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Statine in der Primärprophylaxe

<p class="article-intro">Es gibt Rechner für das kardiovaskuläre Risiko und evidenzbasierte Empfehlungen, wer von einem Statin profitiert. Wichtiger als ein konsequentes Vorgehen nach der Evidenz ist es, gemeinsam mit dem Patienten eine Entscheidung zu treffen. An der Frühjahrsversammlung der SGAIM in Basel erklärte der Internist und Endokrinologe PD Dr. med. Philipp Gerber, wie man in der Praxis am besten vorgeht.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Derart aktuelle Referate h&ouml;rt man selten. PD Dr. med. Philipp Gerber, Oberarzt an der Klinik f&uuml;r Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ern&auml;hrung am Universit&auml;tsspital Z&uuml;rich, pr&auml;sentierte an seinem Workshop, in dem es um Cholesterin in der Prim&auml;rprophylaxe kardiovaskul&auml;rer Erkrankungen ging, eine neue Studie, die just an diesem Tag im New England Journal of Medicine ver&ouml;ffentlicht worden war. In der HOPE-3-Studie von Salim Yusuf und Kollegen hatten 12&thinsp;705 Probanden ohne kardiovaskul&auml;re Krankheiten, aber mit intermedi&auml;rem Risiko daf&uuml;r entweder 10mg Rosuvastatin bekommen oder Placebo. Eingeschlossen wurden M&auml;nner &uuml;ber 54 und Frauen &uuml;ber 64 Jahre, die mindestens einen der folgenden Risikofaktoren hatten: zu hohes Verh&auml;ltnis von Taillen- zu H&uuml;ftumfang, zu geringes HDL-Cholesterin, Raucher oder bis vor Kurzem Raucher, Blutzuckerstoffwechselst&ouml;rungen, koronare Krankheiten in jungen Jahren bei Familienmitgliedern, leichte Niereninsuffizienz. Eingeschlossen wurden auch Frauen &uuml;ber 59, bei denen sich mindestens zwei der genannten Risikofaktoren nachweisen liessen. Das Risiko f&uuml;r Herz-Kreislauf-Krankheiten war unter dem Statin signifikant geringer: Der prim&auml;re Endpunkt &ndash; die Kombination aus Tod aufgrund von kardiovaskul&auml;ren Ursachen, nicht t&ouml;dlichem Myokardinfarkt und nicht t&ouml;dlichem Schlaganfall &ndash; trat bei 4,8 % der Probanden in der Placebogruppe auf und bei 3,7 % in der Rosuvastatin-Gruppe (HR: 0,76; 95 % CI: 0,64&ndash;0,9; p=0,002). Der zweite kombinierte prim&auml;re Endpunkt umfasste zus&auml;tzlich Reanimation aufgrund von Herzstillstand, Herzinsuffizienz und Revaskularisation (Abb. 1).<br /> &laquo;Man muss aber genau schauen, was die Ergebnisse bedeuten, und nicht gleich jedem Patienten mit mittlerem Risiko unkritisch ein Statin verschreiben&raquo;, bermerkte Gerber. Er hat ausgerechnet, dass von 1000 Probanden w&auml;hrend der im Median 5,6 Jahre dauernden Studie 986 keinen Benefit bez&uuml;glich kardiovaskul&auml;rer Krankheiten hatten. 3 der 14 Probanden (pro 1000), die profitierten, &uuml;berlebten dank Rosuvastatin. 38 von 1000 Probanden (3,8 % ) in der Verumgruppe mussten sich einer Kataraktoperation unterziehen gegen&uuml;ber 3,1 % in der Placebogruppe (p=0,02). &laquo;Katarakt ist eine m&ouml;gliche unerw&uuml;nschte Wirkung der Statine, die allerdings noch wenig erforscht ist&raquo;, sagte Gerber. Signifikant mehr Patienten in der Rosuvastatin-Gruppe klagten ausserdem &uuml;ber Muskelschmerzen oder Schw&auml;chegef&uuml;hl in den Muskeln (5,8 % vs. 4,7 % , p=0,005), aber es brachen deshalb nicht signifikant