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Können metabolische Risikofaktoren das genetische Risiko für die KHK erklären?

<p class="article-intro">In etwa die Hälfte des individuellen Risikos, eine koronare Herzerkrankung (KHK) zu erleiden, ist erblich bedingt. Allerdings ist eine genaue Quantifizierung, inwieweit sich die Genetik – gemessen einerseits als klassische Familienanamnese, andererseits als moderner genetischer Risikoscore (GRS) – in klassischen metabolischen Risikofaktoren manifestiert, noch ausständig. Mit einem neuen statistischen Verfahren aus dem Bereich der statistischen Mediationsanalyse untersuchten wir – eine Arbeitsgruppe rund um DI Josef Fritz und Ao. Univ.-Prof. Dr. Hanno Ulmer vom Department für Medizinische Statistik, Informatik und Gesundheitsökonomie an der Medizinischen Universität Innsbruck – diese Fragestellung mittels Daten einer großen skandinavischen Kohortenstudie. Die Ergebnisse wurden beim Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) Ende August in Rom präsentiert.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Ein Teil des durch Familienhistorie und genetischen Risikoscore bedingten KHK-Risikos wird &uuml;ber Dyslipid&auml;mie und Bluthochdruck, jedoch nicht &uuml;ber Diabetes erkl&auml;rt.</li> <li>Allerdings wirkt der Gro&szlig;teil des genetischen Effekts unabh&auml;ngig von den etablierten metabolischen Risikofaktoren.</li> <li>Menschen mit einer genetischen KHK-Pr&auml;disposition sind oft metabolisch v&ouml;llig gesund und stellen eine gro&szlig;e Herausforderung f&uuml;r die Prim&auml;rpr&auml;vention dar.</li> </ul> </div> <h2>Hintergrund</h2> <p>Seit L&auml;ngerem ist bekannt, dass die Genetik einen erheblichen Einfluss auf das Risiko hat, an einer koronaren Herzerkrankung (KHK) zu erkranken. Man geht davon aus, dass in etwa 40&ndash;50 % des individuellen Risikos, eine KHK zu erleiden, erblich bedingt sind.<sup>1&ndash;3</sup> In den letzten Jahren gab es gro&szlig;e Fortschritte bei der Suche nach den genetischen Ursachen dieser komplexen Erkrankung. Neben der klassischen, einfach zu erhebenden Familienanamnese (&bdquo;Sind Ihre Eltern/Geschwister an einer KHK erkrankt? Falls ja, in welchem Alter?&ldquo;) wird das genetisch bedingte KHK-Risiko neuerdings in sogenannten genetischen Risikoscores (GRS), die die Ergebnisse einer direkten Analyse des Genoms zusammenfassen, abgebildet. <br />F&uuml;r die Erstellung dieser Risikoscores ben&ouml;tigt man erst einmal Kenntnis dar&uuml;ber, welche Polymorphismen (Genvarianten) mit einem erh&ouml;hten KHK-Risiko assoziiert sind. Das Aufsp&uuml;ren der entsprechenden Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) erfolgt normalerweise in gro&szlig; angelegten genomweiten Assoziationsstudien (GWA). Zur Berechnung des GRS wird nun das Genom einer Person analysiert und gez&auml;hlt, wie viele KHK-Risiko-SNPs vorhanden sind. Diese Anzahl wird sodann mit einer geeigneten Gewichtung zu einem Score &ndash; dem GRS &ndash; aufsummiert. Ein GRS ist nat&uuml;rlich umso aussagekr&auml;ftiger, je mehr einzelne KHK-Risiko-SNPs einflie&szlig;en. Als im Jahre 2010 einer der ersten GRS eingef&uuml;hrt wurde, war erst von recht wenigen SNPs ein Zusammenhang mit KHK nachgewiesen, und so bestand dieser GRS nur aus 13 SNPs.