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Urolithiasisdiagnostik

Bedeutung und Qualität der Harnsteinanalyse in Europa

<p class="article-intro">In den vergangenen Jahrzehnten stieg die Häufigkeit des Harnsteinleidens in den Industrieländern deutlich an. Nach einer repräsentativen Erhebung liegt die Prävalenz der Urolithiasis in Deutschland derzeit bei 5 % und die jährliche Inzidenz bei 1,5 % , sodass mit circa 1,2 Millionen Behandlungsfällen pro Jahr gerechnet werden muss.<sup>1</sup></p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Zusammensetzung des Harnsteins ist die Grundlage der metabolischen Diagnostik und steinartspezifischen Rezidivpr&auml;vention.</li> <li>Nur Infrarotspektroskopie und R&ouml;ntgendiffraktion gen&uuml;gen den Anfor&shy;derungen an eine exakte Harnstein&shy;analyse.</li> <li>Zur Qualit&auml;tskontrolle der Harnsteinanalyse ist die Teilnahme der Laboratorien an regelm&auml;ssigen Ringversuchen unerl&auml;sslich.</li> </ul> </div> <p>Je nach Steinart betr&auml;gt die Rezidivrate bis zu 50 % .<sup>1&ndash;3</sup> Gem&auml;ss den Leitlinien zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis sollte prinzipiell bei jedem Harnsteinpatienten eine Steinanalyse durchgef&uuml;hrt werden.<sup>4, 5</sup> Da sich die Steinart im Verlauf der Erkrankung &auml;ndern kann, sollte eine Harnsteinanalyse bei jeder neuen Steinepisode durchgef&uuml;hrt werden.</p> <h2>Harnsteinarten</h2> <p>Die wichtigsten Harnsteinarten sind in Tabelle 1 angef&uuml;hrt. Die h&auml;ufigste Steinsubstanz ist Kalziumoxalat (Whewellit und Weddellit), gefolgt von Harns&auml;ure. Weitere Steinarten sind unter anderem Brushit, Karbonatapatit, Struvit, Urate, Cystin sowie medikament&ouml;s induzierte Steine, z.B. durch das bei HIV eingesetzte Medikament Indinavir.<sup>6</sup> Nur etwa ein Drittel aller Steine besteht ausschliesslich aus einer Substanz. Bei der Rezidivpr&auml;vention m&uuml;ssen auch die Mischpartner beachtet werden.<br />Patienten mit Brushit-, Karbonatapatit-, Harns&auml;ure-, Urat- und Infektsteinen, genetisch bedingten Harnsteinen, wie Cystin, 2,8-Dihydroxyadenin und Xanthin, aber auch medikament&ouml;s induzierten Steinen haben ein besonders hohes Rezidiv&shy;risiko.<sup>4&ndash;6</sup> In Abh&auml;ngigkeit von den Risikofaktoren ist auch die Kalziumoxalat-Steinbildung durch eine hohe Rezidivrate charakterisiert. Dar&uuml;ber hinaus konnte gezeigt werden, dass Whewellit (Kalziumoxalatmonohydrat), Brushit und Cystin aufgrund ihrer H&auml;rte schlecht auf eine Desintegration durch die extrakorporale Stosswellenlithotripsie (ESWL) ansprechen.<sup>4, 5, 7</sup> Grossen Statistiken zufolge handelt es sich zudem bei ca. 1 % aller Analysen um Artefakte wie beispielsweise Kieselsteine, Gips oder Samenk&ouml;rner.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Uro_1701_Weblinks_s13.jpg" alt="" width="1417" height="1006" /></p> <h2>Steinartspezifische Rezidivpr&auml;vention</h2> <p>Die Steinzusammensetzung ist die Grundlage der metabolischen Diagnostik und steinartspezifischen Rezidivpr&auml;vention.