mehr Teilnehmer die Studie ab. Der immer wieder ge&auml;usserte Verdacht, Statine k&ouml;nnten einen Diabetes induzieren, wurde nicht best&auml;tigt: In beiden Gruppen wurde &auml;hnlich h&auml;ufig ein zuvor nicht bekannter Diabetes diagnostiziert (3,9 % vs. 3,8 % , p=0,82). Unabh&auml;ngig vom Ausgangswert senkte das Statin den LDL-Wert um 20&ndash;30 % . Anhand der angegebenen Durchschnittswerte berechnete Gerber das kardiovaskul&auml;re 10-Jahres-Risiko der Studienteilnehmer mittels AGLA-Rechner (www.agla.ch/risikoberechnung/agla-risikorechner) und kam auf einen Wert von etwa 7 % . &laquo;Gem&auml;ss unseren Kriterien w&uuml;rde man solche Patienten nicht mit einem Statin behandeln&raquo;, sagte der Referent.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite65.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p>&laquo;Man muss genau &uuml;berlegen, inwiefern ein Patient von einer Prim&auml;rprophylaxe profitiert.&raquo; Man kann das Risiko ausrechnen und evidenzbasiert Medikamente verschreiben. &laquo;Wichtig ist aber: Ist der Patient damit einverstanden?&raquo;, so Gerber. &laquo;Und f&uuml;hlen auch wir uns wohl mit der Entscheidung?&raquo; Mit einer &Auml;nderung des Lebensstils kann man den LDL-Wert h&auml;ufig nur wenig senken, maximal um rund 20 % , meistens jedoch deutlich weniger. Zu einer ausgewogenen Ern&auml;hrung, die das kardiovaskul&auml;re Risiko senken soll, geh&ouml;rt gem&auml;ss AGLA-Richtlinien eine gen&uuml;gende Menge an Obst und Gem&uuml;se, fettarmen Milchprodukten, Fisch, magerem Fleisch und Vollkornprodukten. Weniger als 35 % der Energie sollte man in Form von Fett aufnehmen und ges&auml;ttigte Fetts&auml;uren sollten weniger als 10 % der totalen Fettaufnahme ausmachen. Weniger als 5 Gramm Kochsalz pro Tag, keine zuckerhaltigen Softdrinks und Normalgewicht anstreben, t&auml;glich 30 Minuten Ausdauersport, nicht rauchen und nur massvoll Alkohol trinken &ndash; allein diese Ratschl&auml;ge lassen Patienten oft gleich auf der T&uuml;rschwelle der Praxis umdrehen.<br /> Ob man solchen Patienten lieber gleich ein Statin verschreibt oder doch noch einmal das Gespr&auml;ch sucht, kommt auf den Patienten an. Gerber berichtete von einem 50-j&auml;hrigen Immobilienmakler aus seiner Sprechstunde, der zu einem Check-up kam. Er f&uuml;hlte sich gesund und hatte keine Beschwerden. Der Mann trinkt jeden Tag 1&ndash;2 Gl&auml;ser Wein und raucht zehn Zigaretten pro Tag. Sein Vater war mit 75 Jahren an Typ-2-Diabetes erkrankt und nimmt orale Antidiabetika. Die k&ouml;rperliche Untersuchung war bis auf viszeral betontes &Uuml;bergewicht unauff&auml;llig: Der Mann hatte einen BMI von 34,1kg/m<sup>2</sup>, der Blutdruck betrug 140/85 mmHg, Herzfrequenz 60/min, Glukose 5,9mmol/l, Triglyzeride 2,0 mmol/l, HDL 1,21mmol/l, LDL 2,89&thinsp;mmol/l, Gesamt-Cholesterol 5,01 mmol/l und Kreatinin 97&micro;mol/l. Gem&auml;ss AGLA-Rechner betr&auml;gt das kardiovaskul&auml;re Risiko des Mannes 4,7 % . &laquo;Damit w&auml;ren wir bei dem Mann noch weit entfernt von einer Statintherapie&raquo;, sagte Gerner. Die AGLA empfiehlt bei einem Risiko &lt;10 % zun&auml;chst eine Optimierung des Lebensstils. &laquo;Der AGLA-Rechner ber&uuml;cksichtigt aber bestimmte Risikofaktoren nicht ausreichend, weshalb das