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Jahrestagung der ÖGN in Villach

Leistungen und Herausforderungen der modernen Neurologie

<p class="article-intro">Einen umfassenden Überblick über die aktuellen Leistungen und Herausfor&shy;derungen der österreichischen Neurologie bot die 14. Jahrestagung der ÖGN in Villach. Die Themen reichten von neuen, mittlerweile in Österreich weitgehend flächendeckend verfügbaren Verfahren für die Behandlung schwerster Schlaganfälle über den Vormarsch autoimmun bedingter Gehirnentzündungen und exotischer Virenerkrankungen bis hin zum steigenden Bedarf an neuropalliativmedizinischer Betreuung.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Schlaganfallbehandlung: eine Erfolgsgeschichte</h2> <p>Dass die am Kongress pr&auml;sentierten Entwicklungen nicht nur wissenschaftliche Bedeutung, sondern ganz konkrete Auswirkungen auf die Versorgung der Bev&ouml;lkerung haben, zeigte die &Ouml;GN-Pr&auml;sidentin am Beispiel der Schlaganfallbehandlung auf. &bdquo;Die rasante Entwicklung der letzten eineinhalb Jahrzehnte ist nicht nur eine der signifikantesten Erfolgsgeschichten der j&uuml;ngeren Medizingeschichte&ldquo;, so &Ouml;GN-Pr&auml;sidentin Prim. Univ.-Doz. Dr. Elisabeth Fertl, Vorst&auml;ndin der Neurologischen Abteilung am Krankenhaus Rudolfstiftung und Gastprofessorin der MedUni Wien. &bdquo;Sie zeigt auch, wie es in &Ouml;sterreich gelingen konnte, trotz knapper werdender Budgets die Behandlungsqualit&auml;t einer so h&auml;ufigen und gef&uuml;rchteten Erkrankung erheblich zu verbessern.&ldquo;<br />In &Ouml;sterreich sind jedes Jahr etwa 24 000 Menschen von einem Schlaganfall betroffen. Tendenz steigend &ndash; vor allem weil das Schlaganfallrisiko mit der steigenden Lebenserwartung zunimmt. Seit rund 15 Jahren gibt es die M&ouml;glichkeit, die schlaganfallausl&ouml;senden Blutgerinnsel in den Gehirngef&auml;&szlig;en mittels Thrombolyse medikament&ouml;s aufzul&ouml;sen. Diese Entwicklung hat die Versorgungsstruktur deutlich ver&auml;ndert. In manchen Spit&auml;lern war die Einrichtung von Schlaganfall&uuml;berwachungsstationen, den Stroke Units, die Initialz&uuml;ndung f&uuml;r die Gr&uuml;ndung von eigenen neurologischen Abteilungen. Heute steht &Ouml;sterreich mit einem Netz von 38 Stroke Units auch im internationalen Vergleich vorbildlich da.&nbsp;</p> <h2>Neues Verfahren f&uuml;r besonders schwere Schlaganf&auml;lle auf breiter Basis verf&uuml;gbar</h2> <p>&bdquo;Rund zehn Prozent der Patienten haben einen Verschluss in den gro&szlig;en Gehirngef&auml;&szlig;en. Ihnen konnten wir mit der Thrombolyse nicht oder nur selten helfen&ldquo;, erkl&auml;rte Prim. Fertl. Inzwischen gibt es aber auch f&uuml;r diese rund 2000 F&auml;lle pro Jahr eine vielversprechende Behandlungsoption. &bdquo;Nun haben wir die zus&auml;tzliche M&ouml;glichkeit der mechanischen Gerinnselentfernung&ldquo;, so die &Ouml;GN-Pr&auml;sidentin. &bdquo;Mit der endovaskul&auml;ren Thrombektomie wird der Verschluss mit einem Katheter, der in der Leiste eingef&uuml;hrt und bis zum Gehirn geschoben wird, aus dem Gehirngef&auml;&szlig; herausgezogen.&ldquo;<br />Wie sich in internationalen Studien zeigte, ist das innovative Verfahren nicht nur sicher, sondern auch besonders effektiv. Aufgrund der positiven Datenlage gilt die endovaskul&auml;re Thrombektomie f&uuml;r geeignete Schlaganfallpatienten inzwischen als Standardmethode.<br />&bdquo;Diese Spitzenleistung der Schlaganfallbehandlung ist interdisziplin&auml;r und personalintensiv und stellt hohe Anforderungen an die Ausbildung&ldquo;, betonte &Ouml;GN-Pr&auml;sidentin Fertl. &bdquo;Wegen der n&ouml;tigen Infrastruktur und der Qualit&auml;tsanforderungen ist das neue Therapieangebot &uuml;berall auf einige spezialisierte Zentren konzentriert &ndash; in &Ouml;sterreich sind es derzeit zehn Standorte. Das setzt nicht zuletzt ein gut funktionierendes Transportwesen voraus.