<sup>4&ndash;6</sup> Genetisch determinierte Harnsteine wie Cystin manifestieren sich bereits im Kindes- und Jugendalter und bed&uuml;rfen einer lebenslangen Therapie. Das Rezidivrisiko bei genetisch bedingter Steinbildung betr&auml;gt 100 % . Voraussetzung f&uuml;r eine effektive Rezidivpr&auml;vention von Infektsteinen ist eine komplette Steinsanierung. Eine konsequente antibiotische Therapie des Harnwegsinfekts ist dabei unumg&auml;nglich. Zus&auml;tzlich empfiehlt sich eine Harns&auml;uerung mit L-Methionin. <br />Etwa 75 % aller Harnsteine bestehen aus Kalziumoxalat. Die Bildung von Kalziumoxalatsteinen wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, die eine genaue Analyse der relevanten Parameter im 24h-Harn erforderlich machen. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Kalzium-, Oxalat-, Harns&auml;ure-, Zitrat- und Magnesiumausscheidung. Rund 10 % aller Steine bestehen aus Harns&auml;ure. Eine hohe Harns&auml;ureausscheidung, ein niedriger Harn-pH-Wert und ein geringes Harnvolumen beg&uuml;nstigen die Bildung von Harns&auml;uresteinen. <br />Kalziumphosphatsteine treten in verschiedenen Formen auf. Zu den bedeutendsten Kalziumphosphaten z&auml;hlen Karbonatapatit und Brushit. Obwohl beide Steinarten Kalzium und Phosphat enthalten, sind die Bildungsbedingungen unterschiedlich. Risikofaktoren f&uuml;r eine Kalziumphosphatsteinbildung sind ein geringes Harnvolumen, ein Harn-pH-Wert &uuml;ber 6,5, eine hohe Kalzium- und eine geringe Zitratausscheidung. H&auml;ufige Ursachen der Kalziumphosphatsteinbildung sind Hyperparathyreoidismus (HPT) und renal tubul&auml;re Azidose (RTA). <br />Eine Studie an 307 rezidivierenden Harnsteinpatienten hat gezeigt, dass steinartspezifische diagnostische und therapeutische Massnahmen eine rezidivierende Steinbildung erfolgreich verhindern k&ouml;nnen.<sup>8</sup></p> <h2>Harnsteinanalyse</h2> <p>Nach der Steinentfernung ist daher eine qualitativ und quantitativ sehr genaue Harnsteinanalyse die wichtigste Voraussetzung f&uuml;r eine gezielte Therapie und eine ad&auml;quate Rezidivpr&auml;vention. Die Steinzusammensetzung liefert erste Hinweise auf m&ouml;gliche Stoffwechselst&ouml;rungen und bildet gleichzeitig die Grundlage zur Abkl&auml;rung der f&uuml;r den einzelnen Patienten pathogenetisch relevanten endogenen und exogenen Risikofaktoren der Steinbildung. <br />Eine Qualit&auml;tskontrolle der Harnsteinanalyse in Deutschland ergab, dass nahezu 90 % aller Analysen im Jahr 1980 durch chemische Methoden erfolgten.<sup>9</sup> Infrarotspektroskopie und R&ouml;ntgendiffraktion kamen dagegen nur selten zum Einsatz. Sehr schnell wurde jedoch deutlich, dass die chemischen Methoden zu ungenauen und in hohem Masse falschen Analysen f&uuml;hrten. Aufgrund der hohen Fehlerrate sank die Zahl der Laboratorien, die eine chemische Analyse anbieten, schrittweise im Laufe der Zeit. Im Jahr 2001 nutzte nur noch eine kleine Zahl von Laboratorien die chemische Analyse, aber 80 % die Infrarotspektroskopie und rund 9 % die R&ouml;ntgendiffraktion. Aufgrund der nicht akzeptierbaren hohen Zahl von Falsch&shy;analysen gilt die chemische Analyse als obsolet.<sup>4&ndash;6 </sup></p> <h2>Qualit&auml;t der Harnsteinanalyse</h2> <h2>in Europa</h2> <p>Daten zur Genauigkeit der Harnsteinanalyse in Europa fehlten bisher. In einer Studie an neun Laboratorien in Deutschland, England, Frankreich, der Schweiz, D&auml;nemark, Portugal, Italien und der T&uuml;rkei wurde die Qualit&auml;t der Steinanalyse in Europa untersucht.<sup>10</sup> Die Laboratorien nahmen an sechs Ringversuchen zur Harnsteinanalyse mit insgesamt 24 Proben teil. Testsubstanzen, die im Rahmen der Studie untersucht wurden, waren zum Beispiel Reinsubstanzen wie 100 % Whitlockit oder 100 % Kristallzucker, Zweikomponentengemische wie 60 % Brushit und 40 % Apatit oder 70 % Harns&auml;ure und 30 % Whewellit sowie Dreikomponentengemische wie beispielsweise 50 % Struvit, 30 % Apatit und 20 % Whewellit.