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HIV Drug Therapy, Glasgow 2016

Auf dem Weg zum UNAIDS-Ziel 90-90-90

<p class="article-intro">Die HIV Drug Therapy fand von 23. bis 26. Oktober in Glasgow statt. Gesundheitspolitischen Themen, betreffend die Leistbarkeit und flächendeckende Versorgung mit Medikamenten zur Behandlung von HIV und HCV sowie zur medikamentösen Prophylaxe, wurde viel Raum gegeben. Dass wir uns zwar in Richtung der UNAIDS-Ziele zur Verhinderung weiterer Neuinfektionen bewegen, steht außer Frage, aber global gesehen scheint noch ein Stück des Weges vor uns zu liegen.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>UNAIDS 90-90-90</h2> <p>Im Rahmen der Opening Lecture verdeutlichte Dr. Anthony Fauci, US National Institute of Health&rsquo;s Institute on Allergy and Infectious Disease (NIH/NIAID), vor allem die Notwendigkeit einer suffizienten antiretroviralen Therapie als Pr&auml;vention (&bdquo;treatment as prevention&ldquo;, TasP), um weitere Neuinfektionen zu verhindern. In Hinblick auf die UNAIDS-90-90-90-Ziele, also dass bis 2020 90 % aller HIV-Infizierten ihren Status kennen sollten, 90 % der Diagnostizierten antiretroviral behandelt und 90 % der Behandelten virologisch supprimiert sein sollten, gibt es zwar einzelne L&auml;nder, die diesen Zielen bereits nahekommen, aber global gesehen scheint noch ein weiter Weg vor uns zu liegen. Schweden ist das erste Land, welches die UNAIDS-Ziele mittlerweile erf&uuml;llt hat. Aber auch manche afrikanische L&auml;nder, wie z.B. Ruanda oder Botswana, sind bereits auf einem guten Weg. Weltweit wird aktuell gesch&auml;tzt, dass 57 % der HIV-Infizierten auch diagnostiziert sind, 46 % aller Infizierten behandelt sind und nur 38 % aller Infizierten auch virologisch supprimiert sind. Dass TasP Sinn macht, lie&szlig; sich mittlerweile durch zahlreiche Studien belegen. Auch die k&uuml;rzlich publizierten Ergebnisse der PARTNER Study Group konnten eindrucksvoll zeigen, wie erfolgreich dieses Konzept ist. Ausgewertet wurden nun 1.238 Partner-Jahre von heterosexuellen oder MSM serodiskordanten Paaren, wobei mindestens 58.000-mal Anal- oder Vaginalverkehr ohne Kondom stattfand. Der HIV-positive Partner musste f&uuml;r den Studieneinschluss erfolgreich behandelt sein, was durch eine Viruslast unter 200 Kopien/ml definiert wurde. Im Beobachtungszeitraum kam es zu keiner einzigen HIV-&Uuml;bertragung innerhalb der Partnerschaft. Zus&auml;tzlich bedeutend erscheint auch, dass andere sexuell &uuml;bertragbare Erkrankungen, die bei 91 HIV-positiven Studienteilnehmer auftraten und die bei unbehandelten HIV-Infizierten die Wahrscheinlichkeit einer HIV-&Uuml;bertragung erh&ouml;hen, in diesem Setting nicht den Schutz durch TasP herabsetzten. Auch f&uuml;r &Ouml;sterreich zeigten Daten aus Tirol, dass nach Erf&uuml;llung der 90-90-90-Ziele die j&auml;hrliche HIV-Neuinfektionsrate r&uuml;ckl&auml;ufig war. So wurden im Jahr 2009 noch 26 Patienten neu diagnostiziert, 2015 hingegen nur noch 8.</p> <h2>Update START-Studie</h2> <p>Daten aus einer Subanalyse der START-Studie zeigten, dass der unmittelbare Beginn der antiretroviralen Therapie neben Aids-assoziierten Erkrankungen auch non-Aids-assoziierte Ereignisse verhindert. So traten in der fr&uuml;hzeitig behandelten Gruppe u.a. signifikant seltener bakterielle Infektionen oder non-Aids-assoziierte Krebserkrankungen auf. Bakterielle Pneumo&shy;nien etwa traten mehr als doppelt so h&auml;ufig in der versp&auml;tet behandelten Gruppe ( &lt;350 CD4/&micro;l) auf (34 vs. 14; p=0,002).