<p class="article-intro">Die adäquate medizinische Versorgung geflüchteter Menschen ist eine große Herausforderung. Wiederholt wurde festgestellt, dass die immer wieder anzutreffende Furcht vor gefährlichen Infektionserkrankungen überwiegend unbegründet ist. Gefährdet sind vielmehr die Flüchtlinge selbst.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Minderjährige Flüchtlinge sind eine gesundheitlich besonders gefährdete Gruppe</li> <li>Bei Nachweis von Lungenzysten muss differentialdiagnostisch an Echinococcus granulosus gedacht werden</li> <li>Nach Tuberkuloseexposition ist bei Kindern eine sorgfältige Untersuchung inklusive Röntgen-Thorax sowie Hauttest bzw. IFN-γ Release Assay notwendig; bei Kindern <5 Jahren ist auch bei unauffälligen Befunden eine Chemoprophylaxe empfohlen</li> </ul> </div> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_istock-fluechtling_griechenland-web.jpg" alt="" width="820" height="461" /></p> <p>Bedingt durch Kriege und Hunger steigt seit dem Jahr 2012 die weltweite Zahl von Flüchtlingen stetig an. Im Jahr 2015 waren über 60 Mio. Menschen auf der Flucht.<sup>1</sup> Einer von 113 Menschen weltweit ist somit ein Flüchtling. Der weit überwiegende Teil dieser Menschen lebt, unter zumeist sehr schwierigen Bedingungen, weiterhin im Herkunftsland oder in angrenzenden Nachbarländern. Nur ein relativ kleiner Anteil der flüchtenden Menschen reist in die Länder der Europäischen Union. Dennoch wurden Dramatik und Auswirkungen dieser weltweiten Fluchtbewegung im Jahr 2015 auch bei uns sehr deutlich sichtbar. Innerhalb eines Jahres beantragte gut 1 Mio. Menschen in der EU Asyl.</p> <p>Unter den Umständen von Vertreibung und Flucht leben diese Menschen häufig unter schwierigen hygienischen Bedingungen und haben keinen oder nur geringen Zugang zu medizinischer Versorgung. Hierdurch können sich Vorerkrankungen massiv verschlechtern und neue Krankheiten entstehen.</p> <h2>Erstuntersuchung hat hohe Priorität</h2> <p>Besonders vulnerabel sind Kinder und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Hier können die Folgen unerkannter oder unbehandelter angeborener Erkrankungen besonders schwerwiegend sein. Eine frühzeitig nach der Ankunft im Zielland durchgeführte gute Anamnese und körperliche Untersuchung ist entscheidend, um Erkrankungen zu erkennen und eine sinnvolle medizinische Versorgung in die Wege zu leiten. Gerade die so wichtige Anamnese ist aufgrund von sprachlichen und kulturellen Barrieren im medizinischen Alltag aber häufig nur schwer realisierbar. Daher ist es sinnvoll, eine erste medizinische Anamnese und Untersuchung bereits in der Erstaufnahmeeinrichtung unter strukturierten Bedingungen durchzuführen. Länder mit langer Migrationserfahrung wie beispielsweise Kanada oder Australien führen eine solche Erstuntersuchung bei allen einreisenden Personen durch. Die Vorteile liegen auf der Hand: Bei einer zentral erfolgenden Erstuntersuchung stehen speziell geschultes medizinisches Personal und Dolmetscher zur Verfügung. Zudem kann ein standardisiertes Untersuchungsprogramm eingehalten werden. Empfehlungen für eine solche Eingangsuntersuchung wurden für Deutschland in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI), der Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit (GTP) und des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) veröffentlicht.