<sup>4</sup> Im Laufe der Jahre wurden mehr und mehr KHK-Risiko-SNPs bekannt und die GRS entsprechend erweitert. Der momentan aktuellste GRS, Anfang 2016 zum ersten Mal im &bdquo;European Heart Journal&ldquo; vorgestellt,<sup>5</sup> verwendet Informationen von 50 unterschiedlichen KHK-Risiko-SNPs. <br />Sowohl eine positive Familienanamnese als auch die diversen GRS haben, wie bereits des &Ouml;fteren gezeigt wurde, einen starken Einfluss auf das Risiko, an einer KHK zu erkranken, und das sogar zum Teil unabh&auml;ngig von klassischen metabolischen Faktoren.<sup>5&ndash;8</sup> Allerdings ist eine Quantifizierung, wie viel genau des genetisch bedingten Risikos nun wirklich unabh&auml;ngig von metabolischen Faktoren wirkt und ob nicht doch ein Teil &uuml;ber metabolische Faktoren, und &ndash; falls ja &ndash; welche, erkl&auml;rt wird, noch ausst&auml;ndig und somit das Ziel der vorliegenden Arbeit.</p> <h2>Datenmaterial</h2> <p>Als Datengrundlage f&uuml;r die Analysen diente die Malm&ouml; Diet and Cancer Studie,<sup>9</sup> eine gro&szlig; angelegte schwedische Kohortenstudie mit Daten von &uuml;ber 30.000 Personen. M&auml;nner und Frauen zwischen 45 und 73 Jahren aus der schwedischen Gro&szlig;stadt Malm&ouml; wurden eingeladen, daran teilzunehmen, und zwischen 1991 und 1996 in die Studie eingeschlossen. Einzigartig an diesen Daten ist, dass neben den klassischen metabolischen Risikofaktoren f&uuml;r eine KHK auch Daten bez&uuml;glich der genetischen KHK-Pr&auml;disposition erhoben wurden: Einerseits wurde die Familienanamnese, n&auml;mlich ob ein Eltern- oder Geschwisterteil an KHK erkrankte, mittels Fragebogen erhoben (im Folgenden als Familienhistorie bezeichnet), andererseits wurden mehr als 23.000 Teilnehmer vom amerikanischen Biotechunternehmen Quest Diagnostics genotypisiert und daraus f&uuml;r jeden Teilnehmer der neueste auf 50 KHK-Risiko-SNPs basierende und erst k&uuml;rzlich im &bdquo;European Heart Journal&ldquo; eingef&uuml;hrte genetische Risikoscore,<sup>5</sup> im Folgenden als GRS50 bezeichnet, berechnet. Nach Ausschluss von Teilnehmern mit unvollst&auml;ndigen Daten oder pr&auml;valenter KHK wurden schlie&szlig;lich 23.595 Studienteilnehmer f&uuml;r die vorliegende Untersuchung ber&uuml;cksichtigt.</p> <h2>Methodik</h2> <p>In unserer Arbeit untersuchten wir, inwieweit die metabolischen Risikofaktoren systolischer Blutdruck, Apolipoprotein A-I und B (anstelle von HDL- und LDL-Cholesterin) und das Vorhandensein von Diabetes mellitus Typ 2 das genetisch bedingte KHK-Risiko (gemessen einerseits als Familienhistorie, andererseits als GRS50) erkl&auml;ren k&ouml;nnen. Kernst&uuml;ck der Untersuchung ist eine Methode aus der Statistik, die Mediationsanalyse genannt wird. Die Grundidee dabei ist, die Risikofaktoren als kausales Bindeglied zwischen Exposition (Familienhistorie und GRS50) und Ergebnis (KHK-Inzidenz) aufzufassen und den Gesamteinfluss der Genetik auf die KHK-Inzidenz in mehrere Bestandteile aufzuteilen: Anteile, die &uuml;ber die metabolischen Risikofaktoren erkl&auml;rt werden k&ouml;nnen (sogenannte indirekte Effekte), sowie eine weitere Komponente, die unabh&auml;ngig von den Risikofaktoren wirkt (sogenannter direkter Effekt). <br />Wir bedienten uns dazu einer neuartigen, k&uuml;rzlich von einer d&auml;nischen Statistikergruppe um Professor Theis Lange pr&auml;sentierten Technik, die es erstmals erlaubt, nicht nur den kombinierten Effekt aller Risikofaktoren zusammen zu berechnen, sondern auch die Effekte der vier Risikofaktoren einzeln abzusch&auml;tzen.