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11. Österreichischer Infektionskongress

Sinn und Unsinn in der Krankenhaushygiene

<p class="article-intro">Nicht jede Maßnahme, die vermeintlich der Reduktion nosokomialer Infektionen dient, ist sinnvoll. So bringt z.B. eine Patientenisolierung nichts, und auch Luft- und Wasserfilter bringen eigentlich nur Kosten, wie Prof. Dr. med. Sebastian W. Lemmen, Krankenhaushygieniker in Aachen, Deutschland, in seinem Eröffnungsvortrag erklärte.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li><span xml:lang="de-DE">Surveillance ist die Basis von Krankenhaushygiene. Daf&uuml;r ist ausgebildetes Hygienepersonal erforderlich.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">Eine verl&auml;ngerte perioperative Antibiotikaprophylaxe reduziert </span><span xml:lang="de-DE">Wundinfektionen nicht, </span><span xml:lang="de-DE">f&ouml;rdert aber Resistenzentstehung und steigert die CDI-Rate.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">Die Reduktion des Einsatzes von </span><span xml:lang="de-DE">Antibiotika und PPI ist die wich&shy;&shy;tig</span><span xml:lang="de-DE">ste Ma&szlig;nahme zur Vermeidung von CDI. Isolierung und sporozide Fl&auml;chendesinfektion tragen nur relativ wenig zur Transmissionsvermeidung bei.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">Isolierung im Einzelzimmer &shy;reduziert die Transmission nicht &ndash; Compliance in Bezug auf &shy;H&auml;nde</span><span xml:lang="de-DE">hygiene ist hingegen &shy;entscheidend.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">Ein Screening auf multiresistente </span><span xml:lang="de-DE">Erreger ist nicht standardisiert und</span><span xml:lang="de-DE"> zumeist nicht sinnvoll. Die meisten dieser Erreger persistieren f&uuml;r Monate bis Jahre. Eine antiseptische Ganzk&ouml;rperwaschung ist eine sinnvolle Ma&szlig;nahme.</span></li> <li><span xml:lang="de-DE">Luft- und Wasserfilter sind teuer und bringen, soweit erkennbar, keine Vorteile.</span></li> </ul> </div> <p>Krankenhaushygiene ist nichts anderes als Infektionspr&auml;vention&ldquo;, begann P<span xml:lang="de-DE">rof. Dr. med.</span> Sebastian W. Lemmen, Zentralbereich f&uuml;r Krankenhaushygiene und Infektiologie, Univer&shy;sit&auml;tsklinik Aachen, seinen Er&ouml;ffnungsvortrag beim 11. &Ouml;sterreichischen Infektionskongress.</p> <h2>Zahlen und Fakten</h2> <p>Laut einer europ&auml;ischen Untersuchung liegt &Ouml;sterreich mit ca. 6 % nosokomialen Infektionen etwa im Mittelfeld. &bdquo;Dabei bedeutet nosokomial nicht unbedingt ,im Krankenhaus erworben&lsquo;&ldquo;, stellte Lemmen klar. Einer Studie mit Daten aus den &shy;Jahren 2011/2012 zufolge entstehen in Europa j&auml;hrlich mehr als 2,6 Millionen &bdquo;health care-associated infections&ldquo; (HAI) mit ca. 80 000 Todesf&auml;llen und 500 DALY (&bdquo;disability-adjusted life years&ldquo;) pro 100 000 Einwohner. &bdquo;&Ouml;sterreich ist hinsichtlich Organisation und Strategie der Krankenhaushygiene sicher auf einem guten Weg&ldquo;, lobte Lemmen. Dies spiegelt sich z.B. auch in der Anzahl von Hygienefachkr&auml;ften und Krankenhaushygienikern pro Patient wider, die in &Ouml;sterreich im guten europ&auml;ischen Mittelfeld liegt.<br />&bdquo;Basis f&uuml;r eine gute Krankenhaushygiene ist eine funktionierende Surveillance. Und daf&uuml;r sowie f&uuml;r die Implementierung von Pr&auml;ventionsma&szlig;nahmen ist ausgebildetes Hygienepersonal erforderlich&ldquo;, fuhr Lemmen fort.</p> <h2>Perioperative Antibiotikaprophylaxe</h2> <p>&bdquo;Laut ECDC betr&auml;gt die Rate jener Patienten in &Ouml;sterreich, die eine perioperative Antibiotikaprophylaxe l&auml;nger als einen Tag lang erhalten, 75 % &ldquo;, so der Hygie&shy;niker. Das entspricht ca. 15 % des gesamten Antibiotikaeinsatzes. &bdquo;Das ist unsinnig&ldquo;, so Lemmen.