</p> <h2>96 Wochen TAF</h2> <p>Mittlerweile liegen die ersten 96-Wochen-Daten zu Tenofovir Alafenamid (TAF) als &bdquo;single agent&ldquo; in Kombination mit unterschiedlichen 3rd Agents vor. Im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten, doppelblinden &bdquo;Double dummy&ldquo;-Studie wurden die Teilnehmer entweder weiter mit dem vorbestehenden TDF/FTC-basierten Regime behandelt oder auf TAF/FTC umgestellt. Zus&auml;tzlich wurde in jedem Arm TAF/FTC- bzw. TDF/FTC-Placebo verabreicht sowie der vorbestehende 3rd Agent fortgef&uuml;hrt. Bei Studieneinschluss waren die Probanden virologisch supprimiert (Viruslast &lt;50 Kopien/ml), die GFR musste gr&ouml;&szlig;er als 50ml/min sein. Im TAF/FTC-Arm wurde TAF mit einer Dosis von 10mg verabreicht, sofern der 3rd Agent ein geboosterter Proteaseinhibitor war, w&auml;hrend in Kombination mit ungeboosterten Partnern TAF mit 25mg gegeben wurde. 89 % der Teilnehmer unter TAF blieben virologisch supprimiert, was einer Nichtunterlegenheit gegen&uuml;ber TDF entsprach. Au&szlig;erdem kam es zu signifikanten Verbesserungen, die Nieren- und Knochentoxizit&auml;t betreffend. So zeigte sich etwa ein Anstieg gr&ouml;&szlig;er als 3 % der Knochendichte an der Wirbels&auml;ule bei 40 % der mit TAF Behandelten im Vergleich zu 18 % der mit TDF Behandelten, w&auml;hrend die mit TDF Behandelten zu 19 % eine mindestens 3 % ige Verminderung der Knochendichte aufwiesen, im Vergleich zu 8 % im TAF-Arm. Nach Umstellung auf TAF/FTC kam es zu einem Anstieg der GFR sowie einer Besserung der Proteinurie, insbesondere auch der tubul&auml;ren Proteinurie. So imponierte ein Abfall von 26 % der Protein/Kreatinin-Ratio bzw. 30 % der Beta-2-Mikroglobulin/Kreatinin-Ratio im Harn, w&auml;hrend die weiter mit TDF Behandelten einen Anstieg der Protein/Kreatinin-Ratio von 3 % bzw. der Beta-2-MG/Kreatinin-Ratio von 47 % aufwiesen. Diese Ergebnisse waren einheitlich unabh&auml;ngig vom jeweiligen 3rd Agent (auch unter geboosterten Proteaseinhibitoren). Diese Daten best&auml;tigen zus&auml;tzlich die Bedeutung von TAF/FTC als NRTI-Backbone mit besserem Sicherheitsprofil im Vergleich zu TDF/FTC.</p> <h2>Dolutegravir und der Schlaf</h2> <p>Unter HIV-Behandlern wurde seit Markteinf&uuml;hrung von Dolutegravir (DTG, einem der mittlerweile meistverordneten antiretroviralen Medikamente) eine im klinischen Alltag erh&ouml;hte Rate von neuropsychiatrischen Nebenwirkungen im Vergleich zu anderen Integraseinhibitoren (INSTI) diskutiert. Dazu wurden widerspr&uuml;chliche Daten aus mehreren Untersuchungen pr&auml;sentiert. So wurden in einer deutschen retrospektiven Analyse von &uuml;ber 1.900 mit INSTI Behandelten in 5,6 % Therapieabbr&uuml;che aufgrund neuropsychiatrischer Ereignisse unter DTG beschrieben, im Vergleich zu 0,7 % unter Elvitegravir und 1,9 % unter Raltegravir. Zu den h&auml;ufigsten Ereignissen geh&ouml;rten Schlafst&ouml;rungen, Schwindel, Kopfschmerzen und Par&auml;sthesien. Zwei- bis dreifach so h&auml;ufig traten neuropsychiatrische Symptome bei Frauen, &auml;lteren Patienten und bei gleichzeitig mit Abacavir behandelten Patienten auf. Entgegen diesen &bdquo;Real-life&ldquo;-Ergebnissen zeigte eine Aufarbeitung von vier randomisierten, kontrollierten, klinischen Phase-III-Studien, die DTG bei therapie&shy;naiven Patienten untersuchten, eine sehr geringe Rate an Therapieabbr&uuml;chen aufgrund neuropsychiatrischer