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Wie erkenne ich „Bipolarität“ in der Allgemeinpraxis?

<p class="article-intro">Stimmungsschwankungen, Phasen der Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit sowie Phasen der Euphorie, Gereiztheit oder Aggressivität kennt jeder Mensch aus eigener Erfahrung. Die Übergänge von einer normalen Entwicklung zu einer behandlungsbedürftigen Störung sind fließend.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Handlungsbedarf besteht dann, wenn die Stimmungsver&auml;nderungen l&auml;nger anhalten &ndash; die diagnostischen Kriterien sprechen von 2 Wochen bei der depressiven Episode und 1 Woche bei der manischen Episode &ndash; und sich die Betroffenen und/oder deren Angeh&ouml;rige in ihrem Erleben oder Funktionieren im Alltag beeintr&auml;chtigt f&uuml;hlen. Bei den meisten Patienten mit einer bipolaren St&ouml;rung sind das sogenannte Burnout und depressive Symptome der Anlass f&uuml;r einen Arztbesuch. Bei der Anamneseerhebung gilt es, auch vorangegangene Symptome zu erfassen, die auf eine Manie hinweisen k&ouml;nnten.</p> <p>Da die Symptome einer &ndash; vor allem leicht ausgepr&auml;gten &ndash; Manie von den Betroffenen h&auml;ufig nicht als belastend empfunden werden, berichten sie beim Arztbesuch (ebenso beim Therapeuten) oftmals nicht davon bzw. haben sie diese gar nicht als Problem und schon gar nicht als Krankheit wahrgenommen. Die Abgrenzung einer bipolaren St&ouml;rung von einer unipolaren Depression ist aber von gro&szlig;er Bedeutung, da dies entscheidende Auswirkungen auf die medikament&ouml;se und psychotherapeutische Therapie hat.</p> <p>Ein entscheidendes Kriterium bei der Diagnosefindung und Abgrenzung von bipolar und unipolar ist, ob einer gegenw&auml;rtig herrschenden depressiven Episode ein Stimmungshoch zum Beispiel mit Schlafverk&uuml;rzung und/oder Hyperaktivit&auml;t vorangegangen ist, was f&uuml;r eine bipolare Erkrankung sprechen w&uuml;rde. Manchmal k&ouml;nnen sich Patienten ganz genau erinnern, dass es Zeiten gegeben hat, in denen sie &bdquo;der Welt einen Hax&rsquo;n ausrei&szlig;en wollten&ldquo; oder tagelang mit wenigen Stunden Schlaf das Auslangen gefunden haben und nicht m&uuml;de waren. Bipolare vergleichen zwar den Zustand der Hypomanie mit extremer Verliebtheit, wissen aber andererseits genau um den Unterschied in der Qualit&auml;t.</p> <p>Die Frage nach der Familiengeschichte, ob da jemand mit bipolarer Erkrankung, Suizidversuchen oder Lithium-Langzeit-Therapie dabei war, ist oft hilfreich. Risikoreiches Verhalten, risikoreiche Sportarten, welche phasenhaft ausge&uuml;bt werden und sich mit sozialem R&uuml;ckzug und depressiven Episoden abwechseln, sind ein starker Hinweis auf eine zyklothyme oder bipolare Komponente. Und das dritte Burnout sollte auch zu denken geben.</p> <p>Lag das Vollbild einer Manie vor, bezeichnet man diesen Verlauf als Bipolar I, sind lediglich hypomane Episoden aufgetreten, als Bipolar II. Nur weil jemand noch nicht im Spital war, nur von einer Hypomanie zu sprechen, ist nicht richtig. Viele Menschen &bdquo;brauchen&ldquo; ihre Manie im Fr&uuml;hjahr und Sommer, um alles zu erledigen und etwas im Leben weiterzubringen. Sie empfinden diesen Verlauf als normal.</p> <p>Oftmals kann im Vorfeld eine depressive oder manische Episode, ein subjektiv als belastend erlebtes Ereignis (Jobverlust, Scheidung, Trennung, Todesfall, Arbeitswechsel, Karriereaufstieg, Verliebtheit, &Uuml;bersiedlung, bei Frauen wie auch bei M&auml;nnern die Geburt eines Kindes) auftreten. Es k&ouml;nnen negative, aber auch positive Erlebnisse (Ver&auml;nderungen) als sogenannte Trigger auftreten. Da Menschen immer nach negativen Ursachen als Erkl&auml;rung suchen, wird oft falsch und voreilig eine Ursachenzuteilung gemacht.</p> <h2>Besonderheiten im Verlauf der bipolaren Erkrankung</h2> <p><strong>Rapid Cycling</strong><br />Damit beschreibt man das Auftreten von mindestens vier Episoden in einem Jahr, wovon mindestens eine hypomanisch oder manisch ist. Betroffene sollten unbedingt in einer Spezialambulanz behandelt werden.</p> <p><strong>Kippen</strong><br />Das Auftreten, den Beginn von Episoden erleben die meisten Betroffenen als langsam und schleichend. 10 % der Betroffenen &bdquo;kippen&ldquo; jedoch direkt in die Depression oder in die Manie, d.h., die Stimmungslage wechselt &uuml;ber Nacht oder innerhalb eines Tages in den depressiven oder manischen Pol.