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Indikation und Limitation der Radioiodtherapie

<p class="article-intro">Der Trend in der modernen Onkologie geht hin zur sogenannten „targeted therapy“ – einer zielgenauen, spezifisch auf einzelne Tumorzellen gerichteten Therapie mit geringer Belastung anderer Organsysteme. Die Radioiodtherapie (RIT), seit 1941 bekannt und 1943 erstmalig bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen (DTC) eingesetzt, entspricht exakt diesen Ansprüchen. </p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Der Therapieeffekt einer RIT h&auml;ngt vom Differenzierungsgrad des Tumorgewebes und der damit verbunden Speicherf&auml;higkeit f&uuml;r <sup>131</sup>I ab.</li> <li>Die empfohlene Gesamtdosis aller applizierten Radioiodtherapien betr&auml;gt 22GBq.</li> <li>Durch den Crossfire-Effekt kann auch schlechter Radioiod-speicherndes Tumor&shy;gewebe suffizient therapiert werden.</li> <li>Die Strahlenbelastung unter der RIT kann durch den Einsatz von rhTSH (Thyrogen&reg;) relevant verringert werden.</li> <li>Bei einem kleinen Prozentsatz sind Sp&auml;trezidive auch nach 8&ndash;10 Jahren m&ouml;glich.</li> </ul> </div> <p>Das als Radioiod bekannte, zumeist oral in Kapselform applizierte, radioaktive Iod-Isotop <sup>131</sup>I wird schnell und vollst&auml;ndig im D&uuml;nndarm resorbiert, h&auml;matogen verteilt und &uuml;ber den Natrium-Iodid-Symporter in die Schilddr&uuml;senzellen aufgenommen. In diesen wird <sup>131</sup>I als Baustein f&uuml;r Schilddr&uuml;senhormone metabolisiert und in Schilddr&uuml;senfollikeln gespeichert. Der hierf&uuml;r notwendige komplexe Mechanismus h&auml;ngt bei Schilddr&uuml;senkarzinomzellen von ihrem Differenzierungsgrad ab und entscheidet &uuml;ber die Wirksamkeit einer RIT: Je besser der Differenzierungsgrad, desto besser kann <sup>131</sup>I metabolisiert werden und umso besser die Therapiewirkung. <br /><sup>131</sup>I sendet eine f&uuml;r die Therapiewirkung verantwortliche, hochenergetische Betastrahlung mit einer kurzen Reichweite von 0,5 bis 2mm aus. Bei einer durchschnittlichen Zellgr&ouml;sse von bis zu 0,03mm profitiert ein Tumorkonglomerat vom sogenannten Crossfire-Effekt. Durch die kurze Reichweite werden bei Aufnahme des <sup>131</sup>I durch differenzierte Tumorzellen direkt benachbarte, weniger differenzierte und somit weniger <sup>131</sup>I speichernde Zellen mitbestrahlt und diese k&ouml;nnen so ebenfalls eine therapeutisch wirksame Strahlendosis erhalten (Abb. 1). <br />Beim radioaktiven Zerfall von <sup>131</sup>I entsteht zus&auml;tzlich Gammastrahlung, welche diagnostisch (mittels Szintigrafie) zur Lokalisation und Ausdehnung des Tumorleidens genutzt werden kann und abh&auml;ngig von der Speicherintensit&auml;t auch eine Einsch&auml;tzung der Wirksamkeit der RIT erm&ouml;glicht. <br />Neben dem Differenzierungsgrad der Tumorzellen ist f&uuml;r die RIT ein ausreichend hoher TSH-Spiegel von &gt;30mU/l f&uuml;r eine optimale Aufnahme und Speicherung des <sup>131</sup>I essenziell. Dieser kann in endogener Hypothyreose durch eine Schilddr&uuml;senhormonkarenz von mind. 3&ndash;4 Wochen oder durch die Verwendung von rekombinantem humanidentischem TSH (rhTSH, Thyrogen&reg;) erreicht werden. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1603_Weblinks_Seite24_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Indikationen</h2> <p>Die Indikation zur ablativen RIT nach erfolgter Thyreoidektomie ist abh&auml;ngig vom Tumorstadium und wird gem&auml;ss TNM-Klassifikation (AJCC, 7<sup>th</sup> edition 2009) gestellt. Die Guidelines der American Thyroid Association (ATA) 2015 sehen bei der Risikostratifikation die Einteilung in Low-, Intermediate- und High-Risk-Stadien vor.<sup>1</sup> <br />Bei Low-Risk-Tumoren (T1a N0/Nx M0 R0, &lt;1cm uni-/multifokal) zeigte eine adjuvante RIT bei insgesamt guter Prognose keinen relevanten Einfluss auf die Rezidivh&auml;ufigkeit.