patienten einer geeigneten Behandlung zuzuführen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Nervensch&auml;den nach Trauma oder Operation werden oft sehr sp&auml;t erkannt und k&ouml;nnen je nach Auspr&auml;gung den Rehabilitationsfortschritt deutlich erschweren.</li> <li>Eine rasche Abkl&auml;rung und gezielte Behandlung helfen, den Therapieverlauf positiv zu beeinflussen.</li> <li>Die M&ouml;glichkeiten der physikalischen Medizin sind breit gef&auml;chert und sollten ausgenutzt werden, um eine optimale Nachbehandlung zu gew&auml;hrleisten und etwaige funktionelle Defizite zu kompensieren.</li> </ul> </div> <p>Nervensch&auml;den verursachen in der Rehabilitation des St&uuml;tz- und Bewegungsapparates meist eine deutliche Behinderung der Rehabilitationsfortschritte. Aufgrund postoperativer Schonung oder Ruhigstellung kommt es oftmals zu einer Verschleierung der Symptome und Verz&ouml;gerung der Abkl&auml;rung. Der zus&auml;tzliche Funktionsverlust durch den neurogenen Schaden f&auml;llt erst sp&auml;ter auf, wenn die Patienten wieder k&ouml;rperlich aktiv werden und sich bereits in der Rehabilitationsphase 2 befinden.</p> <h2>Ursachen</h2> <p>Prinzipiell werden traumatische von iatrogenen Nervensch&auml;den unterschieden, welche vielf&auml;ltige Ursachen haben k&ouml;nnen. Sie k&ouml;nnen durch direkte Manipulation intraoperativ, durch ein H&auml;matom oder einen Tourniquet, durch Anlage eines Verbandes oder Gipses, Injektion, lokale An&auml;sthesieverfahren, neurotoxische Medikamente oder als Druck-, Lagerungs- oder Dehnungsschaden entstanden sein. Weiters ist eine erh&ouml;hte Nervensensibilit&auml;t durch Vorerkrankungen (z.B. Polyneuropathie) zu beobachten.<br /> Die Pr&auml;valenz f&uuml;r einen Nervenschaden bei einem Trauma wird in der Literatur unterschiedlich angegeben. In einer Langzeitbeobachtung &uuml;ber 10 Jahre betreffend periphere traumatische Nervenverletzungen betrug sie 2,8 % .<sup>1</sup> Dabei waren am h&auml;ufigsten der N. radialis und der N. peroneus betroffen. Als Ursache dominierte der Verkehrsunfall mit 46 % der F&auml;lle. <br /> Iatrogene Nervenverletzungen treten oft infolge einer Operation auf, am h&auml;ufigsten ist dabei der N. accessorius betroffen, gefolgt von N. medianus, N. peroneus communis, N. radialis, N. genitofemoralis, N. peroneus superficialis und N. tibialis.<sup>2</sup></p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Wegweisend ist die klinische neurologische Untersuchung mit besonderem Augenmerk auf das sensomotorische Ausfallsmuster und eine begleitende vegetative St&ouml;rung. Eine neuropathische Schmerzkomponente ist relativ h&auml;ufig,<sup>3</sup> sie sollte als solche erkannt und der Patient einer gezielten weiteren Abkl&auml;rung zugef&uuml;hrt werden. <br /> Zur orientierenden Untersuchung eignet sich eine Reizstromdiagnostik. Diese ist mit den meisten Elektrotherapieger&auml;ten durchf&uuml;hrbar und kann schon erste Hinweise auf die Denervierung einzelner Muskeln geben. Es wird hierbei das Ansprechverhalten des Muskels gegen&uuml;ber verschiedenen Stromarten getestet.