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„Die ÖDG ist der Stakeholder in Sachen Diabetes“

<p class="article-intro">Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer steht persönlich für die Themen Gendermedizin und Diabetes. Für ihre Arbeit wurde sie zur Wissenschaftlerin des Jahres 2016 gewählt. In unserem Interview gibt sie Ausblicke darauf, wie sie die ÖDG gestalten und dem Thema Diabetes wissenschaftlich, aber auch in der Öffentlichkeit stärkere Präsenz verschaffen möchte.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><em>Frau Professor Kautzky-Willer, Sie sind zur Wissenschaftlerin des Jahres gew&auml;hlt worden. Derzeit sind Sie stellvertretende Vorsitzende der &Ouml;DG. Die &Ouml;DG hatte in ihrer Geschichte mit Prof. Monika Lechleitner erst eine Frau als Pr&auml;sidentin, Sie werden die zweite Frau sein, die Pr&auml;sidentin der &Ouml;DG sein wird. Welche Genderaspekte werden Sie in Ihre Pr&auml;sidentschaft einflie&szlig;en lassen?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Bereits bei der Verj&uuml;ngung und Neuzusammenstellung des &Ouml;DG-Vorstands wurde darauf geachtet, dass der Frauenanteil steigt, was ich sehr unterst&uuml;tze. Eine weitere wichtige Rolle spielt f&uuml;r uns auch die ad&auml;quate Vertretung der einzelnen Bundesl&auml;nder in der &Ouml;DG. Beides ist uns gelungen. Auch in unserem erweiterten Vorstand, der im Rahmen unserer Strategiemeetings zusammenkommt, engagieren sich immer mehr Frauen. Und nat&uuml;rlich freue ich mich darauf, nach Monika Lechleitner die zweite Pr&auml;sidentin der &Ouml;DG zu werden.</p> <p><em>Abseits vom Personellen ist und war es mir immer wichtig, Genderaspekte auch wissenschaftlich in die &Ouml;DG-Tagungen einzubringen. Dabei hilft die Unterst&uuml;tzung anderer Frauen &ndash; beispielhaft m&ouml;chte ich hier Heidemarie Abrahamian, Monika Lechleitner oder Susanne Kaser nennen. Im vergangenen Jahr haben wir ausgehend vom Genderausschuss der &Ouml;DG und von der Adipositasgesellschaft den Gender-Obesity-Report in der Wiener Medizinischen Wochenschrift publiziert. In den &Ouml;DG-Leitlinien gibt es ein eigenes Kapitel mit geschlechtsspezifischen Aspekten, das im Rahmen des aktuellen Updates auch um Fragen der Sexualit&auml;t erweitert wurde. Diese Initiativen m&ouml;chte ich ausbauen.</em> <em>Und wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Ein bisschen zu kurz gekommen sind bis jetzt Genderaspekte beim Typ-1-Diabetes, aber auch das Thema Schwangerschaft mit Typ-1-Diabetes und der Schwangerschaftsdiabetes selbst. Im Hinblick auf Lebensqualit&auml;t, Komplikationen und Mortalit&auml;t gibt es epigenetische Einfl&uuml;sse und geschlechtsspezifische Unterschiede, die wichtig sind und aufgearbeitet werden m&uuml;ssen, was auch zunehmend passiert. Neben den biologischen m&uuml;ssen dabei auch die psychozozialen Aspekte st&auml;rker beleuchtet werden. Als Beispiel daf&uuml;r, dass bereits eine bessere Awareness vorhanden ist, m&ouml;chte ich hier Prof. Guntram Schernthaner nennen, der in seinen Vortragsslides immer wieder Stratifizierungen nach Geschlecht pr&auml;sentiert. Auch international spielen genderspezifische Auswertungen eine immer st&auml;rkere Rolle und auch Studien, die auf Genderaspekte hin ausgerichtet sind, wobei da noch Luft nach oben ist.</p> <p><em>2019 wird die &Ouml;DG 50 Jahre, erste Gr&uuml;ndungsaktivit&auml;ten fanden unter Prof. Deutsch 1969 statt. Dieses Jubil&auml;um wird in Ihre Pr&auml;sidentschaft fallen. Wie hat sich die Gesellschaft in dieser Zeit Ihrer Meinung nach ver&auml;ndert, weiterentwickelt und bew&auml;hrt?