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Chancen und Grenzen der Knieendoprothetik beim jungen Patienten

<p class="article-intro">Das arthrotisch vorgealterte Knie des jungen Patienten ist eine grosse Herausforderung für den behandelnden Orthopäden. Nach Ausschöpfung aller gelenkerhaltenden Behandlungen stellt die Teil- oder Vollprothetik des Kniegelenkes eine sinnvolle Therapieoption dar. In den letzten Jahren ist eine wachsende Zahl von Patienten unter 55 Jahren mit einer Knieprothese versorgt worden. Dieser Trend scheint sich auch in Zukunft weiter fortzusetzen. Von seinen älteren Leidensgenossen unterscheidet sich der junge Gonarthrosepatient durch höhere Anforderungen an sein operiertes Knie und durch ein verändertes Indikationsspektrum. Postoperativ sind objektivierbares Outcome und subjektive Zufriedenheit nur unter optimalen Bedingungen vergleichbar. </p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>In Relation zur Gesamtbev&ouml;lkerung steigt in der Altersgruppe der unter 60-J&auml;hrigen die Zahl der implantierten Knieprothesen &uuml;berproportional an.</li> <li>Das Indikationsspektrum bei j&uuml;ngeren Patienten unterscheidet sich von dem ihrer &auml;lteren Leidensgenossen.</li> <li>Je subtiler die radiologischen Ver&auml;nderungen bei prim&auml;rer Gonarthrose sind, umso schlechter ist das zu erwartende Resultat nach Knieprothesen&shy;implantation.</li> <li>Sekund&auml;re Gonarthrosen pr&auml;disponieren f&uuml;r schlechteres funktionelles Outcome und h&ouml;here Komplikationsraten.</li> <li>Wichtigster prognostischer Faktor f&uuml;r die Unzufriedenheit nach Knieprothesenimplantation sind nicht erf&uuml;llte Erwartungen.</li> </ul> </div> <p>In den letzten Jahrzehnten ist ein Anstieg der Zahl der Knieprothesenoperationen zu beobachten. Demografische Untersuchungen f&uuml;r den Zeitraum von 1999 bis 2008 in den USA zeigen einen Anstieg der Operationszahlen um 134 % . Dieser Aufw&auml;rtstrend l&auml;sst sich auch in Mitteleuropa nachvollziehen. Zwischen 2005 und 2010 wurden in Deutschland 25 % , in &Ouml;sterreich 28 % und in der Schweiz 51 % mehr Knieprothesen implantiert als in den 5 Jahren zuvor. Betrachtet man das Kollektiv junger Patienten (&lt;55 Jahre) gesondert, ist gerade in dieser Altersgruppe ein noch st&auml;rkerer und damit &uuml;berproportionaler Anstieg der Knieprothesenoperationen zu beobachten. Bei 45- bis 65-J&auml;hrigen ist zwischen 1999 und 2008 ein Anstieg um 218 % dokumentiert. Die Extrapolation dieser Daten l&auml;sst bis zum Jahr 2030 gar einen Anstieg um 673 % vermuten. Derzeit werden in den Vereinigten Staaten in der Altersgruppe der unter 55-J&auml;hrigen etwa 70 000 Knieprothesen pro Jahr implantiert. Die NIH (National Institutes of Health) erwarten bis zum Jahr 2030, dass ein Drittel aller Knieprothesen bei Personen der Altersgruppe der noch berufst&auml;tigen Menschen implantiert wird. Dadurch entwickelt sich die Gonarthrose beim jungen Patienten zunehmend zu einem sozio&ouml;konomischen Problem.<br />Insall et al berichteten bereits in den fr&uuml;hen 1980er-Jahren, dass die Implantation von Knieprothesen ein zuverl&auml;ssiges Werkzeug zur Behandlung einer symptomatischen Gonarthrose beim jungen Patienten darstelle (Clin Orthop Relat Res 1985; 192). Weiterf&uuml;hrende Studien berichten jedoch &uuml;ber k&uuml;rzere Standzeiten und ein schlechteres funktionelles Ergebnis als beim &auml;lteren Patienten.