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Antineuronale Autoimmunenzephalitis

<p class="article-intro">Subakut auftretende Wesensveränderungen, Kurzzeitgedächtnisstörungen und epileptische Anfälle zählen zu den häufigsten Symptomen der antineuronalen Autoimmunenzephalitis. Bei den Patienten wird oft fälschlicherweise virale Enzephalitis oder Demenz diagnostiziert, was zu einer Verzögerung der richtigen Diagnose führt. Ein rascher Beginn einer immunsuppressiven Therapie ist entscheidend für eine vollständige Rückbildung der Symptome und reduziert das Risiko eines Rückfalles.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Hinter akut bis subakut auftretenden neurologischen oder neuropsychiatrischen Symptomen kann sich eine antineuronale Autoimmun&shy;enzephalitis verbergen.</li> <li>Die Erkrankung kann durch Immuntherapie geheilt werden. Ein rascher Therapiebeginn ist entscheidend f&uuml;r eine vollst&auml;ndige R&uuml;ckbildung der Symptome und reduziert das Risiko eines R&uuml;ckfalles.</li> <li>Die Diagnostik erfolgt in Zusammenschau mit der klinischen Symptomatik und den Ergebnissen der Autoantik&ouml;rpertests, welche aus Liquor und Serum gewonnen werden.</li> </ul> </div> <p>Die Antik&ouml;rper-assoziierte neuronale Autoimmunenzephalitis (AIE) ist eine heterogene Gruppe von Syndromen, welche durch eine Autoimmunreaktion gegen Oberfl&auml;chenstrukturen der Nervenzellen ausgel&ouml;st werden (Tab. 1). Meist richtet sich die Immunreaktion gegen synaptische Rezeptoren oder Membranantigene, wie z.B. den NMDA-Rezeptor (NMDAR) oder den GABA(B)-Rezeptor (GABA[B]R). Die Antik&ouml;rper binden an die Rezeptoren und f&uuml;hren dadurch zu einer Funktionsst&ouml;rung der Nervenzellen. Die Erkrankung kann sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene betreffen und wird oft als psychiatrische Erkrankung, Demenz oder Virusinfektion verkannt, was zu einer Verz&ouml;gerung der Diagnose f&uuml;hrt. Jeder der Autoantik&ouml;rper ist mit einem spezifischen Syndrom oder einer charakteristischen Konstellation von Symptomen assoziiert, der Nachweis der Autoantik&ouml;rper dient zur Diagnosesicherung. Der fr&uuml;he Beginn einer aggressiven immunsuppressiven Therapie f&uuml;hrt zu einer raschen Besserung der Symptome und geht mit einer nahezu doppelt so hohen Reduktion des R&uuml;ckfallrisikos einher.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1604_Weblinks_Seite19.jpg" alt="" width="901" height="1161" /></p> <h2>Ursache und zugrunde liegende Mechanismen</h2> <p>Am besten sind die zugrunde liegenden Mechanismen derzeit bei der Anti-NMDAR- Enzephalitis untersucht. Die Anti-NMDAR-Antik&ouml;rper geh&ouml;ren der Klasse IgG1 an und erkennen ein extrazellul&auml;res, konformationsabh&auml;ngiges Epitop an der N1-Untereinheit des NMDAR. Durch die Anbindung der Autoantik&ouml;rper kommt es zu einer Vernetzung und Internalisation des Rezeptors, dadurch reduziert sich die Rezeptorendichte an der Nervenzelloberfl&auml;che und es resultiert eine neuronale Funktionsst&ouml;rung. Dieser Prozess ist reversibel und erkl&auml;rt das gute Ansprechen der Patienten auf die Immuntherapie. Die Mechanismen der anderen derzeit bekannten neuronalen Oberfl&auml;chenrezeptor-Antik&ouml;rper sind weniger gut untersucht, einige scheinen ebenfalls zu einer Internalisation des Rezeptors zu f&uuml;hren, wie z.B. die AMPAR-Antik&ouml;rper, andere wiederum scheinen auf unterschiedliche Weise mit ihrer Zielstruktur zu interagieren. Bei GABA(A)R-Antik&ouml;rpern konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass sie den Rezeptor aus der Synapse in den extrasynaptischen Bereich verdr&auml;ngen, LGI1-Antik&ouml;rper dagegen d&uuml;rften &uuml;ber einen komplexen und noch nicht ganz gekl&auml;rten Mechanismus zu einer Reduktion des AMPAR f&uuml;hren. Weiterf&uuml;hrende Studien &uuml;ber die Antik&ouml;rper-Rezeptor-Interaktionen werden die Grundlage f&uuml;r ein besseres Verst&auml;ndnis der Mechanismen in der AIE bilden und so in Zukunft m&ouml;glicherweise eine gezieltere Therapie in unterschiedlichen Stadien der Erkrankung erm&ouml;glichen.<br /> <br /><strong> Symptome</strong><br /> Jeder der derzeit bekannten antineuronalen Autoantik&ouml;rper f&uuml;hrt zu einem ganz spezifischen Syndrom oder Symptomenkomplex (Tab. 1). Die NMDAR-Enzephalitis entwickelt sich &uuml;ber mehrere Stadien. Zu Beginn klagen die Patienten oft &uuml;ber Kopf- und Gliederschmerzen, Krankheitsgef&uuml;hl und Abgeschlagenheit (Prodromalphase). Innerhalb weniger Tage entwickelt sich dann das Vollbild der Erkrankung, charakterisiert durch psychiatrische Symptome (Wahnvorstellungen, Stimmungsst&ouml;rungen, Aggression), epileptische Anf&auml;lle, Bewegungsst&ouml;rungen (oftmals orofaziale Dyskinesien), Ged&auml;chtnisst&ouml;rungen und Sprachreduktion. In schweren F&auml;llen treten autonome Funktionsst&ouml;rungen bis hin zu Hypoventilation und Koma auf. Bei Kindern stehen Verhaltensst&ouml;rungen in Form von Wutanf&auml;llen oder Hyperaktivit&auml;t im Vordergrund, erst sp&auml;ter treten dann epileptische Anf&auml;lle, abnorme Bewegungen oder Sprachreduktion auf. Andere AIE k&ouml;nnen sich in Form einer klassischen limbischen Enzephalitis pr&auml;sentieren (Tab. 1). Wenn dabei zus&auml;tzlich Elektrolytst&ouml;rungen in Form einer Hyponatri&auml;mie auftreten, kann dies auf Anti-LGI1-Antik&ouml;rper oder Anti-AMPAR-Antik&ouml;rper hinweisen. GABA(B)R-Antik&ouml;rper verursachen oft schwere epileptische Anf&auml;lle und etwa die H&auml;lfte der Patienten haben ein Lungenkarzinom (&bdquo;small cell lung cancer&ldquo;, SCLC). W&auml;hrend der Gro&szlig;teil der derzeit bekannten antineuronalen Autoantik&ouml;rper das zentrale Nervensystem attackiert, k&ouml;nnen einige auch periphere Nervenstrukturen angreifen. Anti-DPPX-Antik&ouml;rper zum Beispiel interagieren mit dem Darmnervensystem und die Erkrankung beginnt oftmals mit schweren Durchf&auml;llen oder gastrointestinalen Funktionsst&ouml;rungen, begleitet von schwerem Gewichtsverlust. Erst sp&auml;ter gesellen sich neuropsychiatrische Auff&auml;lligkeiten und Hirnstammsymptome dazu, die insbesondere durch eine Hyperexzitabilit&auml;t gekennzeichnet sind (Anf&auml;lle, Tremor, Myoklonien, Nystagmus, Hyperekplexie) oder auch dem klinischen Bild der progressiven Enzephalomyelitis mit Rigidit&auml;t und Myoklonien (PERM) &auml;hneln k&ouml;nnen.</p> <h2>Anti-IgLON5-Antik&ouml;rper</h2> <p>K&uuml;rzlich konnte mit Anti-IgLON5 ein neuer Autoantik&ouml;rper charakterisiert werden, welcher einen besonders spannenden Zusammenhang zwischen Autoimmunit&auml;t und Neurodegeneration herstellt. IgLON5 ist ein neuronales Membranantigen, welches zur Immunglobulin-Superfamilie geh&ouml;rt und eine wichtige Rolle in der Neuritenaussprossung und Synaptogenese spielt. Antik&ouml;rper gegen IgLON5 f&uuml;hren bei den betroffenen Patienten zu schweren Schlafst&ouml;rungen (prominente REM- und Non-REM-Schlafst&ouml;rungen mit abnormem Verhalten und Bewegungen sowie obstruktiver Schlafapnoe