&ldquo; Die Zahl der so behandelten F&auml;lle steigt best&auml;ndig. &bdquo;Waren es im Jahr 2011 noch weniger als 200 Interventionen in &Ouml;sterreich, so wurden im vergangenen Jahr bereits mehr als 1000 Eingriffe dieser Art durchgef&uuml;hrt&ldquo;, so Prim. Fertl.</p> <h2>Autoimmun bedingte Gehirn&shy;entz&uuml;ndungen nehmen zu</h2> <p>Wie dynamisch sich unterschiedliche Spezialbereiche der Neurologie entwickeln, zeigte auch der Kongressschwerpunkt Neuroimmunologie. Prim. Univ.-Prof. Dr. J&ouml;rg Weber, Vorstand der Abteilung f&uuml;r Neurologie am Klinikum Klagenfurt und Pr&auml;sident des Kongresses: &bdquo;Es gibt wenige Bereiche der Medizin, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten derart rasant entwickelt haben. Vor wenigen Jahren standen wir dem Ph&auml;nomen, dass k&ouml;rpereigene Antik&ouml;rper intaktes Gehirngewebe angreifen und zerst&ouml;ren k&ouml;nnen, nahezu hilflos gegen&uuml;ber. Heute verstehen wir die dahinterliegenden Mechanismen besser und k&ouml;nnen solche Erkrankungen in vielen F&auml;llen heilen.&ldquo;<br />Vor 20 Jahren waren etwa noch drei Viertel aller Gehirn- oder Gehirnhautentz&uuml;ndungen auf einen bakteriellen Erreger zur&uuml;ckzuf&uuml;hren. &bdquo;Heute sind erregerbedingte Entz&uuml;ndungen dank der Impfprogramme deutlich zur&uuml;ckgegangen&ldquo;, so Prof. Weber. &bdquo;Daf&uuml;r stellen wir bei vielen F&auml;llen von Gehirnentz&uuml;ndung fest, dass bestimmte Antik&ouml;rper, die das eigene Gehirngewebe angreifen, verantwortlich sind.&ldquo; Eine solche Fehlprogrammierung von Antik&ouml;rpern kann die Folge einer Virusinfektion sein &ndash; genauso kann aber, wie man heute wei&szlig;, zum Beispiel ein Krebsgeschehen dahinterstecken.</p> <h2>Fr&uuml;her t&ouml;dliche Gehirn&shy;entz&uuml;ndungen werden heilbar</h2> <p>&bdquo;Fr&uuml;her konnten wir in solchen F&auml;llen keine urs&auml;chliche Behandlung anbieten&ldquo;, wei&szlig; Prof. Weber. &bdquo;Heute kommen Substanzen zur Unterdr&uuml;ckung des Immunsystems &ndash; wie beispielsweise Kortison &ndash; oder auch Blutw&auml;scheverfahren zur Anwendung.&ldquo; Nur ein Beispiel f&uuml;r deren Wirksamkeit: Vor wenigen Jahren noch starb rund die H&auml;lfte aller Patienten mit sogenannter NMDA-Rezeptor-Enzephalitis, weitere 40 % trugen bleibende Behinderungen davon. &bdquo;Heute k&ouml;nnen wir 60 bis 65 % nach einem guten Verlauf entlassen&ldquo;, so Prof. Weber.</p> <h2>Spezialisierung Neurointensiv&shy;medizin dringend erforderlich</h2> <p>Trotz aller Fortschritte sind derartige Autoimmunerkrankungen immer neurologische Notf&auml;lle, deren Behandlung eine hohe fachliche Kompetenz erfordert, so Prof. Weber: &bdquo;Umso unverst&auml;ndlicher ist es, dass derzeit eine wichtige S&auml;ule der neurologischen Versorgung infrage gestellt wird.&ldquo;<br />Der Hintergrund: Bis 2015 gab es in der &Auml;rzteausbildungsordnung ein eigenes Additivfach &bdquo;Neurointensivmedizin&ldquo; &ndash; mit der neuen Ausbildungsordnung sind solche Zusatzf&auml;cher aber nicht mehr vorgesehen und k&ouml;nnen durch die M&ouml;glichkeit einer sogenannten Spezialisierung ersetzt werden. &Uuml;ber eine solche verhandeln die &Ouml;GN und die &Ouml;sterreichische Gesellschaft f&uuml;r Neurochirurgie mit der &Auml;rztekammer, dem Gesundheitsministerium und den L&auml;ndern.<br />&bdquo;Ohne diese Spezialisierung w&auml;re die neurointensivmedizinische Versorgung gef&auml;hrdet&ldquo;, so Prof. Weber. &bdquo;Im Sinne unserer Patienten ist sie unabdingbar. Wir sind heute zu Recht stolz darauf, dass es in allen Landeshauptst&auml;dten eigene, auf neurologische F&auml;lle spezialisierte Intensivstationen gibt. Noch haben wir daf&uuml;r auch gen&uuml;gend Kolleginnen und Kollegen mit Spezialausbildung. Wird diese nicht bald durch die angestrebte Spezialisierung ersetzt, w&uuml;rde an diesen Stationen zwangsl&auml;ufig das hoch spezialisierte Wissen verloren gehen. Daher m&uuml;ssen wir sicherstellen, dass das heute vorhandene Wissen auch an die n&auml;chste Generation von Neurologinnen und Neurologen weitergegeben werden kann.