</p> <h2>Outcome</h2> <p><strong>Implantatversagen</strong><br />Das Risiko einer Prothesenrevision ist beim jungen Patienten im mittel- bis langfristigen Verlauf erh&ouml;ht. Dies wird durch finnische, schwedische und regionale Registerdaten belegt. Meehan et al konnten anhand des kalifornischen Implantatregisters auch erh&ouml;hte Revisionsraten bereits im kurzfristigen Verlauf nach Prothesenimplantation dokumentieren (J Bone Joint Surg Am 2014; 96). Aus einem Gesamtkollektiv von insgesamt 120 538 implantierten Knieprothesen wurden im ersten postoperativen Jahr insgesamt 0,82 % wegen eines implantatassoziierten Infekts und 1,15 % wegen einer aseptischen Ursache revidiert. Die entsprechenden Revisionsraten lagen im Kollektiv der unter 50-J&auml;hrigen bei 1,36 % respektive bei 3,49 % . Das Risiko f&uuml;r ein infektbedingtes Prothesenversagen war somit 1,8-fach, das f&uuml;r ein aseptisches Versagen 4,7-fach h&ouml;her als im &auml;lteren Patientenkollektiv. Stambough et al gaben als Revisionsgr&uuml;nde aseptisches Implantatversagen (32 % ), Infekt (17 % ), Instabilit&auml;t (16 % ), Arthrofibrose (14 % ), Schmerz (9 % ) und Malalignment (2 % ) an (Bone Joint J 2014; 96-B). F&uuml;r die hohe Rate an aseptischen Lockerungen werden vor allem das h&ouml;here Aktivit&auml;tsniveau und diversifizierte Ursachen der Arthrose beim jungen Patienten verantwortlich gemacht.<br />Der &laquo;Endpunkt Revision&raquo; wurde zeitweise als Goldstandard genutzt, um den Erfolg oder Misserfolg nach Knieprothesenoperation zu objektivieren. Die alleinige Beurteilung aufgrund der Revisionsraten ist allerdings nicht sinnvoll, da einfache Revisionen h&auml;ufiger und schwierigere seltener durchgef&uuml;hrt werden. So ist zum Beispiel die Revision einer nicht funktionierenden Teilprothese eher als einfach anzusehen und wird daher h&auml;ufiger durchgef&uuml;hrt als die Revision einer Knietotalprothese. Zudem l&auml;sst die Standzeit allein keine Aussage &uuml;ber die Patientenzufriedenheit zu, insbesondere nicht beim jungen Patienten. In einer Studie von Price et al zeigte sich in einem Kollektiv von unter 60-j&auml;hrigen Patienten 12 Jahre nach Knieprothese eine Implantat-&Uuml;berlebensrate von 82,2 % , doch berichteten die Patienten in 41 % der F&auml;lle &uuml;ber mittelstarke bis starke Schmerzen gem&auml;ss Oxford Knee Score (Knee 2010; 17).</p> <p><strong>Funktionelles Outcome</strong><br /> Eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien hat versucht, das funktionelle Outcome anhand standardisierter Outcome-Instrumente zu erfassen (Tab. 1). Ein direkter Vergleich dieser Ergebnisse gestaltet sich schwierig, da diese Studienpopulationen meist klein und heterogen sind. Gr&ouml;sstenteils werden arztbezogene Scoring-Systeme wie der Knee Society Score (KSS) und der Hospital for Special Surgery Knee Score (HSS) angewandt. &Uuml;bereinstimmend finden sich in allen Studien eine Verbesserung der pr&auml;operativ eingeschr&auml;nkten Funktion und eine Verringerung des Schmerzlevels. Vergleichbare Ergebnisse lassen sich auch bei &auml;lteren Patienten nach Knieprothesenimplantation aufzeigen. Arztbezogene funktionelle Scores korrelieren jedoch nicht zwingend mit der Patientenzufriedenheit. Daher wurde in den letzten Jahren zunehmend die Wichtigkeit von patientenbasierten Scores betont, welche krankheitsbezogene Lebensqualit&auml;t (&laquo;health-related quality of life scores&raquo;, HRQoL) und Funktion (&laquo;pa&shy;tient-related outcome measures&raquo;, PROM) erfassen. Die subjektive Patientenzufriedenheit l&auml;sst sich anhand dieser Outcome-Instrumente besser abbilden. Nach Implantation einer Knietotalprothese zeigen sich ein Jahr nach der Operation zwischen 71 und 90 % der jungen Patienten zufrieden. Anstellungsverh&auml;ltnis und Entlohnung scheinen sich postoperativ nicht zu ver&auml;ndern, die sexuelle Aktivit&auml;t bleibt, ggf. mit Anpassung, gew&auml;hrleistet. Die R&uuml;ckkehr zum Sport auf Freizeitniveau ist allerdings nur 10 % der Patienten m&ouml;glich.