effektive Risiko h&ouml;her sein kann&raquo;, erkl&auml;rte Gerber. Dazu geh&ouml;ren ein metabolisches Syndrom und eine in der Bildgebung nachgewiesene klinisch asymptomatische Atherosklerose. Der Mann hatte eindeutig ein metabolisches Syndrom, und der Rechner der American Heart Association (AHA; <a href="http://tools.acc.org/ASCVD-Risk-Estimator/" target="_blank">http://tools.acc.org/ASCVD-Risk-Estimator/</a>) ergab bei dem Mann konsequenterweise ein 10-Jahres-Risiko von 9,2 % . Auf das ganze Leben bezogen, betrug das Risiko sogar 50 % . &laquo;Mit einer optimalen Einstellung der modifizierbaren Risikofaktoren liesse sich dieses aber auf 5 % senken&raquo;, erkl&auml;rte Gerber. &laquo;Es lohnt sich also, den Mann dar&uuml;ber aufzukl&auml;ren.&raquo; Obwohl die AHA-Leitlinien<sup>2</sup> in diesem Fall ein Statin empfehlen (Abb. 2), w&uuml;rde er dem Mann zun&auml;chst keines geben. &laquo;Ich w&uuml;rde ihn zuerst ermuntern, mit dem Rauchen aufzuh&ouml;ren, sich mehr zu bewegen und abzunehmen. Der Mann war vorher noch nie beim Arzt &ndash; vielleicht ist er empf&auml;nglich daf&uuml;r.&raquo; In einem halben Jahr werde er den Patienten wieder einbestellen und das Risiko noch einmal berechnen. &laquo;Wenn er seinen Lebensstil nicht &auml;ndern kann oder will, kann ich ihm dann immer noch ein Statin verschreiben.&raquo; <br /> Um den Patienten die Zahlen besser zu verdeutlichen, hat die Mayo Clinic ein spezielles Online-Werkzeug entwickelt (<a href="https://statindecisionaid.mayoclinic.org/" target="_blank">https://statindecisionaid.mayoclinic.org/</a>). &laquo;F&uuml;r jeden Patienten bekommt man hier ein Blatt, auf dem sein individuelles Risiko grafisch dargestellt ist. Solche Visualisierungen k&ouml;nnen helfen, dem Patienten das Problem vor Augen zu f&uuml;hren und mit ihm gemeinsam eine Entscheidung zu treffen.&raquo; Nicht vergessen d&uuml;rfe man zudem, dass sich das Risiko im Laufe der Zeit &auml;ndern k&ouml;nne und man es daher gelegentlich neu berechnen m&uuml;sse. Gerber ermunterte auch dazu, dar&uuml;ber zu diskutieren, wann man bei &auml;lteren Patienten die Statintherapie absetzen k&ouml;nne. &laquo;Es hat keinen Sinn, einem multimorbiden Patienten mit einer kurzen Lebenserwartung weiterhin ein Statin zu verschreiben&raquo;, sagte er. Aber bei einem biologisch jungen, fitten 75-J&auml;hrigen k&ouml;nne ein Statin durchaus angezeigt sein, auch wenn die Evidenz in diesem Altersbereich d&uuml;nner werde. &laquo;Egal ob alt oder jung: Wir sollten uns Zeit nehmen, unsere Patienten aufzukl&auml;ren, und dann mit ihnen gemeinsam eine Entscheidung treffen.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite66.jpg" alt="" width="" height="" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Yusuf S et al; HOPE-3 Investigators: Cholesterol lowering in intermediate-risk persons without cardiovascular disease. New Engl J Med 2016; 374: 2021-31 <strong>2</strong> Stone NJ et al; American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines: 2013 ACC/AHA guideline on the treatment of blood cholesterol to reduce atherosclerotic cardiovascular risk in adults: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol 2014; 63: 2889-934</p> </div> </p>
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