<sup>2</sup></p> <p>In Baden-Württemberg im Südwesten Deutschlands wurde im September 2015 eine zentrale Landesregistrierungsstelle für Flüchtlinge in ehemaligen Gebäuden der US-Armee („Patrick-Henry-Village“) errichtet. Niedergelassene Ärzte sowie angestellte Ärzte des Heidelberger Universitätsklinikums bieten dort eine allgemeinmedizinische, gynäkologische, psychosomatische und pädiatrische Sprechstunde für Flüchtlinge an. Die Anwesenheit von Dolmetschern ermöglicht in den meisten Fällen eine rasche und gute Anamneseerhebung. Bei Bedarf können Flüchtlinge für weitere Untersuchungen und Therapien an niedergelassene Kollegen sowie umgebende Krankenhäuser überwiesen werden.</p> <p>In den pädiatrischen Sprechstunden werden 50–120 Kinder pro Woche untersucht. Banale Infekte sind der häufigste Vorstellungsgrund. Darüber hinaus sind infektiöse Hauterkrankungen wie Skabies, Tinea, Impetigo contagiosa und Pedikulose häufiger anzutreffen. Schwerwiegende Lungenerkrankungen treten, abgesehen von (zuvor häufig unzureichend behandeltem) Asthma bronchiale, nur vereinzelt auf. Beispiele dieser seltenen Erkrankungen sind im Folgenden dargestellt.</p> <h2>Zystische Echinokokkose der Lunge</h2> <p>Ein 7 Jahre alter syrischer Junge stellte sich 6 Wochen nach der Ankunft in Deutschland aufgrund von seit 2 Monaten bestehendem Husten vor. Zudem hatte der Junge immer wieder (etwa 1x pro Woche) Fieber. Auf Nachfrage wurde auch von Nachtschweiß und Gewichtsverlust berichtet.</p> <p>Bei einem Thorax-Röntgen zeigte sich rechts basal eine große zystische Struktur. Es wurde daraufhin eine thorakale Computertomografie (CT) durchgeführt (Abb. 1).</p> <p>Aufgrund dieser Lungenzyste bestand der Verdacht einer Infektion mit Echinococcus granulosus (Hundebandwurm). Die Sensitivität serologischer Untersuchungen liegt bei pulmonalen Hydatidenzysten bei nur etwa 50 % ,<sup>3</sup> war in diesem Fall aber positiv.</p> <p>Therapeutisch wurde bei diesem Patienten primär eine operative Versorgung mit Endozystektomie durchgeführt. Diese lungenerhaltende Operation stellt in der Regel die Therapie der Wahl in der Behandlung von Hydatidenzysten der Lunge dar.<sup>4</sup> Zugleich mussten multiple Fisteln mit Anschluss zum Bronchialbaum verschlossen werden, eine Reoperation und längere intensivmedizinische Behandlung komplizierten den Verlauf. Medikamentös erfolgte begleitend eine Therapie mit Albendazol. 6 Monate nach der Operation geht es dem Jungen aktuell gut, er ist körperlich normal belastbar.</p> <p>Die zystische Echinokokkose ist eine insbesondere im Nahen Osten und Nordafrika endemische Infektionserkrankung.<sup>5</sup> Der Mensch infiziert sich durch orale Aufnahme von Eiern. Nachfolgend entwickeln sich sogenannten Hydatidenzysten. Diese befinden sich am häufigsten in der Leber, gefolgt von der Lunge, die bei Kindern zu 20–40 % betroffen ist.<sup>6</sup> Intakte Hydatidenzysten sind durch mehrere Membranen umgeben. Häufig bleiben sie daher asymptomatisch und sind Zufallsbefunde bei radiologischen Untersuchungen. In Röntgenuntersuchungen sind intakte Hydatidenzysten üblicherweise rund, homogen und gut von dem umgebenden intakten Lungengewebe abgegrenzt.<sup>7</sup> Zur klinischen Symptomatik kommt es bei Freisetzung des Zysteninhalts oder durch lokale Verdrängung anderer Gewebe bei zunehmender Zystengröße. Wichtig ist es, bei Nachweis scharf begrenzter Zysten und Herkunft aus Endemiegebieten an die Möglichkeit einer zystischen Echinokokkose zu denken und die Patienten frühzeitig an erfahrene Behandlungszentren zu überweisen. <img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros Digital_Pneumo_1701_Weblinks_seite8.jpg" alt="" /></p> <h2>Polyresistente Tuberkulose</h2> <p>Ein 9 Jahre altes Flüchtlingsmädchen aus Eritrea, das mit seiner Familie seit 15 Monaten in Deutschland lebt, stellte sich zur Abklärung einer Tuberkulose vor. Bei der Mutter war 4 Monate zuvor eine polyresistente pulmonale Tuberkulose diagnostiziert worden (Resistenzen gegen Isoniazid und Streptomycin). Klinisch bestanden bei dem Mädchen keine Symptome, im Thorax-Röntgen zeigte sich im rechten Oberlappen in Projektion auf die Clavicula eine fragliche kleine Verdichtung (Abb. 2).