Zementaugmentation an der Wirbelsäule von der HWS bis zum Sakrum

<p class="article-intro">Der Einsatz von Zement an der Wirbelsäule ist in seinem Erfolg seit Langem belegt und die Zahl der Anwendungsmöglichkeiten nimmt stetig zu. Durch minimal invasive Operationstechniken können insbesondere dem osteoporotischen oder multimorbiden Patienten bei schnellstmöglicher Stabilität und damit Mobilität schwerwiegende Komplikationen erspart werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Zementaugmentation findet in der Wirbels&auml;ule von C2 bis S3 ihren Einsatz.</li> <li>Die Behandlung &bdquo;chronischer&ldquo; Frakturen (&auml;lter als 4&ndash;6 Monate) bringt ein klinisch und radiologisch besseres Outcome f&uuml;r den Patienten mit sich.</li> <li>Vertebroplastie bei Osteolysen ist ein exzellentes Verfahren, um gro&szlig;e offene Operationen zu vermeiden (Palliativeingriff).</li> <li>Zervikale Vertebroplastie von ventral und ggf. transoral bringt f&uuml;r den Patienten klinisch deutliche Vorteile.</li> <li>Sakroplastie ist ein relativ neues Verfahren mit guten Erfolgen, aber geringer Evidenz.</li> </ul> </div> <h2>Zement in der Medizin</h2> <p>Die Verwendung von PMMA-Knochenzement in der Medizin ist seit 1940 belegt. An der Wirbels&auml;ule kam er erstmals 1987 bei einem Patienten mit Wirbelfrakturen bei multiplem Myelom zum Einsatz. Seither konnte durch die Weiterentwicklung der Komponenten eine Vielzahl an Indikationen gewonnen werden.<br /> PMMA (Polymethylmethacrylat) ist ein Zweikomponentensystem, dessen Anwendungsbreite durch die Viskosit&auml;t bestimmt werden kann. Diese ist abh&auml;ngig von der chemischen Zusammensetzung der Pulverkomponente und kann durch W&auml;rme und einen h&ouml;heren Energiebeitrag beim Zusammenmischen gesteigert werden. Durch dieses Wissen sind die Einsatzm&ouml;glichkeiten des PMMA-Zementes an der Wirbels&auml;ule deutlich angestiegen.</p> <h2>Vertebroplastie und Ballonkyphoplastie</h2> <p>In der Vertebroplastie wird Zement &uuml;ber eine oder zwei Kan&uuml;len &uuml;ber den Pedikel in den Wirbelk&ouml;rper eingebracht. Damit kann die aktuelle Form des Wirbelk&ouml;rpers stabilisiert werden.<br /> Bei der Kyphoplastie findet zun&auml;chst noch eine Reposition des frakturierten Wirbelk&ouml;rpers durch zwei Ballone statt. Hier kann die Deckplatte durch das Aufblasen des Ballons mit einer kontrastmittelhaltigen Fl&uuml;ssigkeit angehoben werden, danach wird &uuml;ber eine oder zwei Kan&uuml;len der durch den Ballon geschaffene Hohlraum mit Zement ausgef&uuml;llt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite65_1.jpg" alt="" width="1466" height="636" /></p> <h2>Osteoporotische Frakturen</h2> <p>Im Rahmen einer Osteoporose nimmt die Knochenmasse deutlich ab und ver&auml;ndert damit die Mikroarchitektur des Knochens. Durch den Festigkeitsverlust bedingt sich eine erh&ouml;hte Frakturneigung. Die h&auml;ufigste osteoporotische Fraktur tritt an der Wirbels&auml;ule, insbesondere an der mittleren BWS und am thorakolumbalen &Uuml;bergang auf. Deck- und Grundplattenimpressionsfrakturen pr&auml;sentieren sich beim osteoporotischen Patienten h&auml;ufig multisegmental mit anhaltenden Schmerzen und einer zunehmenden Kyphose. Von &bdquo;chronischen&ldquo; Frakturen spricht man bei Beschwerdepersistenz &uuml;ber 4&ndash;6 Monate. Die Indikation zur operativen Versorgung kann bei gegebener Klinik durch ein persistierendes &Ouml;dem im MRT, insbesondere in den Fett unterdr&uuml;ckenden Sequenzen, gestellt werden. Der Zeitpunkt des Frakturgeschehens spielt nur eine untergeordnete Rolle, da Fraktur&ouml;deme h&auml;ufig bis zu einem Jahr sp&auml;ter noch nachweisbar sind.<br /> Die operative Sanierung hat den Vorteil, dass die durch Analgetika bedingten Nebenwirkungen vermieden werden. Die verbesserte Mobilisation erm&ouml;glicht eine h&ouml;here Lebensqualit&auml;t und reduziert das Risiko von Folgemorbidit&auml;ten, wie z.B. Pneumonien.