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Das Jubil&auml;um werden wir nat&uuml;rlich entsprechend begehen. Bedenkt man, dass die &Ouml;DG als kleiner, streng &auml;rztlich-wissenschaftlich ausgerichteter Verein mit etwa 50 Mitgliedern begonnen hat, so hat sie sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Dazu m&ouml;chte ich einige S&auml;ulen unserer Gesellschaft nennen, die uns wichtig sind.</p> <p><em>Nehmen wir die S&auml;ule Fortbildung. Wir als &Ouml;DG richten den zweitgr&ouml;&szlig;ten fach&auml;rztlichen Kongress &Ouml;sterreichs aus. Bei der letzten Jahrestagung konnten wir mehr als 1500 Teilnehmer begr&uuml;&szlig;en. Weil wir unser Feld f&uuml;r zunehmend allgemein wichtig erachten, haben wir uns im Laufe der Zeit auch stark f&auml;cher&uuml;bergreifend ge&ouml;ffnet. Auf unserer Tagung informieren sich Allgemeinmediziner, Nephrologen, Ophthalmologen, Schulungsteams, Diabetesberaterinnen, Di&auml;tologinnen, aber auch Sportwissenschaftler und Ern&auml;hrungswissenschaftler &ndash; diese h&ouml;chst unterschiedlichen Gruppen sind bei uns hinsichtlich des Aspekts Diabetes mit integriert. Uns ist sehr wichtig, dass diese auch ihre Sichtweisen einbringen, denn mit rund 600 000 Diabetikern &ouml;sterreichweit ist Diabetes zu DER Volkskrankheit geworden.</em> <em>Eine weitere S&auml;ule, die uns sehr wichtig ist, ist die &Ouml;ffentlichkeitsarbeit. Unsere Aktivit&auml;ten haben sich im Laufe der Jahre immer mehr erweitert, sodass wir nun auch ein richtiges Team daf&uuml;r haben, das weiter verst&auml;rkt wird. Hervorheben m&ouml;chte ich hier die gro&szlig;artige Arbeit von Frau Simone Posch, die seit vielen Jahren die St&uuml;tze dieser Aktivit&auml;ten ist. Als Beispiel f&uuml;r unsere Aktivit&auml;ten nenne ich die regelm&auml;&szlig;igen Pressekonferenzen, die unsere Gesellschaft veranstaltet, um auf die Diabetesproblematik fundiert aufmerksam zu machen. Dar&uuml;ber hinaus versuchen wir auch unsere Patientinnen und Patienten verst&auml;rkt einzubeziehen. So haben wir diesen auf unserer Homepage einen eigenen Patientenbereich einger&auml;umt.</em> <em>Als dritte S&auml;ule sehe ich unser politisches Engagement. Wichtig ist, dass wir als Stakeholder f&uuml;r das Thema Diabetes bei politischen Entscheidungen gesehen werden, um den man nicht herumkommt. Beispielhaft m&ouml;chte ich hier die Diabetesstrategie des Gesundheitsministeriums nennen, in deren Erstellung die &Ouml;DG miteinbezogen wurde.</em> <em>Ein besonderes Anliegen ist mir, dass bei all diesen Entwicklungen die Basis unserer Gesellschaft &ndash; der wissenschaftliche Charakter &ndash; erhalten bleibt und weiterentwickelt wird. Diese wissenschaftlichen Fundamente legen wir z.B. mit der Erstellung der &Ouml;DG-Leitlinien. Ich m&ouml;chte auch betonen, dass wir &uuml;ber die verschiedenen Pr&auml;sidentschaften hinweg gut zusammenarbeiten und es keine Br&uuml;che zwischen den einzelnen Pr&auml;sidentschaften gibt. So schaffen wir eine Kontinuit&auml;t f&uuml;r unsere Aktivit&auml;ten und Strategien.</em> <em>Wo sehen Sie die Herausforderungen f&uuml;r die &Ouml;DG in den kommenden Jahren in einem immer schwieriger werdenden Gesundheitsumfeld?