</p> <p>Bei positivem Quantiferontest und einem RT 23 mit einer Induration >20mm sowie Nachweis von Mycobacterium tuberculosis im Sputum wurde eine aktive Tuberkulose diagnostiziert. Gemäß dem Antibiogramm des Indexfalls erfolgte eine tuberkulostatische Therapie mit Rifampicin und Ethambutol über 9 Monate sowie Pyrazinamid zusätzlich über die ersten 2 Monate. Es erfolgte ein regelmäßiges klinisches, augenärztliches und labordiagnostisches Monitoring. <br />Die WHO schätzt, dass im Jahr 2015 etwa 10,4 Mio. neue Tuberkuloseerkrankungen weltweit auftraten, davon 1 Mio. bei Kindern. Die Anzahl an resistenten Tuberkulosekeimen nimmt stetig zu, die höchsten Resistenzraten finden sich in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, sodass 2015 geschätzte 580.000 Patienten nach dem Therapieschema für eine multiresistente Tuberkulose behandelt wurden.<sup>8</sup></p> <p>Eine Tuberkulosediagnostik wird bei Kindern eingeleitet, wenn klinisch der Verdacht auf eine Tuberkulose besteht, insbesondere bei Herkunft aus Hochinzidenzländern. Eine weitere große Patientengruppe sind Kinder mit Tuberkuloseexposition z.B. durch einen Elternteil. Bei Kindern <5 Jahren ist bei Tuberkuloseexposition eine Chemoprophylaxe mit Isoniazid über 3 Monate empfohlen, da das Risiko, eine aktive und schwere Tuberkulose zu entwickeln, bei Säuglingen und Kleinkindern deutlich erhöht ist. Bei latenter Tuberkulose erfolgt eine Chemoprävention mit Isoniazid über 9 Monate oder Isoniazid und Rifampicin über 3–4 Monate. Eine aktive Tuberkulose wird über mindestens 6 Monate behandelt, bei einer (multi-)resistenten Tuberkulose verlängert sich die Behandlungszeit, häufig mit Second-Line-Medikamenten, auf bis zu 20 Monate.<sup>9</sup> Schwierig ist die Chemoprophylaxe/-prävention einer (multi-)resistenten Tuberkulose. Individuell muss hier zwischen engmaschiger Beobachtung und der Gabe von Second-Line-Medikamenten, z.B. Moxifloxacin, abgewogen werden.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> United Nations High Commissioner for Refugees (2016) Global Trends: Forced Displacement in 2015. Verfügbar unter: <a href="http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/576408cd7.pdf" target="_blank">http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/576408cd7.pdf</a> <strong>2</strong> Pfeil J et al: Empfehlungen zur infektiologischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in Deutschland. Monatsschr Kinderheilkd 2015; 163: 1269-86 <strong>3</strong> Tamarozzi F et al: Comparison of the diagnostic accuracy of three rapid tests for the serodiagnosis of hepatic cystic echinococcosis in humans. PLoS Negl Trop Dis 2016; 10(2): e0004444 <strong>4</strong> Salih OK et al: Surgical treatment of hydatid cysts of the lung: analysis of 405 patients. Can J Surg 1998; 41: 131-5 <strong>5</strong> Craig PS et al: Prevention and control of cystic echinococcosis. Lancet Infect Dis 2007; 7: 385-94 <strong>6</strong> Koca T et al: Cystic echinococcosis in childhood: Five-years of experience from a single-center. Turkiye Parazitol Derg 2016; 40(1): 26-31 <strong>7</strong> Beggs I: The radiology of hydatid disease. AJR Am J Roentgenol 1985; 145(3): 639-48 <strong>8</strong> World Health Organisation: Global tuberculosis report 2016. ISBN 978 92 4 156539 4 <strong>9</strong> Schaberg T et al: Empfehlungen zur Therapie, Chemoprävention und Chemoprophylaxe der Tuberkulose im Erwachsenen- und Kindesalter. Pneumologie 2012; 66(3): 133-71</p>
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</p>