<br /> <br /> Bei Frakturen ohne ausgepr&auml;gten H&ouml;henverlust oder mit ausreichender Reposition &uuml;ber die Bauchlagerung ist eine Vertebroplastie ausreichend, w&auml;hrend st&auml;rker gesinterte Wirbelk&ouml;rper meist einer kyphoplastieballonassistierten Reposition bed&uuml;rfen. Bei Substanzdefekten der Kortikalis wird die Verwendung von hochvisk&ouml;sem Zement zur Verhinderung eines Austrittes empfohlen. F&uuml;r eine weitere Risikoreduktion kann die Ballonkyphoplastie in der Egg-Shell-Methodik angewendet werden. Hierbei wird der Zement zweiphasig in den Wirbelk&ouml;rper eingebracht. Prim&auml;r wird mit geringem Druck eine &auml;u&szlig;ere Zementschale im Wirbelk&ouml;rper geschaffen. Nach Aush&auml;rtung dieser Schale kann eine zweite Portion Zement eingebracht werden. Die klinisch relevante Komplikationsrate liegt unter 1 % , die klinischen Ergebnisse nach Vertebro- bzw. Kyphoplastie zeigen keine signifikanten Unterschiede.<br /> Insbesondere bei multisegmentalen Frakturen muss zun&auml;chst ein Aussch&ouml;pfen aller konservativen Behandlungsma&szlig;nahmen vorliegen. Erst bei Versagen der Schmerz- und osteoporotischen Therapie ist eine operative Sanierung als Ultima Ratio indiziert.<br /> <br /> Auch bei h&ouml;hergradigen Frakturen mit Hinterkantenbeteiligung kann im Sonderfall eine Kyphoplastie als operative Therapie ohne zus&auml;tzliche dorsale Spondylodese ausreichend sein. Hier muss jedoch eine ausgezeichnete Reposition durch Lagerung und das Auff&uuml;llen der Kyphoplastieballons gew&auml;hrt werden.<br /> Bei Vorliegen eines neurologischen Defizites, d.h. bei Hinterkantendislokation mit schwerer, symptomatischer Spinalkanalobstruktion ist die reine Kyphoplastie kontraindiziert. Dies gilt auch f&uuml;r Instabilit&auml;ten und alte fixierte Frakturen ohne &Ouml;dem.<br /> Hier werden f&uuml;r den osteoporotischen Patienten eine zementaugmentierte dorsale Spondylodese mit Dekompression und sekund&auml;r der ventrale Wirbelk&ouml;rperersatz empfohlen. Ohne Zementaugmentation zeigen sich bei diesem Patientenkollektiv &uuml;berm&auml;&szlig;ig Komplikationen. Diese reichen von der reinen Lockerung bis zum Ausbruch des gesamten Konstrukts. Durch die Augmentation kann eine ausreichende Stabilit&auml;t mit fr&uuml;her postoperativer Mobilisation gew&auml;hrleistet werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite65_2.jpg" alt="" width="561" height="457" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite65_3.jpg" alt="" width="566" height="497" /></p> <h2>Insuffizienzfrakturen des Sakrums</h2> <p>Diese Pathologie wird derzeit auf eine Inzidenz von 1&ndash;2 % gesch&auml;tzt. Die Diagnose l&auml;sst sich bei unspezifischen Symptomen wie tief sitzendem Lumbago bzw. Glutealgien und gleichzeitig h&auml;ufig vorliegenden degenerativen Ver&auml;nderungen im LWS-R&ouml;ntgen schwer stellen. Zudem zeigen R&ouml;ntgenaufnahmen des Sakrums h&auml;ufig erst nach mehreren Wochen oder Monaten erstmalig Anomalien im Rahmen einer Sklerosierung. Die Diagnose l&auml;sst sich in einem MRT des Sakrums in den fettunterdr&uuml;ckten Sequenzen mittels &Ouml;dem stellen.<br /> Insuffizienzfrakturen des Os sacrum treten bei Patienten mit schwerer Osteoporose, rheumatoider Arthritis, nach Kortisonmedikation oder nach Strahlentherapie h&auml;ufig auf.<br /> Beim Gro&szlig;teil der Patienten funktioniert die konservative Therapie mit Bettruhe und Beckengurt sehr gut. Bei multimorbiden Patienten resultiert der konservative Therapieansatz jedoch h&auml;ufig in Komplikationen wie TVT, Lungenarterienembolien, Dekubitus und zus&auml;tzlicher Muskel- und Knochenatrophie.<br /> Die operative Sanierung mittels Schraubenosteosynthese erzielt h&auml;ufig kein zufriedenstellendes Ergebnis. Die Komplikationsrate mit Pseudarthrosen, Materiallockerung und persistierenden invalidisierenden Schmerzen ist beim osteoporotischen Patienten &uuml;beraus hoch. Bei einfachen Insuffizienzfrakturen kann dem Patienten mittels Sakroplastie, d.h. Zementaugmentation der Massa lateralis des Sakrums, eine deutliche Beschwerdebesserung bei gleichzeitig ausreichender Stabilit&auml;t zur sofortigen Mobilisation angeboten werden. <br /> Bei h&ouml;hergradiger kn&ouml;cherner Destruktion oder Dislokation ist eine Sakroplastie nicht ausreichend. In diesen eher seltenen F&auml;llen besteht die Indikation zur zementaugmentierten Osteosynthese des hinteren Beckenringes (Ileum-Sakrum-Ileum-Verschraubung).