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Die Zahl der Diabetiker steigt stark. Die Hauptfaktoren sind die wachsende Zahl an &Uuml;bergewichtigen und andere Aspekte, die den Lebensstil und die Umwelt betreffen. Diabetes hat damit auch eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung. F&uuml;r die &auml;rztliche Betreuung der Betroffenen m&uuml;ssen wir daher einerseits die Ausbildung von Endokrinologen als Topspezialisten f&ouml;rdern, auf der anderen Seite ben&ouml;tigen wir gut ausgebildete Allgemeinmediziner, um eine fl&auml;chendeckende Betreuung zu erreichen. Inhaltlich muss dabei die Fachkompetenz unserer Gesellschaft in der Ausbildung dieser Allgemeinmediziner gegeben sein.</p> <p><em>Eine weitere Herausforderung sehe ich f&uuml;r die Kongresse und die Fortbildung &ndash; Stichwort Compliance-Richtlinien der Industrie. Ein Beispiel daf&uuml;r ist die Absage unseres Diabeteslaufes, den wir seit vielen Jahren im Rahmen der Jahrestagung durchf&uuml;hren. Diese Absage l&auml;uft unseren Bestrebungen in der &Ouml;ffentlichkeitsarbeit zuwider. Denn durch solche &ouml;ffentlich wirksamen Veranstaltungen k&ouml;nnen wir die Menschen erreichen und ein Bewusstsein f&uuml;r den Diabetes schaffen. Gleichzeitig zeigen wir, dass Lifestyle&auml;nderungen wie mehr Bewegung pr&auml;ventiv wirken und Diabetespr&auml;vention Spa&szlig; machen kann. Dennoch werden wir versuchen, die gro&szlig;e Breite unseres Kongresses und die Fortbildung aufrechtzuerhalten. </em> <em>Eine neue Herausforderung ist, dass wir uns auf viel mehr Ebenen einbringen m&uuml;ssen. Das Stichwort ist &bdquo;diabetes in all policies&ldquo;, egal ob man mit den Fu&szlig;g&auml;nger- und den Fahrradbeauftragten, Politikern, Stadtplanern, Verantwortlichen in Kinderg&auml;rten und Schulen &ndash; Stichwort gesunde Jause etc. &ndash; &uuml;ber die M&ouml;glichkeiten der Diabetespr&auml;vention diskutiert. Hier hat sich schon einiges getan, aber die Pr&auml;vention muss, im Mutterleib beginnend, ausgebaut werden, um die Zunahme des Diabetes zu drosseln.</em> <em>Die &Ouml;DG hat das Ziel, die Forschung in &Ouml;sterreich auf dem Gebiet der Diabetologie zu f&ouml;rdern und die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu kommunizieren. Wie sehen Sie die derzeitige Entwicklung auf dem Gebiet der diabetesbezogenen Forschung?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Wichtig ist, dass der &Ouml;DG gen&uuml;gend finanzielle Mittel zur Verf&uuml;gung stehen, damit wir in bew&auml;hrter Weise Forschungsf&ouml;rderung betreiben k&ouml;nnen. Diese F&ouml;rderungen vergeben wir in Form von Preisen, die im Vergleich zu denen anderer Gesellschaften auch durchaus gut dotiert sind. Mit diesen Geldern l&auml;sst sich schon Forschung betreiben. Zum Beispiel wird der Langerhans-Preis an j&uuml;ngere Kollegen f&uuml;r bereits erfolgte Forschungsleistungen vergeben. Insgesamt steht uns derzeit j&auml;hrlich eine Preissumme f&uuml;r die F&ouml;rderung von klinischer oder Grundlagenforschung von rund 35 000 Euro zur Verf&uuml;gung. Kleinere Projekte lassen sich mit solchen Summen bereits finanzieren, gr&ouml;&szlig;ere k&ouml;nnen zumindest einmal gestartet werden. F&uuml;r gr&ouml;&szlig;ere Projekte m&uuml;ssen aber F&ouml;rderungen oft auch aus mehreren Quellen kommen &ndash; nicht nur von der &Ouml;DG; etwa auch vom FWF. Lobbying f&uuml;r die Diabetesforschung ist deshalb sowohl national als auch auf EU-Ebene ein wichtiges Thema. Problematisch f&uuml;r die Diabetesforschung in &Ouml;sterreich ist, dass keine fl&auml;chendeckenden Register f&uuml;r epidemiologische Untersuchungen existieren, sondern nur punktuelle, wie etwa das Tiroler-Register.