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Neue Guidelines zur Diagnose und Behandlung von Schilddrüsentumoren

Braucht jeder Patient mit Schilddrüsenkarzinom eine Radiojodtherapie?

<p class="article-intro">Die Grundlage der Behandlung des Schilddrüsenkarzinoms bildet die Thyreoidektomie gefolgt von einer Radiojodtherapie und einer suppressiven T4-Therapie. Es besteht jedoch weiterhin eine grosse Unsicherheit im Hinblick auf die Notwendigkeit dieser Behandlung bei allen Patienten. Insbesondere ist fraglich, ob auch Patienten mit niedrigem Risiko, d.h. solche ohne Hinweise auf Metastasierung, davon profitieren. Da die chirurgische Intervention und Radiojodtherapie auch Risiken bergen, müssen der erwartete Benefit und das Risiko gegeneinander abgewogen werden. Gerade bezüglich der Diagnose- und Therapiestrategie der Niedrigrisiko-Schilddrüsenkarzinome bringen die 2016 publizierten Guidelines zu den Schilddrüsenknoten neue Erkenntnisse.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Es besteht weiterhin Unsicherheit bez&uuml;glich der optimalen Behandlung von Schilddr&uuml;senkarzinomen, insbesondere in der Low-Risk-Situation.</li> <li>Bei Patienten unter 40 Jahren mit Low-Risk-Schilddr&uuml;senkarzinomen ist eine Lobektomie oder eine Lobektomie mit Isthmektomie zu evaluieren.</li> <li>Eine Radiojodtherapie zeigt keinen Benefit in der Behandlung von Low-Risk-Schilddr&uuml;senkarzinomen und wird deshalb nicht mehr routinem&auml;ssig empfohlen.</li> </ul> </div> <h2>Diagnostisches Vorgehen bei Schilddr&uuml;senknoten</h2> <p>Schilddr&uuml;senknoten sind h&auml;ufig. Generell sollten Knoten &gt;1&ndash;1,5cm sowie morphologisch suspekte Knoten weiter untersucht werden. Bei der Erstdiagnose eines Schilddr&uuml;senknotens haben &laquo;Inzidentalome&raquo; ein ebenso hohes Malignit&auml;tsrisiko wie gleich grosse palpable Knoten.<br /> Nach Entdeckung eines Knotens sind neben der Anamnese bez&uuml;glich Strahlenbelastung und famili&auml;ren Risikos auch der Lymphknotenstatus und eine initiale TSH-Messung wichtig. Eine Szintigrafie ist nur bei verminderten TSH-Werten zur Differenzierung der Hyperthyreose indiziert, &laquo;kalte&raquo; Knoten sollten weiter abgekl&auml;rt werden.</p> <h2>Sonografische Beurteilung und Risikostratifikation von Schilddr&uuml;senknoten</h2> <p>Die Indikation f&uuml;r eine Schilddr&uuml;sensonografie wird bei klinischem Verdacht auf Schilddr&uuml;senpathologien gestellt (Anamnese, Struma oder Hyperthyreose) respektive bei einem Inzidentalom aufgrund einer Auff&auml;lligkeit in einer anderen Bildgebung. Bei gewissen Risikokonstellationen kann die Sonografie auch als Screening eingesetzt werden. Sie sollte neben dem Volumen und der Echogenit&auml;t der Schilddr&uuml;se die Vaskularisation und allf&auml;llige fokale Ver&auml;nderungen (Knoten, Zysten etc.) m&ouml;glichst genau und reproduzierbar erfassen. Daneben erfolgt die Beurteilung der Lymphknoten.