und Stridor) und im weiteren Verlauf zu schweren und progredienten Hirnstammfunktionsst&ouml;rungen mit Dysarthrie und Dysphagie bis hin zu pl&ouml;tzlichem Atemstillstand oder Herz-Kreislauf-Stillstand. Autoptische Hirnuntersuchungen, welche bisher an drei Patienten mit serologisch gesicherten Anti-IgLON5-Antik&ouml;rpern durchgef&uuml;hrt wurden, zeigen eine neurodegenerative Pathologie mit einzigartigem Verteilungsmuster, welches durch zahlreiche Tau-positive Ablagerungen in Nervenzellen im Hypothalamus und Tegmentum des Hirnstammes charakterisiert ist. Interessanterweise tragen alle bisher beschriebenen Patienten ganz bestimmte HLA-Allele, HLA-DRB1*1001 und HLA-DQB1*0501. Obwohl diese Entdeckung einen Zusammenhang zwischen den neurodegenerativen Ver&auml;nderungen und einem Autoimmunprozess nahelegt, ist noch zu kl&auml;ren, ob die Anti-IgLON5-Antik&ouml;rper urs&auml;chlich an der Neurodegeneration beteiligt sind oder es sich hierbei lediglich um ein Epiph&auml;nomen handelt.<br /> <br /> <strong>Diagnose</strong><br /> Derzeit werden haupts&auml;chlich zwei verschiedene Techniken f&uuml;r die Detektion antineuronaler Antik&ouml;rper verwendet: ein zellbasierter Assay (&bdquo;cell-based assay&ldquo;, CBA) und ein gewebsbasierter Assay (&bdquo;tissue-based assay&ldquo;, TBA). Das Prinzip des CBA besteht darin, Zellen (meist HEK293-Zellen) mit dem jeweiligen Rezeptor zu transfizieren und anschlie&szlig;end mit dem Serum oder Liquor des Patienten mittels indirekter Immunfluoreszenz zu f&auml;rben (Abb. 1A). Beim gewebsbasierten Assay werden Ratten- oder Maushirne mit dem Serum oder Liquor des Patienten mittels indirekter Immunhistochemie oder Immunfluoreszenz gef&auml;rbt. Falls Autoantik&ouml;rper vorhanden sind, binden diese an den jeweiligen Rezeptor des Nagerhirns, was in einem sogenannten Neuropilf&auml;rbemuster resultiert (Abb. 1B). Der TBA eignet sich vor allem als Screeningverfahren, um auch neue, noch nicht charakterisierte Antik&ouml;rper zu detektieren.<br /> F&uuml;r die Autoantik&ouml;rpertestung sollten wenn m&ouml;glich sowohl Liquor als auch Serum eingesandt werden. Im Falle einer alleinigen Testung von Serum besteht ein h&ouml;heres Risiko f&uuml;r falsch positive Ergebnisse, dar&uuml;ber hinaus k&ouml;nnen einige Antik&ouml;rper wie der NMDAR, AMPAR oder GABA(B)R ausschlie&szlig;lich im Liquor nachweisbar sein und man w&uuml;rde Patienten &uuml;bersehen, wenn man nur Serum testet. Ganz sollte man dennoch nicht auf die Serumtestung verzichten, denn selten k&ouml;nnen Autoantik&ouml;rper auch besser dort nachweisbar sein (z.B. Anti-LGI1- oder CASPR2-Antik&ouml;rper, obwohl diese meist auch im Liquor positiv sind). Verd&uuml;nnungsreihen werden verwendet, um den Antik&ouml;rpertiter zu bestimmen. Diese sind insbesondere hilfreich, um die Krankheitsaktivit&auml;t bei Patienten mit verl&auml;ngertem Krankheitsverlauf zu bestimmen oder um einen R&uuml;ckfall zu dia&shy;gnostizieren. F&uuml;r diese Fragestellungen sind Liquortiter aussagekr&auml;ftiger als Serum&shy;titer.