<br />Je h&ouml;her der Leistungsanspruch des jungen Patienten ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass seine Erwartungen nicht komplett erf&uuml;llt werden. Zudem fallen beim jungen Patienten gewisse Restsymptome, wie z.B. die fehlende F&auml;higkeit zu knien, eher ins Gewicht als beim betagten Patienten mit geringeren allt&auml;glichen Anforderungen. Der h&auml;ufigste Grund f&uuml;r Unzufriedenheit sind nicht erf&uuml;llte Erwartungen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1702_Weblinks_s6.jpg" alt="" width="2151" height="1973" /></p> <h2>Indikationen</h2> <p>Die aktuelle Studienlage zeichnet das Bild, dass die Erwartungen j&uuml;ngerer Patienten weniger erf&uuml;llt werden als die von &auml;lteren. Nur zum Teil kann dies durch einen h&ouml;heren funktionellen Anspruch im Alltag und Sport erkl&auml;rt werden. Einen grossen Einfluss hat das ver&auml;nderte Indikationsspektrum. So weist einerseits der junge Patient mit prim&auml;rer Gonarthrose eine weniger stark ausgepr&auml;gte Gonarthrose auf als sein &auml;lterer Gegenpart. Andererseits verschiebt sich in j&uuml;ngeren Patientenkollektiven der Prozentsatz zugunsten sekund&auml;rer Arthrosen.</p> <p><strong>Prim&auml;re Gonarthrose</strong><br />Haynes et al (Knee 2016; in press) verglichen den Verlauf nach Knieprothesenimplantation bei j&uuml;ngeren Patienten (&lt;55a) mit prim&auml;rer Gonarthrose mit einem &auml;lteren Kollektiv (65&ndash;75a). Die j&uuml;ngeren Patienten wiesen geringere radiologische Ver&auml;nderungen gem&auml;ss Kellgren-Lawrence-Klassifikation und damit einen geringeren Arthrosegrad auf. Zwar konnte auch bei den J&uuml;ngeren eine signifikante Verbesserung des Western Ontario &amp; McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) dokumentiert werden, jedoch nicht im gleichen Ausmass wie beim &auml;lteren Kollektiv. Auch andere Studiengruppen konnten bei radiologisch wenig ausgepr&auml;gten Arthrosen postoperativ h&auml;ufiger Restbeschwerden und eine gr&ouml;ssere Patientenunzufriedenheit nachweisen. Der Schweregrad der Arthrose scheint positiv mit dem Operationserfolg zu korrelieren. Je gr&ouml;sser die Deformit&auml;t, umso besser das Outcome.</p> <p><strong>Sekund&auml;re Gonarthrose</strong><br />Scott et al schl&uuml;sselten ein Patientenkollektiv von 177 Personen j&uuml;nger als 55 Jahre entsprechend der &Auml;tiologie ihrer Gonarthrose auf (Bone Joint J 2016; 98-B). Nur 32 % des Kollektivs litten unter einer prim&auml;ren Arthrose.<br />Rheumatoide Arthritis<br />Kollektive mit j&uuml;ngeren Patienten weisen zudem eine erh&ouml;hte Pr&auml;valenz von chronisch-entz&uuml;ndlichen Gelenkerkrankungen auf. Gerade diese Patienten zeigen ein erh&ouml;htes perioperatives Risiko, vor allem f&uuml;r implantatassoziierte Infektionen. Dieses erh&ouml;hte Risiko ist mitunter durch immunmodulierende Therapien bedingt.