<br /> Die Knoten sollten anhand sonografischer Kriterien bez&uuml;glich des Karzinom-risikos beurteilt werden. In den amerikanischen Guidelines zur Beurteilung von Schilddr&uuml;senknoten (American Thyroid Association, ATA) werden die Knoten anhand verschiedener sonografischer Kriterien in vier Risikoklassen eingeteilt (&laquo;very low&raquo;, &laquo;low&raquo;, &laquo;intermediate&raquo;, &laquo;high suspicion&raquo;), wobei die Indikation f&uuml;r eine Feinnadelpunktion je nach Risikobeurteilung bereits bei Knoten ab 1cm besteht. Bei sonografisch unauff&auml;lligen Knoten (&laquo;very low suspicion&raquo;) sollte eine Feinnadelpunktion erst bei Knoten &ge;2cm erfolgen. Dabei gelten vor allem hypoechogene Knoten, unregelm&auml;ssige R&auml;nder, Mikrokalzifizierungen, ein Wachstum in die Tiefe (tiefer als breit) und spangenartige Verkalkungen mit Unterbrechung durch Schilddr&uuml;sengewebe als verd&auml;chtig. Verschiedene wissenschaftliche und klinische Gruppen wenden eine andere, aber &auml;hnliche Risikoeinteilung an. Dabei werden die Knoten analog zum BIRADS f&uuml;r Knoten der Mamma mittels TIRADS (Thyroid Imaging Reporting and Data System) klassifiziert. TIRADS 1 bis 3 entsprechen benignen Mustern, TIRADS 4a wird als intermedi&auml;r und TIRADS 4b sowie TIRADS 5 werden als verd&auml;chtig eingestuft. Die TIRADS-Klassifikation verwendet &auml;hnliche sonografische Parameter zur Beurteilung wie die ATA-Einteilung. Beide Risikostratifikationen erweisen sich in der prospektiven Evaluation als zuverl&auml;ssig, d.h., sie geben beide die Risikosituation bez&uuml;glich der Malignit&auml;t ad&auml;quat wieder. TIRADS erm&ouml;glicht eine sehr einfache Einteilung, erlaubt gerade bei sehr risikoarmen Situationen ein zur&uuml;ckhaltendes Management und das Vermeiden von unn&ouml;tigen Feinnadelpunktionen. Zusammen mit der zytologischen Beurteilung erfolgen daraus die Empfehlungen f&uuml;r das Follow-up. Ein sonografisch unauff&auml;lliger Knoten &gt;2cm muss bei benigner Zytologie sonografisch nicht nachkontrolliert werden. Kleine Knoten &lt;1cm m&uuml;ssen nur bei auff&auml;lligem sonografischem Befund oder einer Risikokonstellation punktiert oder verlaufskontrolliert werden. Zysten ohne soliden Anteil sind immer benigne und m&uuml;ssen nur punktiert werden, wenn sich der Patient durch die Zyste gest&ouml;rt f&uuml;hlt.<br /> Ein sonografisch als intermedi&auml;r eingestufter Knoten mit unauff&auml;lliger Zytologie muss nicht verlaufskontrolliert werden, wenn es nach 2 Jahren sonografisch keinen Hinweis auf Wachstum gibt (signifikantes Wachstum: Gr&ouml;ssenzunahme um &gt;20 % in mindestens 2 Ebenen, Gr&ouml;ssenzunahme von &ge;2mm oder eine Volumenzunahme um 50 % ). Dagegen sollten sonografisch auff&auml;llige Knoten auch bei unauff&auml;lliger Zytologie bereits nach 1 Jahr kontrolliert werden. Bei fehlendem Wachstum und allenfalls erneut benigner Zytologie m&uuml;ssen aber auch diese nicht mehr routinem&auml;ssig nachkontrolliert werden.<br /> Molekularbiologische Untersuchungen k&ouml;nnen zur genaueren Risikobeurteilung eingesetzt werden und k&ouml;nnen bei der Entscheidung, ob eine aktive &Uuml;berwachung (&laquo;active surveillance&raquo;) bzw. eine diagnostische Chirurgie n&ouml;tig sind, hilfreich sein. Sie helfen aber wenig in der Diagnosestellung. Schilddr&uuml;senspezifische Onkogene wie <em>BRAF</em> sind nicht sensitiv bei der Detektion von Mikrokarzinomen, molekulare Marker (<em>PIK3CA, AKT1, TERT</em>-Promotor oder <em>TP53</em>) k&ouml;nnen jedoch nach der Diagnosestellung pr&auml;diktiv f&uuml;r eine ung&uuml;nstige Prognose sein.