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Leitlinien und das «window of opportunity»

<p class="article-intro">Einen prägnanten Überblick über die Therapiestrategie bei rheumatoider Arthritis gab Dr. med. Ginevra Fiori auf dem 4. Rheuma Course in Florenz. Wir haben sie und Prof. Dr. med. Oliver Distler vom Universitätsspital Zürich gefragt, warum das «window of opportunity» so wichtig ist.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Mit rheumatoider Arthritis assoziiere man oft Gelenkdestruktion, Funktionsverlust und Arbeitsunf&auml;higkeit, sagt Dr. med. Ginevra Fiori von der Abteilung f&uuml;r Rheumatologie am Universit&auml;tsspital Careggi in Florenz. &laquo;Die rheumatoide Arthritis kann aber nicht nur Gelenke betreffen, sondern auch Organe &ndash; das beeinflusst unsere Behandlung und die Prognose sehr.&raquo;<br />An der chronisch-entz&uuml;ndlichen Gelenkkrankheit leiden weltweit 21 Millionen Menschen,<sup>1</sup> in Europa sind es rund 3 Millionen<sup>2</sup>. Es erkranken dreimal mehr Frauen als M&auml;nner und vor allem Menschen zwischen 30 und 50, es k&ouml;nnen aber alle Altersgruppen betroffen sein. Die genaue Pathophysiologie ist immer noch nicht gekl&auml;rt. Genetische Faktoren und Umweltfaktoren scheinen gemeinsam zum Ausbruch der Krankheit zu f&uuml;hren. <br />Autoimmunvorg&auml;nge spielen eine Schl&uuml;sselrolle bei der rheumatoiden Arthritis. Die involvierten Botenstoffe, die den Entz&uuml;ndungsprozess in Gang halten, sind unter anderem Tumor-Nekrose-Faktor(TNF)-alpha, Interleukin 1 und 6. Die Gelenkzerst&ouml;rung wird &uuml;ber Enzyme wie Matrixmetalloproteinasen und Cathepsine vermittelt. &laquo;Bei manchen Patienten ist die Zerst&ouml;rung sehr schnell zu sehen, bei anderen entwickelt sie sich &uuml;ber die Zeit&raquo;, erkl&auml;rt Prof. Dr. med. Oliver Distler, Direktor der Klinik f&uuml;r Rheumatologie am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich. &laquo;Die Zeit, in der die Zerst&ouml;rung noch nicht eingesetzt hat, nennen wir &lsaquo;window of opportunity&rsaquo;. Weil sie aber bei manchen Patienten k&uuml;rzer ist, bei anderen l&auml;nger, m&uuml;ssen wir jeden so rasch wie m&ouml;glich therapieren.&raquo; <br />Diese Strategie werde auch in der neuen EULAR-Leitlinie zur Behandlung der fr&uuml;hen Arthritis<sup>3</sup> betont, sagt Prof. Distler. &laquo;Bei einem Patienten mit fr&uuml;her Arthritis sollte man sich rasch einen &Uuml;berblick verschaffen, wie ausgepr&auml;gt die Krankheit ist und welche Risikofaktoren der Patient hat, die f&uuml;r einen schlechten Verlauf pr&auml;disponieren. Und dann sollte man rasch eine Basistherapie beginnen, denn eine fr&uuml;he Diagnose und Therapie verhindern oder verz&ouml;gern Gelenkdestruktion und funktionelle Beeintr&auml;chtigungen und senken die mit einer Arthritis assoziierte h&ouml;here Mortalit&auml;t.&raquo; Innerhalb des &laquo;window of opportunity&raquo;, also wenn man klare Hinweise f&uuml;r eine rheumatoide Arthritis hat, etwa positive Anti-CCP-Antik&ouml;rper, sollte man die Behandlung beginnen, wenn ein hohes Risiko f&uuml;r eine Persistenz der Arthritis besteht &ndash; auch wenn der Patient die Kriterien f&uuml;r eine inflammatorische rheumatologische Krankheit nicht vollst&auml;ndig erf&uuml;llt, so die Empfehlung Nr. 4 der neuen EULAR-Leitlinie.