© Rost-9D iStockphoto

Vakzinologie

Wie gefährlich sind Impfungen wirklich?

<p class="article-intro">Obwohl es sich bei Impfungen nachweislich um eine der ungefährlichsten, sinnvollsten und kosteneffektivsten Maßnahmen handelt, die es in der Medizin überhaupt gibt, verstummen die falschen Behauptungen von Impfgegnern nicht. Aber was ist wahr an angeblichen Impfschäden? Der Impfexperte Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz klärt auf.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Kaum ein medizinisches Thema wird &ouml;ffentlich so kontrovers diskutiert wie das Impfen. Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz, Impfexperte und Facharzt f&uuml;r P&auml;diatrie, &Ouml;sterreichische Liga f&uuml;r Pr&auml;ventivmedizin, Salzburg, nahm sich der heiklen Frage an, wie gef&auml;hrlich Impfungen denn tats&auml;chlich sind und ob Impfgegner gar recht haben. An den Anfang stellte Mutz eine Anekdote, die aus dem Buch &bdquo;Vaccinated&ldquo; des amerikanischen Arztes Paul A. Offit stammt und die Situation sehr gut beleuchtet:<br />&bdquo;Eine Mutter brachte ihr vier Monate altes Baby zur Impfung in die Ordination. Das Baby sa&szlig; am Scho&szlig; der Mutter, w&auml;hrend ich die Spritze vorbereitete. Pl&ouml;tzlich begann das Baby zu krampfen. In der Familie gab es Anfallsleiden und das Kind entwickelte in der Folge eine Epilepsie.<br />Man kann sich vorstellen, was die Mutter gedacht h&auml;tte, wenn ich die Impfung f&uuml;nf Minuten fr&uuml;her gegeben h&auml;tte. Sie w&auml;re &uuml;berzeugt gewesen, dass die Impfung die Epilepsie verursacht habe. Und alle statistischen Daten der Welt h&auml;tten ihre Meinung nicht &auml;ndern k&ouml;nnen.&ldquo;</p> <h2>Woher kommt die Impfangst?</h2> <p>Angst ist ein Grundgef&uuml;hl, das sich in als bedrohlich empfundenen Situationen als unlustbetonte Erregung &auml;u&szlig;ert. Ein m&ouml;glicher Ausl&ouml;ser k&ouml;nnen erwartete Bedrohungen der k&ouml;rperlichen Unversehrtheit sein.<br />Die prim&auml;r oft zur&uuml;ckhaltende bis abweisende Einstellung von &Auml;rzten und Impfkandidaten gegen&uuml;ber Impfungen l&auml;sst sich u.a. dadurch erkl&auml;ren, dass die meisten Impfungen einer bisher gesunden Person verabreicht werden und vor&uuml;bergehend Krankheitssymptome verursachen k&ouml;nnen. Impfungen richten sich gegen dem Patienten (und manchmal auch dem Arzt) unbekannte, zuk&uuml;nftig m&ouml;gliche Erkrankungen und bewirken unmittelbar keine Steigerung des Wohlbefindens, keine Besserung des Gesundheitszustands. &bdquo;Dies steht im Gegensatz zur Werbung f&uuml;r zahllose Produkte mit fraglicher Wirksamkeit, f&uuml;r die eine solche Besserung versprochen wird&ldquo;, betonte der P&auml;diater.</p> <h2>Argumente von Impfgegnern</h2> <p>Es gibt eine Reihe von typischen, immer wieder artikulierten Argumenten, die von Impfgegnern vorgebracht werden:</p> <ul> <li>&bdquo;Impfen wirkt nicht&ldquo; &ndash; dies ist nachweislich falsch und relativ leicht zu belegen, was nicht bedeutet, dass es Impfgegner auch &uuml;berzeugt.</li> <li>&bdquo;Der R&uuml;ckgang der Infektionskrankheiten ist nicht die Folge des Impfens, sondern der besseren Lebensumst&auml;nde (Ern&auml;hrung, hygienische Verh&auml;ltnisse)&ldquo; &ndash; es l&auml;sst sich ein klarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Einf&uuml;hrung von Impfungen und dem R&uuml;ckgang der entsprechenden Krankheiten (teilweise bis auf null) darstellen.