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Henne oder Ei?

<p class="article-intro">Die Befundkombination aus eingeschränkter Linksventrikelfunktion und stark verkalkter Aortenklappe bedarf einer umfassenden Abklärung, da die richtige Interpretation weitreichende Konsequenzen für die Therapiemöglichkeiten hat und die Prognose des Patienten je nach zugrunde liegender Erkrankung sehr unterschiedlich ist.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Wir berichten &uuml;ber einen 50-j&auml;hrigen Patienten, der seit Monaten unter zunehmender Belastungsdyspnoe (NYHA-Stadium III) litt und schlie&szlig;lich wegen Ruhedyspnoe hospitalisiert wurde. Es waren keine relevanten Erkrankungen vorbekannt, der Patient verneinte Angina-pectoris-Symptomatik und Synkopen. <br />Im Rahmen der initialen transthorakalen Echokardiografie fiel eine stark verkalkte, vermutlich trikuspide, sich kaum &ouml;ffnende Aortenklappe bei Dilatation und konzentrischer Hypertrophie (Septumdicke 13mm) des linken Ventrikels mit global hochgradig eingeschr&auml;nkter Linksventrikelfunktion mit einer Auswurffraktion um 20 % nach biplaner Simpson-Methode auf. Die &uuml;ber der Aortenklappe im CW- (&bdquo;continuous wave&ldquo;)-Doppler maximal gemessene Flussgeschwindigkeit betrug 3,4m/s bei einem mittleren Gradienten von 30mmHg, es errechnete sich in der Kontinuit&auml;tsgleichung eine Klappen&ouml;ffnungsfl&auml;che von 0,8cm<sup>2</sup>. Zus&auml;tzlich bestanden eine geringe Aortenklappeninsuffizienz und eine Ektasie der Aortenwurzel auf 45mm im Durchmesser. Somit bestand insgesamt das Bild einer hochgradigen Aortenklappenstenose mit niedrigem Gradienten (&bdquo;low-flow, low-gradient aortic stenosis&ldquo;). <br />Im Rahmen der weiteren Abkl&auml;rung wurde ein Links- und Rechtsherzkatheter durchgef&uuml;hrt. Es zeigte sich eine milde Koronarsklerose bei linksdominantem Koronarsystem. Das Levogramm best&auml;tigte die linksventrikul&auml;re Dilatation und die schwere diffuse Kontraktilit&auml;tsst&ouml;rung. Der invasiv &uuml;ber der Aortenklappe vermessene mittlere Gradient betrug 16mmHg, es lie&szlig; sich nach der Gorlin-Formel bei einem Herzzeitvolumen von 2,48l/min eine Klappen&ouml;ffnungsfl&auml;che von 0,62cm<sup>2</sup> berechnen. Die Rechtsherzkatheteruntersuchung ergab folgende Werte: rechter Ventrikel 48/4/18mmHg, rechtes Atrium 25/23/ 18mmHg, mittlerer pulmonalkapill&auml;rer Verschlussdruck 32mmHg, pulmonalarterieller Druck 56/29/40mmHg und somit eine sekund&auml;re pulmonalarterielle Hypertension. <br />Zur weiteren Differenzierung und Absch&auml;tzung der kontraktilen Reserve wurde eine Dobutaminstressechokardiografie durchgef&uuml;hrt (Abb. 1). In dieser ergab sich weder eine Zunahme des Gradienten &uuml;ber der Aortenklappe noch des Schlagvolumens trotz Belastung bis auf 20&micro;g/kg/min. Insgesamt konnte also keine relevante kontraktile Reserve nachgewiesen werden. Die Bestimmung des Kalziumscores ergab einen Wert von &gt;5.000 Agatston als Hinweis auf eine schwere prim&auml;re Aortenklappenerkrankung.