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite66_1.jpg" alt="" width="754" height="596" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite66_2.jpg" alt="" width="364" height="575" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite66_3.jpg" alt="" width="361" height="473" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite66_4.jpg" alt="" width="364" height="314" /></p> <h2>Wirbels&auml;ulenmetastasen</h2> <p>Die Lebenserwartung bei malignen Erkrankungen ist in den letzten Jahren durch die verbesserten medizinischen M&ouml;glichkeiten in der Diagnostik und der Behandlung deutlich gestiegen. Zudem ist die Wirbels&auml;ule nach Leber und Lunge die dritth&auml;ufigste Lokalisation von Metastasen. Dies resultiert in der Tatsache, dass Wirbels&auml;ulenmetastasen h&auml;ufiger diagnostiziert werden und die Anzahl steigt. Am h&auml;ufigsten metastasieren Mamma-, Prostata-, Bronchial- und Nierenzellkarzinom in die Wirbels&auml;ule. Ferner liegt beim multiplen Myelom h&auml;ufig eine metastatische Streuung in die Wirbels&auml;ule vor. Diese osteolytischen Metastasen des multiplen Myeloms stellen die Hauptindikation zur Vertebroplastie bei Tumoren dar. Die Operation wird zur Schmerztherapie und zur Pr&auml;vention von pathologischen Frakturen mit m&ouml;glichen neurologischen Ausf&auml;llen durchgef&uuml;hrt. Diese Behandlung stellt keinen kurativen Ansatz dar, sondern soll lediglich den betroffenen Wirbels&auml;ulenabschnitt stabilisieren und einem meist multimorbiden Patienten eine gro&szlig;e offene Operation mit Wirbelk&ouml;rperersatz ersparen. <br /> Die h&auml;ufig defiziente Hinterkante beg&uuml;nstigt den Zementaustritt in den Spinalkanal und m&ouml;gliche neurologische Komplikationen. Im Vergleich zu osteoporotischen Frakturen ist das Risiko von symptomatischen Leckagen bei der Behandlung pathologischer Frakturen um das Zehnfache erh&ouml;ht. Aus diesem Grund sollte insbesondere bei dieser Indikation eine Vertebroplastie nur mit maximal visk&ouml;sem Zement durchgef&uuml;hrt werden. Die Anwendung der Vertebroplastie bei Osteolysen wird nur bei entsprechender Erfahrung empfohlen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite67_1.jpg" alt="" width="751" height="433" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite67_2.jpg" alt="" width="753" height="599" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite67_3.jpg" alt="" width="753" height="333" /></p> <h2>Zervikale Vertebroplastie</h2> <p>Auch bei Osteolysen an der HWS ist eine Zementaugmentation mittels Vertebroplastie m&ouml;glich. Der Zugang ist hier allerdings von ventral zu w&auml;hlen, da ein transpedikul&auml;rer Zugang meist nicht m&ouml;glich ist. Laut aktueller Literatur wird bei ca. 66 % aller zervikal durchgef&uuml;hrten Vertebroplastien die Etage C2 behandelt. Hier kann als Alternative auch der transorale Zugang gew&auml;hlt werden. Bei der subaxialen HWS w&auml;hlt man einen kleinen ventralen Zugang, um die Kan&uuml;len sicher zu platzieren. Bei C2 w&auml;hlt man die gleiche Angulationstechnik wie bei der Densverschraubung. Die Zementviskosit&auml;t spielt auch an der HWS, insbesondere bei defizienter Hinterkante, eine zentrale Rolle, da besonders in der Halswirbels&auml;ule Zementleckagen mit ca. 16 % sehr h&auml;ufig sind.<br /> Der Vorteil der ventralen Vertebroplastie liegt im minimal invasiven Zugang mit kurzer OP-Dauer, geringem Blutverlust und sofortiger Belastbarkeit ohne Orthesen. Die Patientenzufriedenheit liegt bei zervikalen Kyphoplastien bei fast 90 % .</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite68_1.jpg" alt="" width="763" height="368" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1604_Weblinks_Seite68_2.jpg" alt="" width="763" height="332" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>Literatur bei den Verfassern</p> </div> </p>
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