</li> <li>&bdquo;Es ist nicht mehr notwendig, gegen bestimmte Erkrankungen zu impfen, die wir nicht mehr sehen, da damit nur Nebenwirkungen und Gefahren verbunden sind&ldquo; &ndash; ein Scheinargument, da in Wirklichkeit ungeimpfte Personen nur durch Herdenimmunit&auml;t, also durch die Gesamtheit der Geimpften, gesch&uuml;tzt werden. Sinkt die Durch&shy;impfungsrate, so steigt die Krankheitsinzidenz wieder an, siehe z.B. Masern oder Keuchhusten.</li> <li>&bdquo;Schwerwiegende Nebenwirkungen der Impfungen sind h&auml;ufiger als Komplikationen bei den zu verh&uuml;tenden Erkrankungen&ldquo; &ndash; nachweislich falsch. Das Gegenteil ist wahr und stellt ja gerade das Rationale f&uuml;r die Impfungen dar.</li> <li>&bdquo;Masern sind eine harmlose Kinderkrankheit, die f&uuml;r die nat&uuml;rliche Entwicklung des Immunsystems erforderlich ist; durchgemachte Masern sch&uuml;tzen n&auml;mlich vor Allergien&ldquo; &ndash; blanker Unsinn. Masern sind eine potenziell t&ouml;dliche Erkrankung mit einer Gesamtkomplikationsrate von 30 % , einer Pneumonierate von ca. 6 % und einer Rate an potenziell t&ouml;dlichen ZNS-Komplikationen von 0,1&minus;0,2 % ; dazu kommen akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) und subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) als Sp&auml;tfolgen. SSPE ist immer letal und tritt nach Masernimpfung nicht auf.</li> <li>&bdquo;Verschw&ouml;rungstheorie: Industrie und &Auml;rzte verhindern, dass Nebenwirkungen bekannt werden.&ldquo;</li> <li>&bdquo;Die angeschuldigten Erreger gibt es gar nicht&ldquo; &ndash; hier ist die Schwelle der Irrationalit&auml;t endg&uuml;ltig &uuml;berschritten.</li> </ul> <p>Die von Impfgegnern behauptete Liste angeblicher Impfsch&auml;den ist lang und umfasst unter anderem Neurodermitis, Heuschnupfen, Verdauungsbeschwerden, Candida-Befall, Zahnkaries, Sehst&ouml;rungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Hyperaktivit&auml;t, Angstzust&auml;nde, Menstruationsbeschwerden, Tumoren, Diabetes, Multiple Sklerose, L&auml;hmungen, Sprechst&ouml;rungen, spastische Zust&auml;nde und epileptische Anf&auml;lle.<br />Falsche Argumente und Scheinwissenschaft &ndash; wie etwa Berichte &uuml;ber vermeintliche neurologische Reaktionen auf die Pertussisimpfung oder den in einer nachweislich gef&auml;lschten Studie von Wakefield postulierten angeblichen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und F&auml;llen von Autismus &ndash; werden von oft erstaunlich gut organisierten und im Internet sehr pr&auml;senten Gruppierungen verbreitet.<br />Allerdings d&uuml;rfte die Rate der militanten, durch rationale Argumente nicht zu &uuml;berzeugenden Impfgegner, mit denen rationale Diskussionen sinnlos sind, nur bei etwa 1&minus;3 % der Bev&ouml;lkerung liegen. Es gibt jedoch, Umfragen zufolge, auch eine Gruppe von etwa 30&minus;35 % , die sich als &bdquo;Impfskeptiker&ldquo; bezeichnen. Diese sollten die prim&auml;re Zielgruppe f&uuml;r gute und fundierte Aufkl&auml;rung sein, da diese Menschen zwar skeptisch, aber guten Argumenten zug&auml;nglich sind. Solche Diskussionen sind zwar oft m&uuml;hsam, aber notwendig.</p> <h2>Welche Probleme gibt es wirklich?</h2> <p>&bdquo;Nun soll nat&uuml;rlich nicht behauptet werden, dass es keinerlei Impfnebenwirkungen oder Impfsch&auml;den gibt&ldquo;, fuhr Mutz fort. Allerdings ist es notwendig, zwischen kausalen Zusammenh&auml;ngen und blo&szlig;em zeitlichem Zusammentreffen zu unterscheiden. Im letzteren Fall handelt es sich (wie im anfangs erw&auml;hnten Beispiel) um Krankheitsereignisse, die auch ohne Impfung aufgetreten w&auml;ren (man spricht hier von Hintergrundmorbidit&auml;t). So ist etwa innerhalb von sechs Wochen nach einer hypothetischen Impfung mit 21,5 F&auml;llen von Guillain-Barr&eacute;-Syndrom pro 10 Millionen Impf&shy;linge oder mit 16.684 Spontanaborten pro Million schwangere Frauen zu rechnen.