<br />Die Auswertung der Ergebnisse am Beispiel dieser f&uuml;nf von 24 Proben ergab, dass nur ein Laboratorium 100 % Whitlockit korrekt nachweisen konnte. Drei Laboratorien konnten das Artefakt Kristallzucker, das gelegentlich in Harnsteinanalyselaboratorien vorkommt, nicht identifizieren. Nur 67 % der Laboratorien fanden Brushit, Harns&auml;ure und Whewellit in Zweistoffgemischen. Sechs von neun Laboratorien konnten das Dreistoffgemisch mit der analytisch anspruchsvollen Zusammensetzung aus Struvit, Apatit und Whewellit nicht korrekt nachweisen. Das Labor, welches die chemische Methode anwandte, konnte keine dieser Harnsteinsubstanzen identifizieren.<br />Um das Qualit&auml;tszertifikat zu erhalten, mussten mindestens 99 von insgesamt 132 erreichbaren Punkten erzielt werden. Von den teilnehmenden Laboratorien erf&uuml;llten lediglich 56 % , d.h. f&uuml;nf von neun, die Qualit&auml;tsanforderung von mindestens 99 Punkten (Abb. 1). Das Labor mit der chemischen Analyse erreichte lediglich 9 von 132 Punkten. Dass auch bei der Anwendung von Infrarotspektroskopie und R&ouml;ntgendiffraktion Fehler in kleinerem Umfang auftreten, ist vor allem auf eine ungen&uuml;gende Ger&auml;teausstattung, fehlende Referenzspektren oder unzureichend geschultes Personal zur&uuml;ckzuf&uuml;hren. Daher ist eine Teilnahme der Laboratorien an regelm&auml;ssigen Ringversuchen zur Qualit&auml;tskontrolle der Harnsteinanalyse unerl&auml;sslich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Uro_1701_Weblinks_s14.jpg" alt="" width="1417" height="1006" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Hesse A et al: Study on the prevalence and incidence of urolithiasis in Germany comparing the years 1979 vs. 2000. Eur Urol 2003; 44: 709-13 <strong>2 </strong>Ahlstrand C, Tiselius HG: Recurrences during a 10-year follow-up after first renal stone episode. Urol Res 1990; 18: 397-9<strong> 3 </strong>Trinchieri A et al: A prospective study of recurrence rate and risk factors for recurrence after a first renal stone. J Urol 1999; 162: 27-30<strong> 4</strong> Arbeitskreis Harnsteine der Akademie der Deutschen Urologen, Deutsche Gesellschaft f&uuml;r Urologie e.V.: S2k-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis. 2015 <strong>5</strong> T&uuml;rk C et al: EAU guidelines on urolithiasis. European Association of Urology. 2016 <strong>6</strong> Hesse A et al: Urinary stones: diagnosis, treatment, and prevention of recurrence. 3rd re&shy;vised and enlarged edition. Basel: Karger, 2009 <strong>7</strong> Dretler SP: Stone fragility &ndash; a new therapeutic distinction. J Urol 1988; 139: 1124-7 <strong>8</strong> Klocke K et al: Prevention of recurrent stone formation: long time results under treatment based on an extended metabolic inves&shy;tigation. Urol Res 1992; 20: 94-5 <strong>9</strong> Hesse A et al: Quality control in urinary stone analysis: results of 44 ring trials (1980&ndash;2001). Clin Chem Lab Med 2005; 43: 298-303 <strong>10</strong> Siener R et al, EAU Section of Urolithiasis (EULIS): Quality assessment of urinary stone analysis: results of a multicenter study of laboratories in Europe. PLoS One 2016; 11: e0156606 (doi: 10.1371/journal.pone.0156606)</p> </div> </p>
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