<sup>1&ndash;4</sup> <br />In der sehr heterogenen Gruppe der Intermediate-Risk-Tumoren (pT1b&ndash;pT3 N0/N1 M0) ist eine RIT optional. Wird eine RIT durchgef&uuml;hrt, wird bei einer N0-Situation eine geringe Aktivit&auml;t (1GBq) kombiniert mit einer rhTSH-Stimulation empfohlen. Liegt eine N1-Situation vor, ist die Gabe einer h&ouml;heren Aktivit&auml;t (2&ndash;3GBq) indiziert. <br />In einer High-Risk-Situation (pT4, jedes T mit ausgedehnter N1-Situation, M1) wird die Ablation mit 3GBq unter endogener Hypothyreose angeraten (Abb. 2).</p> <p>Abgesehen von der ablativen RIT besteht ebenfalls die Indikation zur (Hochdosis-)RIT mit 7,4GBq bei Tumorpersistenz, lokoregion&auml;ren Metastasen oder Organmetastasen sowie bei oss&auml;ren Metastasen, bei welchen h&ouml;here Aktivit&auml;ten eingesetzt werden sollten (11,1GBq und abh&auml;ngig von der Knochenmarksfunktion auch h&ouml;her). <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1603_Weblinks_Seite24_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>RIT mit rhTSH</h2> <p>Allgemein gilt beim Einsatz einer RIT, die Strahlenbelastung der Patienten so gering wie m&ouml;glich zu halten, ohne einen Verlust der Wirksamkeit zu verzeichnen. Hierzu bietet sich der Einsatz von rhTSH an. Intramuskul&auml;r injiziert f&uuml;hrt es zu einem deutlich messbaren, in der Regel weit &uuml;ber den geforderten 30mU/l liegenden TSH-Spiegel. Das Schilddr&uuml;senhormon ist dabei f&uuml;r nur wenige Tage zu stoppen. Ebenso kann nach Thyreoidektomie direkt postoperativ mit einer Schilddr&uuml;senhormonsubstitution begonnen werden. Entsprechend treten keine hypothyreoten Beschwerden auf. <br />Zus&auml;tzlich behalten die f&uuml;r die Radioiodausscheidung verantwortlichen Organe ihre Funktion bei. Entscheidend ist hier die Nierenfunktion, da <sup>131</sup>I zu mehr als 95 % &uuml;ber das Harnwegssystem ausgeschieden wird. Entsprechend kann die Strahlenbelastung, insbesondere die des Knochenmarks, durch die schnellere Ausscheidung unter rhTSH um mehr als 30 % reduziert werden. Gleichzeitig erh&ouml;ht sich durch den hohen TSH-Spiegel die Verweildauer von <sup>131</sup>I im Schilddr&uuml;sen- und Schilddr&uuml;sentumorgewebe um bis zu 40 % .<sup>5, 6</sup></p> <h2>Limitationen</h2> <p>Eine RIT kann nicht unlimitiert eingesetzt werden. Durante et al berichten von einer aufsummierten, maximal applizierten Gesamtaktivit&auml;t von 22GBq <sup>131</sup>I.<sup>7</sup> Eigene Daten best&auml;tigen dies. So traten gem&auml;ss einer retrospektiven Analyse in unserer Klinik von 229 Patienten nach der dritten RIT bei 27 % und nach der vierten RIT bei 47 % Rezidive auf. Dies zeigt eine abnehmende Effizienz der RIT bei zunehmender Gesamtaktivit&auml;t und spiegelt den Differenzierungsgrad von Tumorgewebe wider. <br />Im Gegensatz zu gut differenzierten Tumoranteilen zeigen Tumoranteile mit abnehmendem Differenzierungsgrad einen erh&ouml;hten Glukosestoffwechsel und k&ouml;nnen mittels <sup>18</sup>F-FDG PET/CT detektiert werden. H&auml;ufig liegen initial bereits dedifferenzierte Tumoranteile vor. Eine Studie von Rosenbaum et al konnte dies bei 30 % der High-Risk-Patienten nachweisen.<sup>8</sup> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1603_Weblinks_Seite25.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Diskussion</h2> <p>Ziel einer RIT ist eine m&ouml;glichst vollst&auml;ndige Ablation von Schilddr&uuml;sengewebe innert m&ouml;glichst kurzer Zeitspanne. Der Tumormarker Thyreoglobulin (TG) korreliert hierbei mit der Menge von differenziertem Schilddr&uuml;sengewebe. Persistiert ein TG-Spiegel trotz Operation und RIT, entwickelt sich im weiteren Verlauf in 7&ndash;17 % der F&auml;lle ein Rezidiv.