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ANIM 2017: Interaktion von Nerven- und Immunsystem beim Schlaganfall

Freund oder Feind?

<p class="article-intro">Die beiden Supersysteme zentrales Nervensystem und Immunsystem steuern vielfältigste Funktionen im Organismus. Neurologen diskutierten bei der ANIM 2017, wie die beiden Organsysteme nach einem Schlaganfall interagieren. Zutage kamen zwei sehr unterschiedliche Aspekte: eine relativ rasch initiierte Immunreaktion im Hirngewebe, die zu einer weiter fortschreitenden Schädigung des Gewebes führt, sowie die langfristige Beteiligung des Immunsystems an der Regeneration des Zentralnervensystems.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Zum einen konnte man in Mausmodellen in von einem Schlaganfall betroffen Gehirnarealen viele unterschiedliche Entz&uuml;ndungszellen detektieren. Studiert man den zeitlichen Ablauf, wird evident, dass diese Immunzellen koordiniert und in Kaskaden in das Gehirn einwandern.<sup>1</sup> Zum anderen f&auml;llt das Infarktvolumen nach einem induzierten Schlaganfall im Gehirn genetisch ver&auml;nderter M&auml;use ohne funktionierende Lymphozyten (Rag1-/-M&auml;use) signifikant geringer aus.<sup>2, 3</sup></p> <p>&bdquo;Die Entz&uuml;ndungsreaktion kann prinzipiell in zwei Kompartimenten stattfinden: im Blutgef&auml;&szlig;, die sogenannte Thromboinflammation, und im Gewebe als sogenannte sterile Inflammation&ldquo;, erl&auml;uterte Professor Dr. Tim Magnus, Universit&auml;tsklinikum Hamburg-Eppendorf. &bdquo;Dies sind wahrscheinlich zum Teil parallel ablaufende Entz&uuml;ndungsreaktionen.&ldquo; Im Gef&auml;&szlig; sind verschiedene Faktoren daran beteiligt,<sup>4</sup> ebenso im Hirngewebe: Das Team rund um Prof. Magnus zeigte, dass sogenannte Gefahrensignale, die beim Zelluntergang aus Nervenzellen austreten, die Umgebung &uuml;ber die &bdquo;drohende Gefahr&ldquo; informieren. Diese reagiert mit der Produktion von Chemokinen, die locken wiederum verschiedene Entz&uuml;ndungszellen an, welche das Hirngewebe weiter sch&auml;digen.<sup>1, 5&ndash;7</sup></p> <p>Besteht die M&ouml;glichkeit die in Mausmodellen gewonnenen Erkenntnisse auch auf den Menschen zu &uuml;bertragen? &bdquo;Man sieht, dass die Komponenten der Kaskaden in beiden Organismen relativ &auml;hnlich sind.<sup>5</sup> Dies ist nicht verwunderlich &ndash; die Entz&uuml;ndungsreaktion wurde urspr&uuml;nglich zur Bek&auml;mpfung von Bakterien eingerichtet. Im Laufe der Evolution wurde sie allerdings vom Organismus zum Beseitigen von Gewebsunterg&auml;ngen adaptiert &ndash; im Gehirn laufen wir da in Komplikationen rein&ldquo;, so Prof. Magnus.</p> <h2>Neue Therapieoptionen</h2> <p>Es stellt sich nun die Frage, ob die durch eine solche Entz&uuml;ndungsreaktion hervorgerufene Sch&auml;digung des Gehirngewebes aufgehalten werden kann. Fingolimod, ein Wirkstoff zur Behandlung der Entz&uuml;ndungserkrankung Multiple Sklerose, kann im experimentellen Aufbau das Ausma&szlig; eines Schlaganfalls signifikant reduzieren. Dies geschieht sowohl auf der Ebene der Anzahl intravaskul&auml;rer T-Lymphozyten im Gehirn als auch auf jener der Schlaganfallvolumina.<sup>8, 9</sup> &bdquo;Das sind erste Hinweise darauf, dass solche Interventionen effektiv sein k&ouml;nnen. Ergebnisse aus unserer eigenen Forschungsgruppe zeigen zudem, dass bei M&auml;usen, deren IL-17-Signaltransduktionsweg unterbrochen wurde, die Schlaganfallvolumina geringer ausfallen und die Tiere auch klinisch besser abschneiden&ldquo;,<sup>5</sup> berichtet Prof. Magnus, &bdquo;Man kann bis zu sechs Stunden nach dem Schlaganfall mit der Behandlung beginnen und erzielt noch immer eine erfolgreiche Blockade der Ausbreitung des Gewebsuntergangs.