Ereignisse. &Uuml;ber 2.600 Patienten wurden untersucht, &uuml;ber 1.300 davon waren mit DTG behandelt. Als h&auml;ufigstes neuropsychiatrisches Ereignis unter DTG wurde Schlaflosigkeit berichtet, wobei nur zwei Patienten deswegen die Therapie abbrachen. Generell war die Rate an Schlafst&ouml;rungen mit 3&ndash;8 % relativ gering und vergleichbar mit den Kontrollgruppen, welche mit Raltegravir, Darunavir oder Atazanavir behandelt wurden. Auch Angst oder Depression traten nur in einer niedrigen Frequenz und vergleichbar mit den anderen genannten Substanzen auf. Lediglich in einer der vier Phase-III-Studien (SINGLE) trat Schlaflosigkeit unter ABC/3TC + DTG mit 17 % signifikant h&auml;ufiger auf als unter TDF/FTC/EFV. Da DTG insgesamt ein sehr gutes Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil bei geringer Interaktionswahrscheinlichkeit und hoher Resistenzbarriere aufweist und dadurch sehr wahrscheinlich unter den bevorzugten Optionen in der HIV-Therapie bleiben wird, sind weitere Untersuchungen notwendig, um Mechanismen potenzieller Neurotoxizit&auml;t besser zu verstehen.</p> <h2>All about PrEP</h2> <p>Die Diskussion der Pr&auml;expositionsprophylaxe (PrEP) nahm einen hohen Stellenwert in Glasgow ein. Zahlreiche Daten aus Frankreich wurden vorgestellt, welches bis vor Kurzem als einziges Land in Europa (seit ca. einem Jahr) die Kosten&uuml;bernahme f&uuml;r PrEP durch das &ouml;ffentliche Gesundheitswesen gew&auml;hrleistete (Abb. 1). Wenige Tage vor dem Kongress in Glasgow verk&uuml;ndete Norwegen als zweites europ&auml;isches Land die &Uuml;bernahme der Kosten f&uuml;r PrEP. In der PROUD- oder IPERGAY-Studie konnten unter TDF/FTC (entweder t&auml;glich oder anlassbezogen) &uuml;berzeugende Reduktionsraten der HIV-Inzidenz mit 86 % erreicht werden, unbeeinflusst von einer erh&ouml;hten STI-Rate. In St&auml;dten mit sehr hohen Inzidenzraten wie z.B. Paris (f&uuml;r MSM 9,17/100 Patientenjahre) konnten sogar Risikoreduktionen bis zu 97 % erzielt werden. Aus Frankreich wurden Daten von 1.526 PrEP-Anwendern vorgestellt, wobei mit 97,5 % MSM die gro&szlig;e Mehrheit darstellten. 61 % verwendeten die PrEP anlassbezogen. Bei 3 Anwendern kam es zu einer HIV-Infektion, wobei 2 davon offenbar schon eine akute HIV-Infektion bei PrEP-Initiierung mit noch negativem ELISA hatten und bei einem die Infektion auf mangelnde Adh&auml;renz zur&uuml;ckzuf&uuml;hren war. Auch Daten der IPERGAY-Studie zeigten, dass die Adh&auml;renz gegen&uuml;ber der PrEP nicht optimal ist. So wurde in wiederholten Befragungen zum jeweils letzten Geschlechtsverkehr von durchschnittlich 29 % (Double-blind-Phase) bzw. 26 % (Open-label-Phase) angegeben, keine PrEP eingenommen zu haben. Daten aus den USA zeigen, dass trotz kontinuierlich steigender PrEP-Zahlen in den letzten Jahren gerade Risikogruppen mit sehr hohen Lebenszeitrisiken f&uuml;r HIV nur unzureichend erreicht werden. So haben afroamerikanische M&auml;nner ein Lebenszeitrisiko von 1 zu 20 (verglichen mit 1 zu 132 f&uuml;r wei&szlig;e M&auml;nner), bei afroamerikanischen MSM liegt diese Zahl sogar bei 1 zu 2. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, mit einer PrEP zu beginnen, f&uuml;r einen wei&szlig;en Mann 8-mal h&ouml;her als f&uuml;r einen afroamerikanischen Mann. W&auml;hrend sich 2014 noch Fragen nach der Effektivit&auml;t der PrEP stellten, 2015 &Uuml;berlegungen bzgl. der Zunahme anderer STI oder Resistenzen im Vordergrund standen, steht aus Sicht der Public Health nun also die Frage der Leistbarkeit bzw. die Frage, wie die PrEP fl&auml;chendeckend zu implementieren ist, im Zentrum. Da in &Ouml;sterreich eine Kosten&uuml;bernahme f&uuml;r PrEP vorerst nicht absehbar zu sein scheint und Interessenten andere Wege finden werden, an leistbares TDF/FTC zu kommen, beruhigten Daten aus London zu online bestellten generischen TDF/FTC-Pr&auml;paraten. Hierf&uuml;r wurden Plasmakonzentrationen der Wirkstoffe von &uuml;ber 200 Pr&auml;paraten, die von PrEP-Anwendern &uuml;ber verschiedene Websites bestellt wurden, gemessen und es gab keine Hinweise auf gef&auml;lschte Pr&auml;parate. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Infekt_1604_Weblinks_seite14.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Das australische Modell</h2> <p>In einer vielbeachteten Keynote Lecture verdeutlichte Dr. Andrew Hill, Universit&auml;t Liverpool, was an Kostensenkung in Europa m&ouml;glich w&auml;re, um den explodierenden Ausgaben f&uuml;r Therapien gegen HIV, HCV oder Krebserkrankungen entgegenzuwirken, und ging teilweise hart mit der Pharmaindustrie ins Gericht, indem er u.a. die weitverbreitete Nutzung von Steueroasen anprangerte. Am Ende seiner Rede erntete er daf&uuml;r minutenlangen Applaus und teilweise Standing Ovations. So w&auml;re es m&ouml;glich, aufgrund der geringen Produktionskosten eine Person &uuml;ber 1 Jahr um ca. 80 US-Dollar suffizient antiretroviral zu behandeln &ndash; vom minimalen globalen generischen Preis ausgehend. Die Jahrestherapiekosten pro Patient f&uuml;r z.B. TDF/FTC k&ouml;nnten sich auf 67 US-Dollar belaufen. In Europa sollten wir in den n&auml;chsten Monaten teilweise dramatische Preisreduktionen erleben: So ist zu erwarten, dass z.B. ABC/3TC um zumindest 90 % g&uuml;nstiger wird. Die Erf&uuml;llung der UNAIDS-Ziele oder eine fl&auml;chendeckende Behandlung HCV-Infizierter quer durch Europa wird nur m&ouml;glich sein, wenn die entsprechenden Medikamente im Rahmen der jeweiligen nationalen Gesundheitsbudgets g&uuml;nstig zug&auml;nglich sind. Ein gelungenes Beispiel daf&uuml;r ist Australien. Hier wurde zur Behandlung HCV-Infizierter ein &bdquo;All you can treat&ldquo;-Konzept etabliert, welches u.a. beinhaltet, dass jeder Infizierte unabh&auml;ngig vom Erkrankungsstadium behandelt wird und die Verschreibung unkompliziert und fl&auml;chendeckend auch durch Haus&auml;rzte erfolgen darf. M&ouml;glich wurde diese fl&auml;chendeckende Versorgung mit &bdquo;direct antiviral agents&ldquo; (DAA) durch das Ausverhandeln von entsprechenden Rabatten und fixen Preisobergrenzen mit der Pharmaindustrie im Rahmen eines 5-Jahres-Vertrages. G&uuml;nstigere, generische, teils auch aus dem Ausland importierte Medikamente st&auml;rkten die Verhandlungsposition der zust&auml;ndigen Kommission. Und die lange sehr restriktive Haltung der Beh&ouml;rden bez&uuml;glich einer generellen Kosten&uuml;bernahme machte weiteres Feilschen m&ouml;glich. Dank der meist recht geringen Produktionskosten waren trotz deutlich gesenkter Preise aufgrund der immens gestiegenen Anzahl an Behandelten nach wie vor gro&szlig;e Profite f&uuml;r die Pharmaunternehmen gesichert. Die durchschnittlichen Gesamttherapiekosten pro HCV-Infiziertem liegen jetzt bei 3.450 Euro. Australien hat sich nun zum Ziel gesetzt, die Hepatitis C bis 2020 eradiziert zu &shy;haben.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser<br /><br /></p> </div> </p>
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