</p> <h2>Therapie</h2> <p>Im Fall einer auff&auml;lligen Histologie und beim Nachweis eines Schilddr&uuml;senkarzinoms wird generell die totale oder subtotale chirurgische Thyreoidektomie empfohlen. Knoten &gt;4cm mit wiederholt benigner Histologie in der FNP qualifizieren bei verdr&auml;ngendem Wachstum auch f&uuml;r eine Operation. In der Schwangerschaft sollen Knoten beobachtet und mittels FNP gesicherte Karzinome nur dann operiert werden, wenn sie massiv wachsen oder sich pathologische Lymphknoten finden lassen. Gem&auml;ss den neuen Richtlinien der ATA m&uuml;ssen aber nicht alle Patienten mit einem Schilddr&uuml;senkarzinom auch eine Radiojodtherapie erhalten (siehe unten). <br /> <br /><strong> Low-Risk-Karzinome</strong><br /> Gem&auml;ss ATA liegt ein Low-Risk-Karzinom vor, wenn es makroskopisch komplett reseziert wurde und wenn keine aggressive Histologie vorliegt (Tab. 1). Bei Low-Risk-Schilddr&uuml;senkarzinomen ohne Nachweis von Metastasen oder lokaler Gewebeinfiltration ist eine Lobektomie oder eine Lobektomie mit Isthmektomie die Therapie der Wahl. Alternativ kommt die &laquo;active surveillance&raquo; infrage. Die alleinige Radiojodtherapie anstelle der Thyreoidektomie ist gem&auml;ss neuen Studiendaten nicht mehr zu empfehlen. In verschiedenen Studien zur &laquo;active surveillance&raquo; bei Low-Risk-Tumoren konnte gezeigt werden, dass das Tumorwachstum und die lymphogene Metastasierung bei kleinen Schilddr&uuml;senkarzinomen sehr selten sind (3,5 % der 1200 Patienten). Ein progredientes Tumorwachstum ist jedoch bei jungen Patienten (&gt;40 Jahre) wahrscheinlicher als bei &uuml;ber 60-j&auml;hrigen Patienten.<br /> <br /><strong> High-Risk-Karzinome</strong> <br /> Bei High-Risk-Schilddr&uuml;senkarzinomen &gt;4cm m&uuml;ssen eine totale Thyreoidektomie und die Entfernung aller prim&auml;ren extrathyreoidalen Tumoren erfolgen. Karzinome zwischen 1cm und 4cm k&ouml;nnen entsprechend der Malignit&auml;tskriterien bilateral oder unilateral operiert werden. Bei fortgeschrittenen Prim&auml;rtumoren (T3, T4) sollte eine prophylaktische &laquo;neck dis-section&raquo; in Erw&auml;gung gezogen werden. Bei bioptisch gesicherten metastasierten Karzinomen ist eine Thyreoidektomie mit &laquo;neck dissection&raquo; obligat.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite43.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p><strong>Postoperatives Management</strong><br /> Zur Nachsorge von Schilddr&uuml;senkarzinomen geh&ouml;ren die postoperative Messung des Kalziums und die Beurteilung der Stimme sowie die regelm&auml;ssige Kontrolle von Thyreoglobulin und TSH. Das Serumthyreoglobulin sollte 3&ndash;4 Wochen postoperativ nicht mehr zu messen sein. Messbares Thyreoglobulin ist ein Hinweis auf Schilddr&uuml;senrestgewebe in situ und damit auf eine m&ouml;gliche Persistenz von Tumorgewebe.