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Medikationsmanagement

<p class="article-intro">Fehler bei der Medikation sind die wichtigste Einzelursache für Patientenschädigung, ihre Vermeidung ist ein wichtiges Ziel beim Medikationsmanagement, daran besteht kein Zweifel. Dennoch, und das wird vor allem in der öffentlichen Debatte häufig übersehen, sind unerwünschte Wirkungen längst nicht immer das Resultat eines Fehlers, sondern oft Ergebnis einer wohlüberlegten Entscheidung für das kleinere Übel.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Mechanische &bdquo;Medikamentenchecks&ldquo; &uuml;ber Interaktionsprogramme und Algorithmen k&ouml;nnen eine gewisse Unterst&uuml;tzung in Teilaspekten bieten. Ohne Kenntnis des Gesamtbildes, des Behandlungskonzepts und des Patienten selbst k&ouml;nnen sie allerdings rasch kontraproduktiv werden.<br />Ziel muss die Optimierung der Medikation sein: ausgerichtet auf einen konkreten Patienten mit seinen besonderen Bed&uuml;rfnissen und individuellen M&ouml;glichkeiten, mit seinen Komorbidit&auml;ten, Vorerfahrungen und Vorlieben bzw. Abneigungen (Abb. 1). Medikationsmanagement ist komplex und geht &uuml;ber blo&szlig;e Fehlervermeidung weit hinaus.</p> <h2>Zum Prozess der Medikation</h2> <p>Die Medikationsentscheidung ist nur ein Schritt, denn sie ist &ndash; immer! &ndash; Teil eines auf die Bed&uuml;rfnisse, Krankheiten und Risikofaktoren in einem gemeinsamen Prozess abgestimmten Behandlungskonzeptes zur Heilung bzw. Linderung oder Vorbeugung von Krankheiten. Keine Entscheidung f&uuml;r oder gegen ein Medikament darf ohne angemessene Diagnostik, ohne Kenntnis des Patienten und seiner Befunde getroffen werden. <br />Solange der Patient Patient ist, ist dieser Prozess nicht abgeschlossen. Er umfasst Diagnose- bzw. Indikationsstellung, Entscheidung f&uuml;r oder gegen ein Medikament, Auswahl, Dosierung und Anwendung, Kontrolle und Monitoring, Abgabemodalit&auml;ten, Reevaluierung, Beendigung der Medikation, Wiedereinf&uuml;hrung etc. (Abb. 2) Auf jeder Stufe sind Entscheidungen zu treffen, sind der Patient und eventuell auch weitere Personen zu involvieren. Unabdingbar f&uuml;r gutes Medikationsmanagement sind ein breites, aktuelles generalistisches Wissen, gute Kommunikation, eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung, gute Organisation, unterst&uuml;tzende Praxistools inklusive EDV, optimierte Teamarbeit und ausreichend Zeit. Eine Zentralperson (sinnvollerweise: ein &bdquo;therapief&uuml;hrender Arzt&ldquo;) muss das Gesamtkonzept verantworten, wenn es diese Bezeichnung verdienen soll. Die kritische W&uuml;rdigung in Zusammenschau mit Gesamtmedikation und Begleit-/Grundkrankheiten ist im Normalfall nur dem Generalisten m&ouml;glich, nur er hat den &Uuml;berblick &uuml;ber alle F&auml;cher (Komorbidit&auml;ten) und &uuml;ber die Vorgeschichte. Er ist f&uuml;r die Zusammenschau unterschiedlicher Behandlungsstr&auml;nge ger&uuml;stet und verantwortlich. Wenn im ungegliederten &ouml;sterreichischen System &uuml;berhaupt irgendwo die F&auml;den zusammenlaufen, dann beim Hausarzt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1702_Weblinks_s17.jpg" alt="" width="2188" height="980" /></p> <h2>Medikationsmanagement in der Hausarztpraxis</h2> <p>Angesichts der Tatsache, dass einige Berufsgruppen in diesen eigentlich therapeutischen Prozess hineindr&auml;ngen, hat sich eine Arbeitsgruppe der &Ouml;GAM konstituiert, um die entscheidenden Eckpunkte guten Medikamentenmanagements zu analysieren und die sich daraus ergebenden Zust&auml;ndigkeiten der beteiligten Medizinberufe zu beschreiben. Wir wollen damit einerseits diese Aufgabe erleichtern helfen, andererseits auch ermutigend wirken: Voraussetzung f&uuml;r die Anerkennung dieser unserer Leistung ist, dass sie deutlich sichtbar wird, f&uuml;r Patienten sowieso, aber auch f&uuml;r Kollegen in den Spezialf&auml;chern, allen anderen Medizinberufen und f&uuml;r s&auml;mtliche Entscheidungstr&auml;ger.