<br /> Eine weiterf&uuml;hrende Diagnostik erfolgt mit Elektroneurografie (ENG) und Elektromyografie (EMG). Mit der ENG lassen sich einzelne Nerven mit dem Zustand der Nervenh&uuml;lle und dem Axon darstellen, die L&auml;sionsh&ouml;he bei den langen Extremit&auml;tennerven kann eingegrenzt werden, bestimmte Ausfallsmuster lassen sich bei kombinierten Sch&auml;den zuordnen. Auch der Allgemeinzustand des peripheren Nervensystems und eine eventuell vorhandene Polyneuropathie lassen sich erkennen. Die EMG stellt die elektrische Muskeleigenaktivit&auml;t in Ruhe und bei Willk&uuml;raktivit&auml;t (falls vorhanden) dar. Es kann die neurogene von einer myogenen Muskelschw&auml;che unterschieden werden. Auch mit dieser Untersuchungsmethode werden bestimmte Ausfallsmuster erkannt und so einem Krankheitsbild zugeordnet.<br /> Bei der Reizstromdiagnostik und der EMG ist eine zeitliche Latenz zum Ereignis von 2&ndash;3 Wochen zu erwarten, bis ein pathologisches Befundergebnis im Sinne eines neurogenen Sch&auml;digungsmusters erh&auml;ltlich ist.<br /> Steht eine plastisch-chirurgische Versorgung der Nervenl&auml;sion im Raum, so besteht die M&ouml;glichkeit einer weiteren Abkl&auml;rung mittels Neurosonografie<sup>4</sup> und Magnetresonanzneurografie<sup>5</sup>. Diese Methoden sind sehr hilfreich, um den Zustand eines Nervs zu beschreiben und die genaue L&auml;sionsh&ouml;he zu lokalisieren.<br /> Es bestehen bedeutende funktionelle Unterschiede in Abh&auml;ngigkeit davon, ob eine isolierte oder kombinierte Nervensch&auml;digung, eine Plexus- oder Wurzell&auml;sion vorliegt. Aus dem Ergebnis der Diagnostik resultieren das Therapieregime und das zu erwartende Outcome bzw. die Prognose des Heilungsverlaufes. Das Fach Physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation nimmt eine wichtige Schnittstelle in dieser Fragestellung ein, da sowohl die elektrophysiologische Untersuchung als auch die Steuerung der Rehabilitationsma&szlig;nahmen aus einer Hand erfolgen k&ouml;nnen.</p> <h2>M&ouml;glichkeiten der physikalischen Medizin</h2> <h2>Medikament&ouml;se Schmerzbehandlung</h2> <p>Diese richtet sich nach dem klinischen Beschwerdebild. Es finden herk&ouml;mmliche NSAR, Tramadol und Opioide Verwendung, weiters Gabapentin und Pregabalin bei neuropathischer Schmerzkomponente sowie Psychopharmaka, wie z.B. SNRI, als Begleitmedikation bei chronischem Verlauf. Die peripheren neuropathischen Schmerzen k&ouml;nnen vor allem bei Vorhandensein einer Hyperalgesie oder Allodynie auch topisch mit Capsaicin- oder Lidocain-h&auml;ltigen Pflastern behandelt werden.</p> <h2>Entstauungsma&szlig;nahmen bei &Ouml;dembildung</h2> <p>Durch die Bewegungsst&ouml;rung aufgrund der beeintr&auml;chtigten Muskelaktivit&auml;t und fehlender Vasomotorik wird eine &Ouml;dembildung in der betroffenen Extremit&auml;t beg&uuml;nstigt. Als abschwellende Ma&szlig;nahmen finden die manuelle Lymphdrainage nach Vodder mit nachfolgender Kompression und Hochlagerung der betroffenen Extremit&auml;t Anwendung.