<br /> Gem&auml;ss den neuen ATA-Richtlinien ist eine Radiojodtherapie f&uuml;r Patienten mit Low-Risk-Schilddr&uuml;senkarzinom per se nicht empfohlen, da diese Patienten eine beinahe normale Lebenserwartung haben und es keine klinischen Studien gibt, die in dieser Situation einen Benefit der Radiojodtherapie gezeigt h&auml;tten. Insgesamt ist die Studienlage jedoch d&uuml;nn und randomisierte Daten fehlen weitgehend. In einer klinischen Kohorte mit knapp 1300 Low-Risk-Patienten zeigte die adjustierte Analyse (&laquo;propensity matching&raquo;) keinen Vorteil einer postoperativen Radiojodtherapie im Sinne eines verl&auml;ngerten krankheitsfreien &Uuml;berlebens.<br /> Die Radiojodtherapie sollte aber nach totaler Thyreoidektomie bei Intermediate- und High-Risk-Patienten oder bei Verdacht auf ein mikroskopisches Residuum in Betracht gezogen werden. In diesem Fall werden auch h&ouml;here Strahlendosen mit bis zu 150mCi empfohlen.<br /> Generell ist bei einer Radiojodtherapie ein erh&ouml;hter TSH-Spiegel (&gt;30mU/l) notwendig, sodass die Hormonsubstitutionstherapie postoperativ 3&ndash;4 Wochen vor der Radiojodbehandlung abgesetzt werden muss. Eine Alternative zum Hormonentzug, der zum Teil mit ausgepr&auml;gten physischen und psychischen Nebenwirkungen einhergeht, ist die Stimulation mit rekombinantem TSH. Diese Therapie ist jedoch teuer und einer Behandlung unter erh&ouml;htem TSH-Wert nicht &uuml;berlegen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite44.jpg" alt="" width="378" height="490" /></p> <h2>Langzeitmonitorisierung der Patienten</h2> <p>Initial sollten die Thyreoglobulin-Spiegel alle 6 bis 12 Monate gemessen werden. Bei Patienten mit niedrigem und intermedi&auml;rem Risiko, die ein gutes Ansprechen auf die prim&auml;re Therapie zeigen, kann das Kontrollintervall auf 12&ndash;24 Monate ausgedehnt werden. Das Serum-TSH sollte alle 12 Monate gemessen werden. Ein Ultraschall sollte postoperativ und danach abh&auml;ngig von den Risikofaktoren f&uuml;r ein Rezidiv und dem Thyreoglobulinstatus alle 6 bis 12 Monate durchgef&uuml;hrt werden.<br /> Die TSH-Suppression sollte risikoadaptiert erfolgen. Bei Hochrisikopatienten wird eine postoperative TSH-Suppression auf Werte &lt;0,1mU/l empfohlen, bei intermedi&auml;rem Risiko auf Werte von 0,1&ndash; 0,5mU/l. Bei Niedrigrisikopatienten mit nicht messbarem Serumthyreoglobulin ist ein TSH im unteren Normbereich (0,5&ndash;2mU/l) akzeptabel.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Haugen BR et al: 2015 American Thyroid Association Management Guidelines for Adult Patients with Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer: the American Thyroid Association Guidelines Task Force on Thyroid Nodules and Differentiated Thyroid Cancer. Thyroid 2016; 26: 1-133 <strong>2</strong> Cheng SP et al: Characterization of thyroid nodules using the proposed thyroid imaging reporting and data system (TI-RADS). Head Neck 2013; 35: 541-7 <strong>3</strong> Durante C et al: The natural history of benign thyroid nodules. JAMA 2015; 313: 926-35 <strong>4</strong> Sugitani I et al: Three distinctly different kinds of papillary thyroid microcarcinoma should be recognized: our treatment strategies and outcomes. World J Surg 2010; 34: 1222-31 <strong>5</strong> Lamartina L et al: Low-risk differentiated thyroid cancer and radioiodine remnant ablation: a systematic review of the literature. J Clin Endocrinol Metab 2015; 100: 1748</p> </div> </p>
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