<sup>10, 11</sup> Da diese Methode eine kategoriale Messung der Exposition voraussetzt, wurde der GRS50 in Quintile eingeteilt und in allen Analysen das h&ouml;chste mit dem niedrigsten GRS50-Quintil verglichen.</p> <h2>Ergebnisse</h2> <p>Insgesamt wurden die Daten von 8.973 M&auml;nnern und 14.622 Frauen mit einem durchschnittlichen Alter von 58,0 Jahren (Min. &ndash; Max.: 44&ndash;73 Jahre) analysiert. &Uuml;ber einen medianen Nachbeobachtungszeitraum von 14,4 Jahren wurden dabei insgesamt 2.213 F&auml;lle von KHK registriert. <br />Bei Studienteilnehmern mit positiver Familienhistorie wurde im Nachbeobachtungszeitraum in 11,4 % der F&auml;lle ein KHK-Ereignis beobachtet, bei Teilnehmern mit negativer Familienhistorie nur in 8,2 % der F&auml;lle. Das entspricht &ndash; nach multivariabler Adjustierung bez&uuml;glich Alter, Geschlecht und Rauchstatus &ndash; einer um den Faktor 1,52 (95 % Konfidenzintervall [CI]: 1,39&ndash;1,65) erh&ouml;hten KHK-Inzidenz bei Personen mit positiver Familienhistorie. Ein &auml;hnliches Bild ergab sich bez&uuml;glich des GRS50: In der Hochrisikogruppe (GRS50 im h&ouml;chsten Quintil) wurde in 12,5 % der F&auml;lle ein KHK-Ereignis registriert, bei den Teilnehmern mit niedrigem genetischem Risiko (GRS50 im niedrigsten Quintil) nur in 6,7 % der F&auml;lle, was einer um den Faktor 2,01 (95 % CI: 1,76&ndash;2,30) erh&ouml;hten KHK-Inzidenz entspricht. <br />Bez&uuml;glich Familienhistorie konnten 20,0 % (95 % CI: 14,8&ndash;26,4 % ) des Gesamteffekts &uuml;ber die metabolischen Risikofaktoren erkl&auml;rt werden. Die dominierenden Faktoren waren mit 8,3 % (95 % CI: 5,8&ndash;11,7 % ) das Apolipoprotein B und mit 8,5 % (95 % CI: 5,9&ndash;12,0 % ) der systolische Blutdruck. Nur wenig wurde mit 1,7 % (95 % CI: 0,2&ndash;3,4 % ) &uuml;ber Apolipoprotein A-I erkl&auml;rt. Der Effekt &uuml;ber Diabetes (1,5 % ; 95 % CI: &ndash;0,8&ndash;3,8 % ) war nicht statistisch signifikant (Abb. 1, Panel [A]). Bez&uuml;glich des GRS50 konnten 10,7 % (95 % CI: 5,8&ndash;16,0 % ) des Gesamteffekts &uuml;ber die metabolischen Risikofaktoren erkl&auml;rt werden &ndash; wieder am meisten &uuml;ber Apolipoprotein B (6,0 % ; 95 % CI: 3,7&ndash;8,6 % ) und den systolischen Blutdruck (3,5 % ; 95 % CI: 1,0&ndash;5,9 % ). Die Effekte &uuml;ber Apolipoprotein A-I (1,1 % ; 95 % CI: &ndash;0,2&ndash;2,6 % ) und Diabetes (0,2 % ; 95 % CI: &ndash;1,6&ndash;2,7 % ) waren nicht statistisch signifikant (Abb. 1, Panel [B]). <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Kardio_1604_Weblinks_seite17.jpg" alt="" width="825" height="730" /></p> <div id="fazit"> <h2>Schlussfolgerungen</h2> <p>Unsere Ergebnisse legen nahe, dass ein Teil des durch Familienhistorie und GRS50 bedingten genetischen KHK-Risikos &uuml;ber klassische Risikofaktoren erkl&auml;rt wird, insbesondere &uuml;ber Apolipoproteine und Blutdruck, jedoch nicht &uuml;ber Diabetes. Allerdings manifestiert sich der Gro&szlig;teil des genetischen Effekts (&ge;80 % ) nicht &uuml;ber die klassischen Risikofaktoren. <br />Diese Resultate stehen im Einklang mit fr&uuml;heren Arbeiten, pr&auml;zisieren diese allerdings. Lloyd-Jones et al zeigten anhand von Daten aus der Framingham Offspring Study, dass das Adjustieren f&uuml;r metabolische Faktoren den Effektsch&auml;tzer f&uuml;r Familienhistorie nur teilweise senkt, ein Indiz f&uuml;r eine allenfalls schwache Mediation.