<br />Faktum ist, dass in allen einschl&auml;gigen Leitlinien &ndash; falls &uuml;berhaupt &ndash; lediglich eine perioperative Single-Shot-Prophylaxe empfohlen wird. Dennoch wird, wie eine Befragung in Deutschland zeigte, immer noch in 63 % der F&auml;lle eine AB-Prophylaxe &uuml;ber mehr als einen Tag verabreicht.<br />&bdquo;Wir k&ouml;nnen also res&uuml;mieren, dass eine verl&auml;ngerte postoperative Antibiotikaprophylaxe nicht Wundinfektionen reduziert, aber die Resistenzentstehung verst&auml;rkt. Und sie tut noch etwas: Sie erh&ouml;ht die Rate an Clostridium-difficile-Infektionen&ldquo;, so Lemmen.</p> <h2>Clostridium difficile</h2> <p>Neben bestimmten Antibiotika gibt es noch einen zweiten Faktor, der das Risiko f&uuml;r eine Clostridium-difficile-Infektion (CDI) erh&ouml;ht: Protonenpumpenhemmer, die das CDI-Risiko verdoppeln. Es wurde nachgewiesen, dass CDI im Krankenhaus das Mortalit&auml;tsrisiko fast verdreifacht. Anders ausgedr&uuml;ckt: Die Letalit&auml;t einer nosokomial entstandenen CDI liegt in &Ouml;sterreich bei 14 % . Und Clostridium difficile macht in &Ouml;sterreich immerhin 6&minus;9 % aller nosokomialen Infektionserreger aus.<br />In einem &ouml;sterreichischen Konsensus zur CDI wird unter anderem auch eine Isolierung des Patienten empfohlen. &bdquo;Es ist aber so, dass gesunde Neugeborene in bis zu 90 % und gesunde Erwachsene in bis zu 15 % von Clostridium difficile besiedelt sind &ndash; all diese Menschen sind v&ouml;llig asymptomatisch!&ldquo;, betonte Lemmen. Dies trifft auch auf Krankenhauspatienten (bis zu 30 % ) und Krankenhausmitarbeiter (bis zu 13 % ) zu. &bdquo;Und das l&auml;sst doch Isolationsma&szlig;nahmen bei Durchfall schon in einem etwas anderen Licht erscheinen&ldquo;, mahnte der Experte.<br />Eine englische Arbeit, in der 957 CD-St&auml;mme von symptomatischen Patienten mittels &bdquo;whole genome sequencing&ldquo; untersucht wurden, ergab einen erstaunlichen Befund: 65 % dieser St&auml;mme waren genetisch komplett verschieden voneinander. Und eine nosokomiale &Uuml;bertragung war nur in einem Prozent der F&auml;lle &uuml;berhaupt plausibel. &bdquo;Es ist also viel wahrschein&shy;licher, dass sich die meisten Betroffenen ihr Clostridium difficile entweder au&szlig;erhalb des Krankenhauses holen oder sich bei asymptomatischen Tr&auml;gern innerhalb des Krankenhauses anstecken&ldquo;, folgerte Lemmen. Auch Tiere, Nahrung und die un&shy;belebte Umgebung k&ouml;nnen mit Clostridiensporen kontaminiert sein.<br />Eine Schweizer Studie zeigte, dass selbst Bettnachbarn von (in der Schweiz nicht isolierten) CDI-Patienten nur eine Transmissionsrate von 0,5 % aufwiesen.<br />In einer britischen Studie (Dingle K et al, Lancet Infect Dis 2017) wurde zum Zweck der Reduktion der hohen CDI-Raten eine Doppelstrategie gefahren: Einerseits wurden Ma&szlig;nahmen der Antibiotic Stewardship gesetzt (Restriktion bestimmter Antibiotika, v.a. von Fluorchinolonen), andererseits wurden die krankenhaushygienischen Ma&szlig;nahmen massiv verst&auml;rkt. &bdquo;Es zeigte sich, dass die Fluorchinolon-resistenten CD-St&auml;mme verschwanden, die Chinolon-sensiblen St&auml;mme aber trotz Hygieneoffensive blieben&ldquo;, res&uuml;mierte Lemmen. &bdquo;Das bedeutet, dass CDI vor allem durch Ma&szlig;nahmen der Antibiotic Stewardship bek&auml;mpft werden m&uuml;ssen&ldquo;, ist der Hygieniker &uuml;berzeugt.