<sup>1</sup> <br />Wann ist im Verlauf ein Rezidiv oder eine Metastasierung zu erwarten und wie lange sollte die Nachbeobachtungsphase dauern, um dieses nicht zu verpassen? <br />Eigene Daten zeigen eine sp&auml;te H&auml;ufung von Retherapien durch Rezidive und Metastasierungen ca. 8&ndash;10 Jahre nach dem initialen Behandlungszyklus (Abb. 3). Interessanterweise findet sich dieser Peak in allen initialen Tumorstadien. Internationale Studien mit l&auml;ngerem Follow-up best&auml;tigen diese Beobachtung.<sup>9&ndash;11</sup></p> <p>Was ist zu erwarten bei Low-Risk-Stadien, die gem&auml;ss ATA-Guidelines keiner RIT bed&uuml;rfen oder in denen bei Schilddr&uuml;sengewebe bei reduzierter Aktivit&auml;t keine vollst&auml;ndige Ablatio erreicht wird? <br />Sowohl die franz&ouml;sische ESTIMABL-Studie als auch die englische HiLo-Studie, die bei Low-Risk-Patienten postoperativ die Effizienz unterschiedlich hoher Aktivit&auml;ten in der ablativen RIT verglichen haben und minimale Schilddr&uuml;senreste als Ablationserfolg tolerieren, verf&uuml;gen &uuml;ber lediglich kurze Nachbeobachtungszeiten, sodass die Langzeitprognose dieser Patienten offen bleiben muss.<sup>12, 13</sup></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Haugen BR et al: 2015 American thyroid association management guidelines for adult patients with thyroid nodules and differentiated thyroid cancer. Thyroid 2015; doi: 10.1089/thy.2015.0020 <br /><strong>2</strong> Ross DS et al: Recurrence after treatment of micropapillary thyroid cancer. Thyroid 2009; 19: 1043-8 <br /><strong>3</strong> Kim HJ et al: Radioactive iodine ablation does not prevent recurrences in patients with papillary thyroid microcarcinoma. Clin Endocrinol (Oxf) 2013; 78(4): 614-20 <br /><strong>4</strong> Baudin et al: Microcarcinoma of the thyroid gland: the Gustave-Roussy Institute experience. Cancer 1998; 83: 553-9 <br /><strong>5</strong> H&auml;nscheid H et al: Iodine biokinetics and dosimetry in radioiodine therapy of thyroid cancer: procedures and results of a prospective international controlled study of ablation after rhTSH or hormone withdrawal. J Nucl Med 2006; 47(4): 648-54 <br /><strong>6</strong> Remy H et al: 131-I effective half-life and dosimetry in thyroid cancer patients. J Nucl Med 2008; 49(9): 1445-50 <br /><strong>7</strong> Durante C et al: Long-term outcome of 444 patients with distant metastases from papillary and follicular thyroid carcinoma: benefits and limits of radioiodine therapy. J Endocrinol Metab 2006; 91(8): 2892-9 <br /><strong>8</strong> Rosenbaum-Krumme SJ et al: 18F-FDG PET/CT changes management in high-risk DTC after first radioiodine therapy. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2012; 39(9): 1373-80 <br /><strong>9</strong> Sawka AM et al: Clinical review 170: A systematic review and metaanalysis of the effectiveness of radioactive iodine remnant ablation for well-differentiated thyroid cancer. J Clin Endocrinol Metabol 2004; 89: 3668-76 <br /><strong>10</strong> Mazzaferri EL et al: Clinical review 128: Current approaches to primary therapy for papillary and follicular thyroid cancer. J Clin Endocrinol Metab 2001; 86(4): 1447-63 <br /><strong>11</strong> Samaan NA et al: The results of various modalities of treatment of well differentiated thyroid carcinomas: retrospective review of 1599 patients. J Endocrinol Metab 1992; 75(3): 714-20 <br /><strong>12</strong> Borget I et al: Quality of life and cost-effectiveness assessment of radioiodine ablation strategies in patients with thyroid cancer: results from the randomized phase III ESTIMABL trial. J Clin Oncol 2015; 33(26): 2885-92 <br /><strong>13</strong> Mallick U et al: The HiLo trial: a multicentre randomised trial of high- versus low-dose radioiodine, with or without recombinant human thyroid stimulating hormone, for remnant ablation after surgery for differentiated thyroid cancer. Clin Oncol 2008; 20: 325-6</p> </div> </p>
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