</p> <p><em>Ihre Meinung zu &bdquo;Therapie aktiv&ldquo; &ndash; ist dieses Programm in der jetzigen Form sinnvoll? Welche Verbesserungen w&auml;ren m&ouml;glich bzw. n&ouml;tig? Und wie lassen diese sich realisieren?</em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Grunds&auml;tzlich gibt es f&uuml;r &bdquo;Therapie aktiv&ldquo; die volle Unterst&uuml;tzung vonseiten der &Ouml;DG. Derzeit sind rund 1500 &Auml;rzte und 55 000 Betroffene in &bdquo;Therapie aktiv&ldquo; eingeschrieben. Aber das sind nur etwa zehn Prozent aller Betroffenen. Wichtig ist uns auch hier die Verbesserung der Ausbildung der &Auml;rzte gem&auml;&szlig; den Inhalten der &Ouml;DG-Leitlinien. Dabei kann das Salzburger Modell als Vorzeigemodell dienen. Dass dieses Disease-Management-Programm funktioniert und sich die Komplikationsraten verringert haben, konnte bereits in kleineren Evaluierungen gezeigt werden, wahrscheinlich deshalb, weil die Ausbildung &uuml;ber die Basisausbildung hinausgeht. Einige Ordinationen haben sich auf Diabetes spezialisiert und k&ouml;nnen Patientenschulungen in Kooperationen mit anderen Fachgruppen bereits alleine managen. In manchen Bundesl&auml;ndern besteht die M&ouml;glichkeit, Schulungen zu Ern&auml;hrung und Diabetes aus den Ordinationen auszulagern, diese werden dann beispielweise von der Wiener Gebietskrankenkasse oder von den Gesundheitszentren durchgef&uuml;hrt. Leider ist dies nicht &uuml;berall der Fall. Die Finanzierung muss nat&uuml;rlich &uuml;ber &bdquo;Therapie aktiv&ldquo;, also &uuml;ber die Krankenkassen, erfolgen.</p> <p><em>Innovative Medikamente bedeuten auch eine Kostensteigerung im Gesundheitssystem. Inwieweit kann sich die &Ouml;DG in den Diskurs &uuml;ber das Spannungsfeld zwischen Finanzierbarkeit und berechtigtem Anspruch der Patienten einbringen? </em></p> <p><em>A. Kautzky-Willer</em>: Wir befinden uns immer in diesem Spannungsfeld. Wichtig ist, dass wir als &Ouml;DG unsere unabh&auml;ngige, auf Evidenz und Studienlagen basierende, klare und objektive Meinung generieren. Diese muss sich in den Leitlinien wiederfinden. &Uuml;blicherweise deckt sich das mit den internationalen Leitlinien, wobei es immer auch Besonderheiten geben kann, die wir f&uuml;r &Ouml;sterreich ber&uuml;cksichtigen m&uuml;ssen. Wichtig ist f&uuml;r uns, dass auch Patienten-zentrierte Parameter wie die Lebensqualit&auml;t ber&uuml;cksichtigt werden &ndash; international ist das nicht immer der Fall. Ob ein bestimmtes Medikament dann auch wirklich einfach zur Verf&uuml;gung steht, ist eine politische Entscheidung. Als &Ouml;DG vertreten wir aber unseren objektiven Standpunkt und unterst&uuml;tzen es auch, dass ein Medikament auf den Markt gebracht wird, wenn wir es als f&uuml;r PatientInnen vorteilhaft erachten. Stichworte sind hier etwa Vermeiden von kardiovaskul&auml;ren Komplikationen, Unterzuckerung und einer Gewichtszunahme oder sogar Erzielen einer Gewichtsreduktion durch Diabetesmedikamente, einfachere Handhabung von neuen Insulinen, kein Spritz-ess-Abstand, weil dies alles ein Vorteil f&uuml;r die Patienten ist. Dies flie&szlig;t nicht alles unmittelbar in harte Evidenz ein, f&uuml;r uns sind es aber trotzdem wichtige Kriterien, weil es auch um die Therapieadh&auml;renz unserer Patienten geht.</p> <p><em>Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch.</em></p> <p>Das Interview f&uuml;hrte Christian Fexa</p></p>
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