</p> <p><strong>Mischbild, Mischzustand, gemischte Episode</strong><br />Es kann vorkommen, dass ein depressiver Mensch um 4 Uhr fr&uuml;h aufwacht und &uuml;ber eine scheinbar ausweglose Lebenssituation verzweifelt. Im Laufe des Tages wechselt dann die Stimmung, er ist wieder voller Tatendrang. Vor allem beim &Uuml;bergang von einer Episodenqualit&auml;t in die andere k&ouml;nnen solche gemischten Zust&auml;nde auftreten. Die Behandlung einer gemischten Episode sollte nur durch einen geschulten Fachmann erfolgen.</p> <p><strong>Teufelskreis Episodenwiederholung</strong><br />Immer wieder h&ouml;rt man von Patienten, die es allein mit Psychotherapie oder mit einem Antidepressivum geschafft haben, gesund zu werden. Dies ist kein Wunder, sondern entspricht dem nat&uuml;rlichen Krankheitsverlauf: Jede Episode hat einen Anfang und ein Ende. Es geht nicht um die einj&auml;hrige Behandlung, sondern um den deutlich l&auml;ngeren Verlauf durch das Wiederauftreten, das viele Betroffene bis ins hohe Alter begleitet. Depressive Episoden dauern bei unipolarem Verlauf im Median 5,4 Monate, bei bipolarem Verlauf im Median 4,3 Monate. Bei bipolarem Verlauf sind die Episoden also k&uuml;rzer. Die Spannbreite erstreckt sich von einigen Tagen oder Wochen bis hin zu mehreren Monaten. Insgesamt ist der weitere Krankheitsverlauf in der Regel gepr&auml;gt von immer wiederkehrenden manischen, depressiven oder gemischten Episoden, wobei es auch Jahre ohne Episoden geben kann. Der weitere Verlauf kann individuell sehr unterschiedlich ausgepr&auml;gt sein, Intensit&auml;t und Anzahl der auftretenden Episoden sind nicht vorhersagbar.</p> <p>Ohne Medikamente ist der bisherige Verlauf die beste Vorhersage f&uuml;r den weiteren Verlauf. Eine Langzeitbehandlung mit einem Stimmungsstabilisierer ist je nach Frequenz der Episoden mit dem Patienten zu besprechen.</p> <h2>Medikament&ouml;se Behandlung lindert den Leidensdruck</h2> <p>Die unzureichende Behandlung einer bipolaren Erkrankung kann schwerwiegende Folgen bis hin zu einem Suizidversuch oder Suizid haben, eine individuell angepasste Therapie hingegen den hohen Leidensdruck von Betroffenen und ihren Angeh&ouml;rigen deutlich lindern. Denn der Verlauf der Erkrankung kann durch individuelle Medikamenteneinstellung, spezielle psychotherapeutische Techniken und durch umfassende Information (Psychoedukation) verbessert werden. Wichtig ist, dass die Erkrankung fr&uuml;hzeitig diagnostiziert wird! Ohne Behandlung erlebt nur ein &auml;u&szlig;erst geringer Prozentsatz, n&auml;mlich 5&ndash;10 % , keine weiteren Episoden. Das hei&szlig;t: Abwarten und zuschauen macht nicht viel Sinn.</p> <h2>Medikament&ouml;se Phasenprophylaxe</h2> <p>Die Phasenprophylaxe (= Langzeittherapie) dient dazu, das neuerliche Auftreten von Episoden zu verhindern. Durch die Normalisierung der Auslenkungen der Stimmungsschwankungen durch die entsprechende Medikation k&ouml;nnen die Betroffenen ihr Leben wieder selbst &bdquo;in die Hand nehmen&ldquo;. Informieren Sie Ihre Patienten dar&uuml;ber, dass der gew&uuml;nschte Erfolg mitunter etwas auf sich warten l&auml;sst. Denn der Effekt einer Phasenprophylaxe macht sich erst langsam bemerkbar im Sinne eines Abnehmens der Episodentiefe, d.h., die Stimmungsschwankungen werden langsam, aber sicher &uuml;ber einen l&auml;ngeren Zeitraum geringer. Somit werden sie f&uuml;r die betroffenen Patienten selbst fr&uuml;her erkennbar und besser steuerbar. Patienten k&ouml;nnen dann oft selbst den Verlauf sehr gut beeinflussen.</p> <h2>Grenzen in der Allgemeinpraxis</h2> <p>In folgenden F&auml;llen sollten Patienten zum Facharzt &uuml;berwiesen werden:</p> <ul> <li>wenn es den Patienten Probleme bereitet, regul&auml;re Termine wahrzunehmen</li> <li>wenn h&auml;ufig Rezidive auftreten und/oder kontinuierliche funktionelle und soziale Beeintr&auml;chtigungen vorliegen</li> <li>wenn andere psychische (Angst, Sucht) oder k&ouml;rperliche Komorbidit&auml;ten vorliegen</li> <li>wenn eine akute gemischte Episode vorliegt</li> <li>wenn Suizidrisiko besteht</li> <li>wenn chronischer Alkohol- oder Drogenmissbrauch bzw. -abh&auml;ngigkeit besteht</li> </ul></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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