</p> <p>Die &Ouml;GAM-Arbeitsgruppe gliedert den Medikationsprozess in mehrere Bereiche:</p> <h2>Verschreibung und Monitoring</h2> <p>Bei Neueinf&uuml;hrung einer Medikation ist einerseits die Indikation zu pr&uuml;fen, gegen das Neben- und Wechselwirkungsprofil abzuw&auml;gen und mit der Vorgeschichte des Patienten und seinen Komorbidit&auml;ten in Einklang zu bringen (Kontraindikationen!). Andererseits ist das Behandlungskonzept mit dem Patienten zu besprechen, denn nur wenn der Patient die Medikation akzeptiert und die Modalit&auml;ten (Einnahme/Anwendung, Monitoring) versteht, l&auml;sst sich Adh&auml;renz einigerma&szlig;en sicherstellen.<br />Nach Spezialisten- oder Krankenhauskontakt ist eine Anpassung der Dauermedikation erforderlich. Bisher erreicht die an der Behandlung beteiligten &Auml;rzte oft nur ein Teil der Information. Das sollte sich mit E-Medikation nach und nach &auml;ndern. Wieweit dies prozesserleichternd sein wird, wird jedoch von der Benutzerfreundlichkeit und Einbindung in die jeweilige Praxissoftware abh&auml;ngen.<br />Eine etablierte Medikation muss in Abst&auml;nden oder kontinuierlich reevaluiert und/oder &uuml;berwacht werden, denn es ist immer damit zu rechnen, dass die Medikation, die der Patient tats&auml;chlich einnimmt, sich deutlich von der unterscheidet, von der der Arzt glaubt, dass er sie einnimmt. Dazu kommen Zusatzmedikamente von Fach&auml;rzten (ohne R&uuml;ckmeldung an den Hausarzt), Medikamente von Familienmitgliedern oder Nachbarn, diverse nicht verschreibungspflichtige (OTC-)Pr&auml;parate, die in der Apotheke gekauft werden (auch &bdquo;nur pflanzliche&ldquo; Medikamente, Hom&ouml;opathika oder oft stark interaktionsrelevante Allopathika wie z.B. nichtsteroidale Antirheumatika [NSAR]). E-Medikation kann auch hier teilweise Erleichterung bringen &ndash; aber nur dann, wenn diese Medikamente in einem &uuml;berschaubaren Zeitraum, nicht &uuml;ber Internet und &ndash; im OTC-Bereich &ndash; vom Patienten selbst (!) gekauft wurden. Der erste Schritt ist also immer die vollst&auml;ndige Erfassung der tats&auml;chlich eingenommenen Medikation. <br />Um in einem zweiten Schritt beurteilen zu k&ouml;nnen, ob die Dosierung korrekt ist und alle therapiew&uuml;rdigen Behandlungsziele erfasst sind, m&uuml;ssen auch Wirksamkeit und m&ouml;gliche unerw&uuml;nschte Wirkungen evaluiert werden. Dazu dienen das Gespr&auml;ch mit dem Patienten und das jeweils erforderliche Monitoring (wie etwa Nieren- oder Leberfunktion, EKG, k&ouml;rperliche Untersuchung etc.). Medikamente, die nicht mehr indiziert sind, m&uuml;ssen abgesetzt werden. In anderen F&auml;llen ist eine Dosisanpassung durchzuf&uuml;hren, zu dokumentieren und dem Patienten zu erkl&auml;ren. Das kann der Fall sein, wenn der Behandlungsgrund wegf&auml;llt, unerw&uuml;nschte Wirkungen &uuml;berwiegen, die korrekte Einnahme nicht gesichert ist und daraus Gef&auml;hrdung entsteht (z.B. orale Antikoagulation) oder sich die Gesamtsituation &auml;ndert (neue oder aggravierte Komorbidit&auml;ten, Palliativsituation etc.). Desgleichen, wenn neue Erkenntnisse eine &Auml;nderung der Medikation sinnvoll machen. Dabei gibt es Unterst&uuml;tzung durch einige Praxistools, die von der &Ouml;GAM erstellt bzw. gesammelt wurden. Eine Liste dieser Tools ist in Tabelle 1 und auf der &Ouml;GAM-Homepage unter <a href="http://www.oegam.at">www.oegam.at</a> angef&uuml;hrt.