<br />&bdquo;Ein anderes kurioses Beispiel&ldquo;, so Mutz, &bdquo;ist die Feststellung der Arzneimittelkommission der Deutschen &Auml;rzteschaft, dass Kopfschmerz als unerw&uuml;nschte Wirkung der FSME-Impfung bei 4,8 % der Geimpften vorkomme. Laut einer Untersuchung aus &Ouml;sterreich leiden aber an jedem beliebigen Tag 5,7 % der Bev&ouml;lkerung an Kopfschmerzen &ndash; man k&ouml;nnte also sogar behaupten, dass die FSME-Impfung gegen Kopfschmerzen hilft.&ldquo;<br />Auch die Zahl der pl&ouml;tzlichen Kindstode &ndash; auch diese werden von Impfgegnern als Impfsch&auml;den bezeichnet &ndash; ist im Zeitraum zwischen 1987 und 2012 ca. um 90 % gesunken, obwohl in dieser Zeit die Impfung gegen Haemophilus influenzae, Hepatitis B und dann ab 2001/2002 die Sechsfachimpfung eingef&uuml;hrt wurden (Abb. 1).<br />Auch die historische und medizinische Entwicklung ist zu ber&uuml;cksichtigen. So war etwa die Pockenimpfung tats&auml;chlich mit Enzephalomyelitiden und Enzephalopa&shy;thien behaftet, die in &Ouml;sterreich bei Kindern unter zwei Jahren mit einer Inzidenz von 10/100.000, bei Personen &uuml;ber zwei Jahren sogar mit 122/100.000 auftraten.<br />Die heutigen Impfungen sind in der Regel wesentlich sicherer und nebenwirkungs&auml;rmer. Dies spiegelt sich auch in der Anerkennungsstatistik von Impfsch&auml;den wider. Im Zeitraum zwischen 1990 und 2006 gab es nur eine Impfung, f&uuml;r die einige Hundert (genau 343) Impfsch&auml;den anerkannt wurden: die heute obsolete BCG-Impfung. Die anerkannten Impfsch&auml;den f&uuml;r andere Impfungen bewegten sich in diesem Zeitraum von 16 Jahren zwischen 12 (Diphtherie/Tetanus/Pertussis) und null.<br />Dabei ist zu beachten, dass die Anerkennung von Impfsch&auml;den nach aktueller Gesetzeslage noch Jahrzehnte nach der Impfung beantragt werden kann. So wurden im Jahr 2007 zwei Impfsch&auml;den nach Pockenimpfung (eine postvakzinale Enzephalitis, eine Hemiparese) anerkannt; die gegenst&auml;ndlichen Impfungen hatten in den Jahren 1964 bzw. 1966 stattgefunden.<br />Im Jahr 2010 gab es 17 Antr&auml;ge, von denen zwei positiv erledigt wurden. Beide bezogen sich auf eine BCG-Impfung. Im einen Fall lagen ein eitriges Granulom, Minderbegabung und Sprachentwicklungsst&ouml;rung nach Impfung 1953 vor, im anderen Fall eine Meningoenzephalitis nach Impfung 1981.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Infekt_1701_Weblinks_s11.jpg" alt="" width="1416" height="1191" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Es ist streng zwischen den abstrusen Behauptungen von Impfgegnern &uuml;ber angebliche Impfsch&auml;den und den wenigen tats&auml;chlich anerkannten Impfsch&auml;den zu unterscheiden. F&uuml;r die Anerkennung eines tats&auml;chlichen Impfschadens muss durch einen fachkundigen Gutachter ein kausaler Zusammenhang als wahrscheinlich dargestellt werden.<br />Die Zahl der anzuerkennenden Impfsch&auml;den geht stetig zur&uuml;ck. Gr&uuml;nde daf&uuml;r sind die Ausrottung von Erkrankungen (z.B. Pocken), bessere Pr&auml;ventivma&szlig;nahmen (z.B. Tbc), die Umstellung von Lebend- auf Totimpfstoffe (z.B. Polio) und die laufende Verbesserung von Impfstoffen (z.B. Pertussis).<br />Pharmakovigilanz-Ma&szlig;nahmen sind f&uuml;r neue Impfstoffe, ebenso wie f&uuml;r jedes andere Medikament, unerl&auml;sslich.</p> </div></p> <p class="article-quelle">Quelle: „Wie gefährlich sind Impfungen? Haben Impfgegner recht?“ <br> Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz im Rahmen des Infektionsabends der ÖGIT, 16. November 2016, Van-Swieten-Saal der MedUni Wien </p>
Back to top