</p> <p>Somit lag bei dem Patienten die seltene Kombination einer schweren Aortenklappenstenose bei fehlender kontraktiler Reserve vor, eine Konstellation, die ein extrem hohes Risiko f&uuml;r ein perioperatives Myokardversagen aufweist, bei erfolgreicher Operation aber eine gute Langzeitprognose hat. Daher wurde der Patient an der Herzchirurgie der Medizinischen Universit&auml;t Wien vorgestellt, um bei perioperativem myokardialem Versagen die M&ouml;glichkeit einer LVAD-Therapie (&bdquo;left ventricular assist device&ldquo;) oder ultimativ auch Herztransplantation zu haben.</p> <p>Nach pr&auml;operativer Optimierung inklusive Levosimendan-Therapie konnte in weiterer Folge der mechanische Aortenklappenersatz erfreulicherweise komplikationslos durchgef&uuml;hrt werden. Im Verlauf des n&auml;chsten Monats kam es zu einer deutlichen Besserung der klinischen Symptomatik, einer Normalisierung des Gradienten &uuml;ber der Prothese, einer Verbesserung der Linksventrikelfunktion auf 30&ndash;35 % und einer Regredienz des mittleren pulmonalen Druckes auf ca. 30mmHg in der Echokardiografie. Nach 6 Monaten konnte sich der Patient wieder gut belasten (NYHA-Stadium I), es kam zu einer nahezu vollst&auml;ndigen Normalisierung der Linksventrikelfunktion bei weiterhin unauff&auml;lligem Befund an der Aortenklappenprothese und die diuretische Therapie konnte ausgeschlichen werden.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Als pr&auml;ferierte Untersuchungsmethode zur Evaluierung der Aortenklappenstenose wird die Echokardiografie beschrieben. Eine Stenose wird entsprechend den aktuellen Empfehlungen der ESC (Europ&auml;ische Gesellschaft f&uuml;r Kardiologie) als schwer eingesch&auml;tzt, wenn die Aortenklappen&shy;&ouml;ffnungsfl&auml;che unter 1cm<sup>2</sup> liegt. Da die Planimetrie insbesondere bei stark verkalkten Klappen nur sehr unzuverl&auml;ssige Messwerte liefert, soll die Absch&auml;tzung der &Ouml;ffnungsfl&auml;che durch Bestimmung des transvalvul&auml;ren Gradienten bevorzugt werden. Bei einer Flussgeschwindigkeit &uuml;ber 4m/s oder einem mittleren Gradienten &uuml;ber 40mmHg ist in aller Regel von einer hochgradigen Aortenklappenstenose auszugehen (Tab. 1). <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1604_Weblinks_seite40_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p>Ein spezielles Problem ist die Einsch&auml;tzung des Schweregrades einer Aortenklappenstenose bei verkalkter Klappe und einem mittleren Gradienten zwischen 30 und 40mmHg. Hier soll in erster Linie versucht werden, durch Optimierung des Anlotungswinkels der Klappe in verschiedenen Schnitten (5-Kammer-Blick, 3-Kammer-Blick, rechts parasternaler Schnitt, suprasternaler Schnitt) der wahren maximalen Flussgeschwindigkeit nahezukommen, um eine schwere Aortenklappenstenose zu best&auml;tigen. Da die Flussgeschwindigkeit/der mittlere Gradient &uuml;ber einer Klappe aber vom Schlagvolumen abh&auml;ngig ist, kann es bei eingeschr&auml;nkter Linksventrikelfunktion zu niedrigen Gradienten trotz hochgradiger Klappenstenose kommen, wie es in diesem Fall gezeigt worden ist. International wird von &bdquo;Low-flow-low-gradient&ldquo;-Aortenklappenstenose gesprochen. <br />In diesem Fall wird zur weiteren Differenzierung eine Stressechokardiografie empfohlen. Ein Anstieg des Gradienten bei Weiterbestehen einer errechneten Aortenklappen&ouml;ffnungsfl&auml;che &lt;1cm<sup>2</sup> spricht dabei daf&uuml;r, dass es sich wirklich um eine schwere Aortenklappenstenose (&bdquo;true severe aortic stenosis&ldquo;) handelt. Weitere Faktoren, die daf&uuml;r sprechen, dass