</p> <h2>Isolation im Einzelzimmer</h2> <p>&bdquo;Eine Metaanalyse von 15 Studien zeigte klar, dass eine Einzelzimmerisolierung allein die Transmission nicht positiv beeinflusst&ldquo;, stellte Lemmen klar. Nur in Kombination mit Compliance bez&uuml;glich H&auml;ndehygiene verringerte sich die Transmissionsrate. &bdquo;Was aber alle Studien zeigten, waren die negativen Effekte der Isolierung, wie Angst, Depression, Hospitalismus, finanzielle Nachteile und Unterversorgung durch Isolationsma&szlig;nahmen&ldquo;, betonte Lemmen.<br />Inzwischen gibt es mehrere seri&ouml;se Studien, die zeigen, dass die Transmission resistenter Erreger wie MRSA oder VRE nicht durch Isolierung reduziert wird, sehr wohl aber durch hygienische Ma&szlig;nahmen wie Ganzk&ouml;rperwaschungen mit Antiseptika und konsequente H&auml;ndehygiene.</p> <h2>MRE: Was tun mit multiresistenten Erregern?</h2> <p>&bdquo;MRE&ldquo; steht f&uuml;r &bdquo;multiresistente Erreger&ldquo;. Hier stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Screeningma&szlig;nahmen. Lemmen: &bdquo;Solche Screenings sind nicht standardisiert und zum Teil auch nicht standardisierbar. Das f&auml;ngt mit der Frage an, welche Tupfer verwendet werden, geht weiter mit Abstrichlokalisationen, Menge und Frequenz der Abstriche bis hin zu den Nachweismethoden im Labor. Das ist aber die Grundlage f&uuml;r die Feststellung, ob ein MRE vorliegt oder nicht, und auch f&uuml;r die daraus resultierenden Konsequenzen.&ldquo;<br />Eine Konsequenz w&auml;re die Eradikation. Bei MRSA ist eine solche prinzipiell m&ouml;glich &ndash; die Persistenzraten sind jedoch hoch. Bei VRE bzw. MRGN ist eine Eradikation aufgrund der Persistenz der Erreger im Darm von vornherein aussichtslos.<br />Drei gro&szlig;e Studien zeigten, dass vor allem antiseptische Ganzk&ouml;rperwaschungen die MRE-Transmission reduzieren und dass durch Screening und Isolierung keine weitere Reduktion zu erzielen ist. &bdquo;Wir m&uuml;ssen also sagen, dass eine ,Search and destroy&lsquo;-Strategie nicht funktioniert&ldquo;, fuhr Lemmen fort.</p> <h2>Mythos von Luft- und Wasserfiltern</h2> <p>&bdquo;In vielen Operationss&auml;len sind Luftfiltersysteme mit laminarem Flow installiert; gleichzeitig gehen die T&uuml;ren solcher OPs bis zu 60-mal in der Stunde auf und zu&ldquo;, kritisierte der Hygieniker. Zudem gibt es systematische Reviews mit Metaanalysen, die besagen, dass es zwar keinen Grund gibt, bestehende Laminar-Airflow-Systeme abzubauen, dass aber in neu zu errichtenden Operationss&auml;len keine solchen Systeme mehr eingebaut werden sollten. Der Grund: Es konnte keine signifikante Reduktion von Wundinfektionen durch Laminar-Airflow-Systeme nachgewiesen werden.<br />&bdquo;Eine m&ouml;gliche Alternative sind Ger&auml;te, die nur am eigentlichen Infektionsort laminare Luftstr&ouml;me erzeugen und damit die Konzentration von aerosolisierten Erregern vermindern, was zu einer Reduk&shy;tion von Wundinfektionen f&uuml;hrt&ldquo;, so &shy;Lemmen.<br />&bdquo;Legionelleninfektionen sind prinzipiell schon sehr selten, aber nur 3 % aller Legionelleninfektionen in &Ouml;sterreich entstehen nosokomial&ldquo;, erkl&auml;rte Lemmen. Laut AGES-Daten 2014 liegt die Rate an nosokomialen Legionelleninfektionen bei 0,05/100 000 Einwohner, das ist ein Fall pro zwei Millionen Einwohner. &bdquo;Trotzdem werden in unseren Krankenh&auml;usern Wasserfilter an Wasserh&auml;hnen und Duschk&ouml;pfen eingebaut, auch in Intensivstationen, wo Patienten eigentlich eher selten duschen gehen, und das kostet pro Zimmer und Jahr immerhin 1000 Euro&ldquo;, so der Hygieniker.</p> <p>Quelle: <br />&bdquo;Sinn und Unsinn krankenhaushygienischer Ma&szlig;nahmen&ldquo;, Er&ouml;ffnungsvortrag beim 11. &Ouml;sterreichischen Infektions&shy;kongress von Prof. Dr. Sebastian W. Lemmen, Zentral&shy;bereich f&uuml;r Krankenhaushygiene und Infektiologie, Uniklinik Aachen, 29. M&auml;rz 2017, Saalfelden</p></p>
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