&ldquo;</p> <p>Ob diese Ergebnisse auch f&uuml;r die Behandlung von Schlaganfallpatienten umgesetzt werden k&ouml;nnen, ist noch unklar, denn humane Studien sind bisher noch nicht aussagekr&auml;ftig. &bdquo;Das letzte Wort ist hier aber noch nicht gesprochen. Wir gehen davon aus, dass ein Schlaganfall, wenn er einmal auftritt, sich noch weiter ausbreitet. Eine Multicenterstudie aus China,<sup>10</sup> die mittlerweile in eine Phase-III-Studie &uuml;bergegangen ist, hat gezeigt, dass die Zunahme des Infarktvolumens im Gehirn unter Fingolimod deutlich reduziert war&ldquo;, erl&auml;uterte Prof. Magnus. Patienten, die zus&auml;tzlich zur Lysetherapie Fingolimod erhalten hatten, zeigten ein deutlich besseres Outcome als jene, die nur einer Lysetherapie unterzogen wurden (Abb. 1). &bdquo;Man muss allerdings anmerken, dass diese Studie auf einer relativ kleinen Kohorte basiert und nicht verblindet war&ldquo;, so der Neurologe.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1702_Weblinks_s9.jpg" alt="" width="1417" height="927" /></p> <p>Im vor wenigen Wochen publizierten ACTION Trial<sup>11</sup> wurde bei Patienten mit akuten isch&auml;mischen Schlaganf&auml;llen eine einmalige Gabe von Natalizumab gegen&uuml;ber Placebo getestet. &bdquo;In den ACTION Trial waren viele verschiedene Schlaganfallgruppen eingeschlossen. Auch hier war die Kohorte nicht sehr gro&szlig;, daher ist das Ergebnis mit Vorsicht zu genie&szlig;en&ldquo;, betonte Prof. Magnus. Prim&auml;rer Zieltherapiepunkt war die Zunahme des Infarktvolumens relativ zur Basislinie im MR. Hier konnte kein Unterschied zwischen den Gruppen Natalizumab und Placebo festgestellt werden. &bdquo;Bei einigen sekund&auml;ren Outcomes hingegen wurde ein besseres Abschneiden der Natalizumab-Gruppe gegen&uuml;ber der Placebogruppe beobachtet&ldquo;, erl&auml;uterte der Neurologe. Es sei allerdings noch unklar, ob dies als Hinweis gewertet werden k&ouml;nne, dass solche Therapien beim Menschen wirklich wirksam seien. Eine weitere Studie soll diese Ergebnisse in einer gr&ouml;&szlig;eren Kohorte best&auml;tigen.</p> <h2>Keine Regeneration ohne Immunsystem</h2> <p>Die Auswirkungen des Immunsystems nach einem Schlaganfall sind aber nicht ausschlie&szlig;lich negativ. Viele Funktionen, die bei Patienten nach einem Schlaganfall beeintr&auml;chtigt sind, k&ouml;nnen wieder erlernt werden &ndash; das Gehirn ist auch in fortgeschrittenem Alter noch regenerationsf&auml;hig. Wie h&auml;ngt diese Plastizit&auml;t mit dem Immunsystem zusammen? &bdquo;Die Vorg&auml;nge in den ersten Tagen nach einem Schlaganfall sind extrem gut verstanden. Man wei&szlig;, wann welche Immunzellen im Gehirn einwandern, was sie da machen und wie man sie blockieren kann, um einen Gewebsuntergang zu verhindern. Was in den Wochen und Monaten danach passiert, beginnen wir erst zu verstehen&ldquo;, erkl&auml;rte Prof. Dr. Jens Minnerup, Universit&auml;tsklinikum M&uuml;nster.</p> <p>Untersucht wurde dies in einem Mausmodell, in dem mittels photothrombotischer Isch&auml;mie kleine kortikale Infarkte ausgel&ouml;st wurden. Diese Infarkte f&uuml;hrten zu subtilen Beeintr&auml;chtigungen bei gleichzeitig hoher &Uuml;berlebensrate und langer &Uuml;berlebenszeit der Tiere, die so &uuml;ber einen Zeitraum von 46 Tagen physiotherapeutisch behandelt werden konnten.