</p> <h2>Heilmassage</h2> <p>Die klassische Heilmassage wird zur Normalisierung des Muskeltonus, zur Durchblutungsf&ouml;rderung und zur Regulation der Gewebetrophik unter Einsatz verschiedener Grifftechniken (Knetung, Dr&uuml;ckung, Walkung, Friktion, Klopfung, Streichung) eingesetzt. Zus&auml;tzlich kann eine manuelle Narbenbehandlung durchgef&uuml;hrt werden.</p> <h2>Bewegungstherapie</h2> <p>Die Bewegungstherapie verfolgt verschiedene Ziele. Einerseits dient sie dem Erhalt der Gelenksbeweglichkeit und Gewebetrophik, andererseits auch der Muskelkr&auml;ftigung und dem gezielten Einsatz der Willk&uuml;rmotorik. Es kommen hierbei passive Bewegungs&uuml;bungen, gef&uuml;hrt durch einen Therapeuten oder eine Bewegungsschiene mit Elektromotor, zum Einsatz. Weiters nutzt man aktiv/assistiv ausgef&uuml;hrte &Uuml;bungen, wieder mit Therapeutenunterst&uuml;tzung oder Trainingshilfen, wie z.B. mithilfe eines Schlingentischs. Bei ausreichender Muskelkraft k&ouml;nnen auch aktive Bewegungs&uuml;bungen ohne jegliche Unterst&uuml;tzung bzw. Widerstands&uuml;bungen durchgef&uuml;hrt werden. Als &Uuml;bungsform kann ein direktes Training der betroffenen Muskulatur und synergistischer Muskelgruppen oder ein indirektes Training &uuml;ber die kontralaterale Seite zur Bahnung der paretischen Seite (z.B. propriozeptive neuromuskul&auml;re Fazilitation, Spiegeltherapie) eingesetzt werden. Auch die Unterwasserbewegungstherapie stellt eine gute Erg&auml;nzung dar, da durch den hydrostatischen Auftrieb eine Reduktion des Gewichtes bei eingeschr&auml;nkter Muskelkraft ausgenutzt wird.<sup>6</sup></p> <h2>Sensibilit&auml;tstraining bzw. desensibilisierende Ma&szlig;nahmen</h2> <p>Bei sensiblen Defiziten werden spezifische Reize gesetzt, um das noch vorhandene Potenzial voll auszusch&ouml;pfen bzw. neu zu bahnen. Dies betrifft gezielt alle sensiblen Qualit&auml;ten, wie Schmerz und Temperatur (protopathische Sensibilit&auml;t) sowie Wahrnehmung von Druck, Ber&uuml;hrung und Vibration (epikritische Sensibilit&auml;t) und haptische Wahrnehmung (taktiles Erkennen von Objekten). Sind allerdings eher schmerzhafte Sensationen im Vordergrund, wird mit wiederholter Reizsetzung versucht, die Schmerzschwelle anzuheben.</p> <h2>Sensomotoriktraining</h2> <p>Es erfolgt eine therapeutische Schulung der Wahrnehmung von Lage, Spannungs- und Bewegungszustand des muskuloskelettalen Systems, um koordinierte, zielgerichtete und in der Kraft dosierte Bewegungen zu erreichen.</p> <h2>Funktionstraining</h2> <p>Es werden komplexe Bewegungsabl&auml;ufe mit Relevanz f&uuml;r den Alltag und Beruf ge&uuml;bt. Dies kann auf viele Arten durchgef&uuml;hrt werden, wie z.B. als Wasch- und Anziehtraining, aber durchaus auch als Training handwerklicher oder haushalts&uuml;blicher T&auml;tigkeiten. Weiters ist ein ergonomisches Verhalten bei funktionellen Defiziten zu erlernen, um eine weitgehende K&ouml;rpersymmetrie zu erhalten.</p> <h2>Elektrotherapie</h2> <p>Diese kann zur Schmerzreduktion eingesetzt werden. Besonders geeignet ist hierf&uuml;r die Anwendung von TENS (transkutaner elektrischer Nervenstimulation), Impulsgalvanisation oder Hochvoltstrom.