es sich tats&auml;chlich um eine hochgradige Aortenklappenstenose handelt, sind eine schwerstverkalkte Klappe, Voruntersuchungen mit einem h&ouml;heren Gradienten und ein sp&auml;tes Flussmaximum. <br />Demgegen&uuml;ber legt eine Zunahme des Schlagvolumens bei Konstanz des Druckgradienten unter Belastungsbedingungen ein prim&auml;r myokardiales Problem nahe, wodurch sich die Klappe nicht so weit &ouml;ffnet, wie sie k&ouml;nnte (&bdquo;pseudosevere aortic stenosis&ldquo;). Au&szlig;erdem spricht bei Patienten mit &bdquo;Low-flow-low-gradient&ldquo;-Aortenklappenstenose eine vorhandene kontraktile Reserve f&uuml;r eine eher g&uuml;nstige Prognose, w&auml;hrend Patienten mit fehlender kontraktiler Reserve ein H&ouml;chstrisikokollektiv darstellen. Einer perioperativen Mortalit&auml;t von 22 % mit einem konsekutiven 5-Jahres-&Uuml;berleben von 65 % steht bei konservativem Vorgehen ein 5-Jahres-&Uuml;berleben von 11 % gegen&uuml;ber. <br />Besonders schwierig ist die Kl&auml;rung der Kausalit&auml;t bei einer Befundkonstellation wie im oben geschilderten Fall, in dem es im Rahmen der Dobutaminstressechokardiografie weder zu einer Zunahme des Schlagvolumens (fehlende kontraktile Reserve) noch zu einer Zunahme des Druckgradienten &uuml;ber der Aortenklappe kam. Die extrem verkalkte Klappe (Agatston-Score von &uuml;ber 5.000 Einheiten an der Klappe) und milde Koronarpathologie sprachen schlie&szlig;lich f&uuml;r eine prim&auml;re Klappenpathologie mit sekund&auml;rer Kardiomyopathie durch die chronische massive Nachlasterh&ouml;hung.</p> <p>Von den gerade genannten Entit&auml;ten muss die &bdquo;Paradoxical low-flow&ldquo;-Aortenklappenstenose unterschieden werden. Ein kleiner, steifer oder stark hypertrophierter linker Ventrikel kann trotz guter linksventrikul&auml;rer Pumpfunktion zu einem niedrigen Schlagvolumen und damit zu einem niedrigen Gradienten f&uuml;hren, obwohl eine hochgradige Aorten&shy;klap&shy;pen&shy;stenose vorliegt. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1604_Weblinks_seite40_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Nicht immer ist es einfach, die Kausalit&auml;t zwischen valvul&auml;ren und myokardialen Pathologien auf den ersten Blick zu erkennen. In dem hier dargestellten Fall h&auml;tte auch die linksventrikul&auml;re Funktionseinschr&auml;nkung (hervorgerufen zum Beispiel durch Isch&auml;mie, Fibrosierung, prim&auml;re Kardiomyopathie, &hellip;) das prim&auml;re Problem des Patienten sein k&ouml;nnen und die Aortenklappe zwar verkalkt, aber in ihrer &Ouml;ffnung nur leicht- bis mittelgradig beeintr&auml;chtigt gewesen sein k&ouml;nnen. Auch diese Kon&shy;stellation h&auml;tte die in der initialen Echokardiografie gemessenen Flussgeschwindigkeiten und Druckgradienten erkl&auml;rt. Erschwerend kam hinzu, dass die Gabe von Dobutamin weder zu einer Zunahme des Druckgradienten noch des Schlagvolumens f&uuml;hrte. Die weitgehend blande Koronarmorphologie und die starke Verkalkung der Klappe sprachen jedoch f&uuml;r die Aortenklappenstenose als prim&auml;re Pathologie. Best&auml;tigt wurde dies durch den weiteren Verlauf und die fast vollst&auml;ndige Erholung der Linksventrikelfunktion nach Sanierung des Aortenklappenvitiums.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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