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1604_Weblinks_Seite20.jpg" alt="" width="619" height="858" /></p> <h2>Trigger f&uuml;r Autoimmunenzephalitis</h2> <p>Unter physiologischen Bedingungen k&ouml;nnen Antigene wie neuronale Oberfl&auml;chenstrukturen das Immunsystem nicht aktivieren, wenn aber eine Sensibilisierung des Immunsystems au&szlig;erhalb des ZNS erfolgt, kann die Immuntoleranz durchbrochen werden. Der h&auml;ufigste derzeit bekannte Trigger einer AIE sind Tumoren. Es konnte gezeigt werden, dass periphere Tumoren neuronale Antigene wie NMDAR, AMPAR oder GABA(B)R exprimieren, die normalerweise hinter der Blut-Hirn-Schranke verborgen bleiben. Das Immunsystem erkennt diese peripher pr&auml;sentierten Strukturen als fremd und attackiert die Tumorzellen, aber gleichzeitig greifen die einmal aktivierten Zellen auch Nervenzellen an, welche f&uuml;r das Antigen positiv sind. Manche Autoantik&ouml;rper sind mit ganz spezifischen Tumoren assoziiert. So tritt die Anti-NMDAR-Enzephalitis fast ausschlie&szlig;lich in Assoziation mit Teratomen auf, w&auml;hrend AMPAR-Antik&ouml;rper mit einem breiteren Tumorspektrum assoziiert sind, wie etwa Mammakarzinomen, SCLC oder Thymomen (Tab. 1).<br /> Ein weiterer, mittlerweile gut charakterisierter Trigger sind virale Infektionen, darunter insbesondere die Herpes-simplex-Virus-Typ-1-Enzephalitis (HSV-Enzephalitis). Ca. 20 % der Patienten mit HSV-Enzephalitis entwickeln nach 3&ndash;4 Wochen neurologische Symptome, welche nicht durch die Virusinfektion erkl&auml;rbar sind (negative Virus-PCR, keine neuen nekrotischen L&auml;sionen im MRI, kein Ansprechen auf antivirale Therapie). Diese Episoden manifestieren sich bei Kindern insbesondere als choreatische Bewegungsst&ouml;rungen (Post-Herpes-Choreoathetose), bei Erwachsenen treten vorwiegend epileptische Anf&auml;lle oder neuropsychiatrische Symptome auf. K&uuml;rzlich konnte gezeigt werden, dass sich hinter einem Gro&szlig;teil dieser Erkrankungen eine Anti-NMDAR-Enzephalitis verbirgt, es wurden jedoch auch andere, teils noch nicht n&auml;her charakterisierte Autoantik&ouml;rper beschrieben. Die genauen Mechanismen dieser Autoimmunreaktion sind unklar, m&ouml;glich w&auml;re eine molekulare Mimikry, bei der Autoantik&ouml;rper gegen das Virus mit neuronalen Antigenen kreuzreagieren. Eine andere Erkl&auml;rung w&auml;re eine virusinduzierte Lyse von infizierten Neuronen, welche anschlie&szlig;end Antigene freisetzen, was dann zu einer Sensibilisierung des Immunsystems f&uuml;hrt.<br /> Ein betr&auml;chtlicher Prozentsatz von Patienten hat aber keine erkennbaren Trigger f&uuml;r die AIE. Frauen sind h&auml;ufiger betroffen, auch eine genetische Pr&auml;disposition d&uuml;rfte eine Rolle spielen, wie es bei der anti-IgLON5-assoziierten Enzephalopathie gezeigt werden konnte (HLA-Assoziation, siehe oben). Au&szlig;erdem f&auml;llt auf, dass Patienten mit AIE oft eine Neigung zu anderen Autoimmunerkrankungen aufweisen. So haben viele Patienten auch andere Autoantik&ouml;rper wie etwa Anti-TPO- oder antinukle&auml;re Antik&ouml;rper.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Laufend f&uuml;hren neue Erkenntnisse &uuml;ber die AIE zu einer Erweiterung unseres Wissens &uuml;ber m&ouml;gliche Zielantigene und damit assoziierte neurologische Symptome. Die Mechanismen, &uuml;ber welche Autoantik&ouml;rper mit den synaptischen Proteinen interagieren, sind unterschiedlich, sie haben aber alle eine Reversibilit&auml;t der Dysfunktion gemeinsam, wodurch das gute Ansprechen auf die Immuntherapie erkl&auml;rbar ist. Die Autoantik&ouml;rper sind sensitive und spezifische diagnostische Marker f&uuml;r die AIE. Eine fr&uuml;he Diagnose ist mit einer besseren Prognose und einer geringeren R&uuml;ckfallrate vergesellschaftet und kann zu einem fr&uuml;hzeitigen Entdecken eines zugrunde liegenden Tumors f&uuml;hren.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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