<br />Es ist immer sicherzustellen, dass der Patient (oder die Betreuungsperson) &uuml;ber Ver&auml;nderungen informiert und mit diesen einverstanden ist. Dies sind f&uuml;r die unmittelbare Sicherheit des Patienten (und aller Behandler) wichtige Schritte: Nur bei guter Medikamentenwartung durch den Hausarzt ist die &Uuml;bergabe vollst&auml;ndiger Information an Mit- und Weiterbehandler inkl. Indikationen, bekannter Unvertr&auml;glichkeiten, Kontraindikationen usw. m&ouml;glich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1702_Weblinks_s16.jpg" alt="" width="2188" height="980" /></p> <h2>Verantwortlichkeiten der verschiedenen Berufsgruppen</h2> <p>Zur Erf&uuml;llung dieser Aufgaben m&uuml;ssen mehrere Berufsgruppen zusammenwirken. Was die Aufgabenverteilung anlangt, gibt es ein einziges sinnvolles Prinzip: Jeder tut das, wof&uuml;r er ausgebildet wurde und wof&uuml;r er ausgestattet ist (juristisch, organisatorisch und strukturell). <br />Gutes Medikationsmanagement verlangt die Verf&uuml;gbarkeit der ma&szlig;geblichen Informationen, die zur Zusammenschau erforderliche fachliche Breite und eine tragf&auml;hige, auf Kontinuit&auml;t und Vertrauen fu&szlig;ende Beziehung zwischen Arzt und Patient. Das bedeutet, dass dem haus&auml;rztlichen Generalisten diese Rolle zuf&auml;llt &ndash; bei der derzeitigen Sach- und Fachlage allerdings keine einfache Aufgabe.<br />Praxisassistenz und Pflegedienste unterst&uuml;tzen die richtige Einnahme oder Applikation: Hilfe bei der Dosierung, Wiederholung wichtiger Informationen, Unterst&uuml;tzung bei Einnahme oder Applikation, Wahrnehmung von Einnahmefehlern, Unsicherheiten, Nebenwirkungen und Wirkungen.<br />Aufgaben, die Apotheken hinsichtlich Medikamentensicherheit &uuml;bernehmen k&ouml;nnten, sind Information und Beratung zu nicht verschreibungspflichtigen Wirkstoffen sowie Wachsamkeit gegen&uuml;ber Hinweisen auf eventuellen riskanten Gebrauch (von NSAR bis Nasensprays) oder auf behandlungsbed&uuml;rftige Zust&auml;nde, z.B. bei h&auml;ufiger Nachfrage nach Schmerzmitteln, nach &bdquo;etwas f&uuml;r das Ged&auml;chtnis&ldquo; oder nach &bdquo;rein pflanzlichen&ldquo; Mitteln, z.B. gegen psychische Missempfindungen. Oft sind es auch Apotheker, denen zuerst &uuml;ber (vermeintliche oder tats&auml;chliche) Nebenwirkungen berichtet wird, die Unstimmigkeiten oder Unsicherheiten beim Patienten bemerken &ndash; zumindest in den F&auml;llen, in denen der Patient selbst seine Medikamente in der Apotheke abholt. Bewertung und Beurteilung von Symptomen und Wahrnehmungen fallen allerdings wieder unter Diagnostik und sind daher &auml;rztliche Aufgaben.<br />In der derzeitigen Situation erfordert gutes Medikationsmanagement einigen Einsatz und den Umgang mit einer Reihe von Hindernissen. Die Praxissoftware erf&uuml;llt viele Voraussetzungen nicht, viele Patienten haben keinen therapief&uuml;hrenden Arzt, die mangelnde Struktur und das v&ouml;llig fehlende Gesamtkonzept im &ouml;sterreichischen Gesundheitswesen schaffen Irrwege und Verwirrung hinsichtlich Zust&auml;ndigkeiten und Informationstransfer. Wir leisten als Fachgesellschaft mit der Analyse der Prozesse und mit der Entwicklung fachspezifischer Tools unseren Beitrag zur Verbesserung der Situation. Die generelle Umsetzbarkeit h&auml;ngt dennoch vor allem davon ab, ob im Rahmen der Gesundheitsreform die n&ouml;tigen Voraussetzungen geschaffen werden. Diese Voraussetzungen sind eine klare Versorgungsstruktur, gesicherte pers&ouml;nliche Kontinuit&auml;t in Betreuung und Versorgung, eine definierte, generalistische therapief&uuml;hrende Stelle, eine geeignete Software, Erleichterung der Bildung von Praxis&shy;teams und eine exzellente Ausbildung der grundversorgenden Berufe: Wir brauchen ein gut organisiertes, teambetontes, Hausarzt-basiertes Gesundheitssystem.</p></p>
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