&ldquo;</p> <h2>Palliativmedizin gewinnt auch in der Neurologie an Bedeutung</h2> <p>Einen hohen Bedeutungszuwachs attestierte Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Kapeller auch einem anderen Spezialbereich: &bdquo;Mit dem Kongressschwerpunkt Palliativneurologie wollen wir aufzeigen, dass es in der palliativen Behandlung um weit mehr geht als um die Betreuung am Lebensende&ldquo;, so der Vorstand der Neurologischen Abteilung am LKH Villach. &bdquo;Gerade neurologische Erkrankungen gehen oft mit sehr beeintr&auml;chtigenden Symptomen einher, der Bedarf an palliativer Betreuung ist daher besonders hoch.&ldquo;<br />Anders als in der Onkologie, wo eine nicht mehr kurative, aber pflegende Behandlung meist erst im Endstadium notwendig wird, leiden Neurologiepatienten oft &uuml;ber einen langen Zeitraum an Krankheiten wie der amyotrophen Lateralsklerose (ALS), Demenzen oder Morbus Parkinson. Ebenso k&ouml;nnen aber auch die Folgen von schweren Schlaganf&auml;llen oder Gehirnentz&uuml;ndungen, Hirntumoren, Neurotraumen oder genetischen Erkrankungen f&uuml;r ein langes Stadium der Pflegebed&uuml;rftigkeit sorgen. &bdquo;Patentrezepte gibt es f&uuml;r diese Form der lebensbegleitenden Therapie keine&ldquo;, wei&szlig; Prof. Kapeller. &bdquo;Eine qualit&auml;tsvolle Palliativbetreuung ist immer von pers&ouml;nlichen Vorstellungen und Pr&auml;ferenzen sowie den besonderen Lebensumst&auml;nden der Patienten abh&auml;ngig.&ldquo;</p> <h2>Neurologische Palliativbetreuung ist langfristig und personalintensiv</h2> <p>Das stellt auch besondere Anforderungen an die personellen Ressourcen der Versorgungseinrichtungen. &bdquo;Zwar ist die Versorgung dieser Krankheitsbilder und ihrer Folgezust&auml;nde seit jeher integraler Bestandteil neurologischen Arbeitens, dennoch sehen wir auch in unserem Fachgebiet die Notwendigkeit, das Bewusstsein f&uuml;r die Versorgung und Therapie von Menschen mit die Lebensqualit&auml;t beeintr&auml;chtigenden Symptomen weiter zu sch&auml;rfen&ldquo;, so Prof. Kapeller. &bdquo;Deshalb arbeiten wir derzeit gemeinsam mit anderen Fachrichtungen an der Realisierung einer neuen, interdisziplin&auml;ren Ausbildung. Diese Spezialisierung in Palliativmedizin soll das Fachwissen vertiefen und zu einer noch qualit&auml;tsvolleren Gesamtversorgung beitragen. Ich bin optimistisch, dass wir die letzten offenen Abstimmungsfragen in allern&auml;chster Zeit abgeschlossen haben werden. Mit dieser Spezialisierung wird es gelingen, Behandlungsans&auml;tze und Strukturen zu schaffen, mit denen die Qualit&auml;t palliativer Behandlungen noch einmal deutlich gehoben wird.&ldquo;</p> <h2>Neuroinfektionen als globale Herausforderung</h2> <p>Ein anderer Spezialbereich, der an Bedeutung gewinnt, ist die Neuroinfektiologie. &bdquo;Der Tourismus tr&auml;gt ebenso wie weltweite Migrationsbewegungen dazu bei, dass auch exotische Erreger sehr rasch sehr gro&szlig;e Verbreitung finden k&ouml;nnen&ldquo;, erkl&auml;rt Tagungspr&auml;sident Prof. Weber. &bdquo;Aktuell beobachten wir etwa eine deutliche Zunahme von F&auml;llen zerebraler Malaria.&ldquo;<br />Ebenso tritt auch die Fr&uuml;hsommer-Meningoenzephalitis (FSME) wieder verst&auml;rkt auf. Zwar ist &Ouml;sterreich &ndash; schon dank der hohen Impfdisziplin &ndash; bisher davon verschont geblieben, in den europ&auml;ischen Endemiegebieten haben die F&auml;lle der gef&auml;hrlichen Viruserkrankung in den letzten 30 Jahren aber um 400 Prozent zugenommen. Mitverantwortlich daf&uuml;r sind m&ouml;glicherweise Wanderbewegungen innerhalb der EU.</p> <p><br />Quelle: <br />Jahrestagung der &Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r Neurologie, 22.&ndash;24. M&auml;rz 2017, Villach</p></p>
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