<sup>7</sup> Das CARDIoGRAMplusC4D Consortium untersuchte 46 der 50 f&uuml;r unseren GRS verwendeten KHK-assoziierten SNPs und fand bei nur 12 dieser SNPs auch einen Zusammenhang mit Lipidwerten, bei nur 5 eine Assoziation mit Blutdruck und bei gar keinem einen Zusammenhang mit Dia&shy;betes.<sup>8</sup> Mit seinen Methoden konnte es jedoch die prozentuellen Anteile nicht quantifizieren.</p> <p>F&uuml;r Internisten und praktische &Auml;rzte, die in der Vorsorgemedizin t&auml;tig sind, bedeuten die Studienergebnisse, dass die Kontrolle ausschlie&szlig;lich der etablierten metabolischen Risikofaktoren unter Umst&auml;nden zu wenig ist. Menschen mit entsprechender Genetik pr&auml;sentieren sich oft metabolisch v&ouml;llig gesund, haben aber aufgrund ihrer Gene dennoch ein erh&ouml;htes KHK-Risiko und stellen insofern eine gro&szlig;e Herausforderung f&uuml;r die Prim&auml;rpr&auml;vention dar. Um ihr KHK-Risiko dennoch richtig einsch&auml;tzen zu k&ouml;nnen, sind eine Erhebung und Beurteilung der Familienhistorie ausdr&uuml;cklich zu empfehlen. Im SCORE-Risikorechner der ESC ist das genetische Risiko derzeit nicht als eigenst&auml;ndiger Faktor enthalten. Es wird offenbar im Widerspruch zu unseren Ergebnissen davon ausgegangen, dass ein Gro&szlig;teil des genetischen Risikos ohnehin &uuml;ber klassische Risikofaktoren erkl&auml;rt wird. Angesichts der gegenw&auml;rtigen neuen Erkenntnisse bez&uuml;glich KHK-Genetik sind in den n&auml;chsten Jahren noch Erweiterungen in den Guidelines zu erwarten.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ganna A et al: Multilocus genetic risk scores for coronary heart disease prediction. Arterioscler Thromb Vasc Biol 2013; 33(9): 2267-72 <strong>2</strong> Schunkert H et al: Large-scale &shy;association analysis identifies 13 new susceptibility loci for coronary artery disease. Nat Genet 2011; 43(4): 333-8 <strong>3</strong> Schunkert H: Family or SNPs: what counts for hereditary risk of coronary artery disease? Eur Heart J 2016; 37(6): 568-71 <strong>4</strong> Ripatti S et al: A multilocus genetic risk score for coronary heart disease: case-control and prospective &shy;cohort analyses. Lancet 2010; 376(9750): 1393-400 <strong>5</strong> Tada H et al: Risk prediction by genetic risk scores for coronary heart disease is independent of self-reported &shy;family history. Eur Heart J 2016; 37(6): 561-7 <strong>6</strong> Barrett-Connor E et al: Family history of heart attack as an independent predictor of death due to cardiovascular disease. Circulation 1984; 69(6): 1065-9 <strong>7</strong> Lloyd-Jones DM et al: Parental cardiovascular disease as a risk factor for cardiovascular disease in middle-aged adults: a prospective study of parents and offspring. JAMA 2004; 291(18): 2204-11 <strong>8</strong> Deloukas P et al: Large-scale association analysis identifies new risk loci for coronary artery disease. Nat Genet 2013; 45(1): 25-33 <strong>9</strong> Berglund G et al: The Malmo Diet and Cancer Study. Design and feasibility. J Intern Med 1993; 233(1): 45-51 <strong>10</strong> Lange T et al: A simple unified approach for &shy;estimating natural direct and indirect effects. Am J Epidemiol 2012; 176(3): 190-5 <strong>11</strong> Lange T et al: Assessing natural &shy;direct and indirect effects through multiple pathways. Am J Epidemiol 2014; 179(4): 513-8</p> </div> </p>
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