<sup>12, 13</sup> Die Auswirkung der Therapie auf die trainingsinduzierte Regeneration von sensorischen und motorischen Funktionen wurde mit dem Adhesive-Tape-Test und dem Foot-Fault-Test erfasst.</p> <h2>Forciertes Training induziert funktionelle Erholung</h2> <p>&bdquo;Genetisch unver&auml;nderte Tiere reagieren auf das Physiotherapietraining mit einer signifikanten Verbesserung der sensorischen und motorischen Funktionen. In Rag1-/-M&auml;usen bleibt dieser Erfolg aus &ndash; ein erster Hinweis darauf, dass f&uuml;r die trainingsinduzierte Regeneration Lymphozyten notwendig sind&ldquo;, berichtete Prof. Minnerup. In einer weiteren Versuchsserie zeigte das Forscherteam mittels adoptiven Zelltransfers in Rag1-/-M&auml;usen, dass speziell die regulatorischen T-Zellpopulationen f&uuml;r den rehabilitativen Trainingserfolg verantwortlich waren. Die Trainingsdefizite wurden durch den Zelltransfer ausgeglichen. Die Behandlung mit T-Zellen ohne anschlie&szlig;endes Training f&uuml;hrte zu keiner signifikanten Regeneration.</p> <p>Die Infarktvolumina, welche 49 Tage nach Induktion der Isch&auml;mie gemessen wurden, waren in allen f&uuml;r die Versuche herangezogenen genetischen Mausmodellen sehr &auml;hnlich. &bdquo;Wir haben nichts anderes erwartet, da wir den adaptiven Zelltransfer sp&auml;ter als 24 Stunden nach dem Infarkt durchgef&uuml;hrt haben. F&uuml;r uns sind diese Ergebnisse ein starker Hinweis darauf, dass es hier nicht um Schadenskaskaden und Gewebsuntergang geht, sondern um echte Plastizit&auml;t im Gehirn&ldquo;, so der Neurologe. Potenzielle Mechanismen, die der trainingsinduzierten Regeneration unterliegen, werden derzeit erforscht. Eine durch das Training gesteigerte Rate der Infiltration regulatorischer T-Zellen, trainingsinduzierte Neurogenese und trainingsinduziertes axonales Sprouting kommen nach ersten Untersuchungen hierbei infrage. &bdquo;Die im Symposium vorgestellten Erkenntnisse sind einerseits von gro&szlig;em wissenschaftlichem Interesse, weil sie zeigen, wie komplex zwei Supersysteme des menschlichem Organismus interagieren&ldquo;, schloss Prof. Minnerup, &bdquo;Andererseits bilden sie die Grundlage f&uuml;r zuk&uuml;nftige Therapien von Schlaganfallpatienten.&ldquo;</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin (ANIM), 16.–18. Februar 2017, Wien </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Gelderblom et al: Stroke 2009; 40(5): 1849-57 <strong>2</strong> Kleinschnitz C et al: Blood 2010; 115(18): 3835-42 <strong>3</strong> Yilmaz G et al: Circulation 2006; 113(17): 2105-12 <strong>4</strong> De Meyer et al: Stroke 2016; 47(4): 1165-72 <strong>5</strong> Gelderblom et al: Blood 2012; 120(18): 3793-802 <strong>6</strong> Ludewig et al: Circ Res 2013; 113(8):1013-22 <strong>7</strong> Gelderblom et al: Stroke 2014; 45(11): 3395-402 <strong>8</strong> Kraft et al: Stroke 2013; 44(11): 3202-10 <strong>9</strong> Schuhmann et al: J Cereb Blood Folow Metab 2015; 35(1): 6-10 <strong>10</strong> Zhu et al: Circulation 2015; 132(12): 1104-12 <strong>11</strong> Elkins J et al: Lancet Neurol 2017; 16(3): 217-26 <strong>12</strong> Schmidt A et al: Stroke 2014: 45(1): 239-47 <strong>13</strong> Schmidt A et al: Exp Transl Stroke Med 2012 4(1): 13</p> </div> </p>
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