<br />Posttraumatische Gonarthrose<br />Die Rate der Unzufriedenheit nach Knie&shy;totalprothese bei posttraumatischer Gonarthrose liegt bei bis zu 44 % . Bei 25&ndash;45 % der intraartikul&auml;ren Tibiaplateaufrakturen entwickelt sich langfristig eine posttraumatische Gonarthrose. Die Arthroseprogression korreliert mit dem Ausmass der artikul&auml;ren Beteiligung und mit der Schwere der posttraumatischen Deformit&auml;t. Eine prothetische Versorgung ist bei 3&ndash;7 % nach 10 Jahren notwendig. Nach Knieprothesenimplantation sind ein schlechteres funktionelles Outcome und ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r peri- und postoperative Komplikationen (26&ndash;60 % ) dokumentiert. Intraoperative Komplikationen (10 % ) umfassen vor allem iatrogene Avulsionen von Streckapparat und medialem Seitenband. Zu den postoperativen Komplikationen (26&ndash;35,5 % ) geh&ouml;ren insbesondere zugangs- und weichteil&shy;assoziierte Probleme wie Wundheilungsst&ouml;rungen, Infekt und Steifigkeit.<br />Anderweitig voroperierte Patienten<br />Scott et al bezifferten die Unzufriedenheitsrate nach Meniskektomie mit 40,6 % . Das funktionelle Resultat schien hierbei jedoch nicht kompromittiert. F&uuml;r andere Voroperationen, z.B. hohe Tibiaosteotomie (HTO), lag die Unzufriedenheitsrate bei 36,8 % . Nach HTO ist die Implantation einer Knietotalprothese technisch anspruchsvoller. Grund hierf&uuml;r sind die ver&auml;nderte Anatomie der proximalen Tibiametaphyse und Bandspannung sowie vorbestehende Inzisionen. Vergleicht man funktionelles Resultat und Komplikationsspektrum bei Patienten nach HTO mit nicht voroperierten Patienten, sind nach Implantation einer Knieprothese tendenziell schlechtere bis bestenfalls vergleichbare Resultate zu erwarten.<br />Adipositas<br />&Uuml;bergewicht ist eine bekannte Ursache f&uuml;r die Entwicklung einer arthrotischen Erkrankung. Mit steigendem Body-Mass-Index nimmt das Risiko einer Arthroseprogression zu. Dies gilt auch f&uuml;r junge Patienten. Adipositas tr&auml;gt nicht nur zur Entstehung der Arthrose bei, sie kompromittiert auch das postoperative Outcome. Scott et al ermittelten Adipositas als negativ prognostischen Faktor f&uuml;r Patientenunzufriedenheit (30,5 % ). Zudem bestehen bei adip&ouml;sen Patienten h&ouml;here Revisionsraten nach Knietotalprothese.</p> <h2>Konklusion</h2> <p>Auch bei j&uuml;ngeren Patienten (&lt;55 Jahre) mit symptomatischer Gonarthrose ist die Implantation einer Knieprothese eine sinnvolle und gute Therapieoption. Hiermit lassen sich zuverl&auml;ssig Schmerzprofil und Funktion des erkrankten Kniegelenks verbessern. Allerdings sind die postoperativen Resultate bei j&uuml;ngeren Patienten schlechter, wenn sie mit denen in &auml;lteren Patientenkollektiven verglichen werden. Es zeigen sich h&ouml;here Komplikationsraten und eine gr&ouml;ssere Patientenunzufriedenheit. Erkl&auml;rbar ist dies einerseits durch den h&ouml;heren Leistungsanspruch an das operierte Kniegelenk. Andererseits ist bei jungen Patienten der Anteil an sekund&auml;ren Gonarthrosen deutlich h&ouml;her, welche das Operationsresultat ebenfalls negativ beeinflussen k&ouml;nnen. Die Indikation zur Implantation einer Knieprothese ist deswegen gerade in diesem Patientenkollektiv sehr sorgf&auml;ltig abzuw&auml;gen, und mit dem Patienten sind seine Erwartungen sowie sinnvolle berufliche und sportliche Belastung zu besprechen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>Bei den Verfassern</p> </div> </p>
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