<sup>3</sup></p> <p>&nbsp;<img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1702_Weblinks_s50.jpg" alt="" width="1454" height="908" /></p> <p>&laquo;Hat man einen Patienten mit Gelenkschwellung, Schmerzen und Gelenksteifigkeit, sollte man sofort einen Rheumatologen konsultieren&raquo;, sagt Dr. med. Fiori. Diese drei Symptome gelten als Warnzeichen, und gem&auml;ss EULAR-Leitlinie sollte der Rheumatologe einen Patienten mit solchen Symptomen innerhalb von 6 Wochen sehen. Faktoren, die einen schweren Verlauf voraussagen k&ouml;nnen, sind die Anzahl der geschwollenen Gelenke, die H&ouml;he von CRP/BSR, das Vorhandensein und die H&ouml;he von Rheumafaktor und Anti-CCP sowie erosive Ver&auml;nderungen im R&ouml;ntgen bzw. im Ultraschall. &laquo;Nach diesen Risikofaktoren muss man aktiv suchen und sie erfassen&raquo;, r&auml;t Distler. Eine fr&uuml;he Arthritis kann selbstlimitierend verlaufen, persistierend nicht erosiv oder persistierend erosiv. &laquo;Wir wissen aber nicht, in welche Richtung sich die Arthritis entwickelt&raquo;, so Dr. med. Fiori. &laquo;Deshalb m&uuml;ssen wir fr&uuml;h behandeln.&raquo;<br />Die Behandlung hat drei Ziele: erstens die Krankheitsaktivit&auml;t reduzieren, zweitens strukturelle Sch&auml;den vermeiden und drittens Behinderungen in Grenzen halten. Kortikoide k&ouml;nnen die Entz&uuml;ndung schnell und effektiv unterdr&uuml;cken. Sie werden heute vor allem zur &Uuml;berbr&uuml;ckung eingesetzt: beim Start eines Basistherapeutikums &ndash; als erste Wahl Metho&shy;trexat &ndash; bis zu dessen Wirkungseintritt. &laquo;Methotrexat war das erste Medikament, mit dem man die Gelenkdestruktion bremsen konnte&raquo;, erz&auml;hlt Fiori. &laquo;Das hat die Lebensqualit&auml;t der Patienten deutlich ver&auml;ndert.&raquo; Methotrexat war das erste krankheitsmodifizierende Medikament (DMARD), sp&auml;ter kamen weitere hinzu. Heute lassen sich die DMARDs in zwei Hauptgruppen einteilen: synthetische (sDMARDs) und biologische Substanzen (bDMARDs). Bei den synthetischen unterscheidet man konventionelle synthetische (csDMARDs) wie Methotrexat, Sulfasalazin und Leflunomid von gezielt wirkenden synthetischen (tsDMARDs) wie zum Beispiel dem Januskinase(JAK)-Inhibitor Tofacitinib. Auch bei den biologischen Pr&auml;paraten gibt es zwei Untergruppen: Originator-Biologika (boDMARDs) wie die urspr&uuml;nglichen TNF-Hemmer Abatacept, Rituximab, Tocilizumab und Anakinra sowie Biosimilars (bsDMARDs). &laquo;Manche Patienten meinen, biologische DMARDs sind so etwas wie Naturheilkunde&raquo;, sagt Fiori. &laquo;Biologische DMARDs sind aber nicht in dem Sinne nat&uuml;rlich &ndash; das muss man den Patienten erkl&auml;ren.&raquo; Sobald die Diagnose gestellt ist, beginnt man gem&auml;ss der gerade aktualisierten EULAR-Leitlinie zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis<sup>4</sup> mit dem csDMARD Methotrexat, vor&uuml;bergehend in Kombination mit Kortikoiden. Vertr&auml;gt der Patient Methotrexat nicht, stehen als Alternativen Leflunomid oder Sulfasalazin zur Verf&uuml;gung. Verbessert sich mit der Strategie die Krankheitsaktivit&auml;t innerhalb von 3 Monaten nicht um mindestens die H&auml;lfte oder erreicht man mit der Einzeltherapie innert 6 Monaten nicht das Therapieziel &ndash; also eine klinische Remission gem&auml;ss ACR-EULAR-Definition oder zumindest eine niedrige Krankheitsaktivit&auml;t &ndash;, empfiehlt die Leitlinie, anhand der Risikofaktoren vorzugehen: Hat der Patient keine Risikofaktoren, setzt man ein anderes csDMARD ein. Liegen Risikofaktoren vor, kombiniert man mit einem biologischen DMARD.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 4<sup>th</sup> Florence RA Course, 23.–25. Februar 2017, Florenz </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> United Nations World Population Database, 2004 revision. <a href="http://www.un.org/esa/population/">www.un.org/esa/population/</a>, letzter Zugang: 25. 4. 2017 <strong>2</strong> Weinblatt ME et al: Ann Intern Med 1996; 124: 773-4 <strong>3</strong> Combe B et al: Ann Rheum Dis 2016; doi: 10.1136/annrheumdis- 2016-210602 <strong>4</strong> Smolen JS et al: Ann Rheum Dis 2017; published online Mar 17</p> </div> </p>
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