</p> <h2>Reedukation des Ausfallsmusters mit Elektrotherapie<sup>7</sup></h2> <p>Die denervierte Muskulatur kann mit einem Exponentialstrom aufgrund der begleitenden Akkomodationsst&ouml;rung der Zellmembran selektiv stimuliert werden. Geeignet sind hierf&uuml;r Muskeln mit einer Aktivit&auml;t vom Kraftgrad 0 bis 3 (Muskelfunktionstest nach Janda). Bei einer Teilparese mit zumindest Kraftgrad 2 kann auch eine Myofeedback-Behandlung eingesetzt werden. Im Sinne eines Biofeedback mit Oberfl&auml;chen-EMG wird die Muskelaktivit&auml;t f&uuml;r den Patienten dargestellt, zus&auml;tzlich kann eine EMG-getriggerte Elektrostimulation durchgef&uuml;hrt werden. Diese Methode wird auch zur Bahnung eines physiologischen Bewegungsmusters verwendet.</p> <h2>Ultraschallbehandlung</h2> <p>Der therapeutische Ultraschall wird vorrangig zur Lokalbehandlung angrenzender Gelenke und Weichteile eingesetzt. Bez&uuml;glich des Nervengewebes ist ein Nutzen nur bei einem Karpaltunnelsyndrom belegt.<sup>8</sup></p> <h2>Thermotherapie</h2> <p>Bei &ouml;demat&ouml;ser Schwellung oder H&auml;matom kann eine K&auml;ltebehandlung angezeigt sein. Eine W&auml;rmebehandlung wird ebenso wie der Ultraschall eher zur Lokalbehandlung der angrenzenden Gewebe verwendet.</p> <h2>Hydrotherapie</h2> <p>Zellenb&auml;der mit galvanischem Gleichstrom bewirken eine Schmerzreduktion und F&ouml;rderung der Durchblutung im durchstr&ouml;mten Gebiet.</p> <h2>Orthesenversorgung</h2> <p>Bei der Schienenversorgung wird prinzipiell die Lagerungs- von der Funktionsschiene unterschieden. Somit erstreckt sich der Orthesengebrauch von der Kontrakturprophylaxe mit Erhalt einer physiologischen Grundstellung der Gelenke bis hin zur funktionellen Unterst&uuml;tzung bei Ausfall einzelner Muskeln oder Muskelgruppen.</p> <h2>Hilfsmittelversorgung</h2> <p>Die Versorgung mit Hilfsmitteln dient dem Erhalt bzw. der Verbesserung der Selbstst&auml;ndigkeit bei k&ouml;rperlichen Einschr&auml;nkungen aufgrund der Nervensch&auml;digung. Die Einsatzm&ouml;glichkeiten reichen von einer einfachen Griffverdickung &uuml;ber elektrische Haushaltsger&auml;te (elektrisches Brotmesser, Dosen&ouml;ffner etc.) bis zu Anziehhilfen, Sitzerh&ouml;hung, Treppenlift usw.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Noble J et al: J Trauma 1998; 45(1): 116-22 <strong>2</strong> Kretschmer T et al: J Neurosurg 2001; 94(6): 905-12 <strong>3</strong> Ciaramitaro P et al: J Peripher Nerv Syst 2010; 15(2): 120-7 <strong>4</strong> Karabay N et al: Eur J Radiol 2010; 73(2): 234-40 <strong>5</strong> Kuntz C et al: Neurosurgery 1996; 39(4): 750-7 <strong>6</strong> Fialka-Moser V (Ed.): Kompendium der physikalischen Medizin und Rehabilitation. Springer Verlag 2013, Kapitel 4.2, S. 222 <strong>7</strong> Fialka-Moser V et al: Elektrotherapie. Pflaum Verlag 2005; Kapitel 3.4, S. 109-19 <strong>